Politische Positionen von Parteien

Eine Soße? Über die deutsche Parteienlandschaft gibt es eine Reihe von selten hinterfragten Grundannahmen. Hier wird versucht, diese Annahmen zu testen.

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Dieser Beitrag wurde am 19. März um 13:20 Uhr um eine Dimensionsanalyse und um 17:55 Uhr um zwei Abbildungen mit der NPD, der LKR und den Piraten erweitert.

Kann man die Position von Parteien quantifizieren?

Jeder glaubt zu wissen, welche Parteien einander politisch nahestehen. Viele nehmen an, dass die Unterschiede in den politischen Positionen der CDU, der SPD und der Grünen im Vergleich zum möglichen Meinungsspektrum geringfügig sind. Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel behaupten, sie seien wegen politischer Meinungsunterschiede aus der AfD ausgetreten und hätten eine neue Partei gegründet (die derzeit Liberal-Konservative Reformer heißt).

Solche Annahmen können wir testen. Dafür benötigen wir eine mathematische Definition des Abstands zwischen den politischen Positionen von Parteien. Nun scheint es für ein derart komplexes Problem ein hoffnungsloses Unterfangen zu sein, etwas mathematisch exakt zu definieren. Wir können das aber relativ einfach tun, wenn wir eine einheitliche und numerisch kodierbare Darstellung der politischen Positionen aller relevanten Parteien haben. So etwas gibt es tatsächlich. Es ist der Fragebogen, der von der Bundeszentrale für politische Bildung oder den entsprechenden Landeszentralen für den Wahl-O-Mat erstellt wird, zusammen mit den Antworten der Parteien. Aus aktuellem Anlass benutze ich hier denjenigen für die Landtagswahl im Saarland am 26. März 2017.

Bevor wir eine mathematische Analyse beginnen, müssen wir uns natürlich die Frage nach der Qualität der vorliegenden Daten stellen. Die Parteien haben den Fragebogen öffentlich beantwortet. Man darf also annehmen, dass sie ihre eigene Position nicht grob verfälscht darstellen. Schwieriger ist die Frage nach der Qualität des Fragebogens selbst zu beantworten. Damit die Analyse sinnvolle Ergebnisse erbringt, sollte der Fragebogen alle oder doch die meisten wesentlichen Fragen enthalten, die vor dieser Wahl auf Landesebene diskutiert werden und er sollte nicht durch Fragen zu unwesentlichen Problemen verdünnt sein, die eigentlich kaum jemanden interessieren. Letzteres ist wichtig, weil wir in Ermangelung eines objektiven Wichtungskriteriums alle 38 Fragen gleich gewichten.

Zuerst müsste ich also hier den Fragebogen selbst kritisch bewerten. Wenn ich die gleiche Analyse später in diesem Jahr auf die Bundestagswahl anwende, werde ich das auch tun. Für die saarländische Landespolitik fehlt mir dazu die Kompetenz und Information. Ich gehe deshalb davon aus, dass die Mitarbeiter der Landeszentrale für politische Bildung den Fragebogen nach bestem Wissen und Gewissen aufgestellt haben. Sie haben dabei den gleichen Zweck verfolgt, für den ich den Fragebogen und die Antworten benutze, nämlich die Unterschiede zwischen Parteien sichtbar und quantitativ auswertbar zu machen. Dadurch, dass sie den Fragebogen veröffentlichen, setzen sie sich selbst möglicher Kritik aus, was einen zusätzlichen Anreiz erzeugt haben sollte, die Arbeit sorgfältig zu erledigen. In jedem Fall ist wegen der Öffentlichkeit des gesamten Fragebogens im genauen Wortlaut und aller Antworten eine Transparenz gegeben, die wir sonst bei der Darstellung von Umfragen in den Medien nicht erwarten dürfen. Mit anderen Worten: Meine Analyse sollte mit Augenzwinkern betrachtet werden, aber sie dürfte ziemlich objektiv im Vergleich zu dem sein, was sie sonst so als Analyse der deutschen Parteienlandschaft vorgesetzt bekommen.

Was fange ich nun mit diesen Daten an? Aus den Antworten zweier Parteien auf alle Fragen kann ich einen Überlapp berechnen, der zwischen -1 (konträre Positionen) und 1 (identische Positionen) liegt und daraus wiederum einen Abstand, der zwischen 0 (identische Positionen) und 1 (konträre Positionen) liegt. Für bis zu vier Parteien exakt und für etwa fünf bis sechs Parteien in guter Näherung kann ich aus allen paarweisen Abständen eine räumliche Darstellung der relativen Positionen der Parteien berechnen. Wie ich all das mache, erkläre ich am Ende des Artikels im Abschnitt „Methodik“. Falls Sie mir auch so glauben, dass ich die Mathematik kann und Sie nicht absichtlich täusche, brauchen Sie diesen Abschnitt nicht zu lesen. Ich diskutiere jetzt die räumliche Darstellung der relativen Positionen und teste die oben erwähnten Annahmen und einige weitere Annahmen.

Für die räumliche Darstellung der relativen Positionen wähle ich diejenigen Parteien aus, die eine realistische Chance haben, in den Landtag einzuziehen. Das sind die CDU, die SPD, die AfD, die Linke, die Grünen und die FDP. An dieser Stelle kann ich Ihnen ein klein wenig räumliche Geometrie nicht ganz ersparen, weil man mit Bildern lügen kann. Wenn ich Ihnen das mathematisch exakt berechnete Modell zeige, davon aber nur eine Ansicht, die ich auswähle, kann ich Ihnen eine Menge Unsinn plausibel machen, der sofort auffiele, wenn Sie das Modell auch aus einem anderen Blickwinkel sehen könnten. Dieses Problem kann man weitgehend vermeiden, wenn man zwei Ansichten zeigt, die durch eine 90°-Drehung auseinander hervorgehen. Noch objektiver wird das Ganze, wenn man in der Sprache des eigentlichen Problems (hier politische Positionen) spezifizieren kann, welche zwei Ansichten man zeigt.

Dafür definiere ich ein Koordinatensystem, das ich der Einfachheit halber das Koordinatensystem der Bonner Republik nenne. Die CDU (schwarz) definiert den Koordinatenursprung. Die Achse CDU-SPD (warmer Rotton) ist parallel zur x-Achse. Der dritte Punkt, den ich benötige, um die xy-Ebene der Bonner Republik zu definieren, ist die FDP (gelb). Die erste Ansicht ist parallel zu dieser Ebene der Bonner Republik. Damit kann ich noch eine Blickrichtung wählen. Das ist die y-Richtung, also senkrecht zur Achse CDU-SPD, so dass die SPD links zu liegen kommt, also die x-Achse von rechts nach links verläuft. Bei der zweiten Ansicht schaue ich entlang der z-Achse senkrecht auf die Ebene der Bonner Republik, wieder so gedreht, dass die SPD links von der CDU liegt.

Relative Positionierung der Parteien

Die x-Achse ist die Rechts-Links-Achse der Bonner Republik. Es sollte niemanden wundern, dass sich die FDP auch heute noch auf dieser Achse zwischen der CDU und der SPD befindet und zwar näher an der CDU. Die neoliberale Verschiebung betraf alle drei Parteien und sie bildet sich in den Fragen zur Landespolitik kaum ab. Ebenfalls niemanden verwundern wird es, dass sich sowohl die Grünen (grün) als auch die Linke (rötliches magenta) links von der SPD befinden. Bei den Grünen mag die Schwarz-Grün-Diskussion und die Position von Winfried Kretschmann da wohl Zweifel genährt haben, aber an der Saar sind die Dinge noch wie sie waren.

Erstaunlich ist vielleicht, dass die Linke auf dieser Achse nicht so viel weiter links liegt als die Grünen und die SPD. Bedenkt man aber, dass der maximale Abstand in drei Dimensionen 1 ist, so ist das Links-Rechts-Spektrum schon ohne Einbeziehung der AfD (blau) mit einer Breite von 0.449 recht eindrücklich gespreizt. Wiederum nicht verwunderlich ist, dass sich die AfD rechts von der CDU befindet. Bezieht man sie mit ein, so hat das Rechts-Links-Spektrum eine Breite von 0.552. Allerdings befindet sich die AfD etwas weniger weit rechts (-0.103) von der CDU als sich die Linke links von der SPD (0.138) befindet.

Interessant ist die y-Achse, die man nur in der Aufsicht erkennen kann. Das ist die Dimension, in der sich die FDP von der Großen Koalition im Saarland unterscheidet und zugleich ist die FDP diejenige Partei, die sich in dieser Dimension am stärksten von der Großen Koalition unterscheidet. In der Bonner Republik konnte man diese Dimension in etwa mit gesellschaftlicher Liberalität und Freiheitlichkeit identifizieren. Interessant ist nun, dass sich Grüne, Linke und AfD alle in positiver y-Richtung positionieren, also von der Großen Koalition aus gesehen in Richtung der FDP, alle in etwa auf halbem Wege. Ich würde diese Dimension Anti-Miefigkeit nennen. Bei den Grünen hätte ich eigentlich mehr Spießigkeit erwartet, denn eine Claudia Roth macht ja noch keine Buntheit. Vielleicht haben die Saar-Grünen mir unbekannte Talente.

Weiterhin interessant ist beim Blick auf die xy-Ebene, wie gut die sechs Parteien die Ebene abdecken. Bis auf die Duplizität von Linken und Grünen sieht man ein nahezu gleichseitiges Fünfeck. Die maximale Breite in y-Richtung beträgt 0.411. Die Spreizung in den beiden orthogonalen politischen Dimensionen x und y ist 68.8% der maximalen Spreizung, die ein Zwei-Parteien-System wie in den USA bei völlig entgegengesetzten Positionen der beiden Parteien überhaupt erreichen könnte.

Schwierig zu verstehen ist die z-Richtung, für deren Betrachtung wir zurück zur Blickrichtung in der xy-Ebene gehen müssen. Es ist diese Dimension, in der sich die AfD am stärksten vom Konsens der Bonner Republik (xy-Ebene) unterscheidet (+0.281). Erstaunlicherweise unterscheidet sich aber die Saar-Linke in der gleichen Richtung vom Konsens der Bonner Republik (+0.094) und die Grünen in der anderen Richtung (-0.118). Wenn Sie das im Detail verstehen wollen und auch etwas über die konkrete Bedeutung der x- und y-Richtung erfahren möchten, empfehle ich den Abschnitt "Was bedeuten die Dimensionen?" weiter unten.

Alles eine Soße?

Zumindest für die Saar-Wahl und unter der Annahme, dass der Fragenkatalog der Landeszentrale für politische Bildung die wirklich strittigen Fragen gut abdeckt, ist die Behauptung völlig unsinnig, es gäbe keine echte Auswahl zwischen verschiedenen politischen Positionen. Die gäbe es sogar ohne die AfD. Selbst wenn man nur Parteien einbezieht, die eine echte Chance haben, im Landtag auch vertreten zu sein, ist eine weitgehende Wahl zwischen verschiedenen Positionen möglich, die auch nuanciert sein kann, weil die Spreizung in mehreren Dimensionen gut ist. Schon CDU, SPD und Grüne unterscheiden sich in mehreren Dimensionen deutlich voneinander. Die Linke und die Grünen machen im Saarland nur geringfügig verschiedene Politikangebote. Zwar beträgt der Abstand immer noch etwa 20% des maximal möglichen, aber er scheint vor allem Fragen zu betreffen, die keinem für den Wähler erkennbaren Profilunterschied entsprechen.

Wenn man die Absichtserklärungen für bare Münze nimmt, ist das Politikangebot der Parteien differenziert und gut. Ob sie hinterher umsetzen, was sie vor der Wahl behaupten, ist eine andere Frage. Jedenfalls wäre es schwierig, ein Parteiensystem rational zu konstruieren, das bei der gegebenen Komplexität der anstehenden Probleme eine bessere Auswahl bietet. Das könnte nur mit direkter Demokratie, also mit der Abstimmung über Einzelprobleme erreicht werden. Man wird sehen müssen, ob sich das bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen und bei der Bundestagswahl auch so darstellt.

Lucke und Henkel – Ego-Trip oder politische Meinungsverschiedenheit?

Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel hatten in der AfD einen parteiinternen Machtkampf verloren und danach eine eigene Partei gegründet (Allianz für Fortschritt und Aufbruch, jetzt Liberal-Konservative Reformer, wie immer man diese beiden Namen programmatisch zusammenbringt). Sie haben die von den Medien gern verbreitete Meinung geprägt, die AfD sei jetzt rechtsextremistisch und deshalb hätten sie diese verlassen.

Wie groß ist eigentlich- im Saarland- der Unterschied zwischen den Positionen beider Parteien? Er beträgt 0.119. Zwischen keinen zwei der oben betrachteten sechs Parteien gibt es einen so kleinen Unterschied. Derjenige zwischen den Grünen und der Linken ist der geringste und mit 0.205 immerhin fast doppelt so groß wie derjenige zwischen AfD und LKR.

Ist nun die AfD rechtsextrem? Im Kontext dieser Analyse ist das am besten durch den Abstand zur NPD zu quantifizieren. Dieser beträgt immerhin noch 0.361. Zum Vergleich beträgt derjenige zwischen CDU und SPD nur 0.296 Allerdings wahrt die AfD tatsächlich unter den oben betrachteten sechs Parteien den geringsten Abstand zur NPD. Am zweitnächsten an der NPD befindet sich die CDU (0.469), die zugleich die einzige etablierte Partei mit einem Abstand unter 0.5 ist. Die LKR allerdings befindet sich noch etwas näher an der NPD (0.428) als die CDU und damit nicht sehr viel weiter weg als die AfD. All das kann man auch sehen, wenn man sich die Visualisierung der NPD und der LKR im gleichen Koordinatensystem in einer Blickrichtung parallel zur Ebene der Bonner Republik oder senkrecht dazu anschaut. Dass die NPD auf der Rechts-Links-Achse zwischen CDU und SPD liegt, sollte niemanden verwundern. Ein ähnliches Ergebnis würde ich in Frankreich für den Front National erwarten. Die NPD ist allerdings wie erwartet am weitesten von allen Parteien vom Konsens der Bonner Republik (z-Ebene) entfernt. In beiden Ansichten erweist sich die LKR als Zwilling der AfD.

Man darf also wohl schließen, dass die Partei LKR zumindest landespolitisch im Saarland nur als Egotrip von Lucke und Henkel zu betrachten ist und nicht als ein von demjenigen der AfD deutlich verschiedenes Politikangebot. Diese Frage werde ich bei den NRW-Landtagswahlen und der Bundestagswahl im Auge behalten.

Schwarz-Grün oder eher Gelb-Dunkelrot?

Im Saarland beträgt der Abstand zwischen der CDU und den Grünen 0.469. Er ist damit nur unwesentlich kleiner als derjenige zwischen CDU und NPD und er ist deutlich größer als derjenige zwischen CDU und AfD (0.347). Daraus folgt übrigens auch, dass sich die AfD näher an der CDU befindet als an der NPD. Nur die Linke ist noch weiter weg von der CDU als die Grünen.

Allerdings- und das erstaunt- hat auch die FDP mit 0.437 einen erheblichen Abstand von der CDU. Nur zur SPD (0.457) hat die FDP einen noch größeren Abstand. Die FDP kommt keiner Partei näher als 0.373 (Grüne), knapp vor der Linken (0.380). Im Saarland also passen Gelb-Grün und Gelb-Dunkelrot besser zusammen als Schwarz-Grün. Ich nehme an, dass keine der vier betroffenen Parteien das gern zugeben würde, aber die Antworten auf den Fragebogen zeigen es.

Was bedeuten die Dimensionen?

Weiter oben habe ich die x-Dimension als Rechts-Links-Achse und die y-Dimension als Anti-Miefigkeitsachse bezeichnet, während ich für die z-Dimension keine gute Interpretation angeben konnte. Wir können die Dimensionen politisch genauer interpretieren, wenn wir untersuchen, welche Fragen die stärksten Koordinatenverschiebungen in dieser Richtung verursachen (siehe „Methodik“). Links ist es demnach, die Fragen 9, 10, 12, 17, 19, 21, 22, 26, 32 mit „Ja“ und die Frage 15 mit „Nein“ zu beantworten (x-Dimensionsanalyse). Erstaunlich ist dabei Frage 9: „Abitur wieder nach 9 Jahren Gymnasium“, während es niemanden verwundern sollte, dass Linke dauerhaft wohnhaften Ausländern das Kommunalwahlrecht zuerkennen wollen (Frage 10). Linke sind weiterhin dafür, dass gleichgeschlechtliche Paare Kinder adoptieren dürfen (Frage 12), dass die Saarbrücker Stadtautobahn in einen Tunnel verlegt werden soll (Frage 17), dass für das Leitungspersonal in saarländischen Ministerien eine feste Frauenquote gelten soll (19), dass bei Landtagswahlen das Wahlalter abgesenkt werden soll (21), dass Grundschullehrerinnen und –lehrer das gleiche Einstiegsgehalt bekommen sollen, wie Lehrer anderer Schulformen (22), dass alle Kinder mit und ohne Behinderungen gemeinsam unterrichtet werden (26) und dass Flüchtlinge eine Gesundheitskarte für den direkten Zugang zur medizinischen Versorgung erhalten (32). Sie sind dagegen, dass die Anzahl der Landkreise im Saarland verringert wird (15, weil die CDU hier neutral angekreuzt hatte).

Miefigkeit (negative y-Achse) äußert sich darin, dass Geschäfte ihre Öffnungszeiten an Werktagen nicht frei festlegen können sollen (Frage 1), dass das Tanzverbot an stillen Tagen (Karfreitag, Volkstrauertag) beibehalten werden soll (3), neue Flächen für Windkraftanlagen ausgewiesen werden sollen (5!), die Hürden für Volksbegehren nicht gesenkt werden sollen (6), im Saarland die Grunderwerbssteuer nicht wieder gesenkt werden soll (11), bei der Verfolgung schwerer Straftaten die Datenschutzrechte der Bürger stärker eingeschränkt werden sollen (25), Kitaplätze für alle Kinder ab null Jahren gebührenfrei sein sollen (31) und der Anbau von Cannabis zum eigenen Bedarf nicht legalisiert werden soll (37). Hier überraschen die Windkraftanlagen, die Grunderwerbssteuer und die Kita-Plätze. Es liegt daran, dass Miefigkeit hier als mittlere Abweichung der CDU und SPD von der FDP definiert ist, was wohl etwas zu schlagwortartig ist.

Was ist nun die mysteriöse z-Dimension? Die positive z-Richtung ist damit assoziiert, dass die Hürden für Volksbegehren gesenkt werden sollen (5), das Land stärker in den Saarbrücker Flughafen investieren soll (13), in öffentlichen Gebäuden keine christlichen Symbole mehr angebracht werden sollen (18, die AfD will keine, die Grünen wollen welche), der Betrieb kommunaler Schwimmbäder durch Landesmittel sichergestellt werden soll (28), an saarländischen Schulen kein islamischer Religionsunterricht angeboten werden soll (29, unter den sechs Parteien will nur die AfD keinen), die ökologische Landwirtschaft in der Förderung Vorrang vor konventioneller Landwirtschaft haben soll (30, AfD will das, CDU und SPD nicht) und die Möglichkeit, im Saarland Bordelle zu eröffnen, nicht stärker eingeschränkt werden soll (die AfD ist als einzige der sechs Parteien gegen eine solche Einschränkung).

Im Wesentlichen deckt die z-Dimension den Abstand der AfD zu den anderen sechs Parteien ab, der sich mit der x- und y-Dimension nicht wiedergeben lässt. Die z-Dimension ist der Anti-Establishment-Charakter der AfD, der über Rechtslastigkeit und Anti-Miefigkeit hinausgeht. Es wird sich zeigen müssen, ob es in den kommenden Wahlen in NRW und im Bund auch eine solche z-Dimension gibt.

Methodik

Die Position einer Partei wird durch einen Vektor pi der Länge 38 repräsentiert. Jedes Element entspricht einer Frage des Fragebogens. Zunächst wird jedes „Ja“ durch eine 1 und jedes „Nein“ durch eine -1 kodiert, eine neutrale Position durch eine 0. Der gesamte Vektor wird dann normiert, also durch √38 geteilt. Dadurch liegt das Skalarprodukt zweier Vektoren pi und pk immer zwischen -1 (alle Antworten entgegengesetzt) und 1 (alle Antworten gleich). Dieses Skalarprodukt ist der Überlapp der politischen Positionen beider Parteien, Üik = pi·pk. Aus dem Überlapp berechne ich einen Abstand aik = (1-Üik)/2, der immer zwischen 0 (identische Positionen) und 1 (entgegengesetzte Positionen) liegt. Bis hierhin ist mit dem Fragebogen alles sehr einfach sogar mit Papier und Bleistift nachzuvollziehen (normieren Sie nicht die einzelnen Vektoren, sondern bilden Sie erst das Skalarprodukt und teilen Sie dieses durch 38).

Die Berechnung der räumlichen Koordinaten, die den Parteipositionen entsprechen, ist etwas diffiziler. Für zwei Parteien können Sie (trivialerweise) eine eindimensionale Darstellung mit einer Linie der Länge a12 wählen. Die einzige Information ist diese Länge. Für drei Parteien haben Sie drei Abstände a12, a13, a23 und Sie erinnern sich, dass diese ein Dreieck vollständig definieren. Sie können also alle Positionen in einer Ebene (zwei Dimensionen) darstellen. Allgemein gibt es für n Parteien n(n-1)/2 Abstände und die n Punkte im dreidimensionalen Raum haben 3n Koordinaten. Die Abstände definieren nur die relative Position der Punkte, also nur die Koordinaten bis auf eine Translation (drei Freiheitsgrade x0, y0, z0) und eine dreidimensionale Rotation (drei Eulerwinkel), welche die Orientierung des Objekts bestimmt. Über diese 6 Freiheitsgrade habe ich oben bereits verfügt, als ich das Koordinatensystem der Bonner Republik gewählt habe. Es gibt also nur 3n-6 Freiheitsgrade. Für n = 4 geht das Problem gerade exakt auf: Aus 6 Abständen sind 6 Freiheitsgrade zu bestimmen. Bei 5 Parteien (10 Abstände, 9 Freiheitsgrade) und 6 Parteien (15 Abstände, 12 Freiheitsgrade) ist das Problem überbestimmt und hat keine exakte Lösung.

Allgemein kann man das Problem für beliebig viele Punkte und eine beliebige Anzahl von bekannten Abständen (auch über- und unterbestimmte Probleme) mittels Abstandsmatrixgeometrie lösen. Die Mathematik ist nicht übermäßig kompliziert und mit einer Matrixmathematikbibliothek oder in einer entsprechenden Programmierumgebung (wie etwa Matlab®) auch einfach zu programmieren (ich habe das nicht extra für diesen Artikel getan, sondern für Proteinstrukturberechnungen und hatte das Programm diese Woche sowieso wieder in der Hand). Falls Sie nicht zufällig auch so ein Programm haben, können Sie das natürlich nicht mehr nachvollziehen. Sie können aber überprüfen, ob ich Sie anlüge. Die Koordinaten der Parteien (x, y, z) sind:

CDU: (0, 0, 0) per definitionem

SPD: (0.311, 0, 0)

FDP: (0.098, 0.411, 0)

AfD: (-0.103, 0.204, 0.281)

Die Linke: (0.449, 0.274, 0.094)

Grüne: (0.398, 0.247, -0.118)

Daraus können Sie berechnen, wie gut die Abstände stimmen, die ja ihrerseits leicht aus dem Fragebogen zu berechnen sind. Ich musste wegen der Überbestimmtheit eine gewisse Toleranz zulassen. Die größte erlaubte Abweichung eines Abstands beträgt 0.015 (1.5% des maximal möglichen Abstands). Das könnten Sie in den Darstellungen mit bloßem Auge nicht erkennen (der Kugelradius ist 0.05).

Weitere Parteien auf die gleiche Art zu behandeln führt zu einer zu großen Überbestimmtheit. Stattdessen verwende ich dafür die Multilateration, die auch dem Global Positioning System (GPS) zugrunde liegt. Die schon positionierten sechs Parteien entsprechen Navigationssatelliten. Bekannt sind die Abstände der neu zu positiinierenden Partei zu all diesen "Satelliten". Dieses Problem ist zwar auch schon ab 4 Satelliten überbestimmt, aber das führt nur zu einer Unsicherheit für die neu zu positionierende Partei und deren optimale Position kann leicht mit der Methode der kleinsten Fehlerquadrate berechnet werden. Für die NPD erhalten wir eine Positionierungsunsicherheit von 0.032, für die LKR von 0.034 und am schlechtesten passen die Piraten in unser Koordinatensystem, bei denen die Unsicherheit 0.051 beträgt, also etwa dem Kugelradius entspricht.

Für die Dimensionsanalyse habe ich berechnet, wie stark die Änderung der Antwort auf eine bestimmte Frage f die x-, y- und z-Koordinate der jeweiligen Partei in der räumlichen Darstellung beeinflusst. Dafür habe ich den Antwortcode (-1, 0 oder 1) um jeweils Δ = 0.1 erhöht und den Antwortenvektor renormiert. Weil die Koordinaten eine gewisse Unsicherheit aufweisen, habe ich die Referenzkoordinaten mit dem originalen Antwortvektor als auch die veränderten Koordinaten mit dem variierten Vektor über jeweils m = 10‘000 Matrixgeometrierechnungen gemittelt. Diese Prozedur wurde für eine gegebene Frage für alle Parteien durchgeführt und die gefundenen Änderungen der jeweiligen Koordinate x, y oder z wurden über alle Parteien gemittelt. Am Ende wurden alle so erhaltenen mittleren Änderungen der Koordinate in Bezug auf Frage f durch Δ geteilt. Ich habe getestet, dass das Ergebnis für m = 10‘000 gegenüber m = 1000 numerisch stabil ist, für m = 100 hat es noch eine merkliche zusätzliche Streuung. Für m = 10‘000 rechnet mein Laptop-Computer allerdings schon reichlich zwei Stunden an der Dimensionsanalyse.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

Gunnar Jeschke

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