Die Bio-Bio-Hungerkrise

Sri Lanka Eine politische Fehlentscheidung wirkt länger nach, als sie in Kraft war.

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Am 6. Mai 2021 verbot der Finanzminister von Sri Lanka, Mahinda Rajapaksa, auf Initiative des damaligen Präsidenten von Sri Lanka, Gotabaya Rajapaksa, den Import von Mineraldüngern und Pestiziden. Sri Lanka sollte das erste Land der Welt werden, das zu 100% auf Bio-Landwirtschaft setzte. Die Gleichheit der Nachnamen ist kein Zufall. Die beiden sind Brüder.

Am 29. Juni 2021 wurde Sri Lanka der Future Policy Award 2021 (Spezialpreis) des von Jakob von Uexkull gegründeten World Future Council verliehen. Man muss zugeben, dass es sich dabei um Pech für die Organisation handelte. Sie verlieh den Preis eigentlich für das Pestizidkontrollgesetz von 1980 und dessen Erweiterungen von 1994, 2011 und 2020. Dabei ging es um besonders gefährliche Pestizide, nicht um das Totalverbot von Düngemitteln und Pestiziden. Es gab aber natürlich Stimmen, die in diesem Preis eine Unterstützung der neuen Politik sahen. Der Preis wird vom deutschen Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz gesponsert. Das Preisvideo behauptet eine Verbindung zwischen der Einschränkung der Pestizidnutzung und einer verringerten Selbstmordrate unter Kindern. Für einen solchen Zusammenhang gibt es keinerlei wissenschaftliche Basis.

Keinerlei wissenschaftliche Basis gab es auch für das Totalverbot von Düngemitteln und Pestiziden. Bezüglich der Düngemittel war die Idee wohl eher, Subventionen abzuschaffen, die sich das finanziell bereits angeschlagene Sri Lanka nicht mehr glaubte, leisten zu können. Was verboten ist, muss man nicht mehr subventionieren. Es gab frühe Warnungen vor einem Desaster. Bereits am 13. Mai wies Professor Rohan Rajapakse darauf hin, dass Harnstoffdünger (Urea) zu 46% aus Stickstoff bestehe, Kompost hingegen nur zu 2%. Er prognostizierte, dass das Importverbot desaströs sein werde. Am 28. Mai 2021 veröffentlichte die Auslandsabteilung des US-Landwirtschaftsministerium einen Bericht, der annahm, dass die Böden zwar zunächst noch düngergesättigt seien, auf Dauer aber mit Ernteverlusten von 33-35% bei Reis und Tee zu rechnen sei. Dieser Bericht sollte sich sowohl bezüglich der vorgeblichen Düngersättigung als auch bezüglich der Ernteverluste sehr bald als zu optimistisch erweisen. Am 3. August 2021 hob der Finanzminister das Importverbot für Düngemittel in einem Anflug von Erkenntnis wieder auf. Bereits am 5. August wurde es aus Angst vor den politischen Konsequenzen erneut verhängt. Am 27. August 2021 veröffentlichte Feed the Future, eine Initiative der US-Regierung eine Studie dreier Wissenschaftler aus Sri Lanka, die vor Ertragsverlusten bei Schlüsselkulturen, Zunahme der ländlichen Armut, Migration vom Land in die Stadt, Verlust von Exporterträgen und erhöhten Kosten für Nahrungsmittelimport warnte. Der potentielle Ertragsverlust für Tee wurde hier mit 50% beziffert, bei Mais ebenfalls und für Blumen wurde ohne Dünger ein Totalverlust prognostiziert.

Am 26. Oktober 2021 wurde in Sri Lanka der Bote mit der schlechten Nachricht erschossen – im übertragenen Sinn. Professor Buddhi Marambe, der die Politik mehrfach in Artikeln kritisiert hatte, wurde seiner Beraterposten bei der Regierung enthoben. Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits eine Nahrungsmittelkrise. Die Entlassung des Beraters änderte, für die Regierung vielleicht überraschend, an der Realität gar nichts. Die Reisproduktion fiel bereits innerhalb der ersten sechs Monate der neuen Politik um 20%. Zuvor deckte Sri Lanka seinen Reisbedarf selbst. Nun stieg der Preis um 50% und es musste für 450 Millionen US$ Reis importiert werden. Zum Vergleich hatte Sri Lanka 2020 für 259 Millionen US$ Dünger importiert. Wegen Preissteigerungen auf dem Weltmarkt hatte man einen Anstieg der Düngemittelimportkosten für das Gesamtjahr 2021 auf 300-400 Millionen US$ befürchtet. Es hätte niemanden überraschen sollen, dass der Verzicht auf Mineraldünger und Pestizide teurer war als ihr Import. Agrochemikalien werden eingesetzt, weil das wirtschaftlich sinnvoll ist. Der Rückgang der Teeproduktion kostete weitere 425 Millionen US$.

Am 21. November 2021 hob Sri Lanka das Importverbot wieder auf. Die vollständig nachhaltige Landwirtschaft hatte eine Nachhaltigkeitsdauer von weniger als sieben Monate gehabt. Die Korrektur kam aber schon zu spät – viel zu spät. Die Hauptsaison für Reis war nicht mehr zu retten. Am 12. Januar 2022 veröffentlichte die Heinrich-Böll-Stiftung ihren Bericht „Pestizidfreie Regionen: Erfreuliche Ansätze“. Darin wird die Politik von Sri Lanka, eine hundertprozentige ökologische Landwirtschaft zu erreichen, lobend erwähnt. Es wird bedauert, dass die Regierung „infolge einer ökonomischen Krise“ wenige Monate später wieder zurückruderte.

Am 12. April 2022 wurde Sri Lanka zahlungsunfähig. Nach einem Volksaufstand erklärte am 13. Juli 2022 der Präsident von Sri Lanka, Gotabaya Rajapaksa, Amtsverzicht.

Die Welternährungsorganisation FAO hat eine Bilanz der abrupten Umstellung auf 100% Ökolandwirtschaft aufgemacht. Reichlich ein Fünftel der Bevölkerung (22%, 4.9 Millionen Menschen), benötigen Hungerhilfe oder finanzielle Überlebenshilfe. Die Agrarproduktion ist in der Hauptsaison 2021/22 um 50% gefallen. Für die Nebensaison 2022 wird ein Rückgang um 50-60% vorhergesagt. Seit 2020 sind die Lebensmittelpreise inzwischen um 73% gestiegen.

Wer nun vermutet, dass eine überhastete vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien ähnliche Folgen zeitigen könnte: Ja. An Warnungen fehlt es jedenfalls nicht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

Gunnar Jeschke

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