Nicht egal

Verbaerbockt Wenn Diplomaten etwas unverblümt aussprechen, meinen sie in der Regel auch, was sie gesagt haben.

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But if I give a promise to the people in Ukraine:

We stand with you, as long as you need us,

I want to deliver,

No matter what my German voters think

I want to deliver to the people of Ukraine.

And this is why it is important for me to be always very frank and clear,

And this means, every measure that I am taking, I have to be clear

That this holds on as long as Ukraine needs it.

Quelle: Video auf Twitter

Die Sätze von Annalena Baerbock, die mittlerweile allen politisch interessierten Deutschen bekannt sein dürften, ließen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. So mancher Beobachter klopfte an seine Ohren: «Egal, was meine deutschen Wähler denken, ich will meine Versprechen dem ukrainischen Volk gegenüber einhalten.» Verwechselte hier nicht eine deutsche Außenministerin ihre Rolle? Darauf gehe ich unten näher ein.

In den Tagen darauf schlugen die Wellen hoch. Der Wähler hört nun einmal ungern, dass seine Gedanken einer Ministerin egal sind. Schließlich befleissigten sich selbst Journalisten eigentlich staatsferner Medien, wie Michael Hanfeld von der F.A.Z., die Aufregung als von Russland gesteuerte Propagandakampagne hinzustellen. Auch hier schien ein verqueres Rollenverständnis auf: Es ist keine Aufgabe der demokratischen Presse, Regierungsmitglieder vehement gegen begründete Kritik zu verteidigen. Nun trifft es natürlich zu, dass die russische Propaganda den Fauxpas von Frau Baerbock nach allen Regeln der Kunst ausgeschlachtet hat. Nichts anderes täten übrigens unsere Medien mit dem Fauxpas eines AfD-Politikers, von Donald Trump oder von Sergei Lavrov. Es liegt aber eine seltsame Unlogik in der Argumentation Hanfelds und derjenigen, die in das gleiche Horn stießen. Die Angriffe des Gegners setzen die Ministerin nicht automatisch ins Recht. Deartige Unlogik liegt im Trend: Die gleichen Journalisten weigern sich tapfer zu erkennen, dass der russische Angriffskrieg eben nicht die ukrainische Regierung in Allem und Jedem ins Recht setzt.

Argumentiert wurde auch gern, der Satz sei aus dem Zusammenhang gerissen. Oben habe ich etwas Kontext des englischen Originaltexts geben. Die Verkürzung auf den einen Satz, selbst auf den einen Halbsatz «Was meine Wähler denken, ist egal», ist nicht sinnentstellend. Genau das hat die Ministerin in diesem Kontext gemeint. Es ist auch keine Frage von Flapsigkeit, die Annalena Baerbock mitunter auch schon an den Tag gelegt hat. Es geht hier nicht um einen Versprecher unter Zeitdruck, es geht nicht um eine schnelle Antwort auf eine Frage, über die Frau Baerbock nicht schon vorher nachgedacht hätte. Sie sagt hier genau das, was sie denkt und was sie sich reiflich überlegt hat.

Diskutieren kann man also nur noch, ob dieses Denken dem Amt angemessen ist oder nicht. In diesem Zusammenhang wurde gern argumentiert, in einer repräsentativen Demokratie müsse ein Politiker nicht in jedem Fall den Wählerwillen umsetzen. Das stimmt in gewissem Maße schon. Die Mehrheitsmeinung ist nicht stabil, sie ändert sich mitunter sogar sehr schnell. Politik kann diese jähen Wendungen nicht mitmachen, wenn sie verlässlich sein will, und sie muss verlässlich sein, um Schaden vom Volk abzuwenden. Es handelt sich dabei aber um eine heikle Balance. Am Ende heißt Demokratie Volksherrschaft – das Fremdwort wird mit voller Absicht vorgezogen – und in einer Volksherrschaft kann jedenfalls nicht egal sein, was das Volk denkt. Um verlässlich zu sein, muss die Politik schnelle Meinungsumschwünge glätten, aber sie muss eben auch dauerhafte und starke Meinungsumschwünge voraussehen, um nicht Festlegungen zu treffen, die zu einer Entfremdung zwischen den Politikern und dem Volk führen.

Das Problem mit Annalena Baerbock ist aber aus meiner Sicht nicht in erster Linie durch mangelndes Verständnis dieser politischen Dynamik zu erklären. Es geht tiefer und auch das lässt sich aus den wenigen oben zitierten Sätzen und ihrer Körpersprache in dem verlinkten Videoausschnitt schließen. Der Gedanke, sie diene dem deutschen Volk, ist Annalena Baerbock fremd. Sie empfindet sich als Weltbürgerin, allenfalls als Europäerin, wobei sie unter Europa die EU als Wertegemeinschaft versteht und dieser die Ukraine zuschlägt. Letzteres ist noch einmal ein spezieller Irrtum, auf den ich weiter unten zu sprechen komme.

Es ist Frau Baerbock unbenommen, übernational zu empfinden und auf der Basis dieser Empfindung Politik zu betreiben. Es ist aber unvereinbar mit dem Amt der deutschen Außenministerin. Diesen Umstand scheint nicht nur Frau Baerbock nicht zu erkennen, er scheint auch vielen Journalisten verborgen zu sein. Annalena Baerbocks Haltung und ihre Art, Politik zu betreiben, sind vereinbar mit einem Amt bei der EU, in einer internationalen Organisiation, wohl auch im EU-Parlament, aber eben nicht mit einem nationalen politischen Amt, wie sie es angestrebt und angetreten hat. Unbenommen wäre ihr zwar auch, sich in ihrem Inneren weiterhin als übernational zu empfinden, nur muss sie Amt und Person so weit voneinander trennen können, dass sie die Interessen Deutschlands und des deutschen Volkes vertritt. Diese Interessen sind nicht deckungsgleich mit denjenigen der EU und schon gar nicht mit denjenigen der Ukraine. Wo sie auseinanderklaffen, muss die deutsche Außenministerin zivilisiert, diplomatisch, aber eben auch dezidiert für die deutschen Interessen eintreten. Niemand sonst wird das für sie tun. Hingegen wissen andere Außenminister und Außenministerinnen sehr wohl, dass sie nationale Interessen vertreten und dass das ein Erfordernis ihres Amtes ist.

Es gibt noch ein Hintertürchen, das wir anschauen müssen. Wenn man annehmen könnte, dass die Interessen des ukrainischen Volkes auch dann noch mit denjenigen des deutschen Volkes übereinstimmen, wenn die meisten deutschen Wähler stabil anders darüber denken werden, dann wäre Annalena Baerbocks Haltung in Ordnung. Dafür spricht nichts. Gegenwärtig besteht eine gewisse Kongruenz der Interessen, weil Putins Russland einen klassisch-militärischen Krieg gegen die Ukraine und zugleich und damit verbunden einen hybriden Krieg gegen die EU führt. Diese Kongruenz geht aber schon jetzt nicht so weit, dass die für die Ukraine besten Handlungen auch die für die EU und Deutschland besten Handlungen wären. Diese Interessendifferenz hat die westliche Politik in der Frage von Waffenlieferungen auch erkannt. Es ist darüber hinaus auch nicht im Interesse des deutschen Volkes, die eigene Wirtschaft an die Wand zu fahren, nur damit die ukrainische Regierung nicht über einen Kompromissfrieden verhandeln muss, während sie doch gar keine Aussicht auf einen Siegfrieden hat.

Während man über den letzten Punkt sicher streiten kann, spricht aus den oben zitierten Sätzen ein grundlegend falsches Politikverständnis Annalena Baerbocks. Sie gibt hier eine bedingungslose Unterstützungszusage ab. Das ist ein Blanko-Scheck, auf dem sogar noch steht: Welches Argument auch immer gegen die Auszahlung sprechen möge. Man stellt keine Blanko-Schecks ohne Zahlungslimit aus, nicht einmal jemandem, dem man tief vertraut. Man führe doch niemanden in eine so große Versuchung; Menschen werden angesichts der Versuchung schwach. Was nun ukrainische Politiker angeht, ist die Sache noch viel prekärer: Von vornherein ist keinerlei Vertrauen angebracht.

Der Tango ist sicherlich kein ukrainischer Volkstanz, mit der gleichen Sicherheit ist es aber unter ukrainischen Politikern der Tango corrupti. Das geht seit weit über 20 Jahren so. Keine Wahl hat daran etwas geändert und auch ein durch Gewaltandrohung gegen den Präsidenten und Abgeordnete erzwungener Regierungswechsel nicht. Weil das schon so lange so geht, sind unter ukrainischen Politikern die Begriffe «irgendwie machbar» und «zulässig» zu Synonymen geworden. Das Irgendwie geht dabei sehr weit, auch über Leichen. Wer solchen Leuten einen Blanko-Scheck in die Hand drückt, ist in gefährlicher Weise naiv. Eben das hat Annalena Baerbock getan. Und das ist nicht egal.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

Gunnar Jeschke

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