Vom Niedergang der Qualitätsintrige

Schlechte Party auf Ibiza Es hat auch schon mal mehr Intelligenz benötigt, um eine Regierung zu stürzen

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Nur sehr naive Moralisten glauben, dass Politik ohne Intrigen auskommen sollte. Es geht um die Macht. Wer sich mit seinen Argumenten im regulären Wettstreit nicht durchsetzen kann, verlagert den Kampf ins Persönliche. Den politischen Gegner mit einer Intrige auszubooten, ist eine zivilisierte Variante der personalisierten Auseinandersetzung.

Nachdem man sich für die Intrige entschieden hat, gibt es immer noch Qualitätsunterschiede. Sind Angreifer und Angegriffener hinreichend intelligent und erfahren, so ähnelt die Sache eher einem Schachspiel. Von einem Remis erfährt die Öffentlichkeit gar nichts. Wenn ein Matt in wenigen Zügen absehbar ist, legt der Verlierer den König aufs Brett. Die Öffentlichkeit wird dann in der Regel mit einer Geschichte abgespeist, die wenig mit dem Material zu tun hat, das der Intrige eigentlich zugrunde liegt. Für den erfolgreichen Angreifer hat das den Vorteil, dass er nicht als Intrigant erkennbar wird.

Mitunter reicht die Kraft der intriganten Seite aber nicht so weit, auch wenn sie intelligent und erfahren ist. Der Sieg kann dann nur unter Einbeziehung der Öffentlichkeit errungen werden. Auch in diesem Fall wird der Intrigant normalerweise versuchen, unerkannt zu bleiben. Vor allem aber wird er peinlich darauf achten, dass seine Aktionen wenigstens nicht strafbar sind, wenn sie schon moralisch verwerflich erscheinen könnten.

Aus dieser Sicht ist der Sturz der Wiener Koalition von ÖVP und FPÖ eine Stümperei, obgleich als Intrige erfolgreich. Die Veröffentlichung eines heimlich gedrehten Videos ohne Zustimmung der Gefilmten ist eine Straftat. Dagegen ist das, was Strache und Gudenus in dem Video sagen, zwar eine bodenlose Dummheit, verwerflich und ein hinreichender Grund für ihr Ausscheiden aus der Politik. Da es allerdings nicht umgesetzt wurde, ist es auch nicht strafbar. Nur wenn das weiße Pulver Koks war, wie man annehmen muss, haben auch diese Beiden ein Problem. Dann allerdings wird die Luft für die Produzenten des Videos sehr dünn. Und ohne die Produzenten zu fragen, kann man die Identität des weißen Pulvers ja wohl kaum gerichtsfest klären.

Whodunnit?

Womit sich die Frage stellt, wer sich denn nun hier strafbar gemacht hat. Von innerparteilichen Konkurrenten (extrem unwahrscheinlich) über westliche Geheimdienste (nicht ausgeschlossen) bis zu Jan Böhmermann wurden viele Theorien aufgestellt. Vordergründig ist die Böhmermann-Hypothese die wahrscheinlichste. Böhmermann hat schon im April eine Kurzbeschreibung der Schlüsselszenen geliefert, die jetzt veröffentlicht wurden. Sein Manager hat gesagt, Böhmermann sei das Video nicht angeboten worden, er habe es also auch nicht abgelehnt. Das lässt die Möglichkeit offen, dass er es selbst produziert hat. Das ZDF bezog sich bei seiner Darstellung, Böhmermann habe es nicht produziert, weder auf diesen selbst, noch auf seinen Manager, sondern auf ungenannte „Personen aus seinem Umfeld“. Das weckt wenig Vertrauen in diese Darstellung. Zusammengenommen liegt somit ein hinreichender Anfangsverdacht für Ermittlungen gegen Böhmermann vor, falls jemand Anzeige erstattet. Das gilt auch für eine Anzeige in Deutschland gegen Unbekannt, die sicher erfolgen wird.

Sollte die weisungsgebundene deutsche Staatsanwaltschaft nun nicht gegen Böhmermann ermitteln, so werden die Rechtspopulisten sofort vom „tiefen Staat“ reden. Aus meiner Sicht wäre das in einem solchen Fall nicht einmal unberechtigt. Wir sollten daher durchspielen, was passieren könnte, wenn es doch zu Ermittlungen kommt. Es müsste geklärt werden, woher Böhmermann bereits im April wusste, was im Video zu sehen ist und welche Schlüsselszenen später der Presse zugespielt wurden. Böhmermann müsste entweder zugeben, dass er es selbst produziert hat, oder die Quelle preisgeben, oder behaupten, eine ihm unbekannte Person habe es ihm gezeigt. Wenn er es doch selbst produziert hat, würde eine Falschaussage im Falle einer Beweisführung strafverschärfend wirken. Die Behauptung einer ihm unbekannten Quelle wäre auch nicht sehr glaubhaft. Böhmer muss der Authentizität des Videos vertraut haben, als er seine Äußerungen machte (kein Konjunktiv) und die Bildqualität ist nicht so gut, dass er es beim bloßen Betrachten sicher hätte von einem Fake unterscheiden können.

Ist jedes Mittel erlaubt?

Nehmen wir jetzt an, Böhmermann hat das Video produziert und gibt das auch zu. Zuzutrauen wäre ihm Beides und er hat sich diese Möglichkeit offengelassen. Er würde sich dann wohl damit verteidigen, dass die Aufdeckung von Straches Verhalten im öffentlichen Interesse gelegen habe. Das würde aber nur verfangen, wenn Strache eine Straftat begangen hätte. Schmutzige Phantastereien sind keine, solange sie nicht umgesetzt werden. Dennoch würde Böhmermann wohl einen milden Richter finden – „tiefer Staat“ oder nicht – also mit einer Geld- statt einer Haftstrafe davonkommen. Für einen Freispruch hingegen müsste man zumindest argumentieren, dass die große Mehrheit der anderen Spitzenpolitiker nicht einmal im feuchtfröhlichen Zustand über die Begünstigung von Parteispendern oder eine Einflussnahme auf die Medien nachdenkt. Eine entsprechende Urteilsbegründung würde, gerade in Deutschland, leicht zur Realsatire geraten.

Interessanter sind die Weiterungen eines solchen Prozesses, wenn es dazu käme. Es müsste dann die Frage geklärt werden, wer die Produktion bezahlt hat. Wenn es ZDF-Gelder waren, ist es entweder ein politischer Skandal, nämlich dann, wenn beim ZDF jemand wusste, was dort gedreht werden sollte. Oder aber es ist Veruntreuung von Mitteln, denn Böhmermann musste davon ausgehen, dass Strache eine Ausstrahlung sicher nicht autorisieren würde. Falls es keine ZDF-Gelder waren, wäre es aller Wahrscheinlichkeit nach immer noch ein politischer Skandal. Die Anstiftung zur Straftat wäre dann wohl von einem politischen Gegner der FPÖ ausgegangen.

Woraufhin sich die Frage stellt, wie klug es ist, sich als Intrigant selbst strafbar zu machen. Meiner Ansicht nach ist das höchst unklug, sofern ein Restrisiko besteht, dass es herauskommt. Dieses Restrisiko gibt es immer, es sei denn, man nimmt wirklich einen omnipotenten „tiefen Staat“ an. Mit anderen Worten war es nur dann klug, wenn es von einem Geheimdienst ausging.

Schließlich muss man noch die Frage stellen, ob die Böhmermann-Hypothese und die Geheimdienst-Hypothese einander notwendigerweise ausschließen. Das tun sie nicht.

Wie konnte das aufgehen?

Der ganze Aufwand konnte nur dann sinnvoll erscheinen, wenn jemand wusste, dass Strache – sagen wir es höflich – das Zeug zum Darsteller in einem billigen Privatfernsehformat hat. Andere haben daraus geschlossen, dass es einen Informanten gegeben haben muss, der ihn privat gut kannte (oder halt eine Geheimdienstakte). Dann war es einfach. Man brauchte außer der Darstellerin der attraktiven Oligarchin nur noch einen Begleiter mit einer Miniaturkamera in der Brille. Vielleicht brauchte der auch noch ein Hörgerät und es gab jemanden, der außerhalb der Villa alles abspeicherte. So etwas geht auch ohne Geheimdienst. Ein hinreichend intelligenter Comedian – und hinreichend intelligent ist Böhmermann sicher – kann darauf kommen und das durchziehen. Allerdings wird der Trick in Zukunft nur noch mit Kleinkriminellen funktionieren, die noch unbedarfter sind als Strache.

Gegen wen wurde hier intrigiert?

Als Intrige gegen Strache oder die FPÖ wäre die Endphase reine Stümperei gewesen. Eine Person von Straches Formats ist nicht sonderlich gefährlich. Das gilt selbst dann noch, wenn man in Betracht zieht, dass die andere Seite mit Strache nicht anders fertig werden konnte - was gewisse Zweifel am Format von deren Politikern aufkommen lässt. Vor allem aber hatte man Strache schon durch die Existenz des Videos in der Hand. Böhmermann hatte bereits „die Instrumente gezeigt“. Strache hätte fortan stillhalten müssen, mit nur noch einem gemurmelten „Und Bannon hat doch Recht“ auf den Lippen. Betrachtet man es als Geheimdienstoperation und Österreich als das Zielgebiet, so wäre es sinnvoller gewesen, Strache nicht auffliegen zu lassen.

Die auffallend schnellen und auffallend gleichlautenden Äußerungen ausländischer Politiker und das Timing kurz vor der Europa-Wahl lassen es wahrscheinlicher erscheinen, dass es um die Auseinandersetzung mit den Rechtspopulisten in der EU ging. Das Hauptziel war eine scharfe Abgrenzung der Konservativen von den Rechtspopulisten. In Deutschland rückt damit auch das Problem der CDU mit dem sächsischen Ministerpräsidenten in den Blick. In der Abgrenzungsfrage richten sich die Scheinwerfer auf Sebastian Kurz als eigentliches Ziel der Intrige.

Ging es um Kurz, so war Strache nur ein Kollateralschaden. Man könnte dann die Ansicht vertreten, dass es doch eine Qualitätsintrige war. Allerdings nur dann, wenn sicher ist, dass der eigentliche Urheber unbekannt bleiben wird, also im Rahmen der Geheimdienst-Hypothese.

Sebastian Kurz wurde klassisch schachmatt gesetzt. Dass er bei den Wahlen im September mit der ÖVP eine absolute Mehrheit erringt, ist sehr unwahrscheinlich. Dass er noch einmal mit der FPÖ koalieren kann, dürfte durch die Unberechenbarkeit des noch unbekannten Teils der Videoaufnahmen ausgeschlossen sein. Er ist politisch erledigt, was seine Programmatik betrifft und hat das gestern auch zugegeben. Die Gegenseite zeigt damit: Sehet, wenn Ihr so tut, wie Kurz tat, wird es auch Euch ergehen, wie es Kurz erging.

Nimmt man das an, so kann man auf die zugrundeliegende Strategie schließen. Es geht darum, die Rechtspopulisten zu tabuisieren, also zum absoluten Bösen zu erklären, mit dem es keinerlei politische Verständigung geben kann. Dass es diese Vorstellung in weiten Teilen des politischen Establishments gibt, kann nicht bestritten werden. Es stellt sich die Frage, ob es auch eine gute Strategie ist.

Ist es sinnvoll, die Gesellschaft zu polarisieren?

Die Entscheidung gegen eine Einbindung und Domestizierung der Rechtspopulisten und gegen einen normalen politischen Wettbewerb mit ihnen, ist eine Entscheidung für die Polarisierung der Gesellschaft. Die Wähler der Rechtspopulisten verschwinden dadurch nicht. Wie wir aus den USA und selbst aus der zeitlichen Entwicklung der AfD-Anhängerschaft wissen, werden diese Wähler auch nicht plötzlich dadurch „geläutert“, dass man das Saubermann-Image der Rechtspopulisten zerstört. Donald Trump hat es zu keiner Zeit mit einem solchen Saubermann-Image versucht und war dennoch erfolgreich. Niemand kann derzeit ausschließen, dass Trump auch die nächste Präsidentschaftswahl gewinnen wird.

Der Fall Trump zeigt die Problematik der Polarisierungsstrategie. Eine binäre Spaltung tendiert längerfristig dazu, dass beide Seiten ihre Positionen so weit anpassen, dass sie etwa 50% der Gesellschaft erreichen. Plakativ gesagt, gibt es irgendwann 51% grüne Großstädter und 49% Leute, die Rechtspopulisten wählen, wie auch immer deren Partei dann heißt und wer sie führt. Oder halt umgekehrt. Nun stellen Sie sich vor, dass der umgekehrte Fall gegen Ende einer Wirtschaftskrise eintritt. Seltsamerweise fährt unter den Rechtspopulisten die Bahn wieder pünktlich, die Städte werden sauberer und in den Schulen herrschen bessere Lernbedingungen. Wesentliche rechtsstaatliche Garantien, die Meinungsfreiheit und der faire politische Wettbewerb waren schon vorher durch Aktionen der Gegenseite erodiert. Es ist unschwer zu erkennen, wohin ein solches Szenario führen würde.

Deshalb erklärt man besser Leute auch dann nicht zum absoluten Bösen, wenn man ihre Meinungen idiotisch findet und baut gleichzeitig die rechtsstaatlichen Garantien ab.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

Gunnar Jeschke

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