Von Israel lernen

Covid-19 Das Robert-Koch-Institut hat Israel auf die Liste der Hochrisikoländer gesetzt. Es täte besser daran, aus dem Umgang Israels mit der Epidemie zu lernen.

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In Israel baut sich gerade eine neue Welle von Covid-19-Infektionen auf. Bemerkenswert an dieser Welle ist der hohe Impfgrad der Bevölkerung. Wie bereits in Science berichtet wurde, entfällt in dieser Welle die Mehrheit der positiven Tests auf geimpfte Personen (Abbildung 1, links). Glaubt man der Propaganda in Massenmedien und aus Politikermündern, so sollte bei einem derart hohen Impfgrad, wie er in Israel bereits erreicht wurde (Abbildung 1, rechts, durchgezogene Linien), die Gesellschaft gegen Covid-19 geschützt sein. Auffällig ist jedoch, dass der Anteil geimpfter Personen an den positiven Tests (gepunktete Linien) kaum geringer ist als ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung. Die Schutzwirkung vor positiven Tests ist sehr gering. Geimpft wird in Israel hauptsächlich mit dem BioNTech-Pfizer-Impfstoff, daneben noch mit Moderna.

Die israelischen Daten, die offen zugänglich sind, sind wesentlich detaillierter als diejenigen anderer Länder. Es ist gut dokumentiert, was sie genau bedeuten, denn zu jedem Datensatz gibt es eine Wegleitung. Israel erfasst auch besondere Ereignisse unter geimpften Personen, nämlich Hospitalisierungen und Todesfälle. Die Zahl der Todesfälle ist glücklicherweise bisher in dieser Welle noch so gering, dass man keine valide Aussage über Schutz gegen einen tödlichen Verlauf treffen kann. Bei den Krankenhauseinweisungen habe ich die Auswertung für alle Wochen gemacht, in denen es in einer Altersgruppe mindestens 40 solcher Einweisungen gab. Diese Auswertung zeigt, dass die Impfungen noch einen gewissen Schutz gegen eine Hospitalisierung bieten (Abbildung 2). Dieser Schutz ist allerdings lange nicht so hoch, wie man angesichts der Propaganda erwarten würde.

In Science wird der Unterschied zwischen der vorherigen Welle (Februar/März) und der jetzigen Welle auf das Aufkommen der Delta-Variante Ende April zurückgeführt. Am 23. Juli hatte das ZDF mit Bezug auf eine britische Studie noch behauptet, die Biontech-Pfizer-Impfung schütze zu 88% vor einer Infektion mit der Delta-Variante, gegenüber 93,7% gegenüber der Alpha-Variante. Diese Zahlen sind mit den Daten aus Israel nicht annähernd vereinbar. Desweiteren hatte das ZDF behauptet, Daten aus Israel würden zeigen, dass eine Impfung mit Biontech-Pfizer zu 93% vor einem Krankenhausaufenthalt schütze. Da mir die Daten vorliegen, kann ich sicher feststellen, dass diese Angabe statistisch nicht gedeckt war. Dafür gab es in Israel im Juli insgesamt zu wenige Hospitalisierungen wegen Covid-19.

Ich halte es nicht für ausgemacht, dass man den weitgehenden Verlusts des Impfschutzes durch das Aufkommen der Delta-Variante erklären kann oder muss. Anfangs wurden überdurchschnittlich viele Personen geimpft, die wegen Covid-19 besonders besorgt waren. Diese dürften sich auch sonst - zum Beispiel bei hygienischen Maßnahmen und in der Kontaktvermeidung - stärker engagiert haben als der Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Das kann einen höheren Impfschutz vorgespiegelt haben, als er damals wirklich vorhanden war. Umgekehrt ist es möglich, dass weniger besorgte und inzwischen auch geimpfte Personen sich jetzt weniger vorsichtig verhalten als vor der Impfung. Das könnte in der laufenden Welle einen geringeren Impfschutz vorspiegeln, als er tatsächlich vorliegt. Möglich wäre das zumindest dann, wenn unter den bisher noch ungeimpften Personen auch solche sind, die sich vorsichtiger verhalten.

Wie dem auch sei, die Daten aus Israel rechtfertigen einen Druck auf ungeimpfte Personen nicht. Ferner legen sie sehr nahe, dass das Corona-Problem nicht durch Impfungen zu lösen ist. Es bleibt richtig, dass das Hauptaugenmerk auf dem Schutz von Risikogruppen liegen muss. Es bleibt auch richtig, dass eine Immunisierung der Bevölkerung viel eher durch Ansteckungen erfolgen wird als durch Impfungen – und das unabhängig von der verfolgten Politik.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

Gunnar Jeschke

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