Weißrussland. Taiwan. Nicaragua.

Covid-19 Nur wenige Regierungen haben die Nerven behalten. Nichts weist auf mehr Todesfälle in ihren Ländern hin.

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Ich hatte auf der Basis von Übersterblichkeitsdaten und auf der Basis des Oxford-Strenge-Index (OSI) und von Zahlen positiver SARS-Cov2-Tests argumentiert, dass staatliche Zwangsmaßnahmen den Epidemieverlauf nicht merklich beeinflusst haben. Das bekannteste Land, das bisher fast völlig ohne Zwangsmaßnahmen auskam, ist Weißrussland, aber es fehlte in beiden Auswertungen. Dafür hatte ich drei Gründe. Erstens meldet Weißrussland keine Sterblichkeitsdaten an EUROMOMO, so wie Deutschland und viele andere europäische Länder das auch nicht tun. Zweitens war Weißrussland vor einer Woche im OSI noch nicht aufgeführt. Das hat sich inzwischen geändert. Drittens war schwer einzuschätzen, ob Weißrussland bereits den Höhepunkt der Epidemiewelle erreicht hatte.

Wie eine Abbildung der gemeldeten Zahlen positiver Tests bis zum heutigen Tag zeigt, scheint sich Weißrussland mittlerweile auf dem Höhepunkt der Welle zu befinden oder diesen bereits leicht überschritten zu haben. Schon in einem früheren Beitrag hatte ich auf den langsameren Anstieg der Epidemiewelle im Vergleich zu westeuropäischen Ländern, wie etwa der Schweiz, hingewiesen. Da ein langsamerer Anstieg gerade das Ziel der Zwangsmaßnahmen war, ist dieser Befund einigermaßen erstaunlich. Man kann allerdings nicht schlussfolgern, dass der Effekt von „social distancing“ gerade umgekehrt ist, wie der Vergleich mit der Ukraine in der gleichen Abbildung zeigt. Die Ukraine ist der südliche Nachbar von Weißrussland und die Form ihrer Epidemiekurve stimmt mit derjenigen in Weißrussland sehr gut überein. Die Ukraine (OSI 92,06 seit 18. März) befindet sich bezüglich der Zwangsmaßnahmen etwa am entgegengesetzten Extrem zu Weißrussland (maximaler OSI 19,44, seit 20. April 15,47).

Die beiden Länder bilden damit ein ideales Vergleichspaar. Sie teilen eine lange gemeinsame Geschichte und ihre Gesundheitssysteme bauen noch weitgehend auf in der Sowjetunion geschaffenen Traditionen und eingeführten Prozeduren auf. Die Lebenserwartungen sind laut WHO-Daten 74,3 Jahre (Weißrussland) bzw. 72,5 Jahre (Ukraine) und obwohl sich die Bevölkerungszahlen von 9,5 Millionen für Weißrussland und 41,9 Millionen für die Ukraine deutlich unterscheiden, tun es die Bevölkerungsdichten weniger (46 und 71 Einwohner/km2) und die Konzentration in Großstädten weist ein ähnliches Muster auf.

Nach Betrachtung der Abbildung könnte man meinen, dass die Form der Epidemiekurve zwar bisher in beiden Ländern gleich ist, gleichwohl Weißrussland aber eine höhere Infektionsrate erreicht hat. Dieser Schluss wäre aber nur zulässig, wenn beide Länder bezogen auf die Einwohnerzahl täglich die gleiche Zahl an Tests durchführen würden. Weißrussland führt derzeit 16‘000 Tests täglich durch. Das ist, bezogen auf die Einwohnerzahl, etwa 3,7 Mal mehr als in Deutschland (etwa 35‘000 bis 40‘000 Tests täglich). Für die Ukraine ist die tägliche Testzahl nicht bekannt. Zudem könnte die für die Ukraine angenommene Bevölkerungszahl größer sein als die Zahl der Personen, auf die sich die Teststatistik bezieht, da die Krim sicher nicht und der Donbass vermutlich nicht die Daten international über Kiew meldet.

Wegen der unbekannten Testzahlen ist es sinnvoller, die Covid-19 zugeschriebenen Todesfälle, wieder bezogen auf die Bevölkerung, miteinander zu vergleichen. Auch dabei kann es einen Einfluss der Testzahl geben, er ist aber sehr viel geringer, da Personen in kritischer Verfassung mit passenden Symptomen fast vollständig getestet werden. Das in dieser Abbildung (linkes Diagramm) gezeigte Ergebnis eines solchen Vergleichs ist einigermaßen erstaunlich. Die Kurven sind fast deckungsgleich. Dieser Befund stützt ein weiteres Mal meine Behauptung, dass Zwangsmaßnahmen mit hoher Wahrscheinlichkeit vollkommen wirkungslos sind. Gleichwohl ist ein Vergleich zweier Länder, so ähnlich sie auch sein mögen, nur ein weiteres anekdotisches Beispiel.

Ich habe deshalb im OSI nach Staaten gesucht, die ähnlich liberal wie Weißrussland agiert haben. Diese Suche hat wenig zutage gefördert. Fast alle Regierungen haben sich mit Corona-Panik angesteckt und im Gegensatz zu Covid-19 zeigt die Corona-Panik zumeist schwere Verlaufsformen (maximaler OSI größer als 75). Milde Verlaufsformen (maximaler OSI kleiner als 25) sind sehr selten und symptomfreie Verläufe (OSI durchgehend Null) kommen gar nicht vor. Immerhin habe ich zwei weitere Länder mit milder oder nahezu milder Verlaufsform der Corona-Panik gefunden, Taiwan (maximaler OSI 30,56) und Nicaragua (maximaler OSI 16,67). Beide Länder sind meines Wissens in deutschen Mainstream-Medien im Zusammenhang mit Covid-19 nicht diskutiert worden. Mindestens bei Taiwan, das China geografisch und kulturell nahe ist und zu diesem eine janusköpfige Beziehung unterhält, ist das erstaunlich. Beide Länder passen freilich auch nichts ins offiziöse Narrativ, dem in Deutschland auch etablierte private Medien weitgehend folgen.

Zu Taiwan (23,8 Millionen Einwohner) habe ich kein gut vergleichbares Nachbarland gefunden. Länder mit ähnlich strikter Politik wie in der Ukraine gibt es im Umkreis, nur melden diese entweder keine Todesfälle (Vietnam, Laos) oder weisen deutlich höhere Sterberaten aus als Taiwan (Philippinen). Fündig geworden bin ich erst in Usbekistan (34 Millionen Einwohner), das eine andere Kultur und Geschichte und ein Gesundheitssystem sowjetischer Herkunft aufweist. Die Übereinstimmung der Kurven ist selbst dann noch schlechter als zwischen Weißrussland und der Ukraine. Aber auch in diesem Bereich sehr niedriger Sterbefallzahlen finden sich offenbar Länder mit sehr liberaler und sehr strikter Politik bezüglich eines „social distancing“ (maximaler OSI von Usbekistan 97,35).

Für Nicaragua (6,2 Millionen Einwohner) bin ich in der näheren Umgebung mit Guatemala (17,3 Millionen Einwohner) fündig geworden. Costa Rica weist ähnliche Sterbezahlen auf, ist aber weniger strikt als Guatemala (maximaler OSI 97,35) gewesen, während Honduras und El Salvador zwar ähnlich strikt wie Guatemala waren, aber höhere Sterbezahlen aufweisen. Ich habe zum Gesundheitssystem von Nicaragua nicht recherchiert, vermute aber, dass es unter der ersten Ortega-Regierung nach kubanischem Vorbild und mit kubanischer Hilfe reformiert wurde. Der Kurvenverlauf von Guatemala und Nicaragua ist ähnlich, wenn auch nicht so ähnlich wie zwischen Weißrussland und der Ukraine. Zum Vergleich zeige ich auch Kurvenverläufe in Westeuropa (Großbritannien und Schweden), die sich bei deutlich verschiedener Politik bezüglich des „social distancing“ ebenfalls stark ähneln.

Im rechten Diagramm der Abbildung habe ich zum Vergleich einige weitere Kurven der gleichen Art dargestellt. Die Kurvenverläufe der Nachbarländer Brasilien (maximaler OSI 77,62) und Peru (maximaler OSI 100) überlappen praktisch perfekt. Kritisiert wird in deutschen Medien Brasilien, weil dessen Präsident Bolsonaro diesen Medien aus anderen Gründen ein Dorn im Auge ist. Brasilien hat den Höhepunkt der Epidemie noch nicht überschritten, wird aber vermutlich am Ende nicht viel schlechter dastehen als das in den Medien beliebte Kanada und sehr wahrscheinlich nicht schlechter als das sehr strikte Spanien (maximaler OSI 89,41). Beim Blick auf die afrikanischen Länder im unteren Bereich des Diagramms bestätigt sich wieder, dass Covid-19 unterhalb der Sahelzone ein Nichtereignis ist und selbst in Nordafrika keinerlei Bedrohung darstellt – die (nicht gezeigten) Kurven von Ägypten und Marokko verlaufen deutlich unterhalb derjenigen von Algerien und die Skala ist ja logarithmisch.

Insgesamt ist zu bemerken, dass auch die Analyse der Covid-19 zugeschriebenen Todesfälle keinen Anhaltspunkt für eine Wirksamkeit des „social distancing“ ergibt und zwar weder, was die zeitliche Verlaufsform betrifft, noch was die auf die Bevölkerungszahl bezogene Zahl der Sterbefälle betrifft. Sowohl die Verlaufsform als auch die Zahl variieren stark zwischen verschiedenen Erdteilen und Kulturkreisen, aber die Ursachen dafür müssen andere sein.

Das von der WHO angeregte Experiment zu der Wirkung von drastischem „social distancing“ während einer Pandemie ist im Zusammenhang mit Covid-19 mit hohen Kosten weltweit durchgeführt worden, wobei aus wissenschaftlicher Sicht der einzige Mangel die geringe Zahl von Kontrollen (Ländern mit geringem oder sogar ohne „social distancing“) ist. Die Hypothese, dass es eine solche Wirkung gibt, darf zumindest für Covid-19 als widerlegt gelten.

Nachtrag (30. Mai 2020)

Um die Vergleiche der drei im Titel genannten Länder mit ihren Nachbarn auf eine breitere Basis zu stellen, habe ich nun alle Nachbarländer einbezogen. Für Weißrussland sind das vier ehemalige Sowjetrepubliken - Russland, die Ukraine, Lettland und Litauen - sowie Polen. Es sind die Länder, die eine gemeinsame Grenze mit Weißrussland haben.

Taiwan ist eine Insel. Ich habe hier die nächsten Überseenachbarn einbezogen - China, Japan, die Philippinen und Südkorea. Eigentlich sollte hier auch noch Vietnam dargestellt werden, das aber keine Sterbefälle meldet. Obwohl es Unterschiede gibt, weisen alle zusammen mit Taiwan dargestellten Länder bezogen auf die Einwohnerzahl im weltweiten Vergleiche geringe Sterbefallzahlen auf. Deshalb habe ich in diese Abbildung zum Vergleich auch Deutschland einbezogen.

Nicaragua hat durch seine Lage an einer Engstelle in Mittelamerika nur zwei unmittelbar angrenzende Länder - Honduras und Costa Rica. Deshalb bin ich hier bis zu den übernächsten Nachbarn weitergegangen. Dadurch beziehe ich noch El Salvador, Guatemala und Panama mit ein.

Die drei erweiterten Vergleiche bestätigen die Schlussfolgerungen in der ursprünglichen Version des Blogposts vollumfänglich.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

Gunnar Jeschke

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