Wer misst, misst Mist

Covid-19 So wie in Westeuropa derzeit PCR-Tests auf SARS-Cov2 durchgeführt und die Ergebnisse erfasst werden, sind sie völlig unbrauchbar zur Erfassung des Epidemiegeschehens.

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In der öffentlichen Diskussion wird nun mitunter die Diskrepanz zwischen den Zahlen positiver SARS-Cov2-Tests einerseits und der Zahl der Hospitalisierungen und Sterbefälle andererseits erwähnt. Es wird aber immer noch so getan, als würden die Testzahlen das Epidemiegeschehen widerspiegeln. Vor allem werden anhand der Entwicklung der absoluten, nicht einmal auf die Gesamtzahl der Tests normierten Zahlen positiver Tests politische Entscheidungen getroffen, obwohl inzwischen allen Beteiligten hinlänglich klar sein müsste, dass es dafür keine wissenschaftliche Rechtfertigung gibt. Ich werde deshalb heute untersuchen, wie groß die Diskrepanz zwischen Testdaten und Epidemieverlauf mittlerweile geworden ist.

Auf der anderen Seite finden sich einzelne Stimmen, die eine Covid-19-Epidemie völlig leugnen und als Verschwörung abtun. Das geht so weit, dass wiederum einzelne Stimmen in Zweifel ziehen, ob es überhaupt Covid-19 zuzuordnende Sterbefälle gab. Eine abgeschwächte Form dieses Arguments behauptet, dass die Zahl der durch Covid-19 verursachten Todesfälle viel kleiner sei, als die Zahl der offiziell Covid-19 zugeordneten Todesfälle. Umgekehrt haben besonders in der Anfangsphase der Epidemie einige Leute öffentlich behauptet, es gäbe eine deutliche Unterschätzung der durch Covid-19 verursachten Todesfälle – also eine Dunkelziffer.

Zuordnung von Sterbefällen zu Covid-19

Wir wissen inzwischen für Deutschland aus 154 klinischen Obduktionen bis zum 29. Juni (Seite 22 der Datei), dass sowohl Fehlzuordnungen zu Covid-19 (8% Fälle mit positivem SARS-Cov2-Test, bei denen Covid-19 nicht Todesursache war) als auch fehlende Zuordnungen (3% typisches Covid-19-Krankheitsbild bei negativem SARS-Cov2-Test und 1% typisches Covid-19-Krankheitsbild ganz ohne SARS-Cov2-Test) gab. Die negativen SARS-Cov2-Tests sind dabei wahrscheinlich Ausdruck der mangelnden Sensitivität. Insgesamt ergibt sich daraus eine leichte Überschätzung der Zahl durch Covid-19 verursachter Sterbefälle, die aber zumindest in der Anfangsphase der Epidemie für das Gesamtbild belanglos ist.

Eine andere Möglichkeit, dieses Problem anzugehen, ist ein Vergleich von Übersterblichkeitsdaten mit den Daten Covid-19 zugeordneter Sterbefälle. Übersterblichkeitsdaten sind Daten hoher Qualität, da sie auf die standesamtliche Erfassung von Sterbefällen zurückgehen. Die Unsicherheiten sind hier viel kleiner als die oben erwähnten bei der Zuordnung der Sterbeursache. Im Grunde resultiert die Unsicherheit nur aus der statistischen Unsicherheit, die vor allem bei kleinen Ländern ins Gewicht fällt und den Charakter einer Streuung hat, sowie aus der Festlegung der Basislinie („normale Sterblichkeit“), die bei EUROMOMO mit einer wissenschaftlich kaum angreifbaren Methodik erfolgt.

Allerdings veröffentlicht EUROMOMO nur normierte Daten, sogenannte Z-Scores, aus denen ohne Zusatzinformation nicht zuverlässig die absoluten Zahlen wieder abgeleitet werden können, auf denen sie ursprünglich basieren. Das ist durchaus Absicht. Die beitragenden Staaten haben EUROMOMO die Herausgabe der Basisdaten untersagt. Das Ergebnis ist, dass ein Vergleich mit den absoluten Zahlen Covid-19 zugeordneter Sterbefälle nicht möglich ist, wohl aber ein Vergleich des zeitlichen Verlaufs. Dieser Vergleich ist für vier westeuropäische Länder mit unterschiedlicher Dauer der abfallenden Seite der Epidemiewelle in Abbildung 1 gezeigt. Die Übereinstimmung lässt, gemessen an der Streuung in beiden Datensätzen, nichts zu wünschen übrig. Die im Laufe des März einsetzende und spätestens (Schweden) im August beendete signifikante Übersterblichkeitswelle kann klar Covid-19 zugeordnet werden.

Ebenfalls in Abbildung 1 gezeigt ist die Anpassung eines logistisch-exponentiellen Modells für den Zeitverlauf (rote gepunktete Linie) an die Covid-19 zugeordneten Sterbefälle (hellblaue Punkte). Der Grad der Übereinstimmung lässt sich besser anhand des gleitenden 7-Tage-Mittels (dunkelblaue Kurve) einschätzen. Das Verhalten beim Maximum wird nicht perfekt wiedergegeben (das Modell ist an die kumulierten Zahlen angepasst), während die Abweichungen auf der ansteigenden und abfallenden Seite zwanglos durch die Streuung und durch die Kurvenverzerrung durch das gleitende 7-Tages-Mittel erklärbar sind. Insbesondere kann man schließen, dass in allen vier Ländern die Epidemiewelle in sehr guter Näherung exponentiell abgeklungen ist. Soweit die Daten reichen (11. September) ist nirgends ein Wiederanstieg zu sehen.

In Italien gibt es Mitte August bei den Covid-19 zugeordneten Sterbefällen einen kurzen Anstieg und Wiederabfall, der aus Nachmeldungen resultiert. In den Niederlanden gibt es Mitte August ein interessanteres Phänomen. Hier gibt es einen ganz schwachen, aber sichtbaren Anstieg und Wiederabfall, der mit einer Hitzewelle koinzident ist. Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen. Einerseits könnte die Sterblichkeit an Covid-19 durch die zusätzliche Belastung der Hitzewelle gestiegen sein. Andererseits könnten aber auch durch die Hitzewelle verursachte Sterbefälle, von denen es ausweislich der Übersterblichkeitsstatistik ja viel mehr gab, irrtümlich bei vorliegendem positivem Covid-19-Test dieser Krankheit zugeordnet worden sein.

Die erstaunliche Entwicklung der PCR-Tests auf SARS-Cov2

Das in Abbildung 1 klar ersichtliche Abklingen der Epidemie steht in krassem Widerspruch zur medialen Berichterstattung und zum politischen Handeln. Beide fixieren sich auf die zeitliche Entwicklung der absoluten Zahl positiver PCR-Tests auf SARS-Cov2, was aus zwei Gründen schon ohne nähere Betrachtung der Daten höchst zweifelhaft ist. Erstens muss für die Einschätzung der zeitlichen Entwicklung auf die Gesamtzahl der Tests normiert werden, zumal die Gesamtzahl der Tests kontinuierlich und stark erhöht wurde. Es ist undenkbar, dass das den Verantwortlichen nicht klar ist. Mir fällt nur eine einzige Erklärung für dieses Verhalten ein: Die öffentliche Meinung soll absichtlich manipuliert werden. Das ist politisch hochriskant und es ist auch in Bezug auf eine mögliche zukünftige gefährliche Epidemie extrem riskant. Wenn die Stimmung einmal kippt, wird diesen Leuten niemand mehr glauben, wenn wirklich der Wolf kommt. Bei Politikern, Leitjournalisten und anderen Führungskräften ist das verschmerzbar – man kann sie austauschen. Was das Vertrauen in Institutionen und in die Objektivität der Wissenschaft betrifft, ist es aber nicht verschmerzbar. Dieses Vertrauen wir kurz- und mittelfristig nicht wiederherzustellen sein.

Zweitens belegt ein positiver PCR-Test auf einen Genabschnitt von SARS-Cov2 allein keine Infektion mit Covid-19, selbst dann nicht, wenn er reproduzierbar positiv ist. Das ist kein Problem, so lange man hauptsächlich Personen testet, die typische Covid-19-Symptome aufweisen. Auch dann kann es natürlich noch zu Fehlzuordnungen kommen, aber die Wahrscheinlichkeit ist gering. Wenn man in großem Maßstab symptomfreie Personen testet, sieht das ganz anders aus.

Wie groß dieses Problem mittlerweile geworden ist, verdeutlicht, unter Einbezug Deutschlands und der Schweiz, Abbildung 2. In der Anfangsphase folgte die zeitliche Entwicklung der Sterbefälle in guter Näherung mit einer gewissen Verzögerung der zeitlichen Entwicklung der Zahl positiver PCR-Tests auf SARS-Cov2. Seit Anfang bis Mitte Juni ist das nicht mehr der Fall und außer in Schweden wird die Diskrepanz immer größer. Es liegt auf der Hand, dass die Zahl positiver Tests, so wie diese Tests in Westeuropa derzeit durchgeführt und die Ergebnisse erfasst werden, nichts Relevantes über den Epidemieverlauf aussagt. Das gleiche Phänomen beobachtet man in Kanada, nicht aber in Ländern, in denen die Epidemie tatsächlich noch andauert.

Für intellektuelle Redlichkeit gibt es keinen Ersatz. Es ist auch nicht (nur) eine Frage der Moral. Es ist eine Frage der Stabilität der Gesellschaft, wenn die Führungsschicht sich in bewusster und grober Täuschung übt.

Man kann das ganze Volk eine Zeit lang täuschen und man kann einen Teil des Volkes die ganze Zeit täuschen, aber man kann nicht das ganze Volk die ganze Zeit täuschen.

Abraham Lincoln

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

Gunnar Jeschke

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