Neuinfektionen, positive Tests und Krankenstand
Vor etwa einer Woche hat die Bundeskanzlerin Angela Merkel die Losung ausgegeben, die Zeit für eine Verdopplung der Zahl der Covid-Neuinfektionen müsse sich auf zehn Tage zubewegen, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Am vergangenen Donnerstag kolportierten Qualitätsmedien, dass diese Kennzahl für Deutschland insgesamt erreicht wurde. Wenn man dem Glauben schenkt und die weitere Entwicklung der täglichen Berichte des Robert-Koch-Instituts (RKI) anschaut, könnte man zu dem Schluss gelangen, diese Zielgröße sein inzwischen auch in allen einzelnen Bundesländern erreicht. Tatsächlich kennen wir die Zahl der täglichen Neuinfektionen nicht einmal annähernd.
Das RKI formuliert durchaus wissenschaftlich exakt. Es spricht von der Zahl der laborbestätigten COVID-19-Fälle. Da nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung getestet wird, ist die tatsächliche Zahl der bisherigen COVID-19-Infektionen – und der täglichen Neuinfektionen - sehr viel höher als diese Zahl positiver Tests. Das ist keine schlechte Nachricht. Daraus folgt nämlich, dass die Letalität (Anzahl der Sterbefälle geteilt durch die Anzahl der Infektionen) sehr viel kleiner ist, als überall dargestellt wird. Desweiteren folgt daraus auch, dass einfache Vorhersagemodelle die zukünftige Belastung des Gesundheitssystems stark überschätzen.
Nun könnte man vielleicht annehmen, dass die Zahl der positiven Tests zwar keine uns bekannte Relation zur Zahl der Neuinfektionen aufweist, dass aber ihre zeitliche Entwicklung Aussagekraft hat. Tatsächlich scheinen das fast alle Politiker und Journalisten zu glauben. Es trifft aber nicht zu.
Nehmen wir an, in Deutschland würden täglich 12‘000 COVID-19-Tests durchgeführt. Die Gesamtzahl der Tests bis zum 20. März lässt eine etwas niedrigere Zahl vermuten. Nach 2 Monaten kann es dann nicht mehr als 732‘000 neue laborbestätigte COVID-19-Fälle geben. Das ist völlig unabhängig davon, wie die Anzahl der Neuinfektionen angestiegen ist. Wenn der Anstieg der Testzahlen nicht mit dem Anstieg der Neuinfektionen Schritt hält, wird der zeitliche Anstieg notwendigerweise unterschätzt.
Nehmen wir jetzt den umgekehrten Fall an. Die tatsächliche Zahl der täglichen Neuinfektionen sei nun konstant. Wir weiten die Testkapazitäten aus und verdoppeln jede Woche die Anzahl der Tests, wobei wir das Testmuster gleich lassen. Wir werden in guter Näherung eine Verdopplung der neuen laborbestätigten COVID-19-Fälle alle 7 Tage beobachten, obwohl die Anzahl der Neuinfektionen gar nicht steigt. Sobald die durchschnittliche Krankheitsdauer vergangen ist, steigt in diesem Fall auch die Belastung des Gesundheitssystems nicht mehr an. Wir befinden uns dann in einem stationären Zustand, in dem so viele Patienten geheilt entlassen werden oder versterben, wie neue Patienten eingeliefert werden.
Wenn die Tests repräsentativ für die Gesamtbevölkerung wären oder zumindest das Testmuster gleichbliebe, wäre die richtige Kenngröße nicht die Zahl der laborbestätigten COVID-19-Fälle, sondern der Anteil positiv ausgefallener Tests:
Zahl der positiven Tests von heute/Gesamtzahl der Tests von heute
Diese Kenngröße lässt sich aus den Berichten des RKI nicht berechnen, weil die Gesamtzahl der täglichen Tests nicht angegeben wird. Entweder wird sie nicht ans RKI gemeldet, was falsch wäre, oder im Bericht nicht als notwendige Bezugsgröße angegeben, was unwissenschaftlich ist.
Die Tests sind nicht repräsentativ, was auch der Grund ist, warum keinerlei zuverlässiger Rückschluss auf tatsächliche Infektionszahlen möglich ist. Ist wenigstens das Testmuster konstant, werden also die getesteten Personen immer nach den gleichen Kriterien ausgewählt? Dazu gibt es nicht sehr viel und keine sehr zuverlässige öffentlich zugängliche Information. Ich würde es allerdings nicht annehmen. Da aus Kapazitätsgründen weniger Personen getestet werden können, als getestet werden sollten, ist es sogar sinnvoll, das Testmuster immer wieder an die aktuellen Erkenntnisse anzupassen. Zum Beispiel hat man sich irgendwann entschlossen, Altenpfleger in die Kohorte der zu testenden Personen aufzunehmen. Solche Änderungen beeinflussen das Verhältnis zwischen der Zahl positiver Tests und der Zahl tatsächlicher Infektionen. Die oben eingeführte Kennzahl wird dadurch weniger aussagekräftig. Sie bleibt aber viel besser geeignet als die Zahl der laborbestätigten COVID-19-Fälle.
Will man die zeitliche Entwicklung solcher Kennzahlen für Prognosen über die Belastung des Gesundheitssystems verwenden, muss man noch etwas beachten. Man darf die Tageszahlen nicht einfach addieren. Man muss die Personen herausrechnen, die positiv getestet worden sind, dann aber entweder gesundet oder verstorben sind. Bei den in den Medien herumgereichten Vorhersagen wird das oft nicht getan oder die notwendige Dauer einer Intensivbehandlung wird deutlich zu hoch angesetzt.
Wie man testen müsste
Das gegenwärtige, sich zeitlich ändernde Testmuster führt nicht zu einer zuverlässigen Kennzahl, auf deren Basis man sinnvolle Entscheidungen treffen könnte. Es ist nötig, einen Teil der Testkapazität für repräsentative Tests einzusetzen. Das Design solcher Testreihen ist nicht unbedingt einfach, weil die Infektionsraten regional und gruppenbezogen verschieden sind. Aber selbst bei einem unvollkommenen Design erhielte man immer noch eine viel bessere Informationsgrundlage für Entscheidungen als mit dem jetzigen Testregime.
Es wird gern behauptet, man könne das nicht tun, weil man die vorhandene Testkapazität dringender für Krankenhauspersonal und Patienten bräuchte. Während es tatsächlich sinnvoll ist, Krankenhaus- und Pflegepersonal in regelmäßigen Abständen zu testen, bringen Tests an Patienten kaum Nutzen, so lange es keine spezifische COVID-19-Therapie gibt, sondern nur eine Symptombehandlung, die unabhängig von einer COVID-19-Diagnose ist. Selbst wenn es einmal eine spezifische Therapie geben wird, die für andere Diagnosen kontraindiziert wäre, muss man Patienten erst dann testen, wenn sie sich auf ein Krankheitsstadium zubewegen, ab dem es diese Therapie einsetzt. Dieses Stadium wird nur ein Teil der Verdachtsfälle erreichen.
Es geht dann also nur noch darum, wie man die Testkapazität zwischen repräsentativen Tests und Personen verteilt, die notwendig mit Personen aus Risikogruppen in Kontakt kommen. Das wiederum ist eine Frage dessen, wie häufig man Personen in bestimmten Funktionen testet. Bei der Abwägung ist zu berücksichtigen, dass das Gesundheitssystem gegenwärtig nicht überlastet ist, aller Voraussicht nach mindestens weitere drei Wochen lang nicht überlastet sein wird und sehr wahrscheinlich sehr viel länger nicht. Gleichzeitig braucht man für die Planung unbedingt zuverlässige Kennzahlen. Es ist höchste Zeit, ein Programm repräsentativer Tests zu starten. Damit – und nur damit – erhält man auch eine brauchbare Abschätzung der absoluten Infektionszahlen. Diese wiederum braucht man unbedingt für eine realistische Vorhersage von Epidemieszenarien.
Todesfälle durch oder mit COVID-19?
Darüber, dass die Zahl positiver COVID-19-Tests keine Aussagekraft hat, hat sich einer meiner Kollegen aus der Pharmazie bereits vor einigen Wochen mit mir ausgetauscht. Er stand wegen einer anderen Sache in meiner Tür, etwa drei Meter von mir entfernt. Inzwischen sind solche zufälligen Gespräche nicht mehr möglich, weil bei uns so gut wie alle Spitzenforscher, einschließlich der Pharmazeuten, ins „Home Office“ geschickt wurden. Vielleicht wird mir irgendwann einmal jemand erklären, welche rationale Risikoabwägung hinter dieser Entscheidung gesteckt haben soll.
Damals nahmen wir beide an, dass die Anzahl der „Todesfälle in Zusammenhang mit COVID-19-Erkrankungen” (Sprachregelung nach RKI) die einzig verbliebene brauchbare Kenngröße ist. Auf meinem jetzigen Kenntnisstand zweifle ich auch die Brauchbarkeit dieser Größe für eine realistische Einschätzung der Situation an. Bevor ich das näher erkläre, müssen wir uns allerdings einem anderen Problem zuwenden, nämlich der irreführenden Diskussion absoluter Zahlen ohne Bezugsgrößen in der Öffentlichkeit. Dazu betrachten wir einige sehr gut belegte Fakten zur deutschen Sterbestatistik.
Die Sterberate (Anteil der Menschen, die in einem Jahr sterben, an der Gesamtbevölkerung) lag 2019 in Deutschland bei 1,14%. Multipliziert man mit der Bevölkerungszahl (etwa 83 Millionen) erhält man 954‘900 Todesfälle pro Jahr (Statistisches Bundesamt). Teilt man unter Annahme einer Gleichverteilung über das Jahr durch 365, so erwartet man 2‘616 Sterbefälle pro Tag. Davon standen in den letzten drei Tagen jeweils etwa 170 mit COVID-19-Erkrankungen im Zusammenhang (6,5%). Vergleichen kann man das mit den 23‘385 jährlichen Sterbefällen durch Grippe und Lungenentzündungen und den weiteren 43‘056 jährlichen Sterbefällen durch Lungenerkrankungen außer Lungenkrebs (basierend auf den neuesten WHO-Daten). Addiert man die beiden Zahlen und nimmt wieder eine Gleichverteilung über das Jahr an, so entspricht das 182 Sterbefällen pro Tag durch solche Krankheiten vor der Corona-Pandemie.
Man könnte nun naiv annehmen, dass COVID-19 die Sterberate durch Lungenerkrankungen in etwa verdoppelt habe. Diese Annahme ist aus zwei Gründen falsch. Erstens ist die Zahl nicht über das Jahr gleichverteilt. Sie ist im März erhöht und man würde für 2020 möglicherweise sogar eine stärkere Erhöhung erwarten, nachdem der ganze Winter sehr mild, die erste Märzhälfte aber recht kalt war. Der zweite Grund versteckt sich hinter der Sprachregelung des RKI. Exakter gesagt handelt es sich bei der vom RKI verbreiteten Zahl um die Todesfälle, bei denen ein positiver COVID-19-Test vorliegt. Das sind mit Sicherheit mehr Fälle als diejenigen, bei denen die COVID-19-Infektion die Todesursache ist und ziemlich sicher sogar mehr Fälle als diejenigen, bei denen die COVID-19-Infektion zu einem deutlich früheren Todeszeitpunkt geführt hat. Schon die Reihenfolge von Infektionen mit einer bakteriellen Lungenentzündung und mit COVID-19 muss nicht immer klar sein.
Dazu, die Todesursache auf eine Infektion zurückzuführen, gehört deutlich mehr als der Nachweis dieser Infektion, gerade bei älteren Menschen, die häufig Komorbiditäten und nicht selten sogar Multimorbiditäten aufweisen. Unter anderem darauf hat der emeritierte langjährige Leiter des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene, Prof. em. Dr. med. Sucharit Bhakdi, in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin Angela Merkel hingewiesen.
Die Zahl der Todesfälle, bei denen COVID-19 als Todesursache diagnostiziert wurde, kennen wir nicht. Vermutlich ist sie sogar prinzipiell unbekannt. Der Aufwand zu ihrer Ermittlung wurde einfach nicht betrieben, obwohl er sehr viel kleiner wäre, als der Aufwand für andere COVID-19-bezogene Maßnahmen. Wir können daher nur Wahrscheinlichkeitserwägungen anstellen. Das Durchschnittsalter bei „Todesfällen im Zusammenhang mit COVID-19-Erkrankungen“ beträgt laut RKI 80 Jahre. Die Lebenserwartung in Deutschland beträgt derzeit für Jungen 78,5 Jahre und für Mädchen 83,3 Jahre. Etwa 66% der COVID-19-verbundenen Todesfälle betreffen Männer. Ohne den vollständigen Datensatz zu haben, kann man völlig sicher schließen, dass das mittlere Alter bei COVID-19-bezogenen Todesfällen und anderen Todesfällen sich nicht stark unterscheidet.
Klar ist auch, welche Zahlen man erheben müsste, um zu erfahren, ob COVID-19-Infektionen tatsächlich wesentlich stärker zur Sterbestatistik beitragen als Grippe und Lungenentzündungen ohne COVID-19-Bezug. Man benötigt die Zahlen für Grippe, für Lungenentzündungen und für andere Lungenkrankheiten außer Lungenkrebs für Februar, März und April der vergangenen drei Jahre und entsprechende Zahlen für 2020. Diese Zahlen können mit einem Aufwand erhoben werden, der um Größenordnungen geringer ist als der andere Aufwand, der derzeit wegen Corona-Infektionen betrieben wird. Man benötigt sie dringend, um einschätzen zu können, wie ernst das Problem überhaupt ist.
Warum so weit vom Mainstream?
Dass meine Blogposts weit ab vom Mainstream liegen, ist nicht neu. Es hat ja, ehrlich gesagt, auch gar keinen Sinn, einen Text zu schreiben, der im Mainstream liegt, sofern man nicht ein extrem guter Stilist ist. Immerhin schreibe ich hier aber als Wissenschaftler über Wissenschaft.
Nun muss auch der wissenschaftliche Mainstream nicht immer Recht haben, wie die Wissenschaftsgeschichte zeigt. In diesem Fall denke ich aber gar nicht, dass ich außerhalb des wissenschaftlichen Mainstreams liege. Ich liege nur außerhalb dessen, was in der Öffentlichkeit als wissenschaftlicher Mainstream wahrgenommen wird.
Nicht alle Zahlen, die ich oben zitiere, sind jedem Epidemiologen, Immunologen, Virologen oder forschenden Mediziner gegenwärtig. Die Grundzüge meiner Argumente allerdings sollten jedem Wissenschaftler klar sein, der auf einem dieser Gebiete ernsthaft und reflektiert forscht. Warum dringt das in der Öffentlichkeit nicht durch?
Hierfür gibt es drei Ursachen, eine Filterwirkung der Medien, die Interessen derjenigen Wissenschaftler, die sich öffentlich äußern und die Interessen derjenigen Wissenschaftler, die sich nicht öffentlich äußern.
Dass die heutige Journalistengeneration Ereignisse generell überdramatisiert, ist keine Neuigkeit. Dass einige wenige Leitmedien die Richtung vorgeben, der dann fast alle anderen folgen, auch nicht. Der Meinungskorridor war schon mal breiter (Frank-Walter Steinmeier). Im vorliegenden Fall bedeutet das, dass Journalisten vorzugsweise mit Wissenschaftlern reden, die einer solchen Dramatisierung Vorschub leisten und dass sie bevorzugt Ergebnisse erwähnen, die eine Dramatisierung stützen. Dadurch entsteht zwangsläufig ein verzerrtes Bild.
Wenn es sich nicht vermeiden lässt, auf andere Stimmen einzugehen, werden diese in den Artikeln zumeist abwertend kommentiert – obwohl doch offensichtlich sein sollte, dass den Journalisten die Kompetenz für derartige Kommentare fehlt. Man darf sogar annehmen, dass Druck auf Journalisten ausgeübt wird, abweichende Meinungen herunterzumachen, wie etwa im Fall des Radio Eins Interviews mit der ehemaligen Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie der Universität Zürich, Prof. em. Dr. Karin Mölling, dem der abwertende Kommentar nachträglich beigefügt wurde.
Die etwas höhere Schule ist es, eine Abwertung dadurch zu erreichen, dass man andere Experten fragt. Im ZDF heißt es dann, Experte B habe die Darstellung des Experten A als verkürzt bezeichnet. Tatsächlich hatte das ZDF diese Woche in einem entsprechenden Kommentar nicht einmal einen Experten B gefunden, der dafür seinen Namen hergeben wollte. Es wurde anonym von „anderen Experten“ gesprochen, die man gefragt habe. Das Argument ist beliebig und kann immer vorgebracht werden, wenn ein komplexer Sachverhalt notwendigerweise kurz dargestellt werden muss. Es bedeutet nichts weiter als: Experte B mag die Schlussfolgerungen des Experten A nicht, kann aber dessen Argumente nicht widerlegen.
Kommen wir zu den Wissenschaftlern. die öffentlich einer Dramatisierung Vorschub leisten, obwohl sie es besser wissen müssen. Sie haben Partikularinteressen, die nicht unbedingt mit gesamtgesellschaftlichen Interessen übereinstimmen müssen. Man kann sich die Sache auch immer schönlügen und sich selbst vormachen, dass es letztlich doch im Interesse aller sei, zu dramatisieren. Man kann sich auch selbst einreden, dass man in der Öffentlichkeit mit völlig bedeutungslosen, aber anschaulichen Zahlen operieren muss, weil man den Politikern und den Massen die Komplexität ja ohnehin nicht erklären könne. Man könnte schon. Man müsste sogar.
Was ist mit den anderen, die sich selbst nie an dieser Dramatisierung und am Argumentieren mit bedeutungslosen Zahlen beteiligen würden, die vielleicht im vertraulichen Rahmen auch kommunizieren, dass ihre Einschätzung eine ganz andere ist, die damit aber nicht an die Öffentlichkeit gehen? Sie befürchten persönliche Nachteile, vermutlich nicht einmal zu Unrecht.
Deshalb sind es vor allem bereits pensionierte, gleichwohl teilweise noch aktive Wissenschaftler wie Bhakdi oder Mölling, die sich hervorwagen. Oder Leute wie Prof. Ioannidis von der Stanford University, die sich schon immer furchtlos geäußert haben und deren Reputation sogar gerade darauf beruht. Nachdem er in einem Beitrag auf Stat die Datenbasis der weitreichenden sozio-ökonomischen Entscheidungen in der Corona-Krise scharf kritisiert hatte, wurden in den Wikipedia-Artikel über ihn abwertende Sätze eingefügt und – besonders infam – der Satz „In addition, he has pioneered the field of meta-research (research on research), which is now a widely recognized scientific field.” geändert zu “In addition, he has pioneered the field of meta-research (research on research), which is not a widely recognized scientific field.” (Hervorhebung von mir). Der Wikipedia-Artikel zu Meta-Science selbst macht klar, dass die erste Version des Satzes zutraf. Ioannidis ist einer der meistzitierten Wissenschaftler weltweit.
Es gibt also gute Gründe, warum es der öffentlichen Diskussion über die Corona-Pandemie an Wissenschaftlichkeit und Rationalität fehlt.
Anmerkung: Die Benennung der Kennzahl als "Anteil positiv ausgefallener Tests" wurde am 7.4. morgens hinzugefügt.
Nachtrag (8.4., 21:20 Uhr)
Aus den Situationsberichten des Robert-Koch-Instituts und einer Vorab-Mitteilung zu Testzahlen lassen sich Daten gewinnen, mit denen ein Teil der Überlegungen veranschaulicht werden kann.
In meiner Abbildung sind links die laborbestätigten COVID-19-Fälle vom 4.3. bis 7.4. laut RKI als offene Kreise aufgetragen. Die rote gestrichelte Linie ist eine exponentiell ansteigende Funktion, die bis zum 23.3. an die Daten angepasst wurde. Versucht man es länger, so wird die Anpassung schlecht. Die Abbildung scheint zu bestätigen, was immer wieder öffentlich behauptet wurde: Es gab anfangs einen exponentiellen Anstieg der Neuinfektionen. Dieser Trend war spätestens ab dem 24.3. gebrochen, was man mit den am 12. März eingeführten Einschränkungen (sicher aber nicht mit den am 22. März eingeführten Einschränkungen) erklären könnte.
Wie schon oben beschrieben, ist in diesen Daten aber der gleichzeitige Anstieg der Zahl der Tests nicht berücksichtigt und man muss auf die Testzahl normieren, um die tatsächliche Kinetik des Prozesses abzuschätzen. Solche Daten existieren für den 29. Februar bis 29. März, sogar mit Abschätzung ihrer Unsicherheit in einer weniger prominent platzierten Vorabmitteilung des RKI (Seite 5 der PDF-Datei, Abb. 2). Diese Daten habe ich digitalisiert und auf der rechten Seite als offene Kreise dargestellt, ohne die durchgezogene Linie, die eher verwirrt.
Hier gibt es von Anfang an keinen exponentiellen Anstieg. Er ist anfangs bestenfalls linear, flacht aber bald sogar gegenüber einem linearen Anstieg ab, wie die angepasste blaue Kurve zeigt, die hier ein Polynom 2. Grades (Teil einer Parabel) ist. Eine lineare Anpassung ist deutlich schlechter, ein Polynom 3. Grades sieht sehr ähnlich aus. Die Streuung der Punkte ist relativ groß. Dass die Kurve irgendwo infolge von Einschränkungen stark abknickt, ist nicht zu bemerken. Allerdings sind in diesem Zeitbereich Effekte der Maßnahmen vom 22. März auch noch kaum zu erwarten.
Die vollen schwarzen Kreise auf der rechten Seite sind Daten, die um die "geschätzten" Genesungen (und die wesentlich weniger zahlreichen Todesfälle) korrigiert sind, die das RKI seit dem 30. März veröffentlicht. Es handelt sich hier bis zum 6. April nur um eine untere Grenze der Zahl der tatsächlich genesenen Personen, wie man aus der Erklärung in den Situationsberichten erfährt. Es wurden zunächst nur genesene Personen aufgenommen, bei denen der Erkrankungsbeginn bekannt war und 14 Tage vor dem Stichdatum lag. Seit heute werden nun alle Fälle erfasst. Das macht einen deutlich sichtbaren Unterschied, worauf das RKI heute auch hinweist. Man sieht, dass bereits diese Korrektur, ohne Normierung auf die Testzahlen, zu einem deutlich flacheren Kurvenverlauf führt.
Die normierten Daten muss man dagegen nicht korrigieren. Sie geben eine Momentaufnahme des aktuellen Anteils infizierter Personen in der Testgruppe. Allerdings bricht dieser Datensatz am 20. März ab. Deshalb kann ich hier nur mit einer Extrapolation arbeiten.
Dazu habe ich das Polynom 2. Grades bis zum heutigen Tag extrapoliert (gestrichelte magentafarbene Linie). Die Kurve der positiven Tests (offene Kreise links) flacht in diesen Tagen auch deutlich ab. Die Testkapazität war in der 13. Kalenderwoche nur zu 49% ausgenutzt, so dass auch ein weiterer Anstieg der Testzahlen wahrscheinlich ist. Somit weicht die Extrapolation vermutlich nicht sehr stark von der Realität ab. Sie legt nahe, dass der Anteil positiver Tests inzwischen nahezu sein Maximum erreicht hat.
Natürlich ist diese Modellierung sehr grob - sie ist aber nicht annähernd so grob wie die allgemein übliche Betrachtung der Kurve der positiven COVID-19-Tests.
Kommentare 95
"Es gibt also gute Gründe, warum es der öffentlichen Diskussion über die Corona-Pandemie an Wissenschaftlichkeit und Rationalität fehlt."
Falls ich Ihre Darlegungen richtig gelesen/verstanden habe, sind es wohl eher schlechte, fragwürdige=zu hinterfragende (wie Sie es ja auch tun) Gründe.
Ansonsten:
********
P.S.: Schön, das Sie sich mal wieder zu Wort gemeldet haben. Hatte Sie schon vermisst.
"Hatte Sie schon vermisst."
Vielen Dank. Na ja, ich war in den letzten Wochen hauptsächlich mit der Corona-Krise beschäftigt. Das ist leider kein Witz, obwohl ich selbst nicht infiziert war (oder höchstens symptomfrei infiziert, was es ja auch geben soll).
Schon mit Merkel telefoniert? :-)
Auf der Basis dieser einfachen Logik: "Zahl der positiven Tests von heute/Gesamtzahl der Tests von heute" folgende Frage:
Was unterscheidet die statistisch notwenige Anzahl von Tests bei Corona von denen, die Wahlprognosen betreffen? Also nicht bereits eine Vorauswahl von Menschen mit irgend welchen Grippesymptomen, sondern von einer repräsentativen Stichprobe ganz unabhängig davon. Denn ansonsten würde sich doch nur eine Unterscheidung (Verhältnis) von Corona zur Gesamtzahl mit Symptomen zeigen.
Und das würde man konstant wiederholen, um daraus die Infektiositätsrate zu ermitteln. (Es gibt da noch einen anderen Begriff, der mir gerade nicht einfällt). Dann müsste man das auch noch in verschiedenen Regionen (Bundesländern) machen, da die Übertragung wohl zeitlich nicht gleichförmig verlaufen ist (?).
Also etwa das was Sie hier so schreiben: "Es ist nötig, einen Teil der Testkapazität für repräsentative Tests einzusetzen. Das Design solcher Testreihen ist nicht unbedingt einfach, weil die Infektionsraten regional und gruppenbezogen verschieden sind. Aber selbst bei einem unvollkommenen Design erhielte man immer noch eine viel bessere Informationsgrundlage für Entscheidungen als mit dem jetzigen Testregime."
"Schon mit Merkel telefoniert? :-)"
Nee. Obwohl sie in gewissem Sinne mal Physikochemikerin war, hat mein Verbindungsgraph zu ihr nur zwei Pfade mit je einer Zwischenstation (ich kenne zwei Personen, die direkt mit ihr geredet haben, eine recht gut, die aber nur mal flüchtigen Kontakt hatte und eine sehr flüchtig, die sehr direkten Kontakt mit ihr hat).
"Was unterscheidet die statistisch notwenige Anzahl von Tests bei Corona von denen, die Wahlprognosen betreffen?"
Nicht sehr viel eigentlich. Das ist aber schon ein nicht völlig unerheblicher Anteil der vorhandenen Testkapazität. Allerdngs galten die 12'000 am 6, März. Inzwischen sollte die Testkapazität erheblich höher sein (in der Schweiz ist sie seitdem stark angestiegen), ich weiss nur für Deutschland nicht, wie hoch. Irgendwo hiess es vor ein paar Tagen mal, 100'000 pro Tag, aber ich habe mir die Quelle nicht abgespeichert.
Wenn es so viel Kapazität gibt, wäre eine einigermassen repräsentative Testreihe ohne viele Kompromisse anderswo machbar, auch kontinuierlich jeden Tag. Es gibt genug Leute, die jetzt im Home Office sind und Zeit haben, die das kompetent designen könnten und auch genug Fachleute, die es organisieren könnten.
Sie argumentieren und bringen Zahlen, danke.
wer misst misst mxxx.
so lange es keinen anti-körpertest für überstandene covid-infekte gibt, werden solche testszenarien samt schlussfolgerung ebenso kritisiert werden wie es schon heute passiert. der aufwand ist zu gross, zu kostspielig und wäre es echt besser für eine andere handlungsgrundlage?
wie gross müsste die zufallsverteilte stichprobe bei 83 mio bürgern sein, die dann 7-14 tage lang durchgeführt wird um eine bessere prognose und vorgehensweise zu gewährleisten? samt wiederholung an bereits getesteten mit mehrtägigen abstand - 1% sind ja 830 000 - und mir schwebt eher 33% - wir könnten drüber streiten, ob dies pro x tage verteilt werden darf ohne wiederholung.
interessanter wäre die auslastung der beatmungsgeräte mit kontext, aber dies könnte die Bevölkerung verunsichern ;)
ich teile aber Ihr mistrauen, den beiden zahlen neuinfekte und todesraten samt den summen ohne kontext, muss man eben glauben ;) und den entscheidern vertrauen..., global sind ja alle im wettstreit, es besser zu machen, hoffentlich wird es kein race to the bottom.
nackte zahlen sind sehr rar geworden, bis auf eine studie mit den ersten 1000 toten der chinesen (nur zitiert) habe ich nichts gefunden.
ferner, manche länder unterschlagen absichtlich oder überbewerten ihre kennzahlen - somit sind wir wieder mitten bei den machthungrigen politikern.
"wäre es echt besser für eine andere handlungsgrundlage?"
Ja, wäre es. Schon allein die Normierung auf die Testzahl, die gar nichts kostet, würde die Handlungsgrundlage versachlichen.
Und man muss halt auch wissen, ob die tatsächliche Infektionszahl (mit symptomfreien Fällen, Fällen mit unspezifischen Fällen und ungetesteten Fällen mit COVID-19-Symptomen) doppelt so hoch, zehnmal so hoch oder einhundert mal so hoch ist, wie die Zahl der positiven Tests. Das ist für die Planung sehr wichtig, gerade, wenn man die Massnahmen wieder lockert, was ja auf Dauer unvermeidlich ist.
Antikörpertests allein sind auch kein Wundermittel, weil man zusätzlich wissen muss, wie gut der Schutz nach einer durchgemachten Infektion tatsächlich ist.
Ausserdem gelten für Antikörpertests ähnliche Argumente wie für COVID-19-Tests: Sie werden zunächst knapp sein. Es ist z.B. die gleiche Abwägung nötig, ob man nur spezielle Zielgruppen testet oder einen Teil der Testkapazität für repräsentative Tests in der Gesamtbevölkerung einsetzt.
"zufallsverteilte stichprobe bei 83 mio bürgern sein, die dann 7-14 tage lang durchgeführt wird... samt Wiederholung"
Wie gross die Probe sein muss, hängt nicht wesentlich von der gesamten Bevölkerungzahl ab. Keine einzelne Person muss (systematisch) mehrfach getestet werden. Man muss nur täglich eine gewisse Anzahl von Menschen testen, die jeden Tag neu ausgewählt werden können. Die ausgewählten Personen müssen repräsentativ über die verschiedenen Bevölkerungsgruppen (regional, Alter, Anzahl von Kontaktpersonen etc.) verteilt sein. Die Anzahl solcher Gruppen ist der Hauptfaktor bei der Entscheidung, wie viele Tests täglich man für diese Studie braucht.
Und wie schon im Blog gesagt: Selbst wenn das Design der Studie nicht ideal wäre, wären die Daten als Entscheidungsgrundlage sehr viel besser als alles, was wir jetzt haben.
Man kann das Studiendesign übrigens auch kontinuierlich anpassen. Das entwertet die bereits vorhandenen Daten nicht. Es führt vielmehr dazu, dass die Unsicherheit der Abschätzungen (Fehlerbalken) kontinuierlich kleiner wird.
"wäre es echt besser für eine andere handlungsgrundlage?"
Ja, wäre es. Schon allein die Normierung auf die Testzahl, die gar nichts kostet, würde die Handlungsgrundlage versachlichen.
Und man muss halt auch wissen, ob die tatsächliche Infektionszahl (mit symptomfreien Fällen, Fällen mit unspezifischen Symptomen und ungetesteten Fällen mit COVID-19-Symptomen) doppelt so hoch, zehnmal so hoch oder einhundert mal so hoch ist, wie die Zahl der positiven Tests. Das ist für die Planung sehr wichtig, gerade, wenn man die Massnahmen wieder lockert, was ja auf Dauer unvermeidlich ist.
Antikörpertests allein sind auch kein Wundermittel, weil man zusätzlich wissen muss, wie gut der Schutz nach einer durchgemachten Infektion ist.
Ausserdem gelten für Antikörpertests ähnliche Argumente wie für COVID-19-Tests: Sie werden zunächst knapp sein. Es ist z.B. die gleiche Abwägung nötig, ob man nur spezielle Zielgruppen testet oder einen Teil der Testkapazität für repräsentative Tests in der Gesamtbevölkerung einsetzt.
"zufallsverteilte stichprobe bei 83 mio bürgern sein, die dann 7-14 tage lang durchgeführt wird... samt Wiederholung"
Wie gross die Probe sein muss, hängt nicht wesentlich von der gesamten Bevölkerungzahl ab. Keine einzelne Person muss (systematisch) mehrfach getestet werden. Es sind auch keine Wiederholungen an den gleichen Personen nötig (das wäre eine andere Studie). Man muss nur täglich eine gewisse Anzahl von Menschen testen, die jeden Tag neu ausgewählt werden können. Die ausgewählten Personen müssen repräsentativ über die verschiedenen Bevölkerungsgruppen verteilt sein (regional, Alter, Anzahl von Kontaktpersonen etc.). Die Anzahl solcher Gruppen ist der Hauptfaktor bei der Entscheidung, wie viele Tests täglich man für diese Studie braucht.
Und wie schon im Blog gesagt: Selbst wenn das Design der Studie nicht ideal wäre, wären die Daten als Entscheidungsgrundlage sehr viel besser als alles, was wir jetzt haben.
Man kann das Studiendesign übrigens auch kontinuierlich verbessern. Das entwertet die bereits vorhandenen Daten als Entscheidungsgrundlage nicht, obwohl man es für eine wissenschaftliche Publikation eher nicht machen würde. Es führt vielmehr dazu, dass die Unsicherheit der Abschätzungen (Fehlerbalken) kontinuierlich kleiner wird.
Danke für diesen rationalen Beitrag.
In meinem Beitrag "Wie sicher sind CORONA-Tests?" habe ich darauf hingewiesen, wie notwendig die Kenntnis der Prävalenz in der Grundgesamtheit ist, um die Sicherheit der Tests sowohl auf das Virus als auch auf Antikörper einschätzen zu können. Bis jetzt geht man doch davon aus, dass jeder positive Test eine Ansteckung bedeutet. Auch die Spezifität wird wohl mit 100 % angenommen. Für einen Vergleich der Tests und jetzt auch der Schnelltests ist es doch unumgänglich, diese Zahlen zu kennen. Bei massenhafter Anwendung wird das sehr schnell auch eine Kostenfrage.
Erst mal, finde auch ich Ihren Stellungnahmen häufig gut und lesenswert.
"Und man muss halt auch wissen, ob die tatsächliche Infektionszahl (mit symptomfreien Fällen, Fällen mit unspezifischen Symptomen und ungetesteten Fällen mit COVID-19-Symptomen) doppelt so hoch, zehnmal so hoch oder einhundert mal so hoch ist, wie die Zahl der positiven Tests. Das ist für die Planung sehr wichtig, gerade, wenn man die Massnahmen wieder lockert, was ja auf Dauer unvermeidlich ist."
Die Pointe ist halbwegs klar, aber tappen wir wirklich so im Dunkeln?
Die gelaufenen Tests können und sollen ja nicht repräsentativ sein, weil man erst bewusst Risikokontakte prüfte (mit erwartbar hoher Infektionsrate), dann schwenkte man um auf Alterpfleger, a) weil nun die Infektionsketten nicht mehr nachvollziehbar waren und b) man verstärkt auf Schutz setzte (der beste ist auschließlich zu 100% Genesene in Altenheimen arbeiten zu lassen, so schnell es geht).
Der repräsentative Test könnte genauere Zahlen bringen, aber was bringen die? Das Ziel ist ja aktuell eine 2/3 Durchseuchung in deutlich gedehnter Zeit, gleichzeitig muss das öffentliche Leben wieder angefahren werden. Schutz geht vor Exaktheit, potentielle Superspreader müssen isoliert werden und das Social Distancing bleibt die Methode der Wahl. Es gilt potentielle Infektionsherde und -ketten zu isolieren, zukünftig vielleicht noch gezielter. (Die App erscheint mir als Mittel eher fragwürdig.)
Kaum eine der Methoden der Testung kann exakt sein, die Dunkelziffer ist stets höher, die Letalität damit statistisch geringer, da man Risikopersonen (der Verbreitung) bevorzugt testet, kann die Zahl m.E. nicht umwerfend höher sein. Eine Abnahme des Anwachsens der Neuinfektionen stellt natürlich eine verzerrte Messung (durch das Einmischen einer neuen Gruppen, Altenpfleger, noch mehr) dar, aber auch das müsste ja aussagekräftig sein, im Bezug auf das Ziel des Abflachens der Kurve.
Denn wir haben bei den bisherigen Messungen, mit einem überproportionalen Anteil an Risikopersonen (der Verbreitung), nun die Situation erreicht, dass die Kurve der Neuinfizierten schon länger nicht mehr exponentiell ansteigt, die der Genesenen (da 14-tägiger Nachlauf) aber sehr wohl noch, so dass wir – ziehen wir die Sonntagslücke bei den Testungen/Auswertungen mal ab – ab morgen oder so die Situation haben, dass in der Gruppe der potentiell am meisten Durchseuchten, eine 2/3 Relation erreicht haben. Also etwas über 110.000 die infiziert sind oder es waren, bei dann vielleicht 35.000 Genesenen, die man in der Regel, wie Sie richtig bemerken, nicht abzieht.
Das Social Distancing ist nach wie vor aufrecht zu erhalten, mein Schwerpunkt würde darauf liegen, das öffentliche Leben regional zentriert wieder hochzufahren, wenn die Kurve dort hinreichend flach ist, mit Sonderreglungen für besonders Gefährdete, die weiter geschützt werden müssen. Denn auf wenn sicher Menschen die Covid-19 infiziert sind, öfter multimorbid sind, kann man nicht wegdiskutieren, dass man an Covid-19 sterben kann und dies offensichtlich auch öfter, als einem lieb sein kann geschieht.
Aber wie lautet die llangfristige Strategie für die Senioren? Abwarten bis zur Impfung? Selbst wenn man 66% Genesene infolge einer langsamen Durchseuchung hat, ist das für Risikogruppen noch immer ein Spießroutenlauf.
Also, bessere Daten, immer und gerne, aber ich sehe noch nicht wirklich was das für eine Handlungsoption des vorsichtigen Hochfahrens bringt.
Gerade wegen der Risikogruppen wären belastbare Zahlen wichtig, da es den Anschein hat, dass zur Zeit die Kurve zu flach gehalten wird. Damit schwindet die Akzeptanz bei der Masse und das Leiden wird zu stark verlängert. Die wirtschaftlichen Schäden für viele einzelne Menschen gehen an die Substanz, trotz der von der Regierung beschlossenen Maßnahmen.
Vielen Dank. Ihren Beitrag hatte ich noch gar nicht gesehen, weil ich vor dem vergangenen Sonntag wochenlang keine Zeit hatte, dFC zu verfolgen. Ich lese ihn heute Abend noch einmal genau, aber auf den ersten Blick finde ich ihn sehr gut.
Ich denke, dass an all diesen Fragen schon geforscht wird, nur eben erstens unkoordiniert - und in dieser Lage wäre koordinierte Auftragsforschung ausnahmsweise mal keine schlechte Idee - und zweitens gelangen die Ergebnisse nicht zu den Politikern und in die Oeffentlichkeit.
Hier hat das RKI meiner Meinung nach schon eine Schwachstelle. Es kann nicht so schwer sein, ein Team zusammenzustellen, das den Politikern und der Oeffentlichkeit erklärt, was man sicher weiss, was man mit gewisser Wahrscheinlichkeit weiss und wo man mehr Untersuchungen braucht, um überhaupt eine verantwortbare Aussage treffen zu können.
Wenn es schon kein politischer Unwille ist, so ist es aus meiner Sicht doch ein gewisses Unvermögen, den eigenen Auftrag auch auszuführen und die eigene Rolle in der Gesellschaft anzunehmen - auch gegen Widerstand.
Ausführlicher auch erst heute Abend, aber hier schon mal ganz kurz:
Man muss ja erst einmal wissen, wie flach oder steil die TATSAECHLICHE Kurve ist, wenigstens näherungsweise. Die öffentlich diskutierte Kurve ist, mit Verlaub, B*llsh*t.
Was in der Oeffentlichkeit diskutiert wird, ist aus zwei Gründen wichtig. Erstens sind die Politiker nicht so rational, dass ihre Entscheidungen von einer verzerrten öffentlichen Diskussion unabhängig wären. Zweitens brauchen Massnahmen auf Dauer Akzeptanz, worauf auch Grenzpunkt o hinweist.
Wenn man das Vertrauen nicht verlieren will, täuscht man die Oeffentlichkeit besser nicht und zwar weder absichtlich noch aus Inkompetenz.
+ @ Gunnar Jeschke:
Inwieweit wären repräsentative Daten ein Gamechanger?
Die Zahl der Infizierten und Gensenen ist auf jeden Fall noch lächerlich gering. Selbst bei 20-fach größerer Infektionsrate wären wir bei 2,5% der Gesamtbevölkerung. Was bringt das?
Gerade wenn und weil wir die Daten aus dem Reservoir der überdurchschnittlich mit einem Infektionsrisiko behahteten schöpfen, wäre es unlogisch, wenn die Durchseuchung 100x größer wäre. Wir müssten dann mehr Kranke und Tote haben, Italien und New York sind ja keine Fiktionen.
Und selbst eine 100x größere Infektionsrate hieße, dass 87,5% der Bevölkerung es noch vor sich haben.
Auf ZON gibt es seit gestern ein Interview mit Hendrick Streeck "Einzelne Übertragungen im Supermarkt sind nicht das Problem", der in Hainsberg mit seinen Mitarbeitern eine Studie erarbeitet. Er erläutert in meinen Augen für medizinische Laien sehr stringent und ausführlich unseren unzureichenden Kentnisstand und welche Auswirkungen das hat. Sehr interessant sind seine Ausführungen zu den Übertragungswegen.
Das Interview mit Hendrick Streeck "Einzelne Übertragungen im Supermarkt sind nicht das Problem" beantwortet vielleicht einige Ihrer aufgeworfenen Fragen mit der Kompetenz eines Virologen, der gerade Feldforschung betreibt.
Das habe ich gestern Abend schon gelesen und für meinen Corona Blog ausgeschlachtet und darauf verwiesen, fand es auch sehr gut. Übrigens, schüchtene Anmerkung von meiner Seite, das Immunsystem zu fitten, wird dort auch deutlich erwähnt, spielt aber in der öffentlichen Diskussion eine bislang untergeordnete Rolle.
Mir geht es nicht um Rechthaberei, sondern um vernünftige Wege aus der Krise und die sind, so wie ich es sehe, noch zu suchen und zu finden. Wenn wir vernünftig zusammen arbeiten, was hier ja mitunter gut klappt, kann das durchaus helfen. Die Logistik und damit auch Statistik ist derzeit unsere beste Methode, deshalb bin ich auch daran interessiert, dass sie noch besser wird, aber ich will dann wenigstens verstehen, worum es geht.
Also, machen wir das Beste draus.
Ich schätze Ihre Beiträge zum Thema sehr und bewundere Ihren Einsatz den Sie neben Ihrer Tätigkeit noch leisten. Es ist extrem bedauernswert, dass vieles von diesen wichtigen Dingen im Meer der Belanglosigkeiten untergehen.
"Ich schätze Ihre Beiträge zum Thema sehr und bewundere Ihren Einsatz den Sie neben Ihrer Tätigkeit noch leisten."
Danke!
"Es ist extrem bedauernswert, dass vieles von diesen wichtigen Dingen im Meer der Belanglosigkeiten untergehen."
Um ehrlich zu sein, juckt mich das gar nicht so, weil ich aus irgendwelchen merkwürdigen Gründen irgendwie auf Randthemen abonniert zu sein scheine, die kaum jemanden interessieren. Ist halt ne Neigung, da ist wenig zu machen. Von daher geht es mir gut, obwohl druchgehend symptomfrei, mache ich zudem bewusst größere Abstände zwischen den Schichten, um im äußersten Fall so wenig wie möglich anzustecken.
Die Alltagslogistik ist im Moment fast anstrengender, ansonsten genieße ich die Zeit der Ruhe mehr, als dass mir der Stress fehlen würde, aber ich merke, dass ich weniger zum Habermaslesen komme, als vermutet. Da ich mich selbst ernst nehme, achte ich auf Entspannung und Erholung und die besten Wege zu finden und zu bündeln weckt ja auch den Forscherehrgeiz, ist also positiver Stress, wenn überhaupt.
Ich finde gerade das Zusammenspiel zwischen logistischen, psychologischen, medizinischen, virologischen und natürlich auch gesamtgesellschaftlich ökonomischen Punkten sehr interessant. Ein Bereich, den auch die Linke interessieren muss (oder müsste), ist man ansonsten doch bemüht, zu betonen, dass Armut Lebensjahre kostet und zwar knackig. Der Utilitarist würde nun hochrechnen, was mehr Monate an Leben verbrennt, eindimmende Armut oder ausdimmende Restriktion, aber ich glaube, es gibt Gründe, die gegen diese Art des Utilitarismus sprechen.
Also ich bin gespannt, ob wir gute Wege finden, die allen nutzen. Ich weiß die Kompetenzen der klugen anderen User hier durchaus zu schätzen, von daher glaube ich, dass es durchaus Sinn macht genau hier zusammen zu überlegen, was getan werden könnte.
Es hätte mich schwer gewundert, Herr Paschke, wenn Sie nicht auch noch was zu "Corona" mitzuteilen hätten.
Ihren Blogbeitrag sollte man ins Italienische Übersetzen und zuerst den Angehörigen der verstorbene ÄrztInnen und PflegerInnen vorlegen. - Ähnliche Sterbefallzahlen, in kurzer Zeit, hat es dort, unter dem betreuenden Personal, vorher nicht gegeben.
Zum Glück, das Web macht es möglich, kann man Prof. John P.A. Johannidis selbst lesen. Zum 17.03 2020, beklagt er die mangelnd Datenbasis.
Das ist erst einmal nicht übel, aber eben auch eher selbstverständlich so, weil dieses zweite, definitiv humanpathogene Virus aus der Gattung der Coronaviren, nach SARS, sehr schnell verbreitet auftrat und es kaum Vorwarnzeit gab. Auch keine Grundimmunität, wie gegen diverse Influenza- Viren!- Übrigens wird der Grad der "Durchseuchung" der Bevölkerung bei einer Influenza- Epidemie ebenfalls nicht sehr genau bestimmt, sondern geschätzt.
Die alternative Meinung aber, es handele sich bei Covid-19 nur um eine analog üblicher Grippewellen ablaufende Ansteckung, hat sich mittlerweile verflüchtigt.
Selbst die überzeugten Anhänger dieser These, die Ende Februar und Anfang März 2020 in der Öffentlichkeit auftraten, räumen mittlerweile ein, dass sie die Dynamik dieser atemwegs- und besonders lungenaffinen Viruserkrankung unterschätzt hatten, die zudem eine deutlich andere Pathophysiologie der Lunge aufweist als die Influenza.
Es werden nicht die üblichen Intensivbettenzahlen aufgefüllt und die üblichen Sterberaten in Altenheimen hingenommen, die man alle drei oder vier Jahre aufgrund der anders gebauten und auch anders wirksamen Influenzaviren kennt, gegen die zudem geimpft wird, gegen die auch eine, über Jahrzehnte aufgebaute, Grundimmunität in der Gesellschaft besteht, selbst wenn die Oberflächen der immer neuen Virenstämme (Anpassung der Impfsera ist eine schon lange praktizierte Antwort) sich unterscheiden.
Die klinischen Bilder und Verläufe der schweren Infektionen mit "Corona" weichen deutlich, von jenen bei Influenza ab. Besonders in dem Punkt, wie lange im Schnitt die mechanische Beatmung erfolgen muss oder gar eine extrakorporale CO-2 Elimination und O-2 Oxygenierung notwendig wird. Trotz Beatmung und ECMO, versterben in vielen Intensivstationen 30-50% der COVID-19 Patienten und das Personal weint nicht ohne Grund in aller Öffentlichkeit.
"Corona"- Pneumonien reagieren auch anders auf die übliche symptomatische Behandlung bei Virsuspenumonien. Virostastika und entzündungshemmende, das Immunsystem beeinflussende Medikamente zeigen weniger Wirkung, bzw. haben sogar einen negativen Effekt.
Triage war jedenfalls in den Grippewellen der letzten Jahrzehnte, unter den Bedingungen europäischer oder US-amerikanischer Gesundheitssysteme, nicht nötig. Jetzt, mit Corona, ist es das sehr wohl.
Kommen wir nun zu Professor Ioannidis Vorwurf, die publizierten Infektionszahlen bildeten die "Corona"- Epidemie grundsätzlich falsch ab, weil man die Zahl der tatsächlich infizierten Menschen nicht kenne und daher auch die vermutete Zahl der schweren und tödlichen Verläufe, bezogen auf die Grundgesamtheit, stark überschätze.
Dazu gibt es gute reale Gegenbeweise aus dem höchstwahrscheinlichen Mutterland des Virus. Die Region Wuhan wurde im Februar 2020 hermetisch vom übrigen Land abgeschottet und sämtliche Ausreisende, Menschen die dort keinen Wohnsitz hatten, wurden vor ihrer Abreise getestet. Selbstverständlich kamen die positven Fälle in Quarantäne, die negativ getesteten konnten nicht nur, sondern mussten gehen. - Bei den Tests ergab sich eine geringe Durchimmunisierungsrate.
Eine sehr gute Methode, die Infektiosität und Durchimmunisierung abzuschätzen, wurde bereits in den italienischen Hotspots praktiziert und soll nun auch in Deutschland, an vier- fünf ausgewählten Orten (u.a. Heinsberg, Prof. Streek)) nachvollzogen werden. Das wird ein bisschen dauern.
Aber in Italien, früher betroffen, daher früher auch untersucht, hat man, selbst in den regionalen Hotspots, keine sehr hohen Infektionszahlen gefunden! Beispielhaft sei die Mustergemeinde Vò genannt, deren ca. 3300 Einwohner, nach dem dort ein Covid-19 Hotspot entstanden war, komplett getestet wurden.
Nur ca. 3% der Bevölkerung waren infiziert. Die direkte Maßnahme aller Seuchenbekämpfer dieser Welt: strikte Regeln im öffentlichen Leben und Quarantäne für alle positiv getesteten Personen. Das Ergebnis bei Nachtests der kompletten Bevölkerung: Es fanden sich nur noch 0,3% positiv getestete Einwohner.
Fazit: Die jeweiligen nationalen Meldezahlen sollten wie länderspezifische Eichkurven betrachtet werden, unter dem jeweilig ergriffenen, länderspezifischen Eindämmungsszenario und unter Berücksichtigung des Zeitversatzes.
Es hat sich bisher bewährt, die Epidemie nicht zu verharmlosen, starke soziale Beschränkungen vorzunehmen und mit der Zeit, über ausgewählte Regionen, repräsentative Studien anzulegen.
Übrigens berichtet auch Prof. Streek, bezogen auf Heinsberg, dass die ersten Untersuchungen in den Haushalten mit "Corona" Infizierter, bei deren nächster Umgebung nicht die zu erwartenden, zahlreichen positiven Tests/ Co-Infektionen erbrachten. Ebenso teilte er mit, dass sein Team von Oberflächen und von Nahrungsmitteln in den Haushalten, keine vollständigen und damit infektiösen Viren habe abnehmen können.
Meine unmaßgebliche Einschätzung: Die Durchimmunisierung der Bevölkerung ist nicht weit fortgeschritten. Das kann man an den bisher durchgeführten Tests von Personen die Symptome zeigten oder aber engen Kontakt mit Infizierten hatten, nicht sicher, aber ausreichend gut, abschätzen.
Ein Laissez faire et laissez passer- Ansatz würde, weil das Virus doch in sehr vielen Fällen eine schwere Erkrankung produziert, die besondere Risikogruppen zudem verstärkt trifft, sofort zu einer massiven Überlastung unseres Gesundheitssystems führen und ein Vielzahl an Toten, in recht kurzer Zeit, produzieren.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Prof. Streeck hat sich in seinem Interview noch sehr zurückhaltend geäußert. Was er aber andeutete, scheint seine These von der Überzogenheit der Ausgangsbeschränkungen zu stützen. Das sind zum einen die wahrscheinlichen Übertragungswege, zum anderen aber auch mögliche Kreuzimmunisierungen durch andere Corona-Viren, mit denen das Immunsystem in früheren Jahren Kontakt hatte (spezifische Antikörpertests werden hier versagen). Italienische Verhältnisse auf ganz Deutschland übertragen zu wollen, ist sicher keine gute Idee, weil das Problem dafür zu viele Variable hat, deren Ausprägungen nicht gut übereinstimmen. Was man dem Interview entnehmen kann, auch wenn es nicht explizit gesagt worden ist, ist die Tatsache, dass man zu kurz springt, wenn man von einer repräsentativen Stichprobe allein aus der Zahl der positiv Getesteten weitreichende Schlussfolgerungen ziehen will. Bei der Forderung nach einer möglichst sicheren Datenlage geht es nicht darum, einem Laissez faire et laissez passer-Ansatz Vorschub zu leisten, sondern darum, für wirklich sinnvolle Maßnahmen das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen und zu behalten. Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint.
"Prof. Streeck hat sich in seinem Interview noch sehr zurückhaltend geäußert. Was er aber andeutete, scheint seine These von der Überzogenheit der Ausgangsbeschränkungen zu stützen. Das sind zum einen die wahrscheinlichen Übertragungswege, zum anderen aber auch mögliche Kreuzimmunisierungen durch andere Corona-Viren, mit denen das Immunsystem in früheren Jahren Kontakt hatte (spezifische Antikörpertests werden hier versagen)."
Nee, das habe ich anders gelesen. Wenn der Übertragungsweg tendenziell eher keiner durch Oberflächen ist, so muss es ja einen anderen Weg geben, denn die Infektionen sind ja real. Und die Kreuzimmunisierungen sind eine Möglichkeit, keine bislang auch nur irgendwie bewiesene Tatsache.
Die 'alles nicht so wild' Länder fahren doch gerade reihenweise vor die Wand, Sie selbst waren doch für äußerst strikte (wenn auch kürzere) Restrikionen, was ist denn Ihre Linie, ich kann da noch keine erkennen.
Gut, keine Frage, Grenzpunkt 0.
Bisher hat das mit dem Vertrauen gut funktioniert. Einige Zeit nach Ostern stehen Lockerungen an, die hoffentlich so gut wissenschaftlich und politisch begleitet werden, wie die derzeitige Restriktion.
Zurückhaltung in der Meinung und nicht zu viele Andeutungen: der goldene Mittelweg!
Mir ging es um die Abschätzung der Rate der schon Infizierten (Überschätzung/Unterschätzung und solche Rückschlüsse, die aus der Zahl der tatsächlich zusätzlich intensiv behandlungsbedürftigen Menschen gezogen werden).
Die Verbreitung der Infektion dürfte derzeit nicht ausreichend hoch sein, um eine neue Welle an Schwerkranken, mit der unser GS-System noch umgehen kann, zu verhindern.
Zu den Tests: Ein reliabler und einfach anwendbarer Test für Massenscreenings fehlt. Ob die überhaupt nötig sind, ist umstritten. Die representative Stichprobe, mit den bereits vorhandenen Tests, a) auf Nachweis von Virenbestandteilen, b) wichtiger aber von Aks, ist mit den vorhandenen Methoden gut möglich und, was die Testergebnisse angeht, auch ausreichend genau.
Ob diese Stichproben dann zum wichtigsten Steuerungsinstrument der weiteren, mittelfristigen "Corona"- Eindämmung werden, das weiß ich nicht.
Thema Kreuzimmunisierung: Ja, die kommt vor. Aber sie ist nicht häufig und sie hätte in Wuhan höher sein müssen, angesichts der dort verbreiteten Corona- Stämme.
Vielleicht haben sie schon davon gehört, im Rahmen der Kreuzimmunisierung kann es auch zur Entstehung von infektionsverstärkenden Antikörpern kommen. - Ein Problem bei der Impfstoff- Suche und bei einigen wenigen Patienten. Jedenfalls ist das ein Randthema, bei der Frage nach der passenden Eindämmungsstrategie.
>>Italienische Verhältnisse auf ganz Deutschland übertragen zu wollen, ist sicher keine gute Idee, weil das Problem dafür zu viele Variable hat, deren Ausprägungen nicht gut übereinstimmen. << - Es spricht viel dafür, aus den Erfahrungen in China und Italien zu lernen, die nicht wirklich völlig andere sind. "Viele Variablen" spielen grundsätzlich immer eine Rolle, ohne sie in ihrem Anteil an den Auswirkungen genau bestimmen zu können.
Grüße
Christoph Leusch
Natürlich sollte und muss man von anderen lernen. Das ist ja leider viel zu spät gemacht worden, wie z. B. bei frühzeitigen Einreisekontrollen aus Riskogebieten. Lernen bedeutet in diesem Zusammenhang, dass man sein "Modell" inklusive all seiner Annahmen, mit den Daten aus anderen Gebieten füttert. Im Streek-Interview ist auf die Problematik eingegangen worden. Es geht hier nicht nur um Altersstruktur, sondern um viele andere Dinge wie Mobilität, Tätigkeiten, Wohnverhältnisse, Kinderzahl und und und. Bisher sind meines Wissens nach auch nur Tests auf den Virus großflächig durchgeführt worden. Antikörpertests, inklusive solcher auf Kreuzimmunitäten sind wohl noch relativ selten. D. h. wir wissen nicht, wieviele erkrankt sind, schon genesen sind, noch erkranken können und erst recht nicht, welchen Verlauf diese Krankheiten nehmen werden.
Der Übertragungsweg spielt schon eine große Rolle, wenn ich entscheiden will, welche Restriktionen sinnvoll sind oder nicht. In den Übertragungsweg geht ja implizit ein, welche Menge an Viren ein Infizierter wie in seine Umgebung abgibt. Es geht auch ein, welche Menge an aktiven Viren jemand aufnehmen muss, um sich zu infizieren. Beide Größen sind noch unbekant. Aus dem Interview habe ich herausgehört, dass die Infektionsgefahr über Oberflächen eher gering ist. Das würde für die Bewegungsfreiheit bedeuten, dass man mit genügend Abstand und mit einer Maske schon ein Stück auf der sicheren Seite liegt. Damit könnte man die gegenwärtige Situation für viele Menschen erleichtern, indem Läden wieder aufgemacht werden können und das Verlassen der Wohnung ohne weiteres möglich ist. Menschenansammlungen und Gedränge sind unbedingt zu vermeiden. Auch Körperkontakt bei der Begrüßung von nicht zum Haushalt gehörenden Personen sollte unterbleiben.
„Es geht auch ein, welche Menge an aktiven Viren jemand aufnehmen muss, um sich zu infizieren. Beide Größen sind noch unbekant.“
Geht ja dann doch klar in Richtung einatmen, da kein anderer Weg bekannt ist.
„Das würde für die Bewegungsfreiheit bedeuten, dass man mit genügend Abstand und mit einer Maske schon ein Stück auf der sicheren Seite liegt.“Weil? Für mich eher nicht so, denn Tröpfchen sind da, wo Leute sind, die Gesichtsmasken führen mitunter auch zu Jets, die die Luft dann einfach nach hinten rausjagen und wenn der Wind man schlecht steht, ja man gleich noch ein Problem.
„Damit könnte man die gegenwärtige Situation für viele Menschen erleichtern, indem Läden wieder aufgemacht werden können und das Verlassen der Wohnung ohne weiteres möglich ist.“
Die Konzentration in Innenräumen wird doch notgedrungen eher größer, vielleicht wäre eine Animation gut, auf der man mal erkennt, wie sich Tröpfchen ausbreiten und wie lange sie sich halten. Tröpfchen sind ja kein Regen, eher etwas wie Nebel.
„Menschenansammlungen und Gedränge sind unbedingt zu vermeiden.“
Sicher gibt es Wege und muss es welche geben. Finden wir doch die besten, denken können wir doch alle hier ganz gut.
Gerade hat Alexander Unzicker auf Telepolis einen Beitrag zur Exit-Strategie veröffentlicht, die auch befürworten würde.
Das Verhalten von Aerosolen ist recht gut untersucht z. B. in der Mechanischen Verfahrenstechnik. Ein Freund von mir ist Geschäftsführer in seinem Unternehmen und stellt Filterprüftechnik auch für Schutzmasken in aller Welt her. Sicher haben Masken Nachteile. Aber eine einzelne Vire reicht nicht aus, um jemanden zu infizieren. Wie ich schon oben schrieb, wir wissen nicht, wieviele Viren durch welche Infizierte in welchem Stadium ausgeschieden werden und wir wissen nicht, wieviele notwendig sind, um jemanden zu infizieren. Es gilt aber, je weniger, desto besser. Das heißt für mich Masken und Abstand. In den erfolgreichen Ländern tragen die Menschen Masken. Zufall, Koinzidenz oder Ursache-Wirkung?
Ja, klingt gut, was in dem Beitrag steht. Im Grunde dem ähnlich, was ich auch sage, Aerosole, also (Raum-)Luft mit Viren angefüllt. Die Masken müssten, wenn sie kommen, dann aber verpflichtend sein.
Einzig, warum man, dann in Wochen durch wäre, enthzieht sich mir.
Klar gibt es super Masken, aber wir müssen klar zwischen denen unterscheiden, die a) den Träger und die Umgebung schützen und b) nur den Träger und c) immer wieder klar benennen, dass es nicht heißen darf Abstand oder Hände waschen oder Masken, sondern das Masken nur hilfreich sind, wenn die anderen Verfahren ebenfalls eingehalten werden, Unzicker schlägt ja sogar eine 3 Meter Distanz vor, die in vielen Läden kaum umsetzbar ist.
Gut, wir denken momentan statistisch, da könnte das ein Szenario sein, darum ging es ja.
Alles, was einfach umzusetzen ist (Hygieneregeln, Abstand, keine Veranstaltungen, Masken), trägt zur Akzeptanz bei und ist dazu angetan, den Infektionsweg zu erschweren und so die Basisreproduktionszahl (R₀) unter 1 zu drücken. Das Problem bleibt uns auch nach Wochen erhalten, da es jederzeit neu zu einem Ausbruch kommen kann, weil die Basisreproduktionszahl (R₀) ohne Maßnahmen zwischen 2 und 3 liegt und die Nettoreproduktionszahl (Rt) wegen der zu geringen Immunität der Bevölkerung zu hoch ist.
Ja, und im Herbst sieht das dann wieder blöde aus, wegen des Wetterumschwungs. Ich denke wir könnten an vielen Stellschrauben drehen, die Alten und Kranken bleiben das Problem, für sie muss man irgendwas finden, damit sie wieder am öffentlichen Leben teilnehmen können.
Gibt es eigentlich eine Zahl, bei der man von einem vertretbaren Risiko für Ältere sprechen kann?
"Gibt es eigentlich eine Zahl, bei der man von einem vertretbaren Risiko für Ältere sprechen kann?"
Solange es noch solche Artikel geben muss "Unser schicker Kapitalismus mit tödlichem Antlitz", wird man nach einer solchen Zahl suchen, aber vergebens. Ob es eine Zeit geben wird, in der wir eine Antwort auf dieses Problem finden, entzieht sich meiner Kenntnis: "Diese Krise – oder vielleicht die nächste – könnte ein Grund sein, generell über Sinn und Unsinn oder zumindest über Art und Weise der Globalisierung nachzudenken, über Mobilität und Umwelt, über die soziale Spaltung in Europa und anderswo, über Lieferketten, über Konsum und Wohlstand, und letztlich auch darüber, wie man eine Welt, einen Markt, ein Leben ohne Wachstumszwang gestalten könnte. Ja, vielleicht erzeugen wir in fünfzig Jahren ausschließlich grünen Strom und produzieren Solarzellen umweltfreundlich aus Kuhmist. Aber selbst dann sollten wir uns fragen, ob das gute Leben – und darum geht es schließlich! – irgendetwas mit exponentiellen Steigerungen zu tun hat. Exponentielle Steigerungen, so scheint mir, sind eher die Ursache und der Ausdruck von Krisen." Dann bräuchten wir aber nicht mehr nach einer solchen Zahl suchen.
"tappen wir wirklich so im Dunkeln?"
Ja. Ich habe inzwischen die Daten zum Anteil der positiven Tests für 30 Tage (29.2.-29.3., gibt es auch vom Robert-Koch-Institut, nur nicht in einem der Tagesbulletins) digitalisiert. Seit dem 31.3. gibt es - mit gewissen Vorbehalten - auch Zahlen der Genesenen. Ich habe das analysiert und werde morgen in einem Nachtrag unter dem Blogpost zeigen, dass es im Bereich des Möglichen iiegt, dass die tatsächliche Zahl von gleichzeitig Infizierten bereits sinkt.
"Der repräsentative Test könnte genauere Zahlen bringen, aber was bringen die?"
Man muss planen. Um einigermassen sinnvoll planen zu können, muss man die Spannbreite der möglichen Szenarien verringern, weil man sich gleichzeitig auf extrem unterschiedliche Szenarien bestmöglich vorbereiten kann.
"die Letalität damit statistisch geringer, da man Risikopersonen (der Verbreitung) bevorzugt testet, kann die Zahl m.E. nicht umwerfend höher sein"
Man kann sehr sicher davon ausgehen, dass die Zahl der tatsächlich durch COVID-19 verursachten Todesfälle nicht kleiner ist, als die vom RKI verbreitete Zahl. Da zwischen positivem Test und Sterbedatum im Mittel mehrere Tage liegen, ist die Letalität unter den positiv getesteten Personen etwas höher als das Verhältnis zwischen bis heute aufgetretenen Todesfällen und positiven Tests (das sind heute 1,5%). Rechnen wir mit 2%.
Sind nun doppelt so viele Menschen in der Bevölkerung tasächlich infiziert (gewesen), wie positiv getestet wurden, beträgt die tatsächliche Letalität nur 1%. Sind es zehnmal so viele, beträgt sie 0,2%. Sind es einhundert mal so viele, so beträgt sie 0,02%. Das ist ein Unterschied zwischen etwa 550.000 potentiellen Opfern (Faktor 2) bei 2/3 Durchseuchung und 11.000 (Faktor 100). Die letztere Zahl wäre tatsächlich kleiner als die Exzessmortalität der Grippewellen 2008/9, 2012/13, 2014/15, 2016/17 und 2017/18 (siehe https://de.statista.com/statistik/daten/studie/405363/umfrage/influenza-assoziierte-uebersterblichkeit-exzess-mortalitaet-in-deutschland/ ). Wenn der Faktor zwischen tasächlichen Infektionen und positiven Tests grösser als 40 wäre, wäre bei 2/3 Durchseuchung (ohne stärkere Ueberlastung des Gesundheitssystems) die Exzess-Mortalität kleiner als diejenige der Grippewelle 2017/18.
Zusätzlich muss man aber noch beachten, dass Grippewellen weder durch Durchseuchung noch durch starke gesellschaftliche Restriktionen abebben, sondern mit der Witterung korreliert sind. Eine solche Korrelaion ist für COVID-19 ebenfalls sehr wahrscheinlich.
Ja, Ihr Beitrag gefällt mir auch beim gründlichen Lesen sehr gut (die Bayessche Formel bringe ich übrigens im Wahrscheinlichkeitstheorie-Kapitel meiner Statistischen-Thermodynamik-Vorlesung Studierenden auch bei).
In der Schweiz (und wohl auch anderswo) prüft man neue Tests schon erstmal gegen vorhandene, um wenigstens etwas Information zu haben. Es stimmt aber, dass die SARS-Cov2-Tests weniger gut charakterisiert sind, als länger etablierte Virentests.
Ja, ein Bekannter von mir fand, Streeck würde jetzt zum Medienliebling, nach dem die NZZ heute einen sehr positiven Artikel über ihn hatte (https://www.nzz.ch/international/der-virologe-hendrik-streeck-forscht-mitten-im-corona-hotspot-ld.1550667 ).
Ich finde ihn allerdings auch rationaler und überlegter als viele der anderen, die in den Medien auftreten.
Namen sind nicht so Ihre Stärke.
Von der Durchimmunisierungsrate in Wuhan können Sie nicht auf diejenige irgendwo anders zu irgendeinem anderen Zeitpunkt schliessen.
Schauen Sie sich bei Ioannidis nochmals das Diamond-Princess-Beispiel an. Keine sehr gute Statistik bei 700 Leuten, stützt aber sicher keine Horrorszenarien.
Mögliche Gründe, warum die Lombardei ein Spezialfall ist, sind bereits ziemlich breit diskutiert worden. Das tue ich hier nicht noch einmal. Der Blogpost bezieht sich ausdrücklich nur auf das Geschehen in Deutschland.
Ja, im Herbst sieht es aller Wahrscheinlichkeit nach wieder blöde aus, wenn es bis dahin keine Impfung oder Therapie gibt. Dann sogar noch blöder als jetzt, weil dann mehrere Monate mit einer Witterung anstehen, die eine solche Epidemie begünstigt.
Genau deshalb sollte man aus meiner Sicht bis dahin so viel wie möglich sehr gute Information haben.
Ob es gelingt, eine Impfung zu entwickeln, steht in den Sternen. Gegen Dengue-Fieber zum Beispiel gibt es keine.
Eine definierte Zahl gibt es nicht. Schließlich hängt das u.a. auch vom gesellschaftlichen Anspruch und von den tatsächlich gegebenen medizinischen Möglichkeiten in einem Land oder einer Region ab.
Aber es gibt die Möglichkeit, zunächst einmal die sogenannte "Übersterblichkeit"(auch Excess mortality) abzuschätzen. Routinemäßig ermittelt in Deutshcland das RKI diese Übersterblichkeiten für Infektionskrankheiten.
Dabei wird der Hintergrund aller Sterbefälle bezogen auf gewisse Alterskohorten in einer Gesellschaft, ermittelt und dann der zusätzliche Effekt bestimmter, periodisch oder saisonal auftretender Infektionen abgeschätzt. Es bleibt eine Schätzung.
So war die Grippesaison 2018/2019, mit ca. 950 zugeordneten (so gemeldeten) Todesfällen nicht sehr auffällig, während das Vorjahr, 2017/2018, mit ca. 1700 Todesfällen, in Deutschland als das heftigste Ereignis dieser Art, seit Jahrzehnten galt. (alle gerundeten Zahlen beziehen sich auf Deutschland).
Nur nebenbei bemerkt, beleuchten diese Zahlen auch, warum die jetzige Epidemie nicht verharmlost werden darf. Ohne die einschneidenden Abstandsmaßnahmen und die gute Ausstattung mit Klinikbetten, sähe es duster aus, weil derzeit wenig wirkt, kommt es zu einem schweren Verlauf.
Andere Übersterblickeitsraten und Excess morbidity rates, die wiederum Basis für politische Entscheidungen wurden, entstanden z.B. durch Vergleiche von repräsentativen Alterskohorten in unterschiedlich mit Feinstaub belasteten Regionen.
Aus diesen Vergleichen leiteten sich auch die, vor allem von konservativen und liberalen Parteien und der Industrie so heftig angegriffenen EU- Richtlinien und die schweizer Richtlinien, auf Basis der Untersuchungen des BAFU, für Eingriffe in den Straßenverkehr ab.
L eider haben diese Studien, wie auch jene zu "Corona" und Feinstaub, die mittlerweile in den USA und in China durchgeführt wurden, einen gravierenden Schönheitsfehler. Das Rauchen ist als starker Faktor für Morbidität und Mortalität nicht ausgeschlossen worden.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Namen und Schwäche? Das kann sein und Entschuldigung dafür, Herr Jeschke.
Die über Stichproben und amtliche Tests abgeschätzte Durchimmunisierungsrate ist ein grobes Maß, aber durchaus vergleichbar. Aus den erhobenen Daten wird aber, unabhängig davon, solange man nicht größere Stichproben der gesamten Bevölkerung zur Verfügung hat- daran arbeitet man derzeit in vielen Ländern- eine weitere nationale oder regionale Eichkurve, die bei der Frage hilft, wie es nun länderspezifisch weitergehen kann.
Die Infektionen auf dem Schiff. Ja, da schaue ich noch einmal drauf und schreibe dann dazu.
Blogpost auf Deutschland bezogen. Ok. Aber Ioannidis urteilt ja auch eher global. Oder? Ich weiß nicht mehr genau, ob er 90% oder 98% aller Studien für so mangelhaft hält, dass sie keine verwertbare Aussage liefern.
Ich melde mich wieder.
Beste Grüße und Gesundheit
Christoph Leusch
"So war die Grippesaison 2018/2019, mit ca. 950 zugeordneten (so gemeldeten) Todesfällen nicht sehr auffällig, während das Vorjahr, 2017/2018, mit ca. 1700 Todesfällen,"
Diese Zahlen dürfen Sie eben nicht mit denen von COVID-19 vergleichen. Sie sind ganz anders erhoben.
Das sind Fälle, bei denen Influenza tatsächlich als Todesursache festgestellt wurde, nicht Fälle, in denen eine Person gestorben ist, die auch eine Grippeinfektion hatte.
Genau darauf hat Prof. Bhakdi in seinem Brief hingewiesen (unter anderen Dingen).
Das stimmt so nicht. Auch diese Todesfälle konnten nicht eindeutig zugeordnet werden, denn die Personen starben zwar mit einem positiven Influenza- Virennachweis, aber ob dieser auch todesursächlich war, muss geschätzt werden. Die Schätzung bezieht auch Todesfälle ein, die zunächst anderweitig zugeordnet, nachträglich aber der Influenza zugerechnet wurden.
Siehe dazu hier, "5.3 Influenza bedingte Todesfälle, "Exzess Schätzungen"" des RKI, S.46ff.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Lieber Herr Leusch, danke für das Link.
Schauen Sie sich bitte mal Tabelle 1 auf Seite 35 ganz oben an. Diese Tabelle ist mit den vom RKI in den Tagesberichten veröffentlichten und dann aufaddierten COVID-19-Daten vergleichbar, denn hier wurde die gleiche Methodik verwendet.
Ach so, ja, hatte ich vergessen. Tatsächlich sind die "bestätigten" Todesfälle wohl auch damals schon nicht medizinisch exakt ermittelt worden, da haben Sie Recht.
Oops. Mir ist gerade fast der gesamte Satz von Argumenten aus meinem Blogpost im "ZDF Frühstücksfernsehen" wiederbegegnet.
"Diese Tabelle ist mit den vom RKI in den Tagesberichten veröffentlichten und dann aufaddierten COVID-19-Daten vergleichbar, denn hier wurde die gleiche Methodik verwendet."
Man muss natürlich sorfältig vergleichen. Die Grippewelle war damals schon abgeklungen und man muss noch die Testzahlen berücksichtigen. Das wäre ein Thema für einen ganzen weiteren Blogpost.
Ich würde jetzt ungern anfangen wollen, exponentielles Wachstum zu bashen, sonst müssen wir bald den Hefeteig verbieten. ;-)
Exponentielles Wachstum könnte auch sehr hilfreich sein, im Bewusstsein. Wenn sich bestimmte Einsichten erst langsam und dann bei immer mehr Menschen durchsetzen. Einen Wachstumszwang des Kapitalismus kann ich nicht erkennen – ich erkenne Wachstum, aber keinen Zwang dazu, etwa, wenn jemand bestimmte Nischenprodukte herstellt, die nur er herstellen kann und mit einer begrenzten Stückzahl zufrieden ist: Etwa Winzer, Autoren, Köche, Gitarrenbauer, Chirurgen und alles wo es primär um Qualität geht ... –, wir haben überdies die Möglichkeit bestimmte Bereiche von der kapitalistischen Logik, falls sie denn so ist, abzukoppeln, das diskutieren wir ja gerade beim Gesundheitssystem und auch da dürfen einige Bereiche ja ruhig was verdienen, nur das gesamte System sollte nicht darauf ausgerichtet sein Gewinne abwerfen zu müssen, es reicht, wenn es kranke Menschen gesund macht und alten Menschen ein würdiges Leben ermöglicht.
Bei hinreichendem Bewusstsein haben wir die Möglichkeit das System für unsere Bedürfnisse zu nutzen (oh Wunder, dafür war's ja dereinst gedacht), statt sich den Bedürfnissen des Systems durch Selbstausbeutung anzupassen. Ich muss mich doch nicht widerstandslos versklaven lassen, ich würde sogar ermuntern das nicht zu tun. Nun kann man auch noch bis 2687 auf die Revolution warten, aber dann bin in tot, also lebe ich doch lieber heute nach meinen Bedürfnissen. Wenn ich kein hoffnungsloser Egozentriker bin, werde ich einsehen, dass auch andere Bedürfnisse haben und versuchen, diese durch meine Wünsche nicht total zu unterdrücken, aber die Suggestion, dies sei automatisch immer so, wenn man an sich denkt, ist Unsinn. Bei Corona ist Eigenschutz auf ein sozialer Akt, bei Orchester Freude an der Musik, nichts was anderen schadet, die brauchen das, damit das Orchester gut klingt, beim Sex ist es auch nicht schlecht, wenn jemand anderes auch mal mit Lust dabei ist und so geht es weiter und wenn ich nicht vor etwas buckle und einbreche, ihn fröhlich eingeübter Selbstentmündigung (der man sich durchaus freiwillig und gerne bedient) – nein, man muss kein asoziales Arschloch dafür sein – dann klappt's auch mit dem Umswitchen, dass man sich hier und da an Systeme (es gibt ja nun nicht nur eins) anpasst und sich in den Dienst einer Rolle stellt, dann aber wieder im Modes des reifen Ich Einwände gegen die Rolle hat und sich verweigert oder einfach nicht mitspielt. Da muss man dann natürlich Opfer bringen, aber es ist eine folgenschwere Illusion zu glauben, dass wenn man sich opportunistisch in jede Rolle fügt, man keine Opfer zu bringen hätte. (Zum Kleingedruckten gehört, dass es aber immer auch Menschen gibt, denen genau das reicht und die von anderem überfordert wären. Zwangsbeglückungen tun nun mal auch nicht gut.)
„Ich habe das analysiert und werde morgen in einem Nachtrag unter dem Blogpost zeigen, dass es im Bereich des Möglichen iiegt, dass die tatsächliche Zahl von gleichzeitig Infizierten bereits sinkt.“
Davon gehe ich auch aus. Bei 1000-fach höherer Infiziertenraten, wären aktuell 125% der Bevölkerung infiziert, da es aber bei 66% keinen Anstieg mehr geben kann und 125 von 100 auch eine komische Zahl ist ...
„Man muss planen.“
Ja, aber bei den Planungen geht es doch eher um die Spezialfragen danach, wie man Alte und Vorgeschädigte schützt (und wer eigentlich dazu zählt). Solange, man nicht sagen kann, dass es eine für alle Bevölkerungsgruppen ungefährliche Zahl gibt.
Was die Todeszahlen in Relation zur Infiziertenzahl angeht, so ist mir klar, dass eine Dunkelziffer von 10x mehr, bedeuten würde, dass die Letalität um den Faktor 10 abnimmt und so weiter. Aber wie gesagt, um den Faktor 1000 geht nicht, da dann 125% infiziert wären und bei der Frage, ob Covid-19 nun bei der Letalität größer, gleich oder etwas geringer als die Influenza-Stämme ist, lautet ja die Frage, was daraus folgen würde, sagen wir meinetwegen, sogar für den Fall, dass sie etwas geringer wäre.
Das würde doch keinen therapeutischen Nihilismus rechtfertigen. Selbst wenn Covid-19 'nur' ein Augenöffner wäre, der uns die Frage stellen lässt, was wir eigentlich – gesetzt, die Letalität läge so im Größenbereich Grippe – all die Jahre getan haben, es wäre wert, sich der Frage zu stellen und die Relation, zwischen Menschenleben und Wirtschaft neu zu stellen.
Gerne auch zu Ende gedacht. Ich erwähne schon der Fairness halber erneut mit, dass es die Linke ist, die beschwörend argumentiert, dass Armut Lebensjahre kostet. Das ist eher eine Korrelation als Kausalität, aber die Gründe dahinter gibt es tatsächlich und sie haben eher indirekt als direkt mit Armut zu tun. Wenn Armut aber Lebensjahre kostet, würde natürlich auch ein Einbruch der Wirtschaft eventuell Lebensjahre kosten (hängt vom Ausmaß ab). Dieses Argument kann man nicht einmal benutzen und dann ignorieren.
"Ja, im Herbst sieht es aller Wahrscheinlichkeit nach wieder blöde aus, wenn es bis dahin keine Impfung oder Therapie gibt. Dann sogar noch blöder als jetzt, weil dann mehrere Monate mit einer Witterung anstehen, die eine solche Epidemie begünstigt.
Genau deshalb sollte man aus meiner Sicht bis dahin so viel wie möglich sehr gute Information haben."
Also, wir haben natürlich sofort und immer einen Konsens, bei der Feststellung, dass mehr (hochwertige) Informationen besser sind, als weniger. "Infortmiert bleiben" ist auch in meinem Blog der erste Punkt.
Nur sind wir ja jetzt beim Feinschliff und ich glaube, dass die bisherigen Daten, wenn auch ein Stück weit der Not geschuldet, aus der Hüfte geschossen, so doch unterm Strich recht brauchbar sind.
Was nicht heißt, dass jede Verbesserung eben genau das wäre und da sind noch durchaus reichlich Fragen zu klären.
„Aber es gibt die Möglichkeit, zunächst einmal die sogenannte "Übersterblichkeit"(auch Excess mortality) abzuschätzen. Routinemäßig ermittelt in Deutshcland das RKI diese Übersterblichkeiten für Infektionskrankheiten.
Dabei wird der Hintergrund aller Sterbefälle bezogen auf gewisse Alterskohorten in einer Gesellschaft, ermittelt und dann der zusätzliche Effekt bestimmter, periodisch oder saisonal auftretender Infektionen abgeschätzt. Es bleibt eine Schätzung.“
Ich weiß, dennoch danke, für die Info.
„Nur nebenbei bemerkt, beleuchten diese Zahlen auch, warum die jetzige Epidemie nicht verharmlost werden darf. Ohne die einschneidenden Abstandsmaßnahmen und die gute Ausstattung mit Klinikbetten, sähe es duster aus, weil derzeit wenig wirkt, kommt es zu einem schweren Verlauf.“
Ich bin ja ebenfalls dieser Auffassung und rechne regelmäßig geduldig vor, dass die Höhe der Todeszahlen bei uns in Deutschland (und da noch regional unterschiedlich verteilt) von der Kapazität der Intensivbetten wesentlich mit abhängt, wobei schon ein Intensivbett zu benötigen eine ziemlich üble Geschichte ist.
„Andere Übersterblickeitsraten und Excess morbidity rates, die wiederum Basis für politische Entscheidungen wurden, entstanden z.B. durch Vergleiche von repräsentativen Alterskohorten in unterschiedlich mit Feinstaub belasteten Regionen.
Aus diesen Vergleichen leiteten sich auch die, vor allem von konservativen und liberalen Parteien und der Industrie so heftig angegriffenen EU- Richtlinien und die schweizer Richtlinien, auf Basis der Untersuchungen des BAFU, für Eingriffe in den Straßenverkehr ab.“
Ich bin absolut dafür, dass man auch hier interveniert. (Weil Sie gerade die EU Richtlinien erwähnen, Ihren Beitrag dazu im Freitag habe ich als Extraklasse empfunden und er hat meine Einstellung grundsätzlich verändert, um mal ein spätes Feedback zu geben.)
„L eider haben diese Studien, wie auch jene zu "Corona" und Feinstaub, die mittlerweile in den USA und in China durchgeführt wurden, einen gravierenden Schönheitsfehler. Das Rauchen ist als starker Faktor für Morbidität und Mortalität nicht ausgeschlossen worden.“
Ist ja auch nicht so leicht darauf zu kommen. ;-) Wie auch immer, es gibt gute Gründe immer weiter zu forschen und es gibt gute Gründe gegen eine wissenschaftlichen Absolutismus.
"Exponentielles Wachstum könnte auch sehr hilfreich sein…"
Natürlich kann es das sein. Aber in der Natur wie in der Kultur geht es nur bis zur Erschöpfung der Ressourcen oder der Zerstörung des Systems, welches so wächst. Die Menschen, die es es in Konzernzentralen oder Banken realisieren sind ja nicht von Natur aus böse, sondern Gefangene ihres eigenen Handelns. Wer nicht mitmacht unterliegt oder wandert in die Nische aus. Die meisten Menschen haben aber nicht einmal diese Wahl.
Die Beispiele, die Sie aufführen sind so richtig wie aber auch irrelevant. Es sind Nischen. Wie viele von solchen (Qualitäts-)Produkten gibt es nicht mehr? Wir bewundern einige davon noch in Museen. Manche kennen wir noch aus eigener Erfahrung (s. Lebensmittel). Alle haben das Problem, dass sie sich nur temporär halten können, bis etwas kommt, was erfolgreicher ist. Das muss nicht unbedingt besser sein. Richard Sennett hat viele dieser Prozesse beschrieben. Besonders lesenswert in diesen Tagen zu dem von Ihnen angesprochenen Problem ist sein „Homo-Faber-Projekt“.
Wir haben hier in diesem Land und zu dieser Zeit als Individuum die Freiheit, so zu handeln, wie Sie es tun und beschreiben. Allerdings würde ich bestreiten wollen, dass die Gesellschaft darauf angelegt war, "unsere Bedürfnisse" zu befriedigen. Das ist erst, und noch vollkommen unzulänglich, durch schwere Kämpfe vor unserer Zeit durchgesetzt worden. Wie fragil das Ergebnis ist, zeigt sich gerade in einer solchen Krise. Richard Sennett hat es in einem Interview mit dem Tagesspiegel dargelegt.
„Natürlich kann es das sein. Aber in der Natur wie in der Kultur geht es nur bis zur Erschöpfung der Ressourcen oder der Zerstörung des Systems, welches so wächst.“
Wir haben aber nicht nur ein oder zwei Systeme, sondern sind, je nach theoretischer Sichtweise ja von Systemen umzingelt (oder sogar selbst welche, bzw. aus solchen bestehend), von denen man sich dann – erneut, je nach theoretischer Sichtweise – aussuchen kann, ob sie einander nur irritieren oder beeinflussen.
Wir sehen gerade, wie Systeme der biologischen Umwelt und der medialen Aufmerksamkeit auf das System Wirtschaft einwirken und diese Lähmung ihrerseits auf das System Wetter (Luftqualität). Nur ein minimaler Ausschnitt des Ganzen, das niemand vollständig betrachten kann.
„Die Beispiele, die Sie aufführen sind so richtig wie aber auch irrelevant. Es sind Nischen. Wie viele von solchen (Qualitäts-)Produkten gibt es nicht mehr?“
Vielleicht wollen Sie sie ja wieder haben. Das beste Mittel gegen dekadentes Prassen ist Qualität. Diese zu würdigen ist aber ein Weg, den man lernen muss. Für Kinder ist süß lecker und einfache Kinderlieder sind toll, ebenso Märchen. Ist vielleicht auch später noch nett, nur sollte man hier nicht stehen bleiben oder weniger sollend: nicht jedem reicht das.
„Wir bewundern einige davon noch in Museen. Manche kennen wir noch aus eigener Erfahrung (s. Lebensmittel).“
Ganz so ist es ja nicht. Ich lese ja gerade Habermas, weil ich Habermas lesen will und nicht irgendwas mit Philosophie. Ich trinke sehr gerne Wein, habe aber durch meinen strengen Weinhändler gelernt, dass und vor allem warum, grob gesagt, Supermarktweine alle für die Tonne sind. Das Spektrum des Geschmacks, was Wein bieten kann, wird dort, wo Weine für den Mainstreamgeschmack designed werden, zu vielleicht 5% abgedeckt, so dass in diesem schmalen Korridor alle ihre 'lecker' Erfahrung machen und den Rest überhaupt nicht kennen, dazu kommt noch, würden sie ihn kennen, gar nicht mögen würden. Dahin muss man sich aber erst mal durchsaufen, Analoges gilt aber beim Essen oder bei Literatur, Musik, Moral ...
Das mag man elitär finden (ist es) oder dekadent (eher nicht, sondern das Gegenteil), doch es geht um ein Training der Differenzierung, des eigenen Differenzierungsvermögens. Die gute Nachricht dabei ist, dass man überall anfangen kann und es zwar kein absoluter Selbstläufer ist, aber mehr Differenzierungsvermögen in dem einen Bereich, zieht häufig auch mehr in einem anderen nach sich. Und undifferenziert zu leben, ist nun eigentlich nicht das, worum es gehen kann oder was allen reicht. Hohe Differenziertheit beißt sich übrigens nicht mit Einfachheit, im Zen findet man beides vereint. Hochdifferenziertes Leben und Erleben, bei einer großen Schlichtheit.
„Alle haben das Problem, dass sie sich nur temporär halten können, bis etwas kommt, was erfolgreicher ist. Das muss nicht unbedingt besser sein.“
Das ist doch schon mal ne gute Einsicht, dass erfolgreicher und besser nicht zwingend zusammen fallen. Ein gutes, erfolgreiches, erfülltes, glückliches … Leben, bei allem gibt es Überschneidungen, aber keine Identitäten. Was bringen mir Erfolg und Ansehen, wenn ich unglücklich bin? Auch da lohnt es sich, von der stupiden Ansicht, Geld allein würde alles besser machen, mal wegzukommen.
„Wir haben hier in diesem Land und zu dieser Zeit als Individuum die Freiheit, so zu handeln, wie Sie es tun und beschreiben. Allerdings würde ich bestreiten wollen, dass die Gesellschaft darauf angelegt war, "unsere Bedürfnisse" zu befriedigen.“
Das ist doch wurscht. Klar kann und soll man die Gesellschaft verbessern und klar gehören dort, wo es an Basics fehlt an aller erster Stelle die Basics dazu. Aber tun wird doch bitte nicht so, als seien immer, ausschließlich und allein die Umstände und die anderen für mein Leben verantwortlich. Das ist systematische Selbstentmündigung, auf dem Kinderniveau. Jeder bracht andere, jeder braucht Hilfe, besonders am Anfang und Ende des Lebens und auch immer wieder zwischendurch, wer jedoch nur jammert und auf sich schaut, wird niemals anderen helfen, aber wie der Kuckuck andere versuchen aus dem Nest zu schmeißen. Freilich, der Mensch ist intelligent, tarnt man seinen Egozentrismus als sozialen Akt. Man höhlt dann das Schweinesystem aus, dadurch, dass man es bluten lässt, ein wahrhaft revolutionärer Akt, der noch immer mehr Konsumwünsche als solchen verkaufen kann. An die Schwachsinnsnummer, die überaus bequem ist, haben sich viel zu viele Linke gewöhnt.
„Das ist erst, und noch vollkommen unzulänglich, durch schwere Kämpfe vor unserer Zeit durchgesetzt worden. Wie fragil das Ergebnis ist, zeigt sich gerade in einer solchen Krise. Richard Sennett hat es in einem Interview mit dem Tagesspiegel dargelegt.“
Sich eine Meinung darüber zu bilden, wie viel Freiheit oder Zwang man braucht, das ist eher nicht so mein Ding. Ich bin dezidiert für Eigenverantwortung (und gegen jene, denen dazu nur FDP einfällt), setze auf die prinzipielle Einsichtsfähigkeit des Menschen (qua Reflexion), weiß, dass das fragil ist (und rede nicht umsonst an jeder passenden und unpassenden Stelle von Regressionen) und denke dennoch, dass Krisenzeiten besondere Zeiten sind, bei denen andere Regeln kurzfristig gelten müssen, diese muss man danach aber dann auch wieder kassieren und „Krisen“ dürfen nicht, weil sie dem Staat so gut passen, inszeniert werden.
Wenn ich kurz kritisch werden darf, ohne es böse zu meinen: Die Putinversteher sind es, die sich fragen müssen, wie ihre heimliche, aber doch gut erkennbare Lust am starken Mann mit ihrer Kritik an autoritären Strukturen und dem Zwang des bösen Kapitalismus zusammen geht. Inwieweit Sie sich angesprochen fühlen, bleibt Ihnen überlassen, aber so von wegen Differenzierungsvermögen, wäre mein Appell an jene, die hier nur reflexhaft auf politisches Lagerdenken umschalten können, doch mal den Schritt in die Freiheit des Denkens zu tun und sich zu fragen, wie man diesen Selbstwiderspruch aufgelöst bekommt.
Aus meiner Sicht unterscheiden wir uns nur in einem Punkt. Der ist allerdings wesentlich. Unsere Freiheit, all die schönen Dinge zu tun, die Sie aufzählen und die auch ich genießen darf, enden dort, wo das übergordnete System sie nicht mehr zulässt. Wie schnell so etwas gehen kann, erleben wir gerade drastisch. Das wird in dem Ausmaß nicht dauerhaft so bleiben, kann aber jederzeit wiederholt werden. Und die absolute Mehrheit der Menschen auf dieser Welt hat diese Wahl nicht. Insofern sind wir Nutznießer dessen, was Eugen Ruge als "Unser schicker Kapitalismus mit tödlichem Antlitz" darstellte, worauf ich ja schon oben verwies. Unsere individuelle Verweigerung wird von ihm solange toleriert, wie es nicht an die Substanz geht. Adorno hat es in der "Negative(n) Dialektik" schon lange dargelegt. Hier aus dem ersten Absatz der Einleitung:
"Philosophie, die einmal überholt schien, erhält sich am Leben, weil der Augenblick ihrer Verwirklichung versäumt ward. Das summarische Urteil, sie habe die Welt bloß interpretiert, sei durch Resignation vor der Realität verkrüppelt auch in sich, wird zum Defaitismus der Vernunft, nachdem die Veränderung der Welt mißlang... Praxis, auf unabsehbare Zeit vertagt, ist nicht mehr die Einspruchsinstanz gegen selbstzufriedene Spekulation, sondern meist der Vorwand, unter dem Exekutiven den kritischen Gedanken als eitel abzuwürgen, dessen verändernde Praxis bedürfte. Nachdem Philosophie das Versprechen, sie sei eins mit der Wirklichkeit oder stünde unmittelbar vor deren Herstellung, brach, ist sie genötigt, sich selber rücksichtslos zu kritisieren... Der introvertierte Gedankenarchitekt wohnt hinter dem Mond, den die extrovertierten Techniker beschlagnahmen. Die begrifflichen Gehäuse, in denen, nach philosophischer Sitte, das Ganze sollte untergebracht werden können, gleichen angesichts der unermeßlich expandierten Gesellschaft und der Fortschritte positiver Naturerkenntnis Überbleibseln der einfachen Warenwirtschaft inmitten des industriellen Spätkapitalismus. So unmäßig ist das mittlerweile zum Topos herabgesunkene Mißverhältnis zwischen Macht und jeglichem Geist geworden, daß es die vom eigenen Begriff des Geistes inspirierten Versuche, das Übermächtige zu begreifen, mit Vergeblichkeit schlägt. Der Wille dazu bekundet einen Machtanspruch, den das zu Begreifende widerlegt.
"dass Armut Lebensjahre kostet. Das ist eher eine Korrelation als Kausalität"
Ich glaube, wenn es um einen sozio-ökonomischen Einbruch geht, ist es Kausalität.
HIer ist ein Graph, der Zeit, was nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in Russland mit der Lebenserwartung geschah:
https://en.wikipedia.org/wiki/Health_in_Russia#/media/File:Russian_male_and_female_life_expectancy.PNG
Solche Befunde muss man meines Erachtens auch einbeziehen, wenn man zwischen verschiedenen Risiken abwägt. Wirtschaft ist eben nicht nur Geld für ein paar Aktienbesitzer. Wirtschaftlicher Erfolg oder Misserfolg und der soziale Zustand einer Gesellschaft bestimmen die Lebenschancen und die Lebenserwartung jedes Einzelnen ganz wesentlich mit.
„Unsere Freiheit, all die schönen Dinge zu tun, die Sie aufzählen und die auch ich genießen darf, enden dort, wo das übergordnete System sie nicht mehr zulässt. Wie schnell so etwas gehen kann, erleben wir gerade drastisch. Das wird in dem Ausmaß nicht dauerhaft so bleiben, kann aber jederzeit wiederholt werden.“
Ja, da müssen wir aufpassen. D'accord. Die Frage ist, hält man 'die Mächtigen' für prinzipiell bösartig (ich tue das nicht) und sich selbst für prinzipiell ohnmächtig (auch das tue ich nicht). Es ist ein Punkt, sich einem System anzupassen, der andere ist, Systeme an die eigenen Bedürfnisse anzupassen und dafür zu nutzen. In aller Regel geht das Hand in Hand und durchdringt sich ständig.
„Und die absolute Mehrheit der Menschen auf dieser Welt hat diese Wahl nicht.“
Kommt auch die Wertmaßstäbe an. Manche schaffen es ja auch, sich vor unserer Lebensweise geradezu zu ekeln.
Mir ist schon seit längerer Zeit klar, dass Freiheit nicht von jedem gleich gut ertragen wird. Und ich habe zu akzeptieren, dass es so ist. Ein Leben in konstanter Überforderung, ist m.E. kein gutes Leben, Zwangsbeglückungen sind eben genau das.
Was das Adorno-Zitat angeht, so bin ich da eher auf der Linie Brandoms, der dargestellt hat, dass Theorie und Praxis in dem was wir tun, nie getrennt sind. Im 'Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen' stellen wir immer wieder (implizite) Behauptungen auf, die wir dann auch über kurz oder lang wahr machen müssen. Manche dieser Behauptungen erfordern eine theoretische Präzisierung – bspw. die Frage wie gut oder schlecht der Kapitalismus ist – andere eine praktische, wenn ich behaupte, ich könnte 3 Minuten die Luft anhalten oder Krebs heilen, wäre es gut, wenn ich das irgendwann mal herzeigen kann.
Die allermeisten Lebenswege beinhalten fortwährend beides, eine Mischung aus theoretischen und praktischen Festlegungen, die uns logisch (inferentiell, würde Brandom sagen) auf weitere Festlegungen, festlegen und wechselseitg durchdringen. Wenn ich an Gott glaube und daran, dass er sich in der Bibel offenbart hat, sollte es für mich folgen, ein gottgefälliges Leben zu führen. Wenn ich die Prämisse, dass es Gott gibt nicht teile, entfällt der Rest natürlich auch. Beides beiflusst aber die Frage danach wo eine neue Verkehrsampel hin sollte oder wie gut, welcher Mundschutz ist, nicht,
Brandom ist aber nicht naiv und weiß natürlich, dass der theoretische Zwang zum Wahrmachen von Behauptungen nicht immer erfüllt wird, er selbst spricht in diesem Kontext von verbaler Schaumschlägerei (und das reicht durchaus an Adornos Dimensionen der Kritik), aber Brandom betrachtet den Alltag, das was wir im normalen Leben machen und will diese impliziten (also stillen) Normen explizit machen ('Making it Explicit', so der Originaltitel des Hauptwerks). Dort führen konstante Behauptungen, die nicht eingelöst werden, zu einem Statusverlust (er nennt das 'deontische Kontoführung') und diese sozialen Auf- und Abwertungen des sozialen Status, sind sehr wirkmächtig.
Erschwerend und Brandom leicht widersprechend (aber wirklich nur leicht) kommt aber hinzu, dass das, was man Gründe oder Argumente nennt, inzwischen oft kaum noch dem entspricht, was man ansonsten so nennt. Oft werden Klischees als Gründe gehandelt und man lässt sich mit geistigem Fast Food abspeisen. Das ist nicht gut, das stört uns beide.
Letztlich ist es aber nicht so, dass es die eine Gruppe der vermeintlich Wissenden gibt, die einer anderen der vermeintlich Dummen gegenüber steht, sondern ich denke, dass die Sicht, dass es a) hierarchisch sehr verschiedene und b) auch noch anderweitig ausdifferenzierte Interpretationscluster oder Weltbilder oder Lebenswelten gibt. Das erschwert den Dialog, aber wir sind halbwegs überzeugt, dass man sich im Großkontext der Vernunft wieder trifft. (Ich bin letztlich vermutlich kein Rationalist, aber würde mich dieser Auffasung dennoch als weitreichend wahr, anschließen.)
"Solche Befunde muss man meines Erachtens auch einbeziehen, wenn man zwischen verschiedenen Risiken abwägt. Wirtschaft ist eben nicht nur Geld für ein paar Aktienbesitzer. Wirtschaftlicher Erfolg oder Misserfolg und der soziale Zustand einer Gesellschaft bestimmen die Lebenschancen und die Lebenserwartung jedes Einzelnen ganz wesentlich mit."
Vollkommen klar, ich würde das sogar noch breiter fassen und vernetzter sehen, hier mit zwei Zitaten, die für sich selbst sprechen.
„Vamik Volkan (1999) hat dargelegt, wie nationale Identität schon früh in die individuelle Ich-Identität durch Sprache, Kunst, Sitten und Gebräuche, Speisen und vor allem transgenerationale Weitergabe von Narrativen historischer Triumphe und Traumata als Teil eines gemeinsamen Kulturguts eingewoben wird. Die individuelle Vielfalt der Menschen, die sich im Umfeld des Kindes und jungen Erwachsenen bewegen und die durch gemeinsame kulturelle Traditionen verbunden sind, trägt so zur Stärkung der Ich-Identität bei: Die Beziehung zu unterschiedlichsten Objekten lässt unterschiedlichste Selbstrepräsentanzen entstehen, die über gemeinsame Merkmale verbunden sind und die im Zuge der Entwicklung von der paranoid-schizoiden zur depressiven Position integriert werden müssen. (Otto F. Kernberg, „Liebe und Aggression“, Schattauer 2014, S. 330)
„Zahlreiche Faktoren, ob einzeln oder in Verbindung miteinander wirksam, können den Wechsel einer herrschenden gesellschaftlichen oder politischen Ideologie in Richtung eines paranoiden Fundamentalismus beschleunigen, insbesondere in einer Kultur in der es eine große Bereitschaft für Rassismus und kriegerische religiöse Auseinandersetzungen gibt. Zu diesen Faktoren gehören schwere gesellschaftliche Traumata, wie z.B. die Niederlage in einem Krieg oder der Verlust nationaler Territorien, wirtschaftliche Krisen, die Bedrohung durch feindliche Gruppierungen im Innern oder durch äußere Feinde, die Zugehörigkeit zu einer sozial benachteiligten oder unterdrückten Klasse. All diese Bedingungen können die Regression der Gruppe zu einem gewalttätigen Mob oder einer Massenbewegung machen.
Zusammenfassend können wir festhalten: Zu den vielen verschiedenen Faktoren, die die massive Regression einer Bevölkerungsgruppe auslösen können und gesellschaftlich sanktionierte Gewalt sowie den Zusammenbruch aller bislang gültigen Moralvorstellungen und zivilisierten menschlichen Umgangsformen nach sich ziehen, gehören
- unverarbeitete soziale Traumata,
- fundamentalistische Ideologien,
- primitive, insbesondere maligne narzisstische Führung,
- eine effiziente, rigide Bürokratie sowie
- die durch eine Finanzkrise oder gesellschaftliche Revolution hervorgerufene Auflösung herkömmlicher gesellschaftlicher Strukturen und der damit verbundenen Aufgabensysteme.
Bracher (1982) hat dargelegt, dass staatliche Kontrolle der Wirtschaft, der Streitkräfte und insbesondere der Medien, die Machtübernahme durch eine totalitäre Führung zusätzlich fördert.” (ebd S.331)
"Die Frage ist, hält man 'die Mächtigen' für prinzipiell bösartig (ich tue das nicht)"
Zwischendurch beim Kaffeekochen: Ich halte die Mächtigen auch nicht für prinzipiell bösartig.
Nur ist es eben so, dass Sicherheitspolitiker eine solche Situation instinktiv ausnutzen und dass in Krisensituationen auch von anderen Politikern schon mal gern die Macht mit festerer Hand ausgeübt wird. In gewissem Grade ist das sogar nötig, weil man die (panische und mitunter störrische) Herde unbedingt zusammenhalten muss, wenn ich das mal so salopp sagen darf.
Problematisch wird es, wenn man durch die eigenen Aktionen die Herde noch panischer oder noch störrischer macht, was dazu führt, dass man die Macht noch fester ausüben muss, was zu Widerstand führt, was dazu führt, dass man die Macht noch fester ausüben muss usw. usf.
Ich denke, die meisten hier sind sich einig, dass Krisen besondere Maßnahmen erfordern und da ist es eben gut, kurz, knapp und im Zweifel rigide zu sein, wenn man einen Weg durchsetzen will oder muss, der unterm Strich allen hilft.
Wir werden aber auch einig sein, dass diese Maßnahmen kein Scheunentor sein dürfen und - notfalls mit dezenter Erinnerung - wieder zurück gefahren werden sollten.
Wenn wir aus der Krise was lernen wollen, muss die neue Welt ja besser werden, nicht gleich mit neuem Ärger beginnen.
Fundierter Beitrag, keine Frage, aber ich muss gestehen, dass mir eine Stelle in dem Text am besten gefallen hat, die, Überraschung in diesen Tagen, so überhaupt nichts mit Corona (Virus oder Gerstensaft) zu tun hat - sie lautet:
"Es hat ja, ehrlich gesagt, auch gar keinen Sinn, einen Text zu schreiben, der im Mainstream liegt, sofern man nicht ein extrem guter Stilist ist."
Das musste mal gesagt werden, uns allen ins Stammbuch.
In Starker Virus - schwache Demokratie beschreibt Peter H. Grassmann einen sehr weitreichenden Ansatz für Veränderungen. Der sollte möglichst breit diskutiert und umgesetzt werden.
Stepan Schleim schreibt an gleicher Stelle (Zahlen und Logik der Corona-Krise) etwas über Zahlen und deren Implikationen.
Ich habe nun eine Abbildung (leider nur als Link) und Erklärungen dazu als Nachtrag hinzugefügt. Darin wird anhand der Originaldaten des Robert-Koch-Instituts illustriert, wie der Kurvenverlauf der Infektionsrate nach den notwendigen Korrekturen wahrscheinlich aussieht.
"dass die bisherigen Daten, wenn auch ein Stück weit der Not geschuldet, aus der Hüfte geschossen, so doch unterm Strich recht brauchbar sind."
Ich denke, sie sind stark irreführend. Wenn Sie die Abbildung in meinem Nachtrag ansehen, wird vielleicht klarer, was ich meine.
„Dieses Virus beeinflusst in einer völlig überzogenen Weise unser Leben. Das steht in keinem Verhältnis zu der Gefahr, die vom Virus ausgeht. Und der astronomische wirtschaftliche Schaden, der jetzt entsteht, ist der Gefahr, die von dem Virus ausgeht, nicht angemessen. Ich bin überzeugt, dass sich die Corona-Sterblichkeit nicht mal als Peak in der Jahressterblichkeit bemerkbar machen wird ...
So sei bisher in Hamburg kein einziger nicht vorerkrankter Mensch an dem Virus verstorben. „Alle, die wir bisher untersucht haben, hatten Krebs, eine chronische Lungenerkrankung, waren starke Raucher oder schwer fettleibig, litten an Diabetes oder hatten eine Herz-Kreislauf-Erkrankung.“ „Wir hatten – das weiß noch keiner – gerade auch die erste 100-Jährige, die an Covid-19 verstorben ist.“ Ob es da auch der letzte Tropfen gewesen sei? „Der allerletzte“, so Püschel..."
Professor Klaus Püschel, Chef der Hamburger Rechtsmedizin
https://www.mopo.de/hamburg/rechtsmediziner--ohne-vorerkrankung-ist-in-hamburg-an-covid-19-noch-keiner-gestorben--36508928
Rechtsmediziner Klaus Püschel in: Wir können Infektionen nicht verhindern.
Zitat: "Ehrlich gesagt ist es mir lieber, wenn ich das Virus jetzt bekomme, dann habe ich es hinter mir, wenn in drei Monaten wieder die Lokale offen sind. Alle, die diese Infektion im Moment nicht haben, werden sie in den nächsten ein, zwei Jahren sowieso bekommen, bis wir eine Herdenimmunität haben."
Das erscheint mir plausibel, wobei ich eine spätere Infektion vorziehen würde (also das Gegenteil seiner Vorstellung), denn dann dürfte es wohl auch bessere medizinische Antworten geben.
"Das erscheint mir plausibel, wobei ich eine spätere Infektion vorziehen würde"
Genau das habe ich ganz am Anfang der ganzen Sachen meinen MItarbeitern gesagt. Auch dass es gesellschaftlich sinnvoll ist, die Kurve abzuflachen.
Man muss sich aber schon fragen dürfen, welchen Preis man dafür zahlen sollte, sie beliebig stark abzuflachen und ob das - auch aus epidemiologischer Sicht - überhaupt sinnvoll ist.
Darauf hatte ich im Zietz-Blog diesen Vorschlag gemacht.
Die Abbildung hatte noch einen Fehler (zu spät abends). Die richtige ist hier.
Ich habe mir nun Ioannidis Vorwürfe an die Adresse der WHO, bezüglich der Sterberate an Corona, 3,4% und an Influenza 1%, sowie seine Interpretation der Diamond Princess- Infektionswelle nochmals angesehen.
Ausbruch von "Corona" auf dem Kreuzfahrschiff Diamond Princess:
Ich komme da, bei nun 712 gesichert Infizierten und 12 Toten, auf eine Letalität von ~1,7 %.
Wenn ich, wie Prof. Ioannidis, diese tatsächlich sehr krude und wahrlich nicht repräsentative Berechnung auf die USA übertrage, so sind das, bei ~330 Mio. BürgerInnen, ca. 5.610.000 Millionen zusätzliche Sterbefälle. Selbst wenn die Infection fatality rate nur bei 0,5% läge, wären das ca. 1.650.000 Millionen Versterbende.
Die vorwiegend älteren Reisenden waren nur bezüglich des Alters eine wirkliche Risikogruppe (ein einfacher Dm II oder ein gut eingestellter Bluthochdruck, in diesem Alter häufige, aber eben auch nicht auf ein Frühversterben hinauslaufende Leiden ausgenommen). Personen, die aufgrund von Vorerkrankungen erwartbar oder gar sicherlich unter eine zusätzlich erworbenen, schweren Lungeninfektion hätten sterben können, waren nicht an Bord. Es reisten eher die Happily seasoned elderlies.
Mir wichtig: Die japanischen Wissenschaftler, die sich um den Hotspot kümmerten, schreiben, dass ca. ein Fünftel aller infizierten Fälle an Bord keine Symptome zeigte. Andere Untersucher aus Japan und den USA und GB, fanden, dass nach den strikten Isolierungsmaßnahmen, die Neuinfektionsrate erheblich sank.
Die WHO selbst schreibt, in dem Statement das Ioannidis zitiert, wie auch andere Autoren, die sich mühten, zumindest ein gutes Drittel der Influenza- Inzidenz und Mortalitätsstudien zu analysieren dass die Abschätzungen der realen Sterberaten schwer und unsicher sei, selbst dann, wenn eine Infektionswelle abgelaufen ist.
Zur aktuellen "Hysterie", ein kleiner Scherz muss sein, um die wahrhaft genaueste Methode, Covid-19 Todesfälle zuzuordnen, noch eine kleine Verwirrung.
Dass es viele falsche Zuschreibungen gibt (Wäre verstorben, auch ohne "Corona", wäre auch mit einer anderen Pneumonieform, z.B. Influenza, verstorben) kann nicht bestritten werden. Genauso aber, wurden, das zeigt sich gerade in New York, häusliche Auffindfälle, die sich in den letzten Tagen dort ungewöhnlich häuften, im Vergleich mit dem Vorjahreszeitraum, nicht unter Covid-19 verbucht. Das hat nun das Gesundheitsdezernat der Stadt geändert.
Beste Grüße
Christoph Leusch
"Wenn ich, wie Prof. Ioannidis, diese tatsächlich sehr krude und wahrlich nicht repräsentative Berechnung auf die USA übertrage..."
Das ist eine Milchmädchenrechnung, weil die Alterstruktur ganz anders ist, worauf Ioannidis auch hinweist.
Vom RKI gibt es bezüglich der Alterstruktur der Todesfälle in Deutschland Information, wie ich im Blog auch angegeben hatte. Sie wird täglich aktualisiert. Ich verwende hier das Bulletin von gestern (es ist Tab. 2 auf Seite 5). Nur 5,5% der Todesfälle betrifft Menschen, die jünger als 60 Jahre alt waren.
Damit weicht die Altersverteilung der Passagiere der Princess Diamond in Bezug auf die Letalität von COVID-19 sehr stark von derjenigen der US-Gesamtbevölkerung ab.
"dass nach den strikten Isolierungsmaßnahmen, die Neuinfektionsrate erheblich sank"
Man würde das ja schon auch erwarten. Man kann aber daraus nicht darauf schliessen, wie sich der Anstieg der Neuinfektionsrate ohne Isolierung entwickelt hätte (siehe meine Abbildung im Nachtrag und deren Diskussion).
Noch kann man allein deswegen, weil es keine Infektionsübertragung mehr gibt, wenn Menschen einander übrhaupt nicht mehr begegnen, verlangen, dass niemand niemandenm mehr physisch begegnet. Man muss eine Abwägung anstellen, wie restriktiv man sein sollte. Das ist nicht schwarz oder weiss.
Diese Abwägung sollte sich nicht auf Panikmache stützen, sondern auf Information, die so gut und möglich ist und auf eine Diskussion des Pro und Contra von Restriktionen, die so umfassend wie möglich ist.
Obwohl ich den Stephan Schleim gut finde, weil er mir mal mit einer überzeugenden Recherche aufgefallen ist, fand ich beide Artikel nicht so doll, vielleicht aber auch nur, weil ich mich ja nun auch täglich mit dem Kram befasse und da gibt es dann natürlich irgendwann immer weniger von dem, was man noch nicht gehört hat.
Der erste Artikel von Grassmann ist noch viel weniger meiner, weil ich stets Bedenken habe, wenn Leute nachher immer schon alles vorher gewusst haben. Ich nehme ja nicht notorisch Politiker in Schutz und sicher haben die Möglichkeiten zu delegieren, aber am Ende müssen sie aus all den Informationen, was denn demnächst wichtig ist oder wichtig werden könnte, ja auch das raus suchen, womit man konkret etwas anfangen kann.
Das RKI ist vielleicht gerade deshalb defensiver geworden – was ich gut finde – weil es ein Horrorszenario nach dem anderen an die Wand geworfen hat, ich finden Kekulé hat bei der Vogelgrippe (jetzt verbieten sich ja bissige Bemerkungen) keine gute Figur gemacht. Auch heute muss man ja genau mit dem rechnen, was gerade niemand auf dem Schirm hat. Wer hatte Fukushima auf dem Schirm, wer die Bankenkrise 2007/8 und den den 9.11. 2001 oder eben jetzt Corona und wer hat alle vier prognostiziert?
Vielleicht ist es 2025 hat eine fetter Stromausfall, oder eine Cyberattacke, vielleicht aber auch 'nur' eine Altersarmut, weil die Produktivität durch eine Krise nach der anderen doch gar nicht mehr der Normalfall ist, oder wirklich sich still verbreitende Seuchen (HIV, Tbc, Syphilis, Diphterie), in Kombination mit Antibiotikaresistenzen keine reine Freude.
Aber Leben kann nicht nur eine Fixierung und ein Ausschließen von Risiken sein, das klappt schon individuell nicht und die quälende Hypochondrie oder angstvolle Vermeidungsszenarien als Lebensansatz, na ich weiß nicht.
Grassmann schreibt dann konstruktiv eigentlich nur: „Mein Vorschlag wäre, dass die Parteien zukünftig auf eine gute Mischung der unterschiedlichen Berufsgruppen und Kompetenzen achten müssen und im Gegenzug das Direktmandat entfällt.“
Da drängt sich die Frage danach, was denn eine gute Mischung ist – genau darum, das zu erkennen, ginge es ja – geradezu auf. Es setzt sich doch kein Politiker hin und nimmt vorsätzlich eine schlechte Mischung und es wimmelt ja geradezu von Beratern, die alle sagen, was denn ganz besonders wichtig ist. Denn wenn wir 500 Millionen Atemmasken eingelagert haben und dann das Trinkwasser wird vergiftet, Tiefseekabel fürs Internet sabotiert werden oder ganz old style Panzer auf der Straße stehen?
Aber, wie gesagt, solche Triumphe, es doch immer schon gewusst zu haben, mögen ja manche maßlos befriedigen – und es muss viel schief gegangen sein in einem Leben, wenn es nur das ist, was einen erfreut –, aber vergessen wir darüber bitte nicht, wie eine demnächst bessere Welt aussieht und da gehört für mich Kritik an den Verhältnissen dazu, aber eben auch Vorschläge, wie man es denn selbst gerne haben würde und wie man sich den Weg dahin vorstellt.
Schleim hat sicher Recht, wenn er (auch er) unexakte Zahlen moniert, aber ich denke, es wird auch nirgends suggeriert als sei es anders. Und ich erwarte nicht von jedem, dass er sich knietief einarbeitet. Das ist nicht der Schrott um den es mir ginge, der ist grundsätzlicher. Etwa 80% der Italiener könnten keine Fake News erkennen, hörte ich gestern, die meisten Deutschen können keine Sätze mehr verarbeiten, die mehr als 13 Wörter haben. (Der vorherige Satz wäre schon doppelt zu lang.) Die Tagesschau wurde und wird größtenteils nicht verstanden.
Ich glaube, auch wieder im Zusammenhang mit Corona, dass man grundsätzlicher ansetzen muss. Von ganz einfach: Hat eine Seite ein Impressum, über: kopiere den Herausgeber oder Verantwortlichen, setzte den Namen in in eine Suchmaschine und lies, wer das ist. Über: Gibt es zu einer Behauptung eine Studie? Wie groß ist die Studie? Was unterscheidet gute von schlechten Studien, bis zur Kritik oder Diskussion ganz grundlegender Prämissen und Konsequenzen daraus. Weder ist 'die Wissenschaft', noch der Naturalismus, noch die Statistik, noch die Logik irgendwie unantastbar. Aber wichtig ist auch daran nicht, sich in Sensatiönchen und Spekulationen zu überbieten, was alles sein könnte, sondern ernsthaft zu fragen, was wäre, wenn z.B. die Logik 'nur'(?) eine menschliche Erfindung wäre – was ziemlich sicher der Fall ist, andernfalls ergäbe sich sofort ein Dualismus, den kein Mensch erklären kann. Was würde das denn heißen und was nicht? Sprache, Werte, DIN-Normen sind ja auch 'nur' Erfindungen, oder? Und gibt es echte kontextunabhängige 'hard facts', Dinge, die ganz einfach so sind? Immer und für alle? Viele glaube ja, aber den allumfassenden 'Blick von Nirgendwo' hat dann doch keiner. Da ist wirklich Musik drin und der Clou ist, dass es weitaus weniger vom Alltag entfernt ist, als man meint.
+ @ Gunnar Jeschke:
„Dass es viele falsche Zuschreibungen gibt (Wäre verstorben, auch ohne "Corona", wäre auch mit einer anderen Pneumonieform, z.B. Influenza, verstorben) kann nicht bestritten werden.“ (Columbus)
Das ist aber nun doch gar nicht der Punkt, weil das ja auch niemand ernsthaft bestreitet und wir das eigentlich schon diskutiert hatten.
Der wesentlich Punkt ist die Hybris, mit der man behauptet – oft ohne es zu wissen! – dass dieser oder jener Mensch ohnehin demnächst gestorben wäre.
Nun gibt es auch hier Menschen, die 97 Jahre alt sind, durchmetastasiert etc. pp., da ist dann alles lebensgefährlich, also auch Covid-19.
Aber wer weiß denn genau, ob der 76-Jährige Diabetiker sowieso in den nächsten Tagen (oder Wochen) gestorben wäre? Der möge mir doch kurz die Lottozahlen von demnächst diktieren. Stephen Hawking hatte man einen Tod in den 20ern prognostiziert, gestorben ist er dann 4 Jahrzehnte später. Auch der Diabetiker kann noch 15 Jahre leben, vielleicht ist es ein schönes Leben.
Dabei geht es mir nicht um eine Verdrängung des Todes. Diskussionen über Sterben, Tod, Sinn und so weiter finde ich sehr wichtig. Wir sollten nur bei aller Zahlenhuberei nicht vergessen, dass es um das Leben von Menschen geht und unser gesellschaftlich (idealer) Konsens ist, dass jedes Leben zählt.
Der hässliche Utilitarismus (der nebenher auch noch hoch spekulativ ist) ist nicht immer zu vermeiden, aber es ist wie mit den Restriktionen: Im Notfall muss es sein, im Normalbetrieb sollte es nicht sein.-
Was uns vermutlich alle nervt, ist die Instrumentalisierung des Lebens, insbesondere, wenn wir selbst instrumentalisiert werden. Wenn man nur noch eine Zahl ist, nach Wirtschaftskraft oder Restlaufzeit berechnet wird, oder danach, ob man bestimmte Merkmale (nicht) trägt, dann ist das reduzierend, instrumentalisierend (was bringt mir ein Kontakt?) und bleibt unter dem was menschlich möglich und ethisch wünschenswert ist.
Da Menschen aber auch egozentrisch sind, sei darauf hingewiesen, dass – konträr zu dem, was wir oft denken – viele Weisheitslehren zu der Auffassung kommen, dass die Sorge um den anderen das ist, worum es geht, wenn man selbst glücklich werden will. Es gibt diverse Forschungen, die das bestätigen, von Hirnscans bis zu Langzeitglücksstudien. Stabile und lange Beziehungen und Freundschaften, in denen man so sein darf, wie man ist, der andere auch, sind der Schlüssel zum Glück und das heißt, am Leben des anderen Anteil zu nehmen, mit zu leiden und sich mit zu freuen (statt Interesse zu heucheln und neidisch zu sein).
@ Gunnar Jeschke, @ Moorleiche, @ Grenzpunkt
So sachlich kann diskutiert werden, danke.
Lese Sie doch den Bezug meines Kommentars und dann meine Antwort, Moorleiche.
Mich nervte diese Diskussion um die erwartbar Versterbenden, in der Absicht die "Corona"- Epidemie in ihren Auswirkungen kleinzureden, auch. Daher habe ich doch, bezüglich der Diamond Princess, darauf verwiesen. Die "Corona" Sterbefälle sind dem Virus zuzuordnen.
In New York werden nun "Haus-Sterbefälle", deren Zahl deutlich von den Vergleichsmonaten vergangener Jahre abweichen, den "Corona"- Zahlen zugerechnet.
Ebenso störte mich die Diskussion um eine möglicherweise schon eingetretene hohe, angeblich im Dunklen verbleibende, Durchimmunisierung der Bevölkerung.
Aus Prof. Streeks und Kollegen Untersuchung in Gangelt, Kreis Heinsberg, ergibt sich derzeit, dass ca. 15% der Gesamtbevölkerung dort, eine Immunität entwickelt hat. Die Letalität im LK- Heinsberg lag bei 0,37%. Wenn man das auf Deutschland (81 Mio.) hochrechnet, was sehr grob vereinfacht ist, kommt man auf rund 300.000 Tote.
Die hoffnungsvolle Seite der Geschichte, für Deutschland, bald auch für ganz Europa:
1. Die alte Regel der Seuchenbekämpfung, Isolation, Abstand, hat sich bewährt und sowohl die schlagartige Ausbreitung, als auch die Überlastung der GS- Systems, bei uns verhindert. 2. Jetzt kann über Lockerungen des Shut downs entschieden werden. 3. Der Hauptübertragungsweg, Tröpfcheninfektion, lässt sich mittels einfacher Hygiene- und Abstandsregeln so steuern, dass, zusammen mit zusätzlichen Maßnahmen für Hochrisikogruppen (Heime), die trotzdem auftretenden schweren Infektionsfälle, ohne auswählen zu müssen (Triage), in den Kliniken behandelt werden können.
Beste Grüße und Mahlzeit
Christoph Leusch
Genau
Ich habe meine Darstellung eher moderierend gemeint, denn als Widerspruch und wollte den Ball in Ihre Richtung spielen.
Ihren Überlegungen bezüglich Prof. Streeks Ergebnissen stimme ich zu. Ich freue mich, dass wir nun immer besser Bescheid wissen, woran wir mit Covid-19 sind, allmählich wird die Sache rund.
"und unser gesellschaftlich (idealer) Konsens ist, dass jedes Leben zählt"
Sicher zählt jedes Leben. Trotzdem kann eine Gesellschaft nicht beliebig grosse Opfer bringen, um gewisse Todesfälle weniger wahrscheinlich zu machen - schon deshalb nicht, weil dadurch andere Todesfälle wahrscheinlicher werden.
Es ist wirklich keine schwarz-weiss Entscheidung. Es ist vor allem nicht realistisch, eine Gesellschaft vollständig nur darauf einzurichten, dass alle jetzt lebenden Menschen so lange wie irgend möglich leben und dem alles andere unterzuordnen. Das klingt gut, aber wenn man es zu Ende denkt, kommt es eben nicht gut heraus.
Es lebt vor allem auch keine einziger Mensch für sich selbst nach dieser Maxime.
Ja, kein Problem.
Mit dem Alltagszynismus, gerade was Heimbewohner, final Erkrankte und besonders demente Menschen angeht, kenne ich mich recht gut aus: "Das ist doch kein Leben"; "Der Tod wäre eine Erlösung"; "Er hätte ja sowieso nur noch ein paar Wochen zu leben"; ....Unter vielen wirtschaftlich Geschulten, geht es dann um die Kostenfragen, bei diesem Thema.
Das RKI macht seit Jahrzehnten die Sammelarbeit und die Empfehlungen bezüglich der infektiösen Erkrankungen, weil das sein Auftrag ist und der "Alarm" hat, unter uns Deutschen, die eben gerne mit Fahrkarte in Züge einsteigen, um der Strafe zu entgehen, eine Reaktion bewirkt, die uns das Schicksal Italiens, Spaniens und Frankreichs ersparte.
Und selbstverständlich gefällt mir das vorläufige amtliche und menschliche Zwischenergebnis, nämlich weniger Tote und möglichst keine Selektion in der med. Versorgung.
Wenn ich über Ostern Zeit habe und meine Schreibhemmung sich auflöst, berichte ich vielleicht einmal über einen jener "Hidden killers" unter den Infektionserregern, das Tuberkel.
Bei dieser chronischen, zum Himmel schreienden Skandal- Geschichte, kommen dann meine Lieblingsheldischen, die unermüdlich internationale WHO, die kleine und schöne Rummelsburgerin Margarete Steffin und John Keats vor.
Es taucht auch die BCG- Impfung auf, die immer noch die einzige Chance darstellt, kostengünstig alle Kinder dieser Welt vor der Tbc zu schützen.
Trotzdem schaffen es die 30- meistbetroffenen Länder und ihre besten reichen Partner in unserer Welt nicht, das entsprechende WHO- Programm auszufinanzieren.
Ein Mann, der sich für mächtig hält und es leider auch ist, droht gar derzeit der WHO. Ein anderer Mann, der mächtig ist und immer in rot gemalt wird, obwohl sein Land und dessen Aufbau, mit der Farbe nichts mehr gemein haben, hat zumindest bezüglich der Tuberkulose die Zeichen der Zeit erkannt und unterstützt die Pläne der machtlosen Internationalisten von der Weltgesundheitorganisation, weil sein Land eines jener Länder ist, in dem immer mehr resistente/multiresistente Mykobakterien auftreten.
Also weiter, weiter
Christoph Leusch
„Sicher zählt jedes Leben. Trotzdem ...“
Damit beginnt die Relativierung, die gerade dann immer schwieriger begründbar wird, je weiter man es zu Ende denkt.
Wenn es um die Summe der vergebenen Lebensjahre geht – was ja auch nur statistisch möglich ist – dann ist es immerhin so, dass man im Falle gravierender Armut noch auf Erholungseffekte hoffen kann. Wenn man tot ist, erholt man sich deutlich seltener.
„Es lebt vor allem auch keine einziger Mensch für sich selbst nach dieser Maxime.“
Das hat man dann aber auch selbst entschieden. Wen würden Sie denn gerne über den Wert und die Dauer Ihres Lebens entscheiden lassen?
Da ziehen wir wirklich an einem Strang. Der Tod hat vermutlich eine so breite Palette im Angebot, wie das Leben und man muss kein Kapitalismusfeind sein, um Nützlichkeitserwägungen als Maßstab, an ein Leben angelegt, abstoßend zu finden.
Schreibhemmung? Echt? Ist es nicht eher zu viel Ärger, oder zu wenig Erregung? Ein Thema muss ja auch über die Erregungsschwelle hüpfen, damit man, gerade bei umfangreicheren Recherchen am Ball bleibt. Eine zum Himmel schreiende Skandalgeschichte ist da doch schon mal eine gute Grundlage.
Dieser eine Mann überlegt vermutlich noch, welche Bombe er auf die WHO werfen könnte und vielleicht hat er auch das Land noch nicht auf der Karte gefunden. Naja, Müttern wird ja nachgesagt, dass sie ihren Kindern gesagt hätten, wenn man nichts Gutes über jemanden zu berichten wüsste …
"Wen würden Sie denn gerne über den Wert und die Dauer Ihres Lebens entscheiden lassen?"
Die Frage trifft das Problem nicht.
Ich glaube, das ist überhaupt das grosse Missverständnis in dieser Frage und bei gesellschaftlichen Fragen in westlichen Gesellschaften allgemein.
Der Mensch ist ein soziales Wesen, ein Herdentier meinetwegen. Deswegen ist es statistisch am Besten für alle, wenn die Interessen der Gesellschaft Vorrang vor den Interessen eines einzelnen Individuums haben. Das ist kein Widerspruch dazu, dass Gesellschaften (bis zu einem gewissen Grade) besser funktionieren, wenn Individualrechten ein hoher Wert zugeschrieben wird.
Wer aber eine Institution führt - und der Staat ist eine solche - der muss die Interessen aller Menschen in der Gesellschaft gegeneinander abwägen. Sie oder er kann nicht den Fokus auf nur eine Gruppe richten, die aktuell gerade gefährdet ist. Es geht um die Zukunft der ganzen Gesellschaft und da ist vieles zu bedenken.
Wie viele Bildungs- und Zukunftschancen kostet es die junge Generation? Welchen Einfluss haben unsere heutigen Entscheidungen auf die Sterbezahl nicht nur 2020, sondern auch 2021 und 2022? Erhöhen wir gerade die Kraft unserer Gesellschaft, mit solchen, ähnlichen oder ganz anderen Krisen in Zukunft umzugehen oder verringern wir diese Kraft?
Das sind unangenehme Fragen, insbesondere wenn ihre rationale Beantwortung zu der Entscheidung führt, dass wir um unser aller Zukunft Willen eine höhere Sterbezahl 2020 in Kauf nehmen müssen - weil wir sonst auf einen katastrophalen wirtschaftlichen (und in der Folge sozialen und organisatorischen) Zusammenbruch zulaufen, der viel mehr Menschen das Leben kosten wird.
Das ist ethisch schwierig, das ist emotional schwierig. Egal, welche Entscheidung man trifft, fühlt es sich hinterher nicht gut an, wenn man vorher darüber nachgedacht hat. Gut fühlen kann man sich nur mit der eindimensionalen, extremen Betrachtungsweise, die den Interessen der gefährdeten Gruppe ALLES andere unterordnet.
Aber - hier kommt mein Punkt - Leute, die das Dilemma nicht aushalten sondern ausblenden, sollten nicht führen.
Gute Antwort.
„Das sind unangenehme Fragen, insbesondere wenn ihre rationale Beantwortung zu der Entscheidung führt, dass wir um unser aller Zukunft Willen eine höhere Sterbezahl 2020 in Kauf nehmen müssen - weil wir sonst auf einen katastrophalen wirtschaftlichen (und in der Folge sozialen und organisatorischen) Zusammenbruch zulaufen, der viel mehr Menschen das Leben kosten wird.“
Genau das können Sie aber so wenig wissen, wie ich, man kann sich aber nahezu alles so hinrechnen, bis es passt, was Sie besser wissen, als ich.
Es gibt aber keine letzten Ende objektive Möglichkeit zu sagen, was wie viele Menschenleben fordert, denn da steht Ihnen Ihr eigenes Argument im Weg, was ja zum Teil richtig ist: Ist jemand mit 87, der durchmetastatsiert ist, eine COPD und Covid-19 hat nun an am Krebs gestorben oder an der COPD, an Covid-19, vor Angst oder ist er einfach nur eingeschlafen? Wir wissen es in den Fällen sicherer, in denen eine aggressive Form die ganze Lunge zerstört hat, ansonsten eben nicht.
Dasselbe gibt aber für alberne Rechnereien ob nun der zweite Weltkrieg oder der Kapitalismus mehr Menschenleben gekostet hat, denn was ist die Todesursache Kapitalismus? Das wird erkennbar schnell zur ideologischen Willkür.
„Aber - hier kommt mein Punkt - Leute, die das Dilemma nicht aushalten sondern ausblenden, sollten nicht führen.“
Noch besser ist ja in dem Dilemma eine Orientierung zu suchen. Ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich würde Ihnen ziemlich genau dasselbe präzisierend schreiben, was ich eben gerade hier an Sophia geschrieben habe und würde Sie bitten, es zu lesen, es ist erträglich im Umfang.
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Daran anschließend: Wir haben das Recht (und die Pflicht) die dort angesprochene Mixtur jederzeit dynamisch neu zu gestalten und dafür sind solche Diskussionen gut. Wenn man die dort angesprochenen roten Linie entfernt ist man m.E. relativ schnell in den m.E. eher unappetitlichen Bereichen die ein Peter Singer gerne diskutiert.
Da ist dann alles Leben eben Leben, das einfach leben will, klingt alles so nett, aber ich glaube, dass es neben willkürlichen Kriterien auch weniger willkürliche der Differenzierung gibt.
"Genau das können Sie aber so wenig wissen, wie ich"
Im Detail nicht, aber dass unsere Fähigkeit, auf weitere Krisen zu reagieren, nicht dadurch besser wird, dass der Staat die Wirtschaft mit dem Mehrfachen des normalen Jahresbudgets stützen muss und dass die Wirtschaftsleistung, einschliesslich der Güterproduktion stark einbricht, ist schon etwas mehr als nur eine plausible Geschichte.
Das Argument gilt natürlich auch in beide Richtungen: Unsere Datenbasis ist derzeit so schlecht, dass wir keine irgendwie sinnvollen Aussagen über den weiteren Verlauf der Pandemie machen können - und übrigens auch nicht darüber, welche Massnahmen wirklich nötig sind, um die Zahl der Infizierten innerhalb der Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems zu halten. Geschweige denn, welcher Satz von Massnahmen das mit dem geringsten Kollateralschaden (meinetwegen auch den geringsten Nebenwirkungen) erreicht.
Was ich hier im Blog nicht angesprochen habe, was aber auch stimmt: Man kann die Kapazität des Gesundheitssystems schon auf der nötigen Zeitskala ausbauen. Der Engpass sind die Fachkräfte, aber wenn man die für die Zeit der Krise gesetzlich von der völlig ausgeuferten Bürokratie entbindet, steigt die Kapazität plötzlich erheblich.
In der Schweiz haben übrigens nach Einführung der scharfen COVID-19-Massnahmen einige Hausarztpraxen und sogar Spitäler Kurzarbeit anmelden müssen.
"Den deutschen Verantwortlichen wird ja aus der einen Ecke vorgeworfen, viel zu lasch gewesen zu sein und dass sie viel schneller, viel drastischer hätten handeln müssen. Das sehe ich nicht so" (aus dem anderen Blog an Sophia)
Sie werden lachen: Das sehe ich so, zumindest beim "viel schneller" bzw. viel eher.
Aus meiner Sicht haben sowohl diejenigen Recht, die der Politik ein zu spätes Handeln vorwerfen als auch diejenigen, die ihr ein zu drastisches Handeln vorwerfen.
Wie das?
Am Anfang einer Epidemie kann man relativ viel mit relativ milden Massnahmen erreichen, die gar nicht so viel kosten. Später hat die Politik dann total überreagiert, ohne sich zu fragen, was denn nun wirklich nötig ist, um das Problem unter Kontrolle zu bringen.
Sie müssen die Zahl von Leuten, die ein Infizierter ansteckt, nicht auf 0,1 oder 0,2 drücken, nur auf etwa 1. Dann schützen Sie noch so gut wie möglich die Risikogruppen. Das kam bei den Alten- und Pflegeheimen wohl auch zu spät.
Ich lass' das mal beiseite. Wir müssen dringend nachdenken: COVID-19 - eine Zwischenbilanz oder eine Analyse der Moral, der medizinischen Fakten, sowie der aktuellen und zukünftigen politischen Entscheidungen
Magda hat's vor hin gepostet. :-(
Danke für diesen Link. Hier gibt es noch zwei zu einer eher ungewöhnlichen Adresse. Wissenschaftler der Bundeswehruniversität Bonn haben sich auch mit der Ausbreitung von Coronaviren in der Luft beschäftigt. (Da wurde unser Geld wirklich sinnvoll investiert) Das Ergebnis kann man in einem Video ansehen. Der Bericht ist sehr lang, aber ab Seite 20 gibt es eine Anleitung, wie man aus Staubsaugerbeuteln sehr gute Masken fertigen kann.
Link zum Artikel deutsch
engl.
Link zum Video
engl.
Das Video ist doch Gold wert, auf so was habe ich die ganze Zeit gewartet, besten Dank, kommt erneut in meinen Haupttext.
Was zukünftige Möglichkeiten angeht, habe ich hier was geschrieben, schauen Sie mal mit drüber, Kritik und Ergänzungen sind wie immer willkommen.
Was man im Grunde noch bräuchte ist eine Animation zur Verteilung von Tröpfchen in geschlossenen Räumen, wie Supermärkten, Büros, Schulklassen, Speisesälen von Altenheimen, kleineren Geschäften und so weiter.
Eine hohe Virendichte scheint zumindest das Risiko auf eine Erstinfektion in der Lunge (statt den Nasen-, Rachen-Schleimhäuten) zu begünstigen, laut Drosten könnte der mitunter fulminante Verlauf auch bei jungen Menschen damit zu tun haben. Das ist allerdings noch eine These, nicht gesichert.
https://www.focus.de/wissen/simulation-aus-finnland-3d-modell-zeigt-erreger-koennen-noch-minutenlang-in-der-luft-nachgewiesen-werden_id_11872404.html
Hier ist so eine Simulation die im Netz geteilt wird. Sieht aber sehr sehr dramatisch aus.
Ist aber vermutlich genau so, kommt auch bei mir rein. Danke fürs finden.
Ich hoffe,dass es viele Leute erreicht. Aber die krude Timeline aufder Startseite zeigt viel zu viel Müll, in dem dann wichtige Dinge untergehen. Die Updates in Ihrem Artikel werden wahrscheinlich, wenn überhaupt, nur von Lesern wahrgenommen, die sich diesen beim Erscheinen angesehen haben. Der Artikel sollte als Empfohlenes Blog lange auf der Startseite stehen. Wie man die Redaktion dazu bekommt, weiß ich allerdings auch nicht.
Passt schon so, ich wollte nur eine Mischung zwischen einfacher Darstellung, aber doch fundierter Information haben, das soll einfach nur helfen. Wenn Sie jemanden kenne, der es gebrauchen kann, können Sie den Blog ja einfach direkt verlinken, er kommt alles in allem gut an und solange ich meine, dass er helfen kann, aktualisiere ich ihn. Freut mich, dass er auch Ihnen gefällt.
Gerade habe ich einen Link auf eine Seite gefunden, die den Verlauf der Reproduktionsfaktors des Virus in den Bundesländern darstellt. Die Zahlen sind natürlich nicht in Stein gemeißelt, aber der Trend zeigt doch die Wirksamkeit der Maßnahmen.
Reproduktionsfaktor des Virus über der Zeit
Schön. Jetzt heißt es klug zu mischen, die Basisreproduktionsrate solide unter 1 zu halten oder am besten noch weiter abzusenken und gleichzeitig die Lebendigkeit hochzufahren. Ich glaube allerdings, dass über eine lange Zeit erst mal wenig so sein wird, wie vorher, bis wir etwas über etwaige Mutationen usw. wissen und wie wir Risikogruppen final schützen, die können sich ja nicht lebenslang von der Außenwelt zurück ziehen.
Interessant wäre noch, die Sterbestatistik durch Herzinfarkte während der Corona-Krise auf Auffälligkeiten im Vergleich zum zeitlichen Mittel bzw. zu Vorjahren zu untersuchen.
Es könnte solche geben, weil in Folge der Corona-Panik Menschen mit Herzinfarktsymptomen, zögern, einen Arzt zu rufen (Infektionsangst). Da normalerweise fast dreimal so viel Menschen an Herzversagen sterben wie an Lungenproblemen und sehr viele Herzinfarkte normalerweise bei rechtzeitiger Behandlung überlebt werden, kann man diesen Aspekt der öffentlichen Reaktion auf die Epidemie nicht von vornherein vernachlässigen.
Warum soll man solchen Fragen nachgehen? Nur damit eine Seite der Argumentation Recht behält?
Es ist deshalb nötig, weil man für zukünftige Epidemien wissen muss, wie man mit der Oeffentlichkeit kommuniziert um insgesamt möglichst wenige Todesfälle (bzw. möglichst wenige verlorene Lebensjahre) zu haben.
Hier fing ja alles an. :-)
Lesenswerter Artikel "Warum sind in Italien in der Corona-Krise so viele Menschen gestorben?" (Wildcat Stand 25.04.2020)
Danke für die Verlinkung dieses ausgezeichnet klarsichtigen - und die spezielle italienische Situation gnadenlos ausleuchtenden - Artikels.