'das große wörterbuch der deutschen sprache' (duden) dokumentiert nachgewiesenermaßen so manches lemma, das entweder gar nicht gebräuchlich ist oder allenfalls regional, doch dudens werden den teufel tun, so ein unchristlich-unabendländisches wort wie dieses ahimsa aufzunehmen.
es steht zwar in jedem ordentlichen konversationslexikon hierzulande, z.b. in: Das grosse (!) Fischer Lexikon in Farbe, 1975:
"[Sanskrit 'Nicht -Verletzen', 'Nicht-Schaden'], Prinzip aller ind. Religionen, bes. der > Dschaina, keine lebenden Wesen zu töten; von > Gandhi zur polit. Moral erhoben." und das wie erwiesen nicht erst seit ein paar jahren; in wikipedia ist es natürlich zu finden, und google meldet 630 000 seiten zum stichwort; aber dudens können es sich bis heute leisten, das lemma zu ignorieren.
der große brockhaus der frühen 50er jahre erklärt:
"[Sanskrit, 'Nichtverletzen'] die, in den ind. Religionen das Grundgebot, kein Lebewesen zu töten oder zu schädigen (daher Ablehnung tier. Nahrung und blutiger Opfer)."
die erklärung ist so knapp, dass sie gut in ein wörterbuch passte, erst recht in ein 'großes'.
doch was zu viel ist, ist zu viel. schließlich könnte das gebot zeigen, wie primitiv dagegen die religionen der hirten aus der ariden zone (wassermangel) (judentum, christentum, islam) und daraus abgeleitet die sogenannte leitkultur der konservativen wirklich immer schon waren und sind (übrigens halten sich nicht alle inder oder anhäger ursprünglich indischer religionen an das höchste gebot).
und das wünschen dudens nicht. bei aller wissenschaftlichkeit muss es grenzen geben für das, was geht oder eben nicht geht. ahimsa geht offensichtlich für unsere aufgeklärten dudenmacher nicht.
albert schweitzer nannte die ahimsa "die absolute ethik".
im westen kam und kommt die sogenannte sekte der quäker ("society of friends") dem ahimsa-gebot am nächsten.
Kommentare 42
Lieber h.yuren,
sehr interessant. Ich finde das faszinierend wie sorgfältig und gründlich Du mit den Begriffen umgehst. Ich habe das jetzt so verstanden, dass ahimsa nicht in den Duden reinkommt. ´Flass ich das richtig gecheckt haben sollte, finde ich das von den Dudenmachern schon recht borniert und stumpfsinnig.
Herzliche Grüße
por
Herzliche Grüße
por
Hihi:
"borniert und stumpfsinnig"
So würde Helder das nie sagen ;-)
Ahimsa, das Wort hat - selbst, bevor ich die Bedeutung hier nachlesen konnte - einen guten Klang für mich.
:)
LG
Feli
wie denn, merdeister?
vielleicht solltest du dich mal um sanskrit kümmern, liebe feli. da würdest du bestimmt noch mehr finden, was wohlklang hat.
beides natürlich, born2bmild. ich finde, irgendwie gibt es eine gemeinsamkeit zwischen deinem nick und ahimsa, meinst du nicht auch?
lieber por, das weiß ich nicht, ob das wort nie in den duden aufgenommen wird. bis jetzt ist es nicht der fall. das ist nicht nur borniert, das hat methode, und insofern beweisen die macher ziemlich stumpfe sinne. das ist wahr.
Gute Idee, lieber h.yuren!
"wie denn"
ähhh, zu schnell getippt, zu langsam gedacht ;-)
"der große brockhaus der frühen 50er jahre erklärt:..." das Große Blutbad saß damals noch allen in den Knochen, heute füttern wir die Schweine mit Schafsmehl (solange es niemand merkt...)
Das ist in der Tat ein schönes Wort.
Ich weiß, daß Du die Dudens nicht magst, aber was in einem Konversationslexikon steht, muß doch nicht unbedingt in einem Wörterbuch stehen.
Das soll doch den Wortschatz der Sprache ungefähr abbilden, wie sie in Gebrauch ist. Mir war das Wort unbekannt, bevor ich Deinen Artikel hier gelesen habe.
Na gut, ich bin nicht die deutsche Sprache, aber trotzdem nehme ich an, daß das ein sehr, sehr selten gebrauchtes Wort ist.
stimmt, archinaut. aber eben darum gab es zum teil den aufbruch zu besseren zielen. nicht nur in der gruppe 47. ein prof der pädagogik hatte noch die hoffnung, schule und bildung würden demnächst der menschenbildung dienen, nicht mehr dem staat.
heute wird die wirtschaft bedient bzw. die schicht, die meint, sie wüsste, was der wirtschaft fehlt.
"die absolute ethik" :: das ist für mich abendländer fast ein schock. ich werde nachdenken. zwingend frei, durch lektüre.
"Nicht verletzen, nicht schaden"; dem Leben. - Und dafür gibt es ein Wort. Schön.
liebe ida, wenn die leutchen der dudenredaktion nur die rechtschreibung (nach dem letzten stand) und die dokumentation des wortbestands im sinn hätten, ja, ok. aber die burschen "leisten" (sich) viel mehr. sie verzichten auf die prüfung der wortfrequenz und schreiben gar nicht selten lange einträge über die wortbedeutung. das macht das ergebnis ebenso lustig wie angreifbar.
von wegen "ein sehr, sehr selten gebrauchtes Wort": im großen wörterbuch der deutschen sprache stehen lemmata, die noch viel seltener gebraucht werden. hast du etwa schon mal was von "Orlog" gehört oder gelesen? es mag dich trösten, dass es als "veraltet" gekennzeichnet ist. aber es ist in wirklichkeit noch stärker: es ist überhaupt kein deutsches wort. dudens haben in nachbars teichen gefischt. im niederländischen ist "oorlog" das gebräuchliche wort für "krieg". usw.
lieber rainer, so hat wie gesagt schweitzer das ahimsa-gebot genannt. er war mit seinem motto: "Ehrfurcht vor dem Leben", ja ziemlich nah am altindischen auftrag.
die alt-indischen denker haben der menschheit zwei begriffe geschenkt: ahimsa und die null. ich sehe eine gewisse verwandtschaft oder nachbarschaft in beiden ideen. die ahimsa ist der absolute nullpunkt der gewalt. und ich behaupte mal, die menschheit sei ohne diese beiden basisbegriffe nicht zukunftsfähig.
Hallo h.yuren,
das Wort war mir zwar schon bekannt, aber ich bin ja auch schon ein bißchen veraltet. Das liegt daran, daß ich mal ein bißchen über die Grenze gelauscht habe.
Daß das Wort als deutsches Fremdwort (ein schwarzer Schimmel?) firmiert, war mir neu. Interessant.
Ich gebe Dir ja Recht. Die Duden-Redaktion trifft natürlich eine ideologisch grundierte Auswahl. Und Du machst Dich auch zu Recht über ihren Dünkel (noch so ein verlatetes Wort) lustig.
Herzlich,
Ida
betrachten wir die reale hinduistische Alltagswelt, fällt allerdings die Gegenstandslosigkeit der Proklamation auf, sobald wir den Bereich des Klischees verlassen. Dem Tötungsverbot bezüglich der heiligen Kühe u.dgl. stehen dann plötzlich unerklärliche tödliche Unfälle unliebsamer Ehefrauen, Witwenverbrennungen oder gleich einfach ermordete weibliche Säuglinge gegenüber, alles mit erheblicher Dunkelziffer versehen, für den "normalen" hinduistischen Gläubigen offenbar mit ahimsa genauso problemlos vereinbar wie "Du sollst nicht Töten" für den normalen christlichen GI mit dem Irakkrieg. Das ist eben eine immerwährende Gefahr, selbst wenn ein Albert Schweitzer ihr erliegt, dass die Proklamation mit der Realität des Alltags einer Religion verwechselt wird. Wohlfeile Worte finden sich in allen Religionen, auch der Verweis auf Gandhi geht schnell von der Hand. Tatsächlich ist Indien eine Hölle, und Gandhis Leistung bestand nur darin, eine fremdbestimmte in eine selbstgestaltete Hölle umzuwandeln.
Das ändert natürlich nichts an der Berechtigung der Kritik an der Duden-Redaktion, allerdings hege ich doch ein gewisses Verständnis, denn es gibt auf der Welt so viele Worte und Begriffe, wenn wir die alle in den Duden aufnehmen, nur weil sie theoretisch moralisch positiv besetzt sind, wird der sehr schnell aus allen Nähten platzen.
lieber lethe, danke für deine detaillierte kritik.
fange ich mit dudens an, so muss ich feststellen, dass die leutchen da in mannheim so manches lemma registrieren, das kein mensch gebraucht oder kennt. beispiele sind etwa veraltete oder regionale oder schlicht (wie 'ahimsa') aus anderen sprachen geholte und ungebräuchliche wörter. bis ich sie im duden fand, konnte ich mit "banderillero", "beiern", "benaut", "besprenzen", "bilwiss" nichts anfangen, um nur eine handvoll beispiele, beginnend mit b-, zu benennen.
dass die ahimsa ein altes religiöses gebot ist, das auch im ursprungsland nicht den alltag prägt, ist mir bekannt. du hast das schlichtere gebot des westens und seine befolgung schon selbst damit verglichen. die missachtung ethischer maßstäbe in der ganzen welt ist eine tatsache. ich bilde mir ein zu wissen, was der grund für diese misere ist. unter verweis auf die ergebnisse des milgram-experiments und angesichts der heute bekannten ereignisse in geschichte und gegenwart kann mensch sehen, dass herrschaft ein notstand ist, der bereits ein paar jahrtausende anhält und folgen zeitigte. wenn die nachrichten aktuell über plünderungen in port aus prince berichten, haben wir ein anschauliches geschehen vor augen, in dem die not nicht alle, aber doch etliche menschen zu gewalt veranlasst.
aus diesem käfig der bedrängnis können wir uns nicht befreien. wie hobbes meinte, rechtfertige sie die gegenwehr des staates. staatsgewalt ist herrschaft, an die mensch sich schon so gewöhnt hat, dass historiker die abwesenheit von staat als "anarchie" oder auch die kaiserlose, die schreckliche zeit auffassen.
gegenüber dieser notlage der gewaltverhältnisse ist jedes ethische gebot nur schall und rauch. angesehene denker haben darum die ethik/moral als saft- und kraftloses wunschdenken abgetan.
doch das halte ich für einen irrtum. nicht das gebot der ahimsa ist untauglich; die gegenwart, die selbstverständliche gegenwart der gewalt ist nicht als historisch gewordenes verhängnis, das es wieder abzuschaffen gilt, erkannt.
im straßenlärm geht oft die menschliche stimme unter. nicht die menschliche stimme ist das übel.
ich will nicht moral predigen, sondern erinnern an den verschütteten menschen, den wir befreien müssen wie die verschütteten in port au prince. andernfalls hat die menschheit keine chance zu überleben, behaupte ich.
Gewalt ist nur eine besonders komplizierte Form von Hilflosigkeit. Moralischen Geboten stehe ich ohnehin kritisch gegenüber, sie sind nichts als der Versuch, die Willensautarkie eines Menschen zu unterminieren. Wenn Menschen nicht aus eigenem inneren Antrieb ethische Maximen soweit kultivieren, dass diese Aspekt ihres schieren Soseins werden, bleibt Moral immer nur eine oberflächliche, übergestülpte Sache, und wir werden erleben, dass sie sich bei nächst bester Gelegenheit als des Atems nicht wert erweist, der zu ihrer Formulierung verschwendet wurde.
Daher würde ich nicht sagen "nicht das gebot der ahimsa ist untauglich" sondern das Konzept des Gebietens ist untauglich. Ahimsa halte ich aus ethischen Erwägungen für moderat wünschenswert, aber gegenstandslos, weil in diesem Universum Leben nur existieren kann, wenn es bereit ist, anderes Leben zu verzehren. Aus diesem absoluten Imperativ kann sich nur ein Selbstmörder befreien^^ schließlich sind auch Pflanzen nicht dafür da, DAMIT wir sie essen, sie sind einfach nur da UND wir essen sie.
Ob es diesen verschütteten Menschen wirklich gibt? Ich hege da Zweifel, trotz "wer ich bin grüßt bedauernd den, der ich sein könnte". Ich konnte es eben nicht, konnte nicht jener andere sein (dessen Idealität im übrigen ja auch nur eine erhoffte ist), aufgrund meiner Persönlichkeit im Konflikt mit den Parameter, die mein soziales Netz eingestellt hat. Ich kann / wir können das Äußerste versuchen, sozialkompatibel zu sein, mehr nicht. Aber niemand muss. Er/sie muss nur mit den Konsequenzen leben, so oder so. Du und ich, wir werden beide nicht nach Port au Prince gehen^^
dein erster satz, lieber lethe, ("Gewalt ist nur eine besonders komplizierte Form von Hilflosigkeit.")ist unhaltbar, wenn du ihn aus der abstrakten form in die lebendige wirklichkeit herüberholst.
ein jäger, der ein "stück wild" erlegt, übt die gewalt nicht aus hilflosigkeit, sondern aus zeitvertreib oder als sonntagsvergnügen.
ein führerscheininhaber, der meint, mit einem porsche oder suv-panzer durch die gegend fahren zu sollen, übt gewalt auch nicht aus hilflosigkeit, sondern aus gedankenlosigkeit, aus prestigegründen etc.
die liste konkreter gegenbeispiele könnte ziemlich lang werden.
die hilflosigkeit kann nur in ausnahmen angenommen oder bewiesen werden. wenn z.b. ein mensch glaubt, keine alternative zu haben in einer bedrohlichen situation.
dein 2. satz: "Moralischen Geboten stehe ich ohnehin kritisch gegenüber, sie sind nichts als der Versuch, die Willensautarkie eines Menschen zu unterminieren."
das sehe ich ganz anders.
wenn von menschenrecht(en) die rede ist, hat mensch sich gedanken darüber gemacht, was zu einem menschenwürdigen leben gehört.
dies recht wird nicht eingefordert, um andere zu ärgern, sondern um dem menschen zu dienen.dem menschen zu seinem recht zu verhelfen.
die kernfrage hinter den menschheitsfragen ist die frage kants: "Was ist der Mensch?"
was für ein menschenbild soll geltung haben, könnte ich auch sagen.
gewalttäter, sag ich mal, sind negativbilder des menschen.
kurz: menschen müssen wissen, dass wahn und gewalt kennzeichen des unmenschen sind.
darum geht es mir. nicht um gebote und predigten. aber mensch braucht orientierung. und mensch lässt sich nicht selten hinters licht führen. wie soll mensch z.b. geschichte begreifen, wenn er keine klare vorstellung vom menschen hat? wie soll mensch politiken beurteilen, wenn ihm die maßstäbe fehlen?
wenn du sagst, ahimsa sei eigentlich gegenstandslos, weil leben nur existieren kann, wenn es anderes leben verzehrt, hast du eine irrige auffassung von dem gebot. nicht fasten bis zum tode war die richtschnur, sondern: weder tier noch mensch zu schaden.
heute müssen wir das gebot erweitern. nicht nur die pflanzen einbeziehen in pflegliche behandlung, sondern die gesamte umwelt. wir haben über die wissenschaft der ökologie genaueren einblick in die wechselwirkungen zwischen lebender und anorganischer welt.
was das mit der unterminierung der "willensautarkie" zu tun haben soll, weiß ich nicht.
zum 3. satz: "Ob es diesen verschütteten Menschen wirklich gibt? Ich hege da Zweifel,..."
unsere gesellschaft ist seit tausenden von jahren eine notstandsgesellschaft, bedingt durch den kriegszustand, der zur normalität geworden ist. die kriegskultur hat den menschen verändert, ich sage: verschüttet.
durch die jahrtausende hin gibt es belege für die befreiung des menschen, für seine erinnerung an den unverschütteten zustand. seien es mythen vom verlorenen paradies, seien es aufstände oder abschottungen gegen die kriegsgesellschaft in klöstern und sekten. auch die legende von der begegnung zwischen alexander und diogenes ist ein beispiel. in china und indien finden sich solche gegenbilder ebenso wie in europa. es ist ein menschheitsthema.
in dem büchlein "Die Evolution kassiert die Kriegskultur" habe ich das thema ausführlicher behandelt. hier ist der raum begrenzt.
@ h.yuren
Wunderschön. Es berührt mich immer sehr, wie Du unermüdlich für die Gewaltlosigkeit plädierst.
Es erinnert mich an die Lehren des Yoga. An Paramanhansa Yogananda.
S.h.: de.wikipedia.org/wiki/Yogananda
Und an die anderen realisierten Meister.
S.h.:
liebe chrisamar, danke für die links zu yogananda. (den ich nicht kannte)
es freut mich, dass dir gefällt, was andere als moralpredigt oder mission kritisieren.
fand einen fehler im wikipedia-artikel über yogananda. da heißt es, er habe "Abschied für immer" von indien genommen, und wenige zeilen darunter ist von seiner rückkehr nach indien die rede.
eben hatte ich in einem anderen kommentar (zu meinem neuen blog) schon grund, wikipedia zu schmähen.
@ h.yuren
ich finde den wikipedia-artikel auch übel. Leider. Aber ich wollte hier keine evtl. viren-verseuchten Seiten posten. Und die Leute auch nicht mit Links zu z.B. meinem Yoga-"Orden" verwirren.
"Autobiografie eines Yogi".
Eine großartige Dokumentation seiner Lebenszeit. Yogananda war in den 30ern in Deutschland. Als Hippie! Mit langen Haaren. Er hat sich u.a. mit Therese Neumann getroffen. WOW!
Tolle Fotos. Tolles Buch.
Aber Dich lese ich auch sehr gerne.
ach Mensch, jetzt hat die Forensoftware zwei Seiten Antwort geschluckt
nun gut, in Kürze eine Zusammenfassung des ersten Versuchs^^
die Hilflosigkeit der Gewalt, an die ich denke, tritt nicht so offenkundig zutage wie die Motivlagen in deinen Beispielen, die, wie du richtig bemerkst, beliebig ergänzt werden können. Was ich meine ist ungefähr Folgendes:
zum einen ist Gewalt immer ein Schlusspunkt. Ich kann dich nicht mehr erreichen, meine Argumente sind ausgegangen, meine Argumente waren nicht überzeugend. Gewalt ist das Ende der freiwilligen Kommunikation und damit das Ende der freiwilligen Veränderung. Gewalt heißt nur: ich bin mächtig genug und du bist mir bedeutungslos genug. Deine Brechung genügt, wenn ich deine Freiwilligkeit nicht erreichen kann. Das weist dir deine Bedeutung zu.
zum andern ist Gewalt der Beginn einer Gewissheit. Gewalt provoziert den Gegenschlag, die Revanche. Nicht unbedingt sofort, nicht unbedingt offensichtlich, aber so sicher wie der Tod, irgendwann. Der Gewalttätige weiß, dass er nie wieder wird in Frieden leben können.
Gewalt ist die ultima ratio einer Psyche, die sich aus ihrem sozialen Netz entkoppelt hat. Sie muss sehr verzweifelt sein, um so etwas Törichtes (sich zu entkoppeln) zu versuchen. Das gilt für Individuen genauso wie für Gruppen.
Moralische Gebote sehen sich einem unglaublich mächtigen Gegner gegenüber: der in jedem einzelnen Individuum der Spezies verwurzelten Endlösungsfähigkeit und -willigkeit. Solange wir Menschen nicht zu einer anderen Spezies mutieren, werden wir immer wieder erleben, dass es !normal! ist, wenn sich in einschlägigen Situationen diese Befähigung gegenüber sehr viel langwierigeren Interaktionsmöglichkeiten durchsetzen. Die Fähigkeit, die Möglichkeit ist außerordentlich verführerisch. Zu verführerisch, als dass erhoffbar wäre, der Verzicht auf den Einsatz könne durch die Befolgung von Vorschriften abgewendet werden.
Eine Lösung hierfür sehe ich nur auf der Ebene eines Individuums. Wenn es einem Individuum ein ernsthaftes Entwicklungs-Anliegen ist, mag es möglich sein, dass es sich dahin entwickelt, den Einsatz von Endlösungstechniken zu unterlassen. Dies ist dann aber ausschließlich in der Ethik dieses Individuums begründet. Die Sicherheit, welche die gemeinsame Unterwerfung unter ein einheitliches Normensystem bietet, ist nur eine anscheinende. Ohne die aus nicht verallgemeinerbaren Motiven und Anstrengungen gewonnenen ethischen Maximen eines Individuums bleibt Moral hohl; sie taugt nicht zur Entwicklung von Ethik. Moral reicht so weit wie die Macht derer, die sie durchzusetzen versuchen. Außerdem hat Moral immer mit dem Problem zu kämpfen, wer sie zu welchem Zwecke stiftet und wem sie gestiftet wird. Ein Gefälle.
Hinsichtlich Mukunda Lal Ghosh war ich mir nie und bin ich mir bis heute nicht sicher, ob er ein geistiger Nachfahre Ramakrishnas oder ein geistiger Vorläufer Maharishi Mahesh Yogis ist. Die Art, wie er den Kriya-Yoga im Westen bekannt machte, hat für mich jedenfalls durchaus etwas von den späteren Marketingstrategien der TM. Als mindestes lässt sich sagen, dass er den um seine Person einsetzenden Starkult nicht nachhaltig bekämpfte. Auch eine gewisse Naivität lässt sich in seiner Autobiografie nachweisen, so etwa bei der unkritischen Anerkennung Babajis als biologisch Unsterblicher, oder seiner Bewunderung für die Flugkünste ominöser "Meister", die er selbst im freien Flug beobachtet haben will. Auch betont der Kriya-Yoga im Rahmen des Raya-Yoga eher sekundäre Aspekte, Raja-Yoga kommt vollkommen ohne Kriya-Yoga aus (nicht zu verwechseln mit Kriya!).
Wie dem auch sei, mit 20 hatte ich mich auch für ihn begeistert. Seither sind über 30 Jahre vergangen, und die Begeisterung ist erheblicher Skepsis gewichen.
das tut mir leid, lethe; ist aber so gut wie jeder/jedem hier schon widerfahren. einziges antidote, das ich kenne und nutze: den text zuerst in sicherer umgebung speichern und dann hierher kopieren.
je länger die eingaben sind, desto empfehlenswerter das verfahren.
lieber lethe, danke, dass du dir solche mühe antust, die dann durch die herzlose technik noch vergrößert wird.
wenn ich unsere verhandlung zurückverfolge, fällt mir auf, dass du auf manche meiner fragen nicht eingehst. zur verschüttungsthese z.b. sagst du nichts. habe ich den gedanken nicht genug erklärt?
die frage der "Willensautarkie" und was es mit ihr auf sich hat in ansehung der ahimsa bleibt offen. etc.
auch fällt mir auf, dass du nicht die wahrheit siehst, die im gebot der ahimsa ausgesprochen ist, sondern wie schon im falle der "Willensautarkie" ins psychologische schwenkst.
"Gewalt ist die ultima ratio einer Psyche, die sich aus ihrem sozialen Netz entkoppelt hat."
nicht dass ich diesen satz in frage stellen möchte; mir geht es aber vor allem um die objektivität der einsicht, erst an zweiter stelle, was mit ahimsa in der wirklichkeit der weltgesellschaft erreicht werden kann.
als die alten geometer den satz, den die europäer dem pythagoras zuschreiben, entdeckten, war das ein erkenntnisgewinn ohne rücksicht auf mögliche anwendungen in der lebenspraxis.
nun ist ethik etwas anderes als mathematik. doch der wahrheitsgehalt kann und muss auf beiden feldern des wissens überprüft und nachgewiesen werden. danach ist die frage der nützlichkeit in der praxis an der reihe.
nimm die entdeckung der null, die gleichfalls indischen denkern zugeschrieben wird. in jener ersten stunde hatte sie keine praktische bedeutung. heute ist die null unentbehrlich.
du sagst:
"Moralische Gebote sehen sich einem unglaublich mächtigen Gegner gegenüber: der in jedem einzelnen Individuum der Spezies verwurzelten Endlösungsfähigkeit und -willigkeit."
ich verstehe nicht, warum du deinen gedanken mit dem äußerst bedenklichen wort "Endlösungsfähigkeit" zum ausdruck bringst. auch verstehe ich den sinn nicht.
was in jedem einzelnen individuum der spezies mensch verwurzelt sein soll, weiß ich nicht. das musst du bitte etwas schlichter sagen, sodass es allgemein verständlich ist.
kann es sein, dass du über die schwierigkeiten mit den unmenschen schreibst, während ich wie der alte diogenes mit der lampe bei tageslicht menschen suche?
wie gesagt, kenne ich die indischen gurus nur vom hören sagen. ich habe mich nie für einen von ihnen begeistert wie du. in dem abschnitt schreibst du wohl gegen dich selbst. oder deine jugendverirrungen.
was sagst du denn zu meiner behauptung, wahn und gewalt seien zwillinge? (schillers: doch der schrecklichste der schrecken, das ist der mensch in seinem wahn, eingedenk)
nun ja, Yoga ist in meinem Fall allerdings eine der Jugendverwirrungen, die bis heute durchgehalten hat, nur eben nicht gerade Yogananda^^ es gibt selbst in diesem Bereich die Möglichkeit zur kritischen Affirmation^^
möglicherweise habe ich Reichweite und/oder Bedeutung deiner Verschüttungsthese falsch eingeschätzt, jedenfalls dachte ich, mit meiner Infragestellung der Existenz dieses verchütteten Menschen darauf geantwortet zu haben; ich sehe allerdings ein, dass diese Antwort zu verkürzt war, um wirklich etwas mit ihr anzufangen.
während meiner vielen - ja wie nenne ich es? - Selbstfindungsphasen? war ich durchaus immer wieder der Ansicht, es gäbe in mir eine Art "idealen" Lethe, den zu finden und freizuarbeiten es gälte. Der Unterschied zwischen menschlicher Gestalt und menschlicher Form, ins Psychische übertragen. Mittlerweile sehe ich das grundsätzlich anders. Jeder Mensch ist ein Total aller Möglichkeiten, d.h. er/sie trägt genetisch die Befähigung zu jedem Tun zwischen äußerster Selbstaufopferung und äußerstem Sadismus in sich. Ein konkreter Mensch charakterisiert sich über die Intensität, mit der die unzähligen Möglichkeiten nach Verwirklichung streben und letztlich über die Auswahl, die tatsächlich verwirklicht wird. Das letztere wird sehr viel stärker über den Zwang zur Sozialkompatibilität, also durch die Einflussnahme seines sozialen Netzes, geregelt als durch Neigung. Das bedeutet zugleich, dass all die vielen anderen Möglichkeiten, zu wollen und zu tun, nicht im Nirvana verschwunden sind, sondern als Möglichkeit jederzeit präsent bleiben, wenngleich unter der Oberfläche.
Da ist kein verschütteter Mensch in uns, da ist einfach nur ein riesiger Möglichkeitsraum.
Und manchmal erschrecken wir wohlsozialisierten Menschen dann ein bisschen, wenn sich aus diesem Möglichkeitsraum Möglichkeiten zu Worte melden, die wir durch unsere Sozialisierungsmaßnahmen eigentlich ausgeschlossen zu haben hofften, Plötzlich damit konfrontiert, dass die meisten von uns zwar domestiziert sind, dass die wilde Varietät aber mitnichten ausgerottet ist, werden wir zu fassungslosen Etwassen, zumindest vorübergehend. Dass wir uns dabei die ganze Zeit selbst betrogen haben, will eher niemand hören^^
"Willensautarkie" erklärt sich von daher eigentlich ziemlich zwanglos. Wir zwingen via Sozialisation, Sitte, Tradition, Normensystem, Moral usw. einander eine Auswahl auf, natürlich niemals exakt dieselbe, aber so, dass die getroffene Wahl erstens nicht als Wahl sondern als einzige rationale Möglichkeit erscheint, und zweitens so, dass sie wie freiwillig wirkt. Der Freiheits-Begriff ist nicht zuletzt deswegen derart problematisch, weil unsere Moralphilosophen aufgrund diesen Umstandes gezwungen sind, Sachverhalte als "frei" zu deklarieren, die gar nicht frei sein können. Tatsächlich werden wir alle angetastet.
"Endlösungsfähigkeit" bzw. "Endlösungswilligkeit" sind in der Tat "böse" Worte. Ich finde nur, sie passen zu vielen Phänomenen des Menschlichen, wenn man sich mal von einer zu engen Auffassung von historischem Kontext lösen kann. Gemeint ist damit die Neigung zur maximalen eigenen Selbstverwirklichung, gleichgültig, wer dafür die Kosten tragen muss und wie hoch die Kosten sind. Wenn wir menschliches Verhalten im politischen und sozialen Raum analysieren, sehen wir die Wirkmächtigkeit dieses Prinzips an allen Ecken und Kanten. Es gibt gegenläufige Motive und Antriebe, aber dieses Prinzip setzt sich immer wieder und großflächig durch. Offenbar ist keine Sozialisation stark genug, es endgültig zu bannen, doch das ist nur zweitrangig. Viel wichtiger ist, dass es jede Menge Menschen gibt, die überhaupt nicht wollen, dass diesem Prinzip gewehrt wird, und durchaus nicht nur in Verbrecherkreisen oder im Rahmen des häuslichen Verbrechens, es sei, wir zählen Politiker, Wirtschaftsmanager und derengleichen dazu, durchaus legitim meines Erachtens, aber nicht gerade status quo der öffentlichen Auffassung. Davon abgesehen lenkt eine zu starke Betonung mächtiger Menschen in diesem Zusammenhang davon ab, dass das Prinzip auch im engsten Kreis auch der "kleinen Leute" und selbst zwischen Linken^^ wirksam sein kann und viel zu oft ist.
"Wahrheit" als eine Auffassung über die Wirklichkeit ist ein Konzept, dem ich keine große Bedeutung beimesse. Natürlich versuche ich wie jeder einigermaßen kluge Mensch, meine Auffassungen und mehr noch mein Wissen auf die Basis isomorpher Repräsentationen der Wirklichkeit in meinem Bewusstsein zu stellen, aber um zu beurteilen, ob diese Repräsentationen wirklich im Letzten isomorph sind, müsste ich die Wirklichkeit in toto erfassen können. Das kann ich nicht - das kann niemand - und daher bleibt immer ein Ungewissheitsgrad in allen Aussagen bestehen. Gemildert wird diese grundlegende Unsicherheit lediglich durch den Umstand des Sozialkompatiblen - solange ich sozialkompatibel bleibe, bleibt die Abweichung meiner Vorstellungen von "der Wahrheit" weitgehend folgenlos, außer im privaten Raum^^
Ahimsa, Menschenrechte oder andere derartige Vorstellungen haben für mich deswegen auch nichts mit Wahrheit zu tun, sondern mit Setzung, mit Setzung von Erwünschtem. Sie sind damit grundsätzlich mit dem Makel des Ideologischen behaftet. Mein Gegenkonzept heißt stattdessen "situative Angemessenheit". Manchmal ist Ahimsa wünschenswert. Andererseits wäre ganz Europa im KZ verfeuert worden, wäre es einem europäischen Gandhi ein paar Jahre früher in den Sinn gekommen, Hitler zu stoppen, indem er unbewaffnete Leute gegen schwerbewaffnete SS vorrücken lässt, bis die SS müde wird, Leute zu töten. In dem Fall war himsa ein Gebot der situativen Notwendigkeit. Übrigens darf man ahimsa nicht mit Pazifismus u.dgl. gleichstellen, sprechen sich doch alle einschlägigen heiligen Schriften des Hinduismus gegen Pazifismus aus, am prominentesten im zweiten Kapitel der Bhaghvad Gita, wo Krishna explizit die pazifistischen Neigungen Arjunas zurückweist. Ahimsa gilt ausdrücklich nicht für Krieger, Soldaten, in der Strafverfolgung und vielen anderen Situationen.
Ich gebe zu, die Verinnerlichung von Moral ist eine einfache Methode, um Menschen zur Imitation sozialkompatiblem Verhalten zu bewegen. In diesem Rahmen ist ahimsa auch aus meiner Sicht eines der sympathischeren Konzepte. Nur mit Wahrheit, gar einer "höheren" Wahrheit, hat das eben nichts zu tun, geschweige denn mit echter Freundlichkeit.
Aus meiner Sicht der Dinge bedarf es der Moral nicht. Es bedarf nur der Einsicht in einen einfachen Sachverhalt, der da lautet: Du wirst mit den Konsequenzen deines Tuns und Lassens leben. Und dann die Frage: Willst du mit diesen Konsequenzen leben?
Wenn ja, schau, wie weit du kommst, wenn nein, ändere dein Tun und Lassen.
Zum Verwandtschaftsgrad von Wahn und Gewalt habe ich nicht viel zu sagen. natürlich ist ein wahnbehafteter Mensch zu Grauenvollem fähig. Sehr viel mehr fürchte ich allerdings den kalten, rationalen Menschen. Der kann, ohne irgendjemanden persönlich zu meinen, bei höchster Intelligenz sehr viel mehr Unheil anstellen, als es sich ein Wahnsinniger vorstellen kann. Natürlich kann man Gewalt auch grundsätzlich als eine Form von Wahnsinn auffassen. Wie weit das trägt, müsste noch überprüft werden.
danke, lethe, dass du auf meine fragen genau eingegangen bist. jetzt sehe ich viel klarer.
a) der verschüttete mensch
dazu schreibst du: "Da ist kein verschütteter Mensch in uns, da ist einfach nur ein riesiger Möglichkeitsraum."
mich erinnert dein verständnis an goethes wort, ihm sei nichts menschliches fremd.
ich denke an etwas anderes, wenn ich das bild gebrauche:
menschenbild und geschichtsbild gehen ineinander über. die sogenannte hochkultur hat den menschen anders sozialisiert, als es vorher in der sogenannten vorgeschichte der fall war. die kriegsgesellschaft übt(e) auf den einzelnen menschen zwang aus, bis zum drill und hampelmanndasein. dabei ist der mensch, der ursprünglich durch die jahrhunderttausende geworden war, zum großen teil verschüttet worden.
ich sehe den menschen und seine kultur genau andersherum als die gewöhnliche auffassung. nicht der hauchdünne firnis von zivilisation ist in nazideutschland abgeblättert wie eine billige tünche, und darunter kam der barbar zum vorschein; sondern die kriegsfurien haben seit langem das humanum in die defensive getrieben, den menschen gejagt, an den rand gedrängt.
genetisch hatte der mensch vor der zivilisation sprache und gewissen erworben. sprache wurde in kasernen bestialisiert, das gewissen umdefiniert, noch in der brd als fragwürdig vor dem militär.
beweiskräftig sind in geschichte und gegenwart viele menschen und handlungen, die gar nicht ins bild der schlacht(en)ordnung passen. trotz unterdrückung, verfolgung und verhöhnung haben sich die "quakers" behauptet, ebenso die daoisten in china, die dschainas in indien, die kyniker im alten griechenland, um nur 4 bekannte gruppierungen zu nennen.
bezeichnend für diesen underground sind ein paar merkmale, die mir im film der geschichte auffielen: ablehnung des kriegs, der todesstrafe, der regierung, der offiziellen religion, der sklaverei etc.
unter der herrschenden anpassung an gewalt und wahn lebt(e)n weltweit die graswurzeln der menschlichkeit weiter. wie übrigens auch im alltag der freundschaft, der mütterlichkeit, der brüderlichkeit etc.
verstehst du? die kriegsgesellschaft mit ihren menschheitsbedrohenden (un)sitten ist dem menschen übergestülpt wie ein gefängnis.
ich lehne den romantiker rousseau rundweg ab, aber der vorstellung von der erniedrigung des menschen in der zivilisation folge ich.
der schlachtruf der französischen revolution "liberté, égalité, fraternité" schreit aus der unterdrückten seele des menschen heraus. freiheit ist nicht die marktfreiheit und die freihandelszone, sondern die befreiung aus der kriegsgefangenschaft der kriegskultur.
liberté heißt die befreiung vom druck der herrschaft. égalité ist das gesetz der sprache, des sprechenden menschen (was habermas zur diskursethik sublimierte). die hierarchie bedeutet die rückkehr des freien menschen in die bestialität des wolfsrudels, der affenhorde.
b) zur "Endlösungsfähigkeit" sagst du:
"Gemeint ist damit die Neigung zur maximalen eigenen Selbstverwirklichung, gleichgültig, wer dafür die Kosten tragen muss und wie hoch die Kosten sind."
das begreife ich nicht als menschlich, sondern als triebhaften unterbau des menschen. wer für welche zwecke auch immer überleichen geht, ist ein unmensch. nenne es selbstverwirklichung oder wahn und gewalt, es läuft stets auf rücksichtslosigkeit, mangel an mitgefühl hinaus.
polit- und marktmanager sind meist machtkrank und müssen insofern zur kur (gegen schmidts ausspruch, wer visionen habe, müsse zum psychiater), der machtinstinkt ist tierisch. die folgen sind bekannt.
c) das "Sozialkompatible":
was das bedeutet, hängt von der sozietät ab, in der mensch sich zufällig befindet. das ist mir zu relativistisch. ethik ist absolut. wenn sie es nicht wäre, hätten nazis und gewalttäter aller kaliber nicht mehr nötig zur akzeptanz als die zustimmung der vielen. die alten inder, die sehr gründlich über das los des menschen nachgedacht haben, fanden heraus, dass jegliche form der gewalt leiden produziert. was das heißt, hatten sie wohl ziemlich anschaulich vor sich. gewaltfreiheit erkannten sie als wahrzeichen des menschen, gewalt als kennzeichen des unmenschen. die inder bezogen die leidensfähigen lebewesen in ihre ethik mit ein.
mitgefühl und mitsprache halte ich für die maßstäbe wahrer sozialkompatibilität.
ahimsa gilt auch nicht für bauern, die wohl oder übel (auch ohne viehhaltung) tiere töten und verletzen durch ihre arbeit auf dem feld. das zeigt die grenzwertigkeit der ahimsa. sie ist ein extremwert oder ideal, nicht das menschenmögliche. dennoch ein leuchtzeichen. unentbehrlich im irdischen irrgarten.
d) moral ist überflüssig:
"Aus meiner Sicht der Dinge bedarf es der Moral nicht."
das meint auch michael schmidt-salomon.
und schon moralisiere ich dagegen: mensch braucht verständigung und zusammenarbeit. wo das fehlt, ist der mensch in gefahr. zum beispiel auch in einer überindividualisierten gesellschaft (ein widerspruch in sich), in der alle ihrer selbstverwirklichung zustreben.
übrigens fällt mir das raskolnikowproblem ein. der student in dostojewskis roman sieht die doppelmoral der napoleons oder (wie hegel sie nannte:) geschäftsführer des weltgeistes, die ungerührt ihrer lebensüberhöhung frönen, dabei über viele leichen gehen und ruhm ernten, während otto normale für einen einzigen mord heftigst bestraft wird. es ist bis heute nicht gelöst. "Sozialkompatibilität" greift zu kurz. ohne klare und allgemeingültige regeln des zusammenlebens kann mensch nicht leben.
zum verschütteten Menschen
mir ist nicht bekannt, dass wir bezüglich der Sozialisierungspraktiken urgeschichtlicher Menschen über belastbares Wissen verfügen, auch dürften sich diese Praktiken über die derzeit angenommenen etwa 2 Millionen Jahre menschlicher Urgeschichte hinweg immer wieder neu und damit different gebildet haben, vor allem, wenn man bedenkt, dass es die urgeschichtlichen Menschen als Einheit nicht gab, sondern viele verstreut lebende echte menschliche Rassen, die erst gegen Ende der Urgeschichte zusammenflossen. Auch stelle ich mir das Leben in nomadischen Jagdgruppen nicht als Idylle vor, harter Pragmatismus, der sich auch in den Regeln für den Zusammenhalt der Gruppe und in der Regulierung der Hierarchien niederschlug, erscheint mir da sehr viel plausibler (wie eine Regel der Art, welche nordamerikanische Inuit noch bis vor 150 Jahren praktizierten: wenn du zu alt bist, um im Stamm noch nützlich zu sein, gehst du bitte in die Eiswüste und stirbst dort mit dir selbst alleingelassen. Wenn nicht freiwillig, bringen wir dich auch gerne irgendwohin, wo du beim Sterben niemanden störst).
Am Übergang der Urgeschichte zur Zivilisationsgeschichte sehe ich daher nicht das Herandämmern bösartigerer Sozialsierungsformen, sondern einfach nur den Übergang von Klein- zu Großgruppen, allerdings unter Beibehaltung der alten, Kleingruppen-erprobten Sozialisierungsmethoden. Und das dürfte das eigentliche Problem gewesen sein. An heutigen Überresten von Stammesgesellschaften kann man gelegentlich immer noch verfolgen, dass deren Konzepte in der Kleingruppe das Überleben sichern, aber am Übergang zur Großgruppe regelmäßig scheitern.
Die von dir genannten Beispiele für die "Graswurzeln der Menschlichkeit" halte ich nicht für Beweis der Priorität des "Guten", sondern für Indizien für das Total aller Möglichkeiten. Das Menschliche besteht eben nicht aus dem moralisch als wünschenswert Darstellbarem, sondern aus dem Total dessen, wozu Menschen imstande sind.
Menschlichkeit auf das "Gute" reduzieren zu wollen, ist zwar ein sehr idealistischer Standpunkt, aber ein Blick in die Lebenswirklichkeit der Menschheit scheint da doch eher mir Recht zu geben. Ich weigere mich jedenfalls, die Menschheit frei zu sprechen, indem ich die Attribuierung "menschlich" auf das "Gute" reduziere und damit die "Unmenschen" als quasi eigenständige Rasse generiere, die an allem schuld ist. Ich halte das tiefenspsychologisch gesprochen für eine Abspaltung, mit verheerenden Folgen.
Das ist doch gerade das, was Christentum und viele andere Ideologien machen. Gut und Böse, Licht und Schatten. Der Mensch ist ein Integral, dessen eine Hälfte vollständig suspekt gemacht wurde, in der Annahme, es gäbe die beiden Hälften ohneeinander. Das Integral ist aber etwas anderes als die Summe seiner Teile. Erst diese Trennung der beiden Hälften gebiert die Furchtbarkeit des Menschlichen, weil der abgespaltene Teil natürlich gebieterisch nach seinem Lebensrecht verlangt. Weil wir das Integral durch religiösen Einfluss zu fürchten lernten, wurden wir furchtbar, nicht weil das Integral furchbar wäre. Ein in diesem Sinne unintegrierter Mensch ist sehr viel leichter domestizierbar und bleibt domestiziert, weswegen diese Spaltung bis heute so ein brillantes Mittel im Werkzeugkasten der Macht geblieben ist. Armeen leben davon, dass es Gute und Böse geben soll.
damit sollte auch deine Stellungnahme zum Konzept der Endlösungsfähigkeit hinreichend beantwortet sein.
zum Sozialkompatiblen
was meinst du damit, dass Ethik absolut sei? Ist sie ein Naturgesetz? Ist eine spezielle ethische Maxime ein Naturgesetz? Oder ist es nicht vielmehr so, dass wir - weniger die ethische als vielmehr genehme moralische - Maximen handhaben, als seien es Naturgesetze, damit sie als Mittel zum Zweck der Unhinterfragbarkeit anheim gegeben sind?
Ich bin ein Fan der Systemtheorien Luhmanns (und des Dekonstruktivismus Derrida´scher Prägung). Von daher ist aus meiner Sicht diese angebliche absolute Ethik/Moral nichts als ein Konstrukt, das bestimmte Zwecke erfüllen soll; und seine Reichweite ist genauso groß wie die Macht der gesellschaftlichen Strukturen, die es durchsetzen wollen.
Das, was mich bewegt, ist nicht Ethik oder Moral, sondern innere Angemessenheit. Ich frage mich nie, ob etwas ethisch vertretbar ist (Moral habe ich gänzlich aus meiner Lebenswelt verbannt, außer im Rahmen der unumgänglichen sozialen Mimikry, es gibt halt keinen Ort auf der Erde, wo meinesgleichen wohnen könnte, also ist Mimikry unumgänglich^^), meine zwei Fragen lauten immer "ist es mir angemessen?" und "will ich mit den Konsequenzen leben?" Trotzdem bin ich kein Psychopath, laufe nicht Amok, bin machtkritisch, empathisch, freundlich, komme mit meinen Freunden klar und bin sogar moderat sozial engagiert^^
Moral ist ein guter Weg in die Psychose.
Das Raskolnikov-Problem ist ein Problem von Menschen, die das Bild einer Idealität des Menschlichen hochhalten wollen gegen jede Evidenz des Faktischen. Die dem Kontrafaktischen Realitätsrang zubilligen wollen^^ Ein Scheinproblem, und selbst ein solches nur vor dem Hintergrund bestimmter Ideologien.
Sozialkompatibilität ist der äußerste gemeinsame Nenner.
lieber lethe,
deine "moral" erinnert mich irgendwie an mr bean und seinen "flexible friend". weiß nicht, ob du die szene kennst, in der bean irgendwo draußen versucht, ein sandwich zu belegen. zum schmieren fehlt ihm das messer. da besinnt er sich auf seine ec-karte, zückt, biegt sie und setzt sie ein mit den worten: my flexible friend!
ich ziehe es vor, im sinne rousseaus unsere schöne hochzivilisation zu dekonstruieren.
die inuit gingen, wenn sie alt genug waren und sahen, dass sie nur noch eine last für die jüngeren, "freiwillig" aufs eis, wie sie das nannten. du musst wissen, dass die leute eine ganz andere einstellung zu leben und tod hatten als wir.
die inuit sind am rande der ökumene trotzdem ein beispiel für menschlichkeit. freilich war das in dem weiten gebiet der polarregion nicht bei allen gleich. die netsilik folgten dem tabu, ihre kinder nicht zu laut anzusprechen, viel weniger auszuschimpfen, noch weniger sie zu schlagen. letzteres lernten sie erst von den frommen europäern.
von hierarchie kann in der vorzeit eben nicht die rede sein, weder bei den inuit in der arktis noch bei den mbuti in den tropen.
darum nenne ich es die rebestialisierung des menschen, als er sesshaft und zivilisiert wurde, das heißt, herrschaft und knechtschaft begann und stets differenzierter ausgebaut wurde.
ahimsa heißt: nicht verletzen. stemmt sich gegen die zivilisierte realität. das gebot erdacht zu haben, nannte albert schweitzer eine einzigartige leistung in der geschichte der menschheit. ich vergleiche es mit der entdeckung, besser: erfindung der null in der mathematik. ahimsa und null sind von indern erdacht worden. ahimsa ist ethisch eine null, weil handeln unmöglich wird, wenn jemand das ziel erreicht und nach dem gebot "lebt".
ein barbar ist das äußerste gegenteil. das andere extrem. mensch lebt irgendwo zwischen den extremen. je näher mensch aber dem ideal der ahimsa kommt, desto mehr ist er mensch. das hat auch etwas mit der alten dichotomie von gut und böse zu tun. meine definition von "böse" ist: wahn und gewalt. wenn du diese beiden tüchtig reduzierst, bist du relativ gut.
wissenschaft steht dem wahn gegenüber. oder allgemein: aufklärung.
"erziehung" zur hilfsbereitschaft der gewalt.
nehmen wir ein zeitgemäßes beispiel:
ökologisches handeln ist gut, weil es unnötige gewalt gegen die biosphäre vermeidet.
das kommt schweitzers "Ehrfurcht vor dem Leben" ebenso nah wie der ahimsa.
das soll ein hirngespinst sein? nein, mein lieber, das ist das gebot der stunde. alles andere ist waghalsig bis mörderisch.
"wissenschaft steht dem wahn gegenüber. oder allgemein: aufklärung."
Die Atombombe ist ein Enkel der Aufklärung und ein Kind der Wissenschaft, Kernenergie auch^^ Rationalität ist wertneutral^^
wir beide befinden uns in einem grundlegenden Dissenz, der sich wohl nicht wird auflösen lassen. Das hindert mich nicht daran, dich und deine Meinung zu respektieren, aber ich teile sie nicht
Lethe:"Aus meiner Sicht der Dinge bedarf es der Moral nicht. Es bedarf nur der Einsicht in einen einfachen Sachverhalt, der da lautet: Du wirst mit den Konsequenzen deines Tuns und Lassens leben. Und dann die Frage: Willst du mit diesen Konsequenzen leben?"
Ja, es wäre schön, mit der Logik der Konsequenz auszukommen, so schön und einfach, daß es eine ebenso einfache Antwort auf die Frage geben muß, warum sie in der westlichen Kultur nur selten, und dann mehrheitlich auch noch in einer untergeordneten Abteilung moralisch geprägter Sittlichkeit zur Anwendung kommt.
Die einfache Antwort:
Die Logik taugt nicht für gesellschaftliche Verhältnisse, in denen die lebenswichtigsten Zwecke der Beteiligten antagonistisch verknüpft sind, sodaß die Handelnden sich und einander zugunsten ihrer Handlungsfähigkeit über den ausschließenden Charakter der Zwecke und die Unauskömmlichkeit ihrer Verkettung belügen (müssen). Die Willensspaltung, von der Du an anderer Stelle so richtig sprichst, ist eine Willensverdopplung, dieselbe Willensverdopplung und Spaltung, zu der sich ein jeder in Verträgen und Vertragserfüllungen zu ermannen gezwungen sieht.
Dabei sind die Knüppel, Knäste und Henkersschlingen, Mittel einer ganz und gar nicht hilflosen Gewaltausübung, nicht außer Acht zu lassen ...
Respekt!
Tom
Lethe:
"Das, was mich bewegt, ist nicht Ethik oder Moral, sondern innere Angemessenheit."
Grüß Dich,
deklinier das doch mal am Fall der Lüge durch!
Die Frage entsteht natürlich nur, wenn es ein "angemessenes" Motiv zur Lüge gibt, nicht wahr? Ist es andererseits einem gesunden Willen angemessen, sich zu tarnen und zu Schlichen Zuflucht zu nehmen? Ist folglich nicht "Du sollst nicht lügen" immer ein moralischer Imperativ?
Doch damit nicht genug!
Wenn niemand löge, entfiele dann nicht jede Moral? Die Zweckmäßigkeit und die Risiken einer Entscheidung für oder gegen eine "Endlösung", wie Du das (m.E. psychologistisch daneben) nennst, läge offen, einschließlich beliebiger Konzepte von "Soziokompatibilität".
Aber halt!
Ist "Soziokompatibilität" nicht ein Pleonasmus, der einen idealistischen Fehler im Konzept von "Sozialität" anzeigt? Ist der Fluchtpunkt dieses Pleonasmus nicht just eine "Endlösung", nämlich die moralische Berufung auf eine angeblich drohende Vernichtung des gg. Sozialverbandes, bzw. seines Zusammenhaltes?
Das patriarchalische Privateigentum lebt nicht nur prachtvoll mit der methodischen Vernichtung von Sozialität, es lebt VON IHR!
SEIN Leben hat die Bewegungsform der Vernichtung bzw. minimal Entwurzelung von beliebigen Sozialverbänden, auch innerhalb der eigenen Geschichte, nicht nur ggüber störenden vorkapitalistischen Zuständen.
Tom
lieber lethe, wir sind in diesen fragen nicht einer meinung, schön. sonst hätten wir uns ja auch nichts zu sagen. außer ja und nochmals ja.
was du gerade zur aufklärung schreibst, ist mir sehr gut bekannt, aber nicht haltbar. es geht nicht um meine x-beliebige meinung, sondern um geschichte, fakten.
die atombombe als produkt der aufklärung zu bezeichnen, ist typisch für eine auffassung, die auf herrschaftskurs liegt. es ist nämlich so, dass die regierenden seit jahrhunderten daran interessiert waren und noch immer sind, kriegsrelevantes geliefert zu bekommen von diesen lakaien im forscherkittel.
im statut der royal society wird den leuten der akademie ausdrücklich untersagt, sich um fragen der politik, religion und ethik zu kümmern. sie sollen gefälligst werkzeug für den krieg abliefern, nichts sonst.
als leonardo sich am hof in mailand um eine anstellung bewarb, handelten 9 von 10 punkten in seinem schreiben von ingenieurskunst, nur einer von kunst. und er bekam den lob. er wusste, was er den herrschaften versprechen musste.
durch die einseitige förderung der kriegswissenschaften (von der kartografie, navigation, physik, chemie bis zur psychologie) ist die mordrate im krieg immens erhöht worden. von pfeil und bogen bis zum massenvernichtungsmittel.
das wird nun der aufklärung angehängt. die aber beginnt laut arno peters vor über 4000 jahren mit einem altägyptischen mediziner. das ist aber noch zu kurz gesprungen. mensch ist, was er ist, durch aufklärung, von der entwicklung der sprache, über die kritik der herrschaft (bei den daoisten in china, bei den dschainas in indien, bei den kynikern in griechenland, bei den quakers in england etc.) besonders durch die französischen aufklärer, angefangen bei jean meslier.
die sicht adornos und vieler anderer ist nichts anderes als die übernahme der herrschaftsperspektive.
die aufklärung ist von anfang an angetreten gegen wahn und gewalt. beides ist ihr übel genommen worden. die religiösen und die machthabenden hatten ihre gründe. aber ein mit vernunft und gewissen begabter mensch (lt. art. 1 der erklärung der menschenrechte, auch ein ergebnis der aufklärung) muss dem diktum nicht folgen. im gegenteil.
Tomgard, deswegen sprach ich ja auch von einer Einsicht und nicht von Logik; vielleicht hätte ich deutlicher von einer Einsicht sprechen sollen, die vom Kopf in den Bauch gerutscht ist, oder anders gesagt als Konstituente in das psychische Gefüge eines Menschen übergegangen ist. Es werden also immer nur Vereinzelte bleiben, die eine derartige Einsicht verinnerlichen. Hinsichtlich der Ausweitung auf Gruppen, gar Großgruppen, sehe ich ziemlich schwarz; das tue ich aber ohnehin insgesamt für die Gesellschaftsentwicklung. Ich sehe nirgends, dass das Prinzip der Herrschaft von Menschen über Menschen auch nur andeutungsweise angetastet wäre, oder dass es auch nur über Wunschdenken hinausgehenden Tendenzen dazu gäbe, da hat auch alle Aufklärung und haben alle noch so modernen und wünschenswerten Regeln nichts dran geändert. Strukturelle Gewalt wartet doch nur auf die Irren, die im Bekenntniswahn sich selbst und ihre wirklichen Positionen entblößen und sich dann über freundlichen Besuch wundern. Wir werden entweder assimiliert oder ausgespien. Also Mimikry. Nein, auf Großgruppen-Ebene hege ich keinerlei Hoffnung auf WEITER-Entwicklung, nur auf neue Anstriche.
TomGard, ist die Frage nicht viel mehr die, ob es irgendeine Instanz außer dir selbst gibt, die befugt ist, zu entscheiden, was für dich angemessen ist? Die befugt ist, dir zu sagen, was für dich angemessen zu sein hat?
Es gibt genügend Instanzen, die sich das anmaßen, und genügend viele Menschen halten dieser Anmaßung nicht stand. Aber alle "letzten" Begründungen sind Willkür, gut gemeinte Willkür, häufiger bösartige Willkür, in jedem Fall Willkür.
Wenn ein Mensch meint, es sei ihm angemessen, seine Freunde zu belügen, dann muss er das tun. Sollte er allerdings ein Jahr später darüber jammern, dass er keine Freunde mehr hat, hat er sich nur peinlich gemacht, weil er damit zeigt, dass er das Prinzip der Konsequenzen nie wirklich verstanden hat. Mit den Folgen lebt er trotzdem.
Das Konzept der Sozialkompatibilität ist für mich untrennbar mit Mimikry verbunden. Das hat nichts Idealistisches und nicht Idyllisches. Mensch wird ausgespuckt, wenn er nicht dafür Sorge trägt, dass er sozialkompatibel bleibt. Das müsste nun nichts Bedrohliches haben, aber wenn mensch nicht zum Suicid neigt, wo soll er/sie leben, und wovon? Also Werte- und Verhaltensmimikry. In der Sozialisation geschieht nichts anderes, nur dass die aufgezwungenen Werte und Verhaltensweisen nicht den genuinen Zwecken des einzelnen Menschen verpflichtet sind sondern gruppenspezifischen Zwecken. Ein kluger Mensch tarnt sich. Die wenigsten von uns sind mächtig genug, einen offenen Abgleich mit struktureller Gewalt zu überstehen.
werter h.yuren, da du so freundlich warst, meinen Beiträgen bis hierher zu folgen, müsste es für dich ersichtlich geworden sein, dass ich wahrhaftig keiner Herrschaftsperspektive anheim gefallen bin. Allerdings bin ich auch keiner idealistischen Perspektive anheim gegeben. Aufklärung ist ein Werkzeug, nicht mehr und nicht weniger, und was dieses Werkzeug leisten kann, hängt im hohen Maße davon ab, wie es benutzt und konkret umgesetzt wird. Es ist nichts per se "gut" nur weil es aufgeklärt ist. Die Planung und Durchführung von Kriegen enthält hochgradig rationale Elemente - oft gerade da, wo es am fürchterlichsten wird - nur eben nicht gerade in der Kriegspropaganda, weder in der nach innen, noch in der nach außen. Massenentlassungen sind hochrational; sie sind nur gleichermaßen zynisch, von der falschen Art Zynismus, die nicht an der Unausweichlichkeit des Menschlichen leidet, sondern diese benutzt.
Was die Aufklärung eigentlich wollen müsste, ist völlig irrelevant geblieben. Es ist ihren Apologeten bis heute nicht wirklich gelungen, die Sakrosanktheit der Zwecke - der Zweck heiligt die Mittel, nach wie vor - zu durchbrechen. Du darfst mir glauben, diese Diagnose tut mir selbst im Innersten weh, aber ich sehe sie durch nichts, was ich auf der Welt beobachten kann, wiederlegt. Es sind die gleichen uralten Zwecke, nur die Begründungen haben sich aufgrund des Einflusses der Aufklärung verschoben, und die Rationalität, mit der sie verfolgt werden, ist professioneller geworden.
Lethe, was Du "strukturelle Gewalt" nennst, ist in Summe der nicht abzulehnende Aufrag, der an die individuellen Privateigentümer ergeht, erlaubte und gewährte Zwecke und Interessen - und nur diese - berechnend! innerhalb des Dienstes an unwidersprechlich gemachten Zwecken und Interessen von Kapital und Staat, der Heimat DES Privateigentums, zu verfolgen. Vulgo der "pursuit of happiness", dem mit dem sog. Privatleben der Beteiligten eine formell autonome Zone eingeräumt wird, welche freizügig auf die Sphäre der Konkurrenz zu beziehen ihnen wiederum in den Grenzen des Strafrechts zugestanden wird.
Ich kann da keine "Eigenheit", nichts "genuines" erkennen. Auch ich selbst sehe mich als eine Variante des gewaltsam verfassten "Menschen", eine Inkarnation der herrschaftlich gültig gemachten Abstraktion "Menschlichkeit", die jedes Kind vorfindet und assimiliert, weil es gar nicht anders kann. Da ist keine "mimikry".
Deshalb erlaubt mir freilich mein Erkenntnisvermögen allemal, mich überall dort nicht als eine solche Inkarnation aufzuführen, wo es nicht oder doch nicht schwerwiegend sanktioniert wird. Ob ich mit solchem "Stolz" - man mag es durchaus so nennen - glücklich bin, oder nicht, wäre eine Frage, die ausschließlich der erwähnten Verfasstheit berechnender Subjektivität entstammte, folglich stelle ich sie nicht :)
na ja, TomGard, ich hatte mich irgendwo oben schon als Luhmann-Fan geoutet^^ strukturelle Gewalt geht aus dieser Sicht bei weitem über das hinaus, was der von dir skizzierte Auftrag beschreibt^^
Mimikry beginnt dort, wo die innere Autarkie des Willens beginnt^^ und die arbeitet sich nur in den Menschen frei, denen sie ein Anliegen ist, für das sie viel Zeit zu verwenden bereit sind^^
du kennst natürlich die Geschichte von Herrn K. und der Gewalt^^
lethe, in deiner letzten antwort geht nach meiner meinung einiges durcheinander. mir ist bekannt, dass aufklärung mit rationalismus und vernunftkult gleichgesetzt wurde und wird. folge falscher schule und falscher begriffe.
krieg und aufklärung gibt es in afghanistan in einem atemzug, nicht aber im verständnis der französischen aufklärung.
die ratio ist ein werkzeug, auch im krieg. die aufklärung ist kein werkzeug, sondern ein ziel, nach meinem dafürhalten das einzig menschenwürdige.
"Was die Aufklärung eigentlich wollen müsste, ist völlig irrelevant geblieben."
was du mit dem satz sagen möchtest, ist mir verborgen geblieben.