Blutiger Brauch, den niemand braucht

Rituale. traditionen, sitten und gebräuche wie z.b. schützenfeste lösen sich oft ganz von ihrem ursprung und leben als reines ritual fort.

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wohl die älteste gewohnheit der menschheit ist die jägerei, ein erbstück aus der altsteinzeit. wie und wann mensch auf den geschmack kam, tiere zu essen, ist nicht bekannt. nur soviel ist sicher: schon unsere nächsten verwandten im tierreich zeigen gelegentlich jagdgelüste. je weiter sich die urmenschen von den warmen weltregionen weg vorwagten in kühlgemäßigte zonen, desto größer wurde der zwang, den speiseplan durch fleisch zu ergänzen. schopenhauer glaubte vor knapp zweihundert jahren noch, dass die tierische nahrung in den nördlichen breiten hierzulande unentbehrlich sei. heute weiß mensch etwas mehr über ernährung und hat vor allem mehr möglichkeiten, sich gesund zu ernähren, ohne auf die jagd oder zum metzger zu gehen.

die jagd ist zum brauch verkommen, zur gewohnheit gewisser leute ohne not und nutzen, zum ritual. wie beim fleischessen spielt auch bei der jagd heute die unverdaute historie eine entscheidende rolle. fleisch zu essen und auf die jagd zu gehen waren jahrhundertelang fürstliche privilegien. sind inzwischen auch die anmaßungen der adelskaste geschichte, wirkt doch das prestige der früheren wildbretfresser und wildtöter in den bräuchen unbewusst nach.

ein anderes überflüssiges blutvergießen ist in letzter zeit groß in mode, das tätowieren. die ureinwohner neuseelands, die maori, sind bekannt für ihre großflächigen hautzeichnungen. waren die schmerzhaften bearbeitungen der haut früher rauen seebären vorbehalten, so schmücken sich heutzutage gern schwere jungs und leichte mädchen mit den blauen gravuren, aber auch immer mehr junge leute allgemein. den meisten tatooträger/innen dürfte nicht bewusst sein, dass sie damit ihre rückständigkeit bis steinzeitlichkeit zur schau stellen.

die nachfrage ist so groß, dass tätowierungsangebote aus versteckten randlagen nun in beste geschäftslagen der innenstädte umziehen. im angebot dieser läden sind auch die nicht minder unter die haut gehenden piercings. während die noch in der steinzeit lebenden stämme afrikas und südamerikas grobe holzstäbe in ohren und lippen tragen, dekorieren sich die leutchen hier und heute mit blinkenden metallstiften und -ringen, die an allen möglichen und unmöglichen körperteilen auffallen. es scheint so, als hätten die ohrringe, die es ja zum schmuck der weiblichkeit schon vor generationen gab, nun den ganzen körper erobert, und zwar von männlein und weiblein gleichermaßen. sieht man die verteilung der gezwickten in der bevölkerung, könnte der eindruck entstehen, dass große teile vor allem der jüngeren unbewusst signalisieren, wie sehr sie von der etablierten gesellschaft abgehängt sind.

fazit: die knalltypen mit grünem hut und die gepierceten und tätowierten erinnern exemplarisch an den riesigen ballast, den die gesellschaft mitschleppt.

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Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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