bullen und schweine.

ein besuch auf dem lande. die sogenannten bauern, eigentlich aber fleischproduzenten, machen werbung für ihr treiben mit dem label tierwohl. animal rights watch zeigt bilder aus den ställen.

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ich gehe auf den mann zu. er hat ein rundes flaches gesicht. er kennt mich nicht. ich sage meinen namen und dass ich theo mal wiedersehen möchte.

das bin ich, antwortet der bauer. er erkennt mich nicht wieder. das sehe ich. 33 jahre sind eine zu lange zeit. theos gesicht hat für mich etwas veretrautes. was aber, weiß ich nicht. ich krame erinnerungen heraus. sie sind mein ausweis. theo lädt mich in sein haus ein. wir gehen durch den vorraum. in der küche sind zwei seiner töchter, seine frau und seine mutter. diese war damals schlank und jung. es war krieg. jetzt ist sie ziemlich alt und rund. sie lacht.

wir gehen weiter in den nächsten raum. aber wir setzen uns noch nicht. erst öffnet theo eine große schiebetür, und wir stehen wie vor einem schaufenster. in der guten stube vor uns ist alles neu und teuer. kein zutritt. hier feiert theos familie seltene feste, weihnachten zum beispiel, hochzeiten und beerdigungen. theo schließt die schiebetür wieder. wir setzen uns. es gibt bier und schnaps.

wir reden über dies und das. theos jüngster (7) will mitreden. aber die junge bäuerin bringt ihn zum schweigen. laut und plattdeutsch. der kleine bernd hält den mund. er geht in die fernseh-ecke und schaltet das gerät ein.

theo sieht, sagt er, jeden abend um acht uhr die tagesschau. anschließend geht er ins bett. der hund, der meist auf dem sofa liegt, kennt das pip-pip-pip-signal nach dem wetterbericht. sobald das ertönt, saust er vom sofa in seine ecke im stall. jeden morgen um vier steht theo auf. auch sonntags. das vieh kennt keinen sonntag. urlaub gibt es nicht.

willst du den stall mal sehen, fragt theo. aber ja.

da stehen die bullen in langen reihen. die tiere sehen stramm aus in ihren braunen uniformen. ein breiter riemen hält sie an der stelle fest. wenn die fessel fällt, geht es zum schlachter.

weiter in den schweinestall. die meisten tiere liegen in den engen boxen auf dem steinboden und schlafen. nur die säue mit ferkeln haben etwas stroh. mit stroh fressen die nicht so oft ihre jungen, erklärt theo. die übrigen schweine haben autoreifen in der box. sie beißen sich sonst die schwänze und ohren blutig, erklärt theo. sie brauchen was zum kauen. der schweinestall ist das umgebaute ehemalige bauernhaus.

theo führt mich an seinem wachhund vorbei nach draußen. wir sehen kühe mit kälbern auf der weide. die grünflächen sind fast unverändert. ich kann mich erinnern. aber theo sagt, das wird alles anders. die flurbereinigung kommt. die bäume müssen alle weg. bis an den wald dahinten. das wird ein großes stück land. mit tiefen gräben rundherum. warum, frage ich. es ist dann als ackerland nutzbar. brauchst du den acker? nein, sagt theo. und was kostet dich das? 20 000 mark. und du kannst nichts dagegen tun? nein, sagt theo. das kommt ja vom staat.

zuletzt stehen wir vor einer hütte ohne fenster. das ist der hühnerstall, sagt theo. wir gehen hinein und sehen im halbdunkel drahtkäfige in langen reihen. in jedem käfig haben drei tiere einen stehplatz. das futter ist ein dunkelgraues pulver. die hühner sind halbnackt. sie hacken und scheuern sich das gefieder ab. überall hängen flaumbüschel. für die hühner habe ich keine zeit, erklärt theo. das macht meine frau. die 1000 hühner müssen pro tag 500 eier legen. wenn es weniger sind, werden alle tiere geschlachtet. leistungsgesellschaft heißt das.

als kinder suchten wir die wilden nester der freilaufenden hühner. weißt du noch?

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Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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