Bundesmuff in R(h)einkultur

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Buchkritik zu: Christoph Schmitz, Das Wiesenhaus

Das ist, um es gleich vorweg zu sagen, eine unfromme Unterweisung für Messdiener/innen oder ein frisch-fromm-fröhlich-freies Exempel rezenter Feld-, Wald- und Wiesen(haus)literatur.

Der Inhalt des Romans besteht im wesentlichen aus Erinnerungen an eine Kindheit am Rhein, der Kölner Dom in Sichtweite. Vor allem die vielen Dialekt-Einsprengsel verankern das Geschilderte lokal.

Der Roman ist schwarz eingerahmt durch die Rahmenhandlung, die den Erzähler als krebskranken Familienvater im Bett zeigt, der seine Erinnerungen aufschreibt, erschreckend zeitgemäß via Laptop.

Stereotyp beginnt jedes Kapitel mit dem Sätzchen: „Bevor ich sterbe, muß ich erzählen.“

Auf Seite 88 folgt dem liturgischen Spruch: „Damit die Geschichten meiner Kindheit nicht verlorengehen.“

Zum Schluss geht die Erzählung freilich weit über die Kindheit hinaus, über die Schulzeit bis ins Studium.

Die regelmäßige Wiederholung des „Bevor ich sterbe, muß ich erzählen.“ verliert mit jedem Mal an Wirkkraft, denn der Sterbenskranke schreibt munter Kapitel um Kapitel bis an die zweihundert Druckseiten. Doch gegen Ende bleibt die tod-ernste Formel aus. Die Fiktion vom nahen Ende wird aufgegeben und auf unbestimmte Zeit ins Ungewisse verschoben: „Ein plötzlicher Tod scheint für mich nicht vorgesehen zu sein. Ob er in absehbarer Zeit vor der Tür stehen wird, ist nicht sicher.“ (183)

Der schmale schwarze Rahmen wirkt wie die Umrandung einer Todesanzeige, kontrastiert aber mit den mehr oder minder bunten Ereignissen im Textteil. Das Memory-Spiel obsiegt, das Memento mori verliert, je weiter die Erzählung fortschreitet.

Orthografisch fällt die konservative Schreibung des „muß“ (mit -ß) auf, dem die konservative Weigerung entspricht, drei gleiche Konsonanten hintereinander zu schreiben, etwa in „Schaumstoffabrik“ (81) und „Stofflächen“ (156).

Da die Rechtschreibung hierzulande einem Glaubensbekenntnis nahe kommt, ist sie hier ein sicheres Indiz für die erzkonservative Botschaft des ganzen Romans. Verräterische Ausdrücke wie „die Weisheit der Geschichte“ (179), „Autofahren war für sie ein Ausdruck der Freiheit.“ (154) oder „die Schönheit der Religion“ (114) stehen nicht von ungefähr ganz ohne distanzierende Anführungsstriche im Text.

Gar nicht auszudenken, was Frau Peters, die genau hinhörende und nachfragende Pfarrersfrau im Roman, zu ihrer Darstellung und zum ganzen Rest sagen würde. Sie war es, die des Erzählers Liebe zum TV-Colli Lassie als Illusion und Betrug entlarvte. Das fand der Junge so ungewohnt und unerhört, dass er die Frau nicht mochte. Sie wurde denn auch angemessen vom Schicksal bestraft. Ihr ältester Sohn verließ die Familie noch vor dem Abi und reiste um die Welt, um schließlich in einer Heilanstalt zu landen. Es geht eben doch gerecht zu in der heilen Welt.

Was sein ehemaliger Deutschlehrer vom Gymnasium zu seinem Werk gesagt hätte, ist keine Frage. Studienrat Mertens, Sohn eines stadtbekannten Nazis, war ein kritischer und engagierter Lehrer, der den Schülern beibrachte, dass es Ausbeutung überall gebe. „Bei ihm kam alles auf den Prüfstand.“ (180) Nicht nur die Bildzeitung, auch die Tagesschau.

Für den katholischen Erzähler aber ist kritisches Denken, ist In-Frage-stellen aller Sätze und Gesetze nicht geheuer. Es ist nicht nur fremd und ungewohnt, es ist vom Teufel.

Dieser kritische Deutschlehrer hatte es gewagt, des Erzählers Beitritt zur Schülerunion mit Enttäuschung aufzunehmen. Und als sein Missfallen keine Wirkung gezeigt hatte, verschlechterten sich die Noten des Schülers in Deutsch und Sozialkunde.

Zur Strafe wurde der Mann noch während der Schulzeit des Erzählers richtig krank. Er litt unter großen Schmerzen, musste operiert werden und vorzeitig seinen Dienst quittieren. Später fuhr er auf gerader Strecke gegen einen Baum und war auf der Stelle tot.

Es geht eben rundum gerecht zu in der heilen Welt des katholischen Erzählers.

Ach ja, noch etwas kreidet der ehemalige Schüler seinem ehemaligen Lehrer an, damit das Maß voll wird: Mißbrauch (mit -ß), Missbrauch einer Mitschülerin.

Hat der katholische Erzähler in den letzten Jahren keine Zeitungen mehr gelesen, keine Nachrichten mehr gehört, dass er das heikle Thema anschneidet?

Wie gesagt steigert sich der Erzähler der Kindheitserinnerungen zum Schluss bis in die Studienzeit. Auf dem Gipfel der Kühnheit offenbart er sein sündhaftes Versinken in der Häresie. „Im Studium las ich Nietzsche. Seine Verachtung des Himmels wurde mein neues Bekenntnis.“ (188)

Ein sehr spätes Echo des wilhelminischen Bürgerschrecks in der Ära Adenauer, nachempfunden in der Berliner Republik.

Weil aber in der besten aller möglichen Welten alles seinen Preis hat, fühlte der katholische Student sich nicht wohl in seiner Sünde. Er „war traurig und niedergeschlagen“. (188)

Das änderte sich erst, als er zum Erzeuger wurde. Dem eigenen Nachwuchs konnte er etwas vormachen. Das Happy end kam aber erst, als noch eine weitere Bedingung erfüllt war. Er musste von einer Beuys-Ausstellung etwas Filz mitgehen lassen. Dann endlich war es soweit, dass er seinen Kindern die Geschichten vom Osterhasen und Weihnachtsmann mit leuchtenden Augen erzählen konnte.

Irgendwann hat Suhrkamp mal Literatur verlegt, die lesenswert war – für Erwachsene.

Über die Bestenliste des SWR kein Wort. Der Autor beherrscht sein Deutsch bis in die Mundart. Er hat aber nichts zu sagen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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