dann gibt es nur eins(2).

fortsetzung s. o.

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der tag hatte planmäßig und heiter begonnen und versprochen, ein schöner tag zu werden, ein sonniger sommertag. wie verabredet waren sie beide pünktlich per rad an der straßengabelung, er und evelyn, und radelten die paar kilometer zum see hinaus, störungsfrei wie das wetter. an einer geeigneten stelle machten sie unterwegs halt, rast im hohen gras, wo die halme einer kleinen weißen wolke winkten. sie liebten diesen himmel hinter gräsern. drüben im bauernwald rief der schwarzspecht sein glüglüglüglüglü und trommelte schallend aufs holz, als wäre es hohl.

am see angelangt, fanden sie die erstbeste bucht so einladend, dass sie nicht länger warten wollten und von den rädern ins verlockende nass umstiegen. die wassertemperatur lag genau richtig, nicht lau und auch nicht kalt, angenehm erfrischend. mit ruhigen froschzügen lösten sie sich gleichzeitig vom ufer. so nah nebeneinander, dass sie sich manchmal berührten, zogen sie einen bogen quer durch die kleine bucht. er fühlte sich, als hätte er eine menge dazugelernt, unvergleichlich sicher. es war windstill. wie ein gestriegeltes turnierpferd glänzte die wasseroberfläche in der sonne.

ich hab mal gehört, du könntest nicht schwimmen, sagte evelyn lächelnd. hast du etwa heimlich geübt?

heute klappt einfach alles, gab er lachend zurück.

nach der ersten wende fragte evelyn: kommst du mit zum anderen ufer? einmal ganz durch. das ist schöner als das hin und her in dieser engen bucht. komm, du wirst es selbst sehn.

er zögerte noch. eigentlich wäre doch nichts dabei. er fühlte sich ungewohnt sicher.

du überlegst immer zu lange, hatte sie gesagt und war schon vorausgeschwommen.

er wischte die letzten zweifel beiseite, indem er sich vorbehielt, notfalls umzukehren, wenn er wider erwarten noch einmal aus dem rhythmus fiele. er wollte die gunst der stunde nutzen und sich wenigstens eine bewährungsprobe gönnen. entschlossen nahm er kurs aufs gegenüberliegende seeufer, evelyn nach. und es ging genauso fabelhaft weiter wie zuvor in der probebucht.beinahe wie von selbst. er schwamm mit weit ausholenden und gleichmäßigen bewegungen wie eine maschine, die richtig eingestellt ist.

irgend etwas auf der rechten hand zog seine aufmerksamkeit auf sich. beim nächsten vorstrecken der arme sah er genau hin und erkannte die drei verkrusteten schrammen, die evelyn vorgestern, rechts neben ihm fahrend, plötzlich erbost wie eine katze mit ihrer linken tatze gekratzt hatte. er musste an die durch eine kerbe gekennzeichneten bäume denken, die ihm am straßenrand aufgefallen waren, wenn es sich auch mit deren schrammen gerade umgekehrt verhielt: die hoben sich hell von der baumhaut ab.

das wasser im see blieb still. doch es schien in der tiefe zu lauern. die stille hielt an, bis er sich umsah.

seine gedanken rasten auseinander wie aufgescheuchte hühner. nirgendwo fassten sie halt. ebenso haltlos huschten seine hände. er fand sich gefangen in einer falle. auf den ernst, mit dem der see ihn gefangen hielt, war er nicht vorbereitet. er hatte geglaubt, noch spielen zu können mit möglichkeiten. der ernst erschreckte. es packte ihn ein ähnliches gefühl wie vor vier jahren, als er ungläubig und wie ein ertappter vor dem spiegel stand und ihm heiß und kalt wurde. seinen jüngeren bruder hatte es bereits erwischt. die scharlachsymptome ließen ihm keine chance. der arzt schickte ihn für sechs lange wochen aus dem sommer ins krankenhaus, isolierstation.

ich muss es schaffen. weiter, nur weiter voran, näher ans ufer, dachte er. er dachte nicht an hilferufe. noch nicht. es wollte ihm einfach nicht in den kopf, dass er ebenso erbärmlich dran sein sollte wie eine beliebige fliege, die in eine pfütze gefallen ist: wenn kein beständiger wind sie rechtzeitig an den rand fegte, würde ihr hilfloses krabbeln bald erlahmen.

ein plötzlicher luftzug ließ die birken und kiefern am see aufrauschen. wo die bö auf die wasseroberfläche traf, raute sie sie auf wie ein gegen den strich gekämmtes fell. als die erste sachte welle ihm ins gesicht schlug, verschluckte er sich.

ich werde krepieren wie eine fliege, dachte er. zu atmen wagte er nicht mehr. oder konnte es einfach nicht mehr. irgend etwas sperrte sich. bei angehaltenem atem schwamm er mit hastigen bewegungen weiter. nacheinander schlugen ihm ein paar höhere wellen in die augen. das ufer schwankte. es fing an zu tanzen wie ein leichtes boot im sturm. doch riss die plötzliche bö ebenso plötzlich wieder ab. der see glättete sich, als wäre nichts geschehen.

luft, er brauchte luft.

ich werde es nicht schaffen, wusste er jetzt. er starrte voraus, dorthin wo evelyn am ufer wartete. er war angstbleich, am ende seiner kraft. ich kann nicht mehr, spürte er und riskierte den letzten rest luft aus seiner lunge für einen halb erstickten heiseren hilferuf.

das seeufer rundum war von leben erfüllt. es sah bunt aus mit den vielen leuten, mit jugendlichen und ganzen familien auf picnicdecken, übergossen von sonne und musik aus den radiorekordern. wenn jemand am ufer den gedrosselten hilferuf überhaupt vernommen hatte, dann doch nur so undeutlich durch den fröhlichen lärmschleier, dass er oder sie vielleicht unbewusst eben den blick hob, um danach ungestört weiterzudösen auf der sonnendecke oder sich wieder ganz dem kartoffelsalat oder kaffee zuzuwenden. vielleicht war auch ein hellhöriger dabei, der freilich den einmaligen hilferuf für einen scherz hielt. wenn jemand ernsthaft in lebensgefahr schwebte, würde er sicher etwas mehr aufbieten, um auf seine notlage aufmerksam zu machen. zum telefon, das nur einmal klingelt, eilt auch niemand, in der annahme, dass sich jemand verwählt hat.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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