dann gibt es nur eins(4).

fortsetzung. s. o.

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der see war tief. die meinungen und vermutungen darüber, wie tief er sei, gingen weit auseinander. im mittel lagen sie etwa bei kirchturmshöhe. von niemand in zweifel gezogen wurde aber die überlieferung, wonach an der stelle des sees vor zeiten der gelbe sandstein für den bau der schlösser und kirchen gebrochen wurde, bis nach mehreren verregneten jahren die eindringenden wassermassen das herrschaftliche unternehmen zur aufgabe zwangen und der steinbruch nach und nach ertrank.

selbst erfahrene taucher wagten sich nicht bis auf den grund. sie warnten vielmehr vor dem bloßen versuch und erzälten die geschichte von dem jungen mann, der sich ganz auf sein neues atemgerät verließ. er sei nie wieder aufgetaucht. froschmänner hätten die suche nach einer woche aufgegeben. wahrscheinlich habe der leichtsinnige in einer der vielen felsnischen in der tiefe sein grab gefunden.

plötzlich riss es ihm die augen weit auf. durch das gelbliche lehmigtrübe wasser sah er weit oben über sich das tageslicht einfallen wie durch eine nie geputzte dachluke. er fühlte sich kraftlos, aufgezehrt wie ein abgebranntes streichholz, an dem nur noch ein letzter funke glimmt. in diesem augenblick durchfuhr ihn nur der eine gedanke: zum licht!

die angst war nicht weg. doch es war nicht mehr die zappelnde wilde angst, nicht mehr die blinde angst. als hätte die erschöpfung auch die angst erfasst und geknebelt und als hätte der sauerstoffmangel sein gehirn leer gefegt bis auf den einen gedanken, starrte er zu dem schwachen lichtschimmer hinauf. er wusste, was er tun musste. er spannte arme und beine an, und sie gehorchten wie selbstverständlich. wunderbare kraft floss ihm zu aus den unglaublichen reserven des vom tode bedrohten. der reflex des kehlkopfs dichtzumachen, sodass kein wassertropfen in seine lunge eindrang, hatte ihn beschützt. die in der lunge eingeschlossene luft sorgte für zusätzlichen auftrieb. es ging rasch aufwärts.

noch ehe er die wasseroberfläche erreichte und das sonnenlicht ihn blendete, fühlte er eine hand unter seinem kinn, eine hand, die ihn sicher über wasser hielt und zugleich ins schlepp nahm. er war gerettet, das wusste und fühlte er. der kehlkopfverschluss löste sich von selbst, und er konnte wieder atmen.

er konnte sich aber nicht umsehen, doch sah er seinen retter und sich selbst wie in der skizze, die er mal in einem buch gesehen hatte. darunter hatte gestanden: Rettung in Rückenlage. die schlichte skizze wurde nun von dem gefühl gefärbt, selbst der gerettete zu sein.

niemand schoss rasch ein foto. und auch das fernsehen, das bei der ziehung der lottozahlen stets dabei war, hatte kein aufnahmeteam geschickt.

während er mit ruhiger arm- und beinarbeit seinen retter unterstützte, sah er sich auf einmal umringt von jungen burschen, die wie ein geleitzug das rückenschwimmgespann absicherten. das waren die wasserballjungs, die ihm, alarmiert durch evelyns hilferufe, von weitem ihren ball zugeworfen hatten.

wiederbelebungsversuche erübrigten sich. er stand an einen baum gelehnt wie ein boxer nach zermürbendem kampf in der ringecke und spuckte etwas wasser. als er sich ausgehustet hatte, atmete er luft und sonne so benommen und neu wie eine eben im schilf geschlüpfte libelle.

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Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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