dann gibt es nur eins(5).

fortsetzung. s. o.

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die wasserballjungs in der geschichte waren keine wasserballspieler, sondern mitglieder der deutschen lebensrettungsgesellschaft (dlrg), die sich im see gezielt für alle fälle bereithielten und nebenbei mit einem großen bunten ball spielten.

im namen der dlrg ist schlicht von lebensrettung die rede, nicht vom spezialfall, auf den sich die dlrg fokussiert hat, der rettung ertrinkender.

hinter dem ziel lebensrettung, zumal in der sonderform der rettung ertrinkender, ist kaum noch der ursprüngliche impuls zu finden, menschen in lebensgefahr spontan zu helfen. aber tatsächlich gibt es weltweit noch die spontane rettung ohne rücksicht auf das risiko für das eigene leben. es kommt vor, dass ein schwacher schwimmer dem fremden, der vor seinen augen zu ertrinken droht, zu hilfe eilt und dabei selbst ertrinkt. dieser fall macht klar, dass vielen menschen der antrieb eigen ist, in not geratenen artgenossen spontan und selbstlos zu helfen.

ich spreche in so einem fall vom urgewissen, das sich regt. urgewissen, weil es primitiv wie ein instinkt, der durch die bestimmte situation ausgelöst wird, kein zögern zulässt. ich gehe davon aus, dass die urform des gewissens auf zeitalter zurückverweist, in denen menschen in kleinen gruppen nur überleben konnten, wenn die leute in brenzlicher situation sofort bereit waren, dem oder den bedrohten zu helfen.

derart solidarisch eingestellte gruppen waren evolutionär im vorteil. sie waren fitter im struggle for life als nicht so hilfsbereite gruppen. die spontane rettungsreaktion wurde genetisch verankert, das urgewissen etabliert.

mit beginn der zivilisation veränderte sich die lage der menschen grundlegend. nicht mehr die spontane reaktion einzelner in kleinen gruppen lebender menschen entschied über das wohl und wehe, sondern die mächtige organisation. vorbild war die organisation eines feldzugs. auch notlagen wurden organisatorisch angegangen.

die gründung der dlrg folgt dem muster. das erklärte ziel der organisation war, menschen am, im und auf dem wasser vor dem ertrinken zu retten. in einer art landesweiter offensive wurden entsprechende vorkehrungen getroffen, übungen und technische unterstützung organisiert. kurz vor dem ersten weltkrieg war das ein zeitgemäßer fortschritt, die zahl von tausenden ertrunkener zu reduzieren.

andrerseits war die anstrengung zur lebensrettung per dlrg ein nichts gegen die organisation des krieges. alle erfolge der dlrg blieben eine lächerliche randerscheinung im vergleich mit den tötungserfolgen der kriegsmaschinerie. die gute sache verkommt in der zivilisation zur nebensache.

was die sache nicht besser macht, ist die tatsache, dass die zivilisierten verhältnisse gekennzeichnet sind durch die große soziale ungleichheit, die gleichbedeutend ist mit der radikalen entsolidarisierung. einem edelmann würde es erst gar nicht einfallen, den bauer aus dem wasser zu ziehen, der bei der arbeit hineingefallen war.

überhaupt scheint der ursprüngliche menschliche impuls zu helfen und zu retten gegenüber den organisierten maßnahmen per feuerwehr, katastrophenschutz, medizin und dlrg gar nicht mehr überlebenswichtig für die spezies zu sein. doch das ist ein fataler irrtum. die unübersehbare rücksichts- und gewissenlosigkeit der machteliten bedroht die zukunft der spezies massiver als alle naturgewalt jemals zuvor. am ende erweist sich das urteil des irrationalsten der französischen lumières, j.-j. rousseaus, als realistisch: mit dem beginn der zivilisation gehe es bergab mit der menschheit.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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