Das Ende der Staatlichen Ära (4)

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obgleich aus dem dorf hervorgegangen, war die stadt etwas spektakulär neues, von anfang an und für immer der gegensatz zum landleben, nicht als gleichrangiges gegenüber, sondern hoch überlegen. herrschaftlich.
als die von bewaffneten männern besetzte zitadelle (wie später das trojanische pferd) in das von weiblichen gottheiten dominierte dorf eingezogen war, verschanzte sich die neue siedlung hinter einer hohen mauer. das programm der stadt hieß wachstum, wachstum um jeden preis, nicht bloß wie zuvor im kult beschworenes, sondern mit allen mitteln vom machtzentrum betriebenes und gesteuertes wachstum. wachstum bis zum weltreich und weiter (denn ewig ist zu emotional) zum ruinenfeld unter sand und gras.
der stadthistoriker lewis mumford umschreibt den ursprünglichen stadtkern so: "Die frühesten als Städte erkennbaren Ruinen zeigen gewöhnlich nur die anfangs beherrschenden Teile, Tempel und Palast."
das oberkommando aus größenwahn und zentralgewalt setzte die große maschine in bewegung, deren hebelarme bauwerke in ausmaßen schufen, die bis dahin unvorstellbar waren, aber auch zerstörungen und raubzüge ausführten, deren übermaß an schrecken und grausamkeiten unbeschreiblich war.
mumford nannte den herrschaftsapparat der städtischen hierarchen "menschenmaschine"; darunter verstand er die erste komplizierte maschine, deren bewegliche teile aus menschen bestanden.

die heldentaten der hoch- und tiefbauten und der vernichtungsorgien vergrößerten noch den größenwahn der zentralgewalt und ließen zugleich die kleinmütigen noch ehrerbietiger und kniefälliger in den sand sinken.
mumford bringt mit der menschenmaschine etwas auf den begriff, das mit den bezeichnungen hierarchie, arbeitsteilung oder organisation mehr verschleiert und verschwiegen als sinnfällig gemacht wird. das wort menschenmaschine bringt den zynismus im innenbezirk der zivilisation zur sprache.
urbild und inbegriff der menschenmaschine ist die schlagkräftige truppe, in der das gleichheitsprinzip der strengen rangordnung geopfert, der mensch zum ausführenden organ des befehlshabers verdinglicht und ziel und zweck der menschenverachtend strukturierten institution konsistent tod und vernichtung ist.
angesichts der überlieferten und gerühmten erfolge dieses technisch perfekten hauzeugs, das dem faustkeil so hoch überlegen ist wie die hochkultur dem neandertal, angesichts der sattsam bekannten triumphe der sieger spricht mumford vom trauma der zivilisation.
schon im gilgamesch-epos übertönt der heldengesang nicht ganz das wehklagen der leute von uruk.
lewis mumford unterstreicht relativ ausgewogen die ambivalenz der institution stadt: "So viele wertvolle Aufgaben die Stadt auch gefördert hat, so ist sie zugleich während des größten Teils ihrer Geschichte ein Behältnis organisierter Gewalttat und eine Quelle von Kriegen."

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Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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