Der Kampf der „Aufklärung“ ging notwendigerweise gegen die doppelte Repression durch Kirche und Staat. Der Druck der einen Instanz war untrennbar mit dem der anderen verbunden. Wahn & Gewalt, das Markenzeichen der „Zivilisation“, präsentiert sich nach dem Gesetz der historisch-geographischen Adaptation in christlich-abendländischer Kostümierung.
Mochten die Operationsfelder und Kampftaktiken der Aufklärer auch ganz unterschiedlich sein, im Urtext der Französischen Aufklärung, dem Samisdat-Werk des Jean Meslier, seinem „Zeugnis der Wahrheit“, sind die Frontlinien entschieden und klar gezeichnet:
„Wenn alle, die genauso gut wie ich, oder eher noch besser als ich, die Eitelkeit der menschlichen Dinge kennen, die viel besser als ich die Irrtümer und den Betrug der Religionen kennen, die viel besser als ich die Missbräuche und Ungerechtigkeiten der Herrschaft kennen, wenigstens am Ende ihrer Tage sagten, was sie darüber denken, wenn sie das alles wenigstens, bevor sie sterben, in dem Maße anprangerten, verurteilten und verdammten, wie es dies verdiente, dann sähe man die Welt bald ihr Gesicht und ihre Gestalt verändern; man lachte bald über all die Irrtümer und all die eitlen und abergläubischen Verrichtungen der Religion, und man sähe bald diese ganze prachtvolle Größe und diesen ganzen stolzen Hochmut der Tyrannen fallen; man sähe sie bald gänzlich bezwungen.“
Dieser barock ausholende Satz ist kennzeichnend für Mesliers Stil. Ohne den Witz und die Gewandtheit der bekannten lumières unterscheidet sein Text sich von den Schriften der Jüngeren wie das Urgestein von gemeißelten Stücken. Sein Werk ist die Antwort auf sein Leben unter den Bedingungen des Ancien Régime. Meslier kannte das Kartell von Wahn & Gewalt, sprich: Kirche und Staat, aus ganz eigener Erfahrung. Niemand hat die menschenfeindliche Doppelspitze so klar erkannt und so entschieden verurteilt wie der Landpfarrer aus der Grenzprovinz der Ardennen.
In das Zusammenspiel (im Komplizendeutsch: Amtshilfe) gewähren die bischöflichen Akten Einblick, wo sie über eine Begebenheit in einem Dorf in den Ardennen berichten.
Es war die Zeit kurz nach dem Ende des „Sonnenkönigs“ Ludwig 14. Der Seigneur von Etrépigny, besagtem Ardennendorf, hatte mal wieder ein paar Bauern misshandelt. Daraufhin unterließ es der Priester Meslier in der sonntäglichen Messe, den Grundherrn wie üblich der Fürbitte der Gemeinde zu empfehlen. Dem Seigneur entging die Strafpredigt ohne Worte nicht. Über die unerhörte Abweichung vom gewohnten Ritual beschwerte er sich beim Vorgesetzten des Priesters, dem Erzbischof in Reims. Prompt wurde der Dorfpfarrer gerügt und angewiesen, das Versäumte umgehend nachzuholen.
Am folgenden Sonntag hörten die in der Kirche versammelten Dörfler von der Kanzel:
„So ergeht es den armen Landpfarrern allenthalben. Die Erzbischöfe, selbst reiche Herren, schauen verächtlich auf sie herab und hören sie nicht an. Für die adeligen Herrschaften aber haben sie stets ein offenes Ohr. Schließen wir also den Seigneur in unsere Fürbitte ein. Lasst uns für Antoine de Toully zu Gott beten, dass er seinen Sinn ändere und ihm die Gnade erweise, dass er die Armen nicht mehr misshandelt und die Waisen nicht mehr beraubt.“
Für dieses Bekenntnis zu Wahrheit und Gerechtigkeit hatte der Seigneur kein bisschen Verständnis. Das Maß war voll. Diese Laus von einem Dorfprediger hatte es gewagt, ihn, den hochwohlgeborenen Herrn, öffentlich zu maßregeln. Erneut reichte er Klage beim Erzbischof ein. Der wies Meslier an, den vollständigen Predigttext vorzulegen.
Die Antwort auf den Wortlaut ließ nicht lange auf sich warten. Der den aufrechten Gang probende Pastor wurde in die Zentrale zu Reims zitiert.
Dort war die Sache nicht mit einer ernsten Aussprache abgetan. Erst nach einem Zwangsaufenthalt von einem Monat durfte der aufmüpfige Abbé die Heimreise antreten. Wie man ihn konkret ins Gebet genommen hat, ist nicht protokolliert.
Wahrscheinlich hat man ihm deutlich zu verstehen gegeben, was seine Pflicht sei, und dass er, falls er der noch einmal nicht nachkomme, unausweichlich so behandelt werden würde wie jener Uneinsichtige, der vor einiger Zeit zu Reims lebendig verbrannt wurde.
Meslier begriff die Lektion. In den Akten des Erzbischofs finden sich keine weiteren Klagen über den Abbé aus den Ardennen.
Meslier hatte einsehen müssen, wie ohnmächtig er dem Wahn & Gewalt-Kartell ausgeliefert war. (Im Milgram-Experiment hieß das: „Sie haben keine Wahl. Machen Sie bitte weiter!“)
Aber Meslier dachte nicht daran, seinen Widerstand aufzugeben. Er fing an, ein Doppelleben zu führen. Nach außen hin tat er brav seinen Dienst. Insgeheim aber sammelte er wachsam und geduldig Beweis um Beweis, unabweisbare Tatsachen, eigene und anderer Erfahrungen mit dem System und Schlussfolgerungen.
Im Laufe der Jahre wuchs das Manuskript auf weit über tausend Seiten an. Der Form nach eine Predigtreihe, bestimmt für seine Gemeinde, der Absicht nach eine Aufforderung an alle „Leute von Geist und Autorität, die Partei der Gerechtigkeit und der Wahrheit zu ergreifen und all die schlimmen Irrtümer und Zustände, den abscheulichen Aberglauben und die ganze abscheuliche Tyrannei anzuprangern und zu bekämpfen, bis sie vernichtet wären.“
Meslier entsetzte das Schweigen so vieler gelehrter und bedeutender Männer, die durchaus über die Lage der unterdrückten Mehrheit im Bilde waren. Der katholische Kleriker Meslier betont wie die Inder Braspati und Carvaka 2 300 Jahre vor ihm, dass Herrschaft auf Täuschung sich stützt, auf die Mythen über Götter und Dämonen, die wie die Religion insgesamt dazu erfunden worden seien, die Menschen zu trösten und zu ängstigen, um sie gefügig zu machen für die Herrschenden. Der „Teiggott“ bestehe aus Mehl und Wasser, und der Rest sei genauso profan.
Das waren zu seiner Zeit starke Worte, öffentlich geäußert todeswürdige Verbrechen. Im Verborgenen machte der arme Abbé seinem Zorn über die Untaten der Herrschenden in noch stärkeren Worten Luft:
„Ach, meine lieben Freunde, wenn ich die Hohlheit und die Unsinnigkeit der Irrlehren, die man euch unter dem Deckmantel der Religion beigebracht hat, richtig kenntet, wenn ihr wüsstet, wie man die Macht über euch, die man sich erschlichen hat unter dem Vorwand, euch zu regieren, missbraucht!
Ihr empfändet sicher nur Verachtung für all das, was man anbeten und verehren lässt, und nichts als Hass und Empörung gegenüber all denen, die euch betrügen, euch so schlecht regieren und so schändlich behandeln.
Dies erinnert mich an den Wunsch, den ein Mann einmal äußerte, der weder die Wissenschaft kannte noch Bildung besaß, dem es aber offensichtlich nicht an Urteilskraft mangelte, um all die ekelerregenden Misstände und verabscheuungswerten Willkürherrschaften, die ich hier anklage, richtig einzuschätzen. Sein Wunsch und die Art, seinen Gedanken in Worte zu fassen, zeigen, dass er recht scharfsichtig war und tief genug in dieses abscheuliche Mysterium der Bosheit, von dem ich rede, eingedrungen war, da er so gut dessen Urheber und Förderer kannte.
Er wünschte, dass all die Großen der Erde und alle Adligen mit den Gedärmen der Priester erhängt und erwürgt werden sollten.“
der text ist ein auszug aus meinem buch "Die Evolutioin kassiert die Kriegskultur".
zitate sind dem buch "Das Testament des Abbé Meslier", herausgegeben von günther mensching, suhrkamp 1976, entnommen.
Kommentare 39
Warum so weit in die Vergangenheit gehen? Im Beitrag Orwell 2013 Pressemonopolisten verschärfen Lügenkampagne findet man all das zum gegenwärtigen Zeitpunkt frisch von der Leber weg formuliert.
Ach so, das bezieht sich hauptsächlich auf den Kommentarstrang dort.
Ich kannte den Jean Meslier noch nicht, h.yuren,
das war 5 Sterne ***** Bildungslektüre.
Vielen Dank
Danke für den interessanten Beitrag!
Es ist eben eine komplexe Angelegenheit, die Aufklärung, und das gilt wohl auch für die Früchte, die sie trug. Da sind manche Highlights dabei, dann wieder -wenn die Sache in puren Rationalismus umkippt etwa- auch Dinge, die ich skeptischer sehe. Die ursprüngliche Stoßrichtung, das Aufbegehren gegen die Abfederungsmechanismen des Ancien Régime wie Du es ansprichst, empfinde ich natürlich so oder so aller Ehren wert...
Es jährte sich übrigens letzte Woche zum 200. Mal der Todestag von Christoph Martin Wieland, einem der großen und leider mehr als halb vergessenen deutschen Protagonisten der lumières.
Groetjes, d.
Wie die Scheisse heute laeuft, da sind wir hier ja meist Profis, kontextual geschichtliche Anekdoten aufzutreiben, die die Scheisse von heute auf ca. 100 Zeilen reduzieren kann, dazu noch ueber 300 Jahre alt, sind eben "Perlen", auch wenn das Moppelchen und die Beutelratte bestimmt noch ca. 300 andere Anekdotchen kennen...
Interessant finde ich diese Anekdote von H.Yuren wenn man bedenkt, das in einem anderem G8 Land mit dem grössten militaerischen Output + "Kindertheater geisselt Schwulsein mit Schwefelgeruechen" 2012 geahndet wird und der ehemahlige mormonische Präsidentschaftsanwaerter zwar nicht knapp, laut Wahlmännern, aber in absoluten Zahlen doch nicht Haushoch verloren hat...
Nun, Jean Meslier gehört in das Einstiegsköfferchen jedes angehenden Kritikers und natürlich ist ein Blick in die Geschichte immer hilfreich, leider erschöpft es sich oft auch schon damit, es werden keine Konsequenzen gezogen, alles bleibt, wie es ist - Mist
"Nun, Jean Meslier gehört in das Einstiegsköfferchen jedes angehenden Kritikers"...
Nun, ich habe Pferde auch schon mal kotzen gesehen, deinen Satz solltest du dir auf der Zunge zergehen lassen
;-))))
Kennst du zum Bleistift Bartolomé de Las Casas ?
Na klar, hast du alles schon gelesen...
;-))))
Oder wie wäre es mit Bernal Díaz del Castillo, der schreibte auch nur katholische Lurchberichte, den kennst du ja auch schon...
Warum so weit in die Vergangenheit gehen?
lieber mopperkopp, du fragst zu recht, warum die 2 300 jahre alten döhnkes aus altindien aus der mottenkiste der geschichte gezerrt werden müssen. klare antwort: auch die genannten inder kannten schon herrschaft und alles, was dazu gehört.
Ich kannte den Jean Meslier noch nicht.
ich kenn ihn noch immer nicht, lieber tlacuache. aber ich weiß, was du meinst. was das betrifft, bist du mal mitglied der mehrheit in dieser gesellschaft:)
Lieber H.Yuren,
auf von mir ein herzliches Dankeschön für das Schließen einer Wissenslücke.
Liebe Grüße
Ismene
Es ist eben eine komplexe Angelegenheit, die Aufklärung, und das gilt wohl auch für die Früchte, die sie trug.
weil die geschichte immer so komplex ist, lieber doimlinque, versuche ich, das ding aufklärung an sich, den begriff, zu destillieren. dafür ist der abbé unentbehrlich. darum stelle ich ihn hier aus.
merci en groetjes, hy
... das Schließen einer Wissenslücke.
mach ich doch gern, liebe ismene. und wird fortgesetzt. dies ist ja nur teil 1.
liebe grüße, hy
Hömma' Uren
..."bist du mal mitglied der mehrheit in dieser gesellschaft:)"...
Ich bin Mitläufer, wenn ich mal gegen den Wind segel, dann ist mir nur das Ruder aus der Hand gerutscht, und zwar ausversehen, eigentlich bin ich Kanzlerkandidat...
Es jährte sich übrigens letzte Woche zum 200. Mal der Todestag von Christoph Martin Wieland, einem der großen und leider mehr als halb vergessenen deutschen Protagonisten der lumières.
der literaturkritiker heinrich vormweg schrieb die tatsache, dass wieland so gut wie vergessen ist, seiner nähe zur aufklärung zu, die in teutonien nie einen fuß an den boden kriegte, weil die bodenständigen und die rohmanticker das zu verhindern wussten.
wie sagte doch unser aller goethe nach dem obligatorischen glas wein: gefühl ist alles oder so. er sagte nicht mitgefühl.
groetjes, hy
Ich bin Mitläufer, ...
siehste, das ahnte ich. verzeih, wenn dich meine ahnungen etwas unsanft gestreift haben;-)
Na, da warte ich aber mal mit gespannter Freude drauf...
Liebe Grüße
Ismene
Das ging noch nicht an die richtige Adresse,
deshalb hier noch einmal:
"
"Nun, Jean Meslier gehört in das Einstiegsköfferchen jedes angehenden Kritikers"...
Nun, ich habe Pferde auch schon mal kotzen gesehen, deinen Satz solltest du dir auf der Zunge zergehen lassen
;-))))
Kennst du zum Bleistift Bartolomé de Las Casas ?
Na klar, hast du alles schon gelesen...
;-))))
Oder wie wäre es mit Bernal Díaz del Castillo, der schreibte auch nur katholische Lurchberichte, den kennst du ja auch schon...
"
um die spannung nicht zu übertreiben und die freude zu füttern, werde ich gleich in die tasten hauen, liebe ismene.
herzlichen gruß, hy
Du hast keinen Schimmer, wer so alles bei mir ein und ausgeht ...
Oder wie wäre es mit Bernal Díaz del Castillo, der schreibte auch nur katholische Lurchberichte, den kennst du ja auch schon...
danke für den tipp, lieber tlacuache. den spanischen chronisten kannte ich wiederum nicht.
Sogar Jesus?
Oder nur der Judas Thaddäus, der sich „der sehr bedrängten und von der Welt verlassenen Menschen“ kümmert, wir zünden jetzt gemeinsam ein Kerzlein an, damit die vergessenen Bloggerseelchen nicht in Unbarmherzigkeit versinken...
;-)))))))
Ach, das sind doch alles nur vergangene Schatten, auf dem Weg ins Licht trifft man aktuell ganz andere Blendungen ...
Wenn die im Fucking - Vatikan endlich mal die ganzen Archive veröffentlichen würden, ich sach's Dir, H.Yuren, wir würden 200 Jahre alt werden ohne Glotze, wie würden uns keinen Tag langweilen...
;-)))))
Schön, dass dieser geniale Meslier hier vorgestellt wird. Ich würde ihn rezeptionshistorisch nicht als Fanal bezeichnen. Er wirkte - und dies auch nur in Grenzen - subkutan. Meslier wird natürlich besonders von "Freidenkern" und linken Nietzscheanern wie Michel Onfray als Vorreiter gesehen.
Bei Meslier findet sich - zeitbedingt - "mehr Anklage als Analyse", wie sein Heraudgeber Roland Desné schreibt. und so lesen wir denn auch Sätze, die uns über die Aufklärung Aufgeklärten heute unschön vorkommen (hoffe ich):
Da ist ein aus Zorn entstandener Vernichtungswille. Yuren zitiert am Ende Meslier, man möge alle Mächtigen der Welt und alle Adligen mit Schlingen aus den Därmen der Priester erdrosseln. Hier kündigt sich das Ca ira! Les aristocates à la lanterne! an.
Zweitens ist da die aus der gegebenen Ungerechtigkeit der Welt abgeleitete Forderung Tous à la besogne! Alle an die Arbeit! Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen. Das einzige, was bei bestimmten Sozialdemokraten von ihren alten Forderungen hängen geblieben ist (Münte und Hartz IV) und womit die sozialistisch bezteichnete Arbeitszwanggesellschaft legitimiert werden sollte.
Sympathischer ist mir persönlich der uralt gewordene Frühaufklärer Fontenelle (mit dem sich Meslier auseinandersetzt), für den Religion zwar Priesterbetrug, aber auch Ergebnis gesellschaftlicher Unterentwicklung ist. Religion ist ihm im Zeitalter der Aufklärung ein Leichnam, dem man ruhig - ohne sich etwas zu vergeben - Respekt erweisen kann. Dies finde ich nun sehr aktuell.
Wenn die im Fucking - Vatikan endlich mal die ganzen Archive veröffentlichen würden, ich sach's Dir, H.Yuren, wir würden 200 Jahre alt werden ohne Glotze, wie würden uns keinen Tag langweilen...
;-)))))
mir reichts, was schon bekannt ist. allein die tatsache, dass der verein zum reichsten der welt geworden ist, sagt schon viel. übrigens auch über die leistungsgesellschaft.
aber wer suchen und graben will, soll es tun dürfen.
Er wirkte - und dies auch nur in Grenzen - subkutan.
weiß nicht, wie du das meinst. im zweiten teil wirst du sehen, dass er mehr als subkutan wirkte.
damit du dich nicht langweilst:
1759 hat der spanische König die Dominikaner aus der "neuen Welt" als "Teufel auf Erden" aus dem heutigem Mexiko, Guatemala etc. rausgeschmissen...
Sie waren ihm zu mächtig geworden, die grössten Grundbesitzer...
;-)))
und so lesen wir denn auch Sätze, die uns über die Aufklärung Aufgeklärten heute unschön vorkommen (hoffe ich): Da ist ein aus Zorn entstandener Vernichtungswille.
sorry, aber ich muss schon wieder auf den ergänzenden zweiten teil der darstellung verweisen. mein urteil ist ein anderes am ende. man darf so ein urteil nicht an einem satz (ohne kontext) festmachen.
Religion ist ihm im Zeitalter der Aufklärung ein Leichnam, dem man ruhig - ohne sich etwas zu vergeben - Respekt erweisen kann.
pardon, aber das zeitalter der aufklärung haben sich historiker ausgedacht. das hat es so nicht gegeben. wohl eine zeit der aufregung über die lumières, die wie wieland sagte, licht ins dunkel trugen. was nicht allen dunkelmännern passte.
warum respekt einer leiche zollen, die viele leichen im keller hat?
damit du dich nicht langweilst:
zu gütig, lieber tlacuache. während ich hier däumchen drehe, verrätst du mir, dass bestimmte machtkranke mit anderen machtkranken aufgeräumt haben, z.b. in mexiko. und das bringt mich vollkommen aus dem dreh;-)
Ich will "das" (DEIN) Thema mal auf den TOP 5 im Freitag haben, da darf ich hier gerne rumschwallen, und wer keine Ahnung hat, darf mitlesen...
;-))))
Warum einer Leiche Respekt zollen, die Leichen im Keller hat?
Weil's ein menschlicher Leichnam ist, yuren. Dass refraktäre Priester während der französischen Revolution aufgehängt oder ersäuft wurden, kann ich sozialhistorisch erklären (Wir sind Barbaren, weil ihr es uns gelehrt habt, sagt Babeuf sinngemäß, sich an die ehemals Herrschenden wendend). Aber es bestürzt mich trotzdem.Wäre Meslier achtzig Jahre später geboren, hätte es auch ihn treffen können (egal, wie er sich gerechtfertigt hätte).
Poetisch: Das Licht muss wärmen (kleine Apologie der Glühlampe)
da darf ich hier gerne rumschwallen,
das verb steht nicht in meinem persönlichen wörterbuch. was hast vor?
Weil's ein menschlicher Leichnam ist,
meinst du wirklich, die römische kirche sei ein menschlicher leichnam, lieber wwalkie?
Gern gelesen!
Kann man getrost nehmen als Schilderung des ewig währenden gleichen Ablaufs.
Wobei die Verteilung von Unterdrückern und Unterdrückten nicht immer so eindeutig ist. Nicht selten sind beide beides zugleich, bis hin zum heutigen kleinen Hausmeister oder Nachbarn, der sich als Blockwart aufspielt. Das macht es noch ein bisschen chaotischer.
Im Angesicht dieses allzu menschlichen Tollhauses gilt schon immer der große Satz Nietzsches, das Leben lasse sich nur ästhetisch rechtfertigen (er meinte: erklären).
Wobei die Verteilung von Unterdrückern und Unterdrückten nicht immer so eindeutig ist. Nicht selten sind beide beides zugleich, bis hin zum heutigen kleinen Hausmeister oder Nachbarn, der sich als Blockwart aufspielt. Das macht es noch ein bisschen chaotischer.
das ist doch wesentlicher bestandteil des systems. radfahren = nach oben buckeln und nach unten treten.
milgram meinte, mensch verwandle sich durch das eintreten in eine organisation. der druck der meute wirke aufs gemüt. da ist sicher was dran. die größte organisation ist der staat...
Ich kann mir angesichts aller je gewesenen und bestehenden menschlichen Organisationsformen von den Mayas über die alten Chinesen, Mongolen, Amazonas-Indianer, Eskimos, bayuwarischen Stämme ;-) partout nicht vorstellen, das es je so etwas wie eine herrschaftsfreie Struktur geben könnte.
Ich weiß nicht einmal ob das wünschenswert wäre. Erinnert mich an die Szene der iggendwie sedierten Menschen im den schönen alten Filmklassiker "Zeitmaschine", wo alle lächelnd und spielend am Fluss sitzen...
dass es je so etwas wie eine herrschaftsfreie Struktur geben könnte.
so richtig 100% herrschaftsfrei wird es keine gesellschaft geben, weil gandhi gesagt hat, dass es gewaltfreiheit nicht in reinkultur gibt. und der musste es ja wissen.
aber lieber schlesinger, zwischen herrschaft und anarchie gibt es sehr viele zwischenstufen. human oder menschenwürdig sind nur solche, zumindest halbwegs herrschaftsfrei wären, meine ich.
Die Deutungen Milgrams sind sicherlich aufschlußreich, und keine Frage auch, dass sich die Strukturen auf das Handeln der Individuen auswirken.
Nur genügt das wohl nicht, die Antriebe des Menschen insgesamt zu erklären. Es treten auch genügend "nach unten", die keinen Tritt von oben bekommen, sondern weil sie es mögen (manchmal gibt es auch keine "Vorgeschichte", die das verursacht hat).
Schließlich wird man auch sagen müssen, dass selbst alle Disziplinen zum Menschen von der Antropologie über Psychologie bis hin zur Soziologie nicht in der Lage sind, die Wirkmechanismen abschliessend zu klären, so dass man irgendwann dahin käme zu sagen Man muss dieses und jenes mit dem Menschen machen oder lassen oder bieten, dann ist er so wie er sein soll. Das liegt auch wesentlich daran, dass sich der Einzelne kaum selbst (obejektiv) Aufschluss geben kann, warum er nun dieses oder jenes tut oder sein lässt.Vordergründig plausible Antworten mag dieses merkwürdige Wesen, das so sehr in die Chimäre der Freiheit seines Willens verliebt ist ja geben, aber ob das den tatsächlichen Motiven entspricht steht auf einem anderen Blatt (die frz. Skeptiker, Nietzsche oder Freud wußten dazu manches zu sagen).
Immerhin sind wir zuallererst Biologie, die ein bisschen Rouge namens Verstand angelegt hat, nicht wahr ;-)
Das alles ändert nun nichts daran, dass es fortgesetzt einen Kampf (Demokratie-Sprech: Diskurs) über das geben wird, was die verschiedenen Gruppen unter gerechter Gesellschaft verstehen.
Lese immer noch Baberowskis "Stalin". Völlig gerecht und gleichermaßen notwendig war aus den Augen Stalins und seiner Schergen, einen Gutteil der eigenen Bevölkerung auszutilgen, weil sie Unkraut waren. Davon waren natürlich nicht nur die Bourgois betroffen, sondern Bauern, Kulaken, Ukrainer, Pfarrer, und dabei immer gänzlich unbesehen individueller "Schuld", sondern nur durch Angehörigkeit zu einer Gruppe (als offizielles Programm nachlesbar in der Parteizeitung).
Nun stellt sich die Frage, wer Definitionshoheit hat über dieses "gerecht"? Denn entscheiden will das jeder selbst...
Keine schöne Antwort, aber die Antwort, die schon immer das Weltgeschehen bestimmt hat, kommt von Carl Schmitt: Der über den Ausnahmezustand herrscht.Wie auch immer er das geschafft hat, könnte man hinzufügen.
Es bleibt immer nur: Entweder Kampf (für das was ich will) oder Hinnahme des Gegebenen.
Glück hat man wohl schon wenn der Kampf einigermaßen zivilisiert ausgefochten wird, und nicht durch Ströme von Blut. Kann wieder kommen, kann wieder kommen ....
Nun soll das kein Beruhigungsmittel sein, die heutigen Zustände hinzunehmen. Der Umstand dass kein Blut fliesst ist nicht gleichbedeutend mit zivilisiertem Kampf.
Vielen Dank für Ihre beiden schönen Beiträge, lieber H.Yuren!