das rabentagebuch (14 u.15)

mein rabe krah. s.o.

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14 geschmackssachen

der verständigung mit krah standen oft seine angeborenen reflexe im weg. so überraschte es mich, wie krah reagierte, als ich ihm zum ersten mal erdnüsse anbot, die ich zur abwechslung beim einkauf mitgenommen hatte. der rabe benahm sich, als wenn ich ihm silvesterknallkörper gezeigt hätte(über deren explosive kraft ihn ein anderer rabe auf rabisch informiert hätte). er suchte das weite, und zwar panisch. gutes zureden half nicht. es dauerte ein bis zwei tage, bis die lernfähigkeit des raben obsiegte.

ich zeigte ihm die erdnuss von zeit zu zeit wieder und öffnete vor seinen augen die knusperige schale. das angebot einer halben erdnuss brach endlich den bann. krah probierte und kam auf den geschmack. am nächsten Tag schon öffnete er die schalen selbst mit vergnügen. erdnüsse wurden zum leckerbissen für ihn.

wenn ich mir die verbreitungsgebiete der krahs anschaue, fällt auf, dass sie die regionen nicht bewohnen, in denen erdnüsse geerntet werden. in ihrem kollektiven gedächtnis hat die erdnuss keinen platz. daher die übertriebene vorsicht bzw. furcht vor der ersten nuss dieser unbekannten sorte. die anderen hier üblichen hasel- und walnüsse jagten ihm nie einen schrecken ein.

vielleicht habe ich seine neophobe reaktion aber auch provoziert durch die art, wie ich die neue nuss präsentierte. wir wissen ja längst nicht immer, was wir tun, will sagen, was wir auslösen durch unser verhalten.

aber bei allen anderen kostproben, die krah von mir erhielt, konnte ich keine vergleichbare reaktion beobachten.

überrascht war ich über krahs geschmack dennoch, wenn ich ihn teilhaben ließ an meinen küchenkreationen. so knetete ich regelmäßig weißkohl und schlangengurken, um daraus salat zu machen. nicht die fertigen salate bot ich ihm zuerst an, weil ich wohl annahm, ein wildtier bevorzuge rohes wie draußen auf dem feld. also ließ ich Krah die fitzel weißkohl bzw. schlangengurke, die nach dem kneten an meinen händen klebten, ablesen. krah verstand das angebot auch sogleich und pflückte emsig die weißkohl- oder gurkenreste ab.

erst später kam ich auf die idee, krah auch den fertigen salat anzubieten. wobei ich nicht den krautsalat ausprobierte, weil mir die scharfen gewürze darin ungeeignet für den rabenschnabel erschienen. den gurkensalat bot ich krah an, obschon ich auch nicht erwartete, dass der seinem geschmack entspräche. denn meine persönliche zubereitung bedeutet, dass eine ganze portion von einem halben liter vanille-joghurt dazugehört neben rapsöl, himbeeressig und dillspitzen. in der annahme, das milchprodukt werde vom raben als artfremd abgelehnt, gab ich ihm zuerst nur die gurkenscheiben aus dem fertigen salat. trotz der salatsauce an den kostproben nahm krah den weißen salat gut an. schließlich bot ich den gurkensalat auf einem esslöffel an und sah mit staunen, dass krah die weiße flüssigkeit keineswegs verschmähte, sondern im gegenteil mit deutlichem Genuss einsog. damit kein tropfen auf dem löffel blieb, legte er sein köpfchen schief zur seite und sog das weiße dressing mit der längsseite des schnabels auf.

weil mich überraschte, dass krah den gleichen geschmack hatte wie ich, benannte ich den weißen oder gurkensalat um in „salat à la krah“.

in sommer und herbst gibt es beerenfrüchte, von denen krah die weinbeeren besonders gern nahm. bei den himbeeren, die er selbst im garten fand und pflückte, sich aber auch gern eine zusätzlich in den schnabel stecken ließ, ist es wohl nicht allein der geschmack, sondern auch die farbe, die den appetit anregt. rosinen nimmt krah auch, aber längst nicht so freudig wie die frischen trauben.

wenn ich der ansicht war, krah sollte mal wieder frisches fleisch aus dem garten haben, nahm ich den spaten und zog mit krah auf die beete. dort warf ich einen spatenstich erde um und ließ krah das essbare entdecken und aufnehmen. regenwürmer waren fast immer im boden, engerlinge weniger.

nach einer weile kannte krah das spiel mit dem spaten. er stand bei fuß neben mir und wartete auf den spatenwurf, um das aufgegrabene sogleich abzusuchen. manchmal kamen gleich mehrere regenwürmer zutage. davon ließ er einen teil liegen. das zeigte mir, dass sein hunger auf regenwürmer begrenzt war. dass er die armen würmer nicht selten quälte, bevor er sie schluckte, war teil seines angeborenen verhaltens. er machte keinen unterschied zwischen würmern und bienen.

einmal überraschte er mich wieder mit seinem instinktiven können. die nacht war trocken gewesen. als wir morgens in den garten gingen, lief krah auf das beet ohne bewuchs. auf der blanken erde waren hier und da winzige häufchen zu sehen. diese erzeugnisse der regenwürmer erinnern an die ähnlichen, aber meist etwas größeren auswürfe der schlickwürmer am strand.

krah ging gezielt auf so ein kleines sandgebilde zu, schob es routiniert beiseite, als hätte er das schon tausend mal getan, und griff dann mit dem schnabel in die öffnung, die unter dem hügelchen zum vorschein kam. und er zog tatsächlich einen regenwurm aus dem loch. als er den wie ein kenner verspeist hatte, wiederholte krah den vorgang an einem zweiten loch, das er gleichfalls durch wegschieben der regenwurmproduktion offenlegte. er fasste wieder hinein und zog noch einen regenwurm hervor. sein hunger auf die bodenbewohner war längst gestillt. ich glaube, er hat die aktion nur wiederholt, damit ich verstand, was für ein toller rabe er doch war, dass er solche kunststückchen vorführen konnte.

fürs überleben der raben draußen sind solche tollen tricks sicher wichtig. aber mein eindruck war doch, dass krah so ein rotes gulaschstück mit sichtlich größerem appetit zerkleinerte und aß als einen wurm. er strengte sich mit dem roten rindfleisch freiwillig an, denn das ist fester als das gewebe eines wurms. mit der schnabelspitze riss er winzige faserfitzel aus dem stück fleisch, das er mit dem rechten fuß festhielt.

mir war wichtig, dass krah sich vielseitig ernährte, nicht wie ein gewöhnliches haustier, das nur dosenfutter vorgesetzt bekommt. knusperiges schokomüsli war wirklich die ganz große ausnahme.

das kam nur einmal vor, obschon es krah offensichtlich schmeckte.

15 federn, glück und glas

im winter, als die außentemperaturen sich dem gefrierpunkt näherten, zeigte krah mir, wie winterfest er ist. in seinem wohnraum gab es keine heizung. doch Krah ließ durch nichts erahnen, dass es ihm zu kalt wurde. bei werten tief unterhalb der zimmertemperatur in seiner bleibe zeigte er sich genauso munter wie im sommer. ja, selbst beim hier nicht seltenen nasskalten wetter stieg er draußen in sein planschbecken und tobte sich darin richtig aus. zum sommerlichen planschspaß war kein unterschied zu erkennen.

die kälteunempfindlichkeit war mir schon früher bei amseln und finken aufgefallen, die im winter ausgiebig badeten, solange die pfützen noch flüssig waren. auch wundert es mich, wie enten und schwäne es stundenlang auf dem eis der teiche und seen aushalten.

vögel haben wie säugetiere eine körpertemperatur von etwa 37 grad. wie diese temperatur zu halten ist, wenn so ein winzling von spatz oder meise im eiskalten wasser planscht, ist mir unerklärlich.

dass federn besser warmhalten als haare oder fell, mag ja sein. und dass eine meise ein vielfaches ihres körpergewichts an nahrung aufnehmen muss, um zu überleben, lässt ahnen, was für ein öfchen in den kleinen federbällchen brennt und heizt. dennoch ist es erstaunlich, wie winterhart die meisten vögel dieser breiten sind.

eine teilerklärung der kälteunempfindlichkeit ging mir im umgang mit krah auf. manchmal wollte ich ihn gern aaien. das ist holländisch und heißt kindersprachlich ei-machen oder eben streicheln. diese neigung, die wohl bezeichnend ist für säugetiere, stieß bei krah nicht auf gegenliebe. vielmehr wehrte er sich mehr oder weniger vehement gegen solche annäherung. notfalls setzte er seinen schnabel ein, wenn ich gar nicht kapieren wollte, was ihm nicht gefiel.

nun wusste ich aber, dass krahs sich gegenseitig kraulen. habe fotos über schmusende krahs gesehen. nur unterscheidet sich das kraulen der krahs untereinander in einem punkt vom menschlichen streicheln: krahs benutzen dazu ihren schnabel, menschen hingegen die finger bzw. die hand. das fett auf unserer haut ist bestimmt ein anderes als das des gefieders. darum die instinktiv richtige abwehr.

ich merkte, dass seine abwehr am geringsten war, wenn ich mit einem finger sein köpfchen streichelte. weniger gefiel ihm, wenn ich seine brustfedern berührte. aber noch einmal deutlich energischer zeigte er seine abwehr, wenn ich seinen rücken oder die flügel antastete.

es dauerte eine weile, bis ich verstand, dass er das nicht tat, weil er mich auf distanz halten wollte. sein verhalten war instinktiv richtig, denn das gefieder ist mit einer unsichtbaren schicht überzogen, die unter anderem wasserabweisend ist. wenn die schicht durch die berührung zerstört wird, kann das regenwasser das gefieder durchdringen bis auf die haut. die nässe kann nicht nur im winter lebensgefährlich sein. selbst in der warmen jahreszeit kann so ein relativ kleiner vogelkörper durch nässe rasch unterkühlen.

Einmal ich greife jetzt vor in den folgenden sommer mit dieser begebenheit dämmerte es abends und ich vermisste krah in seinem gemach. im garten sah ich ihn auch nicht. also rief ich ihn. aber keine antwort. ich wiederholte das rufen. nichts. erst als ich mich vom garten ab und der terrasse auf der südseite der hütte zuwandte, vernahm ich ein geräusch. zu sehen war noch immer nichts. da ahnte ich nach der art des geräusches, was geschehen war, und lief rasch zur ersten regentonne. und ja, im näherkommen wurde es zur gewissheit:

krah war unten in der regentonne, in der noch ein rest wasser stand und mitten darin krah. ich beugte mich tief in die große tonne und packte krah. er war völlig durchnässt und zitterte so erbärmlich, wie er im ganzen winter nie gezittert hatte. ich trug ihn ins haus und wärmte ihn, so gut es ging, indem ich meine hände um ihn legte. krah zitterte weiter und stöhnte leise. ich versuchte, ihn mit worten und wärmen zu trösten. nach einer geschätzten halben stunde beruhigte er sich. das stöhnen und zittern ließen nach und hörten schließlich ganz auf.

ich wertete es als gutes zeichen, als er auf meinem arm anfing, sich zu putzen. er hatte sich schon vorher ein paar mal kräftig geschüttelt, sodass überschüssige nässe absprühte. nach einer stunde war krah wieder der alte. er war hart im nehmen.

die schutzschicht auf seinem federkleid hatte nicht helfen können, weil krah zu tief und zu lange im wasser gestanden hatte. ich hatte ihn noch gerade rechtzeitig gesucht und gefunden.

menschen erfinden dinge und umgeben sich mit dingen, die es so in der natur nicht gibt. so ein fass oder eine regentonne zum beispiel ist eine falle, wenn das ding auch nicht so heißt. für die meisten tiere ist die regentonne eine tödliche falle, wenn sie nur zum teil mit wasser gefüllt ist. die glatten steilen wände erlauben kein entkommen und überleben. es ist etwas anderes, wenn die regenfässer randvoll mit wasser gefüllt sind. dann eignen sie sich als vogeltränke.

nicht minder gefährlich sind glasscheiben. davon gibt es viel mehr als regentonnen. nichts hilft singvögeln besser, nicht gegen die tödlich täuschenden scheiben zu knallen, als ein auf der außenseite aufgeklebtes muster aus tesastreifen. das habe ich erprobt. nichts für den durchschnitt. vielmehr eine zumutung, den blick nach draußen zu durchkreuzen. aber seitdem finde ich kein totes vögelchen mehr draußen vor den glaswänden, glastüren und scheiben.

die unachtsamkeit der menschen lässt jedes jahr viele tausend singvögel am glas scheitern.

krah hatte nie probleme mit den großen glaswänden seiner veranda. andernorts habe ich gesehen, dass dohlen niemals gegen große fensterscheiben anflogen, während tauben das wiederholt taten.

wie fatal das zusammenleben von mensch und rabe sein kann, hat wilhelm busch in der geschichte vom raben huckebein geschildert.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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