das rabentagebuch (20).

mein rabe krah. s.o.

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20 krah konnte kämpfen

es war eine schwesterliche geste, dass meine schwester mich nach M's begräbnis für einige tage besuchte. wie krah den besuch aufnahm, habe ich oben schon geschildert. seine übliche antwort auf neues oder fremdes, als er im garten vor der unbekannten und dem großen gegenstand, sprich: liegestuhl, reißaus nahm über alle seine grenzen. ich musste ihn suchen, einfangen und zurück in sein revier tragen.

beim besuch meiner schwester stehen immer radtouren auf dem täglichen programm. dadurch war krah einerseits geschont, andrerseits war meine anwesenheit und seine gartenfreiheit arg eingeschränkt. darüber hinaus waren die stundenlangen gespräche bis mitternacht für krah eine empfindliche ruhestörung. ich weiß nicht, ob krah dafür rache nahm, indem er jeden morgen in aller frühe, das heißt, lange vor sechs uhr, anfing zu trommeln. aber auffällig war sein verhalten schon. er hackte auf holz mit seinem hammerschnabel, dass ich im bett am entgegengesetzten ende der hütte sofort geweckt wurde. meine schwester im raum neben krahs veranda traf das trommeln noch etwas härter. sie konnte auf keinen fall weiterschlummern bei dem lärm. also stand sie auf, öffnete die verandatür zum garten, und schon war das hämmern vorbei. krah nutzte die frühe morgenstunde zum tautreten.

meine schwester konnte noch eine runde weiterschlafen. das spiel wiederholte sich an jedem morgen.

als meine schwester wieder abgefahren war und fragte, wie es am morgen war, konnte ich nur wahrheitsgemäß sagen, dass krah keinen laut von sich gegeben hatte. das hämmern muss eine spezielle erfindung für sie gewesen sein.

krah half mir bei der arbeit auf dem kartoffelbeet. das ergab sich spontan, denn er folgte mir auf dem fuße, neugierig, was nun wohl zu unternehmen sein würde. ich hielt unübersehbar einen plastikbeutel mit pflanzkartoffeln in der hand. krah war natürlich an dem beutel und dessen inhalt sehr interessiert. und er war hinter jeder kartoffel her, die ich in ein pflanzloch warf. nur war ich schneller und schloss die löcher, bevor krah zur stelle war. das klappte zu meiner zufriedenheit.

aber der rabe fühlte sich ausgetrickst und betrogen, weil er doch wenigstens eine frucht erwischen wollte. um nicht ganz leer ausgehen zu müssen, sprang er gegen die plastiktüte mit den restkartoffeln hoch und schaffte es, ein loch hineinzuhacken, das groß genug war, um ein paar erdäpfel herauszuholen. so waren wir beide am ende zufrieden. er hatte ein paar knollen packen können, und ich hatte die pflanzung schneller als gedacht beendet. krahs hilfe bestand in der unbeabsichtigten beschleunigung meiner arbeit.

als die knollen zu erntereifer größe herangewachsen waren, folgte mir krah wieder aufs beet in erwartung neuer abenteuer. in zeit von nichts hatte er begriffen, dass ich dieses mal die kartoffeln aus dem boden holen wollte. und er half mir bei der suche. es war, als könnte er durch den sand sehen. überall hackte er auf die früchte, die nah an der oberfläche im boden steckten. und versuchte, sie aus der erde zu zerren. er zeigte mir so an, wo ich ernten konnte. er wusste, was ich suchte und half mir.

na, so ganz genau wusste er es nicht. er unterschied nicht die grünen kartoffeln, die zuviel licht abbekommen hatten, von denen ohne grün, die tiefer im boden herangereift waren.

aber ob irgendein haustier wie hund oder katze dazu gelaunt und in der lage wäre, möchte ich bezweifeln. es grenzte an empathie, was krah an aufmerksamkeit und zusammenarbeit für das aufbrachte, was ich tat.

ende mai entdeckte ich mit entsetzen, dass krahs linker flügel blutete. beim flattern spritzte ein wenig blut an die fensterscheibe. ich durfte den linken flügel etwas anheben. da sah ich, dass das blut von den kielen der neuen schwungfedern her kam. aber die federkiele bildeten eine so eng geschlossene reihe, dass ich nichts genaueres erkennen konnte.

war es möglich, dass die neu wachsenden federn den lädierten flügel an einer stelle überlasteten, sodass die haut riss, oder hatte krah den flügel überstrapaziert durch harte schläge gegen harte gegenstände?

eine volle woche danach bemerkte ich mit schrecken erneut, dass krahs linker flügel blutete. hatte er schon wieder über die stränge geschlagen? oder was bedeutete das blut am linken flügel, am ohnehin lädierten linken flügel?

und mitte juli wieder!

ich schwankte zwischen der angst, der linke flügel könnte nun doch für immer ausfallen und damit die aussicht aufs fliegen, und der vagen hoffnung, das blut könnte ein zeichen der erneuerung sein. denn krah war ein paar mal von hohen punkten tief nach unten geflogen. dass er sich das traute, konnte ein gutes zeichen sein. andrerseits ist das blutende gewebe selten positiv zu deuten.

doch eine woche später, genau: am 21. juli, sah ich, dass krahs schwanzfedern zu voller länge gewachsen waren, nicht alle, aber doch einige. schon zehn tage später waren alle schwanzfedern zur vollen länge gewachsen. das war ein umschwung. ein positives zeichen. endlich doch ein positives zeichen. ganz eindeutig.

krah sah plötzlich aus wie ein großer rabe. er benahm sich auch anders, weil er achtsam mit dem neuen zuwachs umging, nicht mehr so unbekümmert und rücksichtslos wie noch vor einem halben jahr mit den ersten federn. krah sah größer aus und verhielt sich schon um soviel mehr wie ein erwachsener rabe.

von dem tag an hielt ich ein auge auf die flügel und deren große schwungfedern, ob auch sie nun wachsen würden.

der linke flügel blutete nie wieder. stattdessen aber schoben sich die schwungfedern, wie ich mir nicht nur einbildete, unter den deckfedern hervor. und es dauerte nicht lange, bis die flügelspitzen sich über den schwanzfedern berührten.

doch sah ich auch, dass die spitzen des linken flügels kürzer waren als die spitzen des rechten flügels. aber ich sah, wie beide flügel von tag zu tag zu wachsen schienen, so oft verglich ich deren zustand.

mein nachbar, der den krah nicht täglich sah, fand auch, dass der rabe nun viel besser aussah. trotzdem sagte er und wiederholte sich, fliegen werde krah nie wieder können. ich aber sagte nun voraus, dass krah noch im herbst wieder fliegen werde.

vom herbst, der noch zukunft ist, zurück in den sommer. durch das fenster, das sommers auf kipp steht, hörte ich von der terrasse auf der südseite her geräusche, die, weil sie nicht einfach zu deuten waren, irritierten, sodass ich näher ans fenster trat und hinausschaute. im gras der überwachsenen terrasse fand ein kampf der ungewohnten art statt. krah machte dabei eine ungeahnte figur. er rollte im gras mit seinem gegner, den er sich selbst ausgesucht hatte. denn der gegner verfügt nicht über sowas wie einen eigenen willen. wenn krah ihn mit seinen krallen traktierte, entstand das geräusch, das meine aufmerksamkeit erregt hatte. krah kämpfte mit einem leeren plastikblumentopf.

davon lagen einige am rande der terrasse, sozusagen als reserve oder zuschauer. da die plastiksachen nicht die streitlustigsten sind, musste krah die fehde selbst eingefädelt haben. das stelle ich mir so vor, dass er auf einen der behälter ohne inhalt hüpfte, wie er das gewöhnlich bei Objekten tat, die sich als „höhepunkte“ anboten. als er die leichten plastiktöpfe wohl für so stabil hielt wie die noch mit erde gefüllten größeren tontöpfe, geschah das unvermeidliche: der leichte plastikblumentopf kippte um und riss den raben mit ins gras. diesen „angriff“ ließ krah sich nicht widerstandslos bieten. der bodenkampf begann.

die auslösende szene wiederholte krah einige male, während ich zuschaute. er sprang auf das plastikteil, krallte sich fest und ließ sich rücklings ins gras fallen bzw. rollen, hielt den „gegner“ fest im griff und zog ihn über sich, um ihn mit den füßen feste zu „verhauen“, sodass der hohle topf keine gegenwehr mehr zeigte, sich vielmehr wegschleudern ließ.

das turnier der wackeren ritter von der terrasse ging so fort und hielt eine ganze weile an. damit hatte krah mir mal wieder ungewollt demonstriert, was für ein unbekanntes programm die instinkte für ihn bereithielten. in ermangelung echter streithähne mussten die unschuldigen blumentöpfe herhalten, das instinktive kampfverhalten auszulösen.

ich staunte. von einem vogel in seinem doch etwas sperrigen federkleid hatte ich diesen an judo erinnernden kampf nicht erwartet. was bei katzen eher normal ist, würde ich bei einem ausgewachsenen raben im schwarzen anzug gar nicht für möglich halten. krah war zu dem zeitpunkt noch vor der mauser, sozusagen noch im trainingszeug.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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