das rabentagebuch (21).

mein rabe krah. s. o.

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21 sommerszenen

es war an einem nachmittag ende august. krah hielt sich wie gewöhnlich im garten auf, als ich ihn plötzlich schreien hörte wie in höchster not. ich stürzte nach draußen, sah aber nichts, was ihn in bedrängnis gebracht haben könnte.

war die katze durch krahs lauten schrei so erschreckt worden, dass sie längst verschwunden war, als ich im garten stand? das ist die naheliegende erklärung. für weniger wahrscheinlich halte ich die vermutung, dass krah nur mal testen wollte, wie schnell ich zu hilfe eilen würde. also eine art probe-alarm. völlig ausgeschlossen ist die zweite möglichkeit nicht. einem raben ist so etwas durchaus zuzutrauen.

in der nacht nach diesem nachmittag blieb die frage nach der ursache von krahs angst nicht im dunkeln, obschon es dunkel war. aber die dunkelheit wurde von blitzen zerrissen. donner und sturzregen taten das ihre, den raben zu ängstigen.

die szene erinnerte sehr an silvester, als ich krah aus der angst befreien konnte, indem ich ihn mit ins ein wenig geschütztere wohnzimmer holte. auch hielt das polternde und schlagregnende unwetter nicht länger an als die knallerei in der neujahrsnacht. mit dem wetter beruhigte sich auch krah wieder.

eine andere sommerszene. wenn es wirklich sommerlich war mit hohen temperaturen, fand ich es erstaunlich, dass krah trotzdem auf der veranda blieb. da regte sich doch kein lüftchen, und der rabe saß da in seinem schwarzen pullover, saß mit halb geöffnetem schnabel, um sich ein wenig kühlung zu erhecheln.

ich gebe zu, der temperaturunterschied zwischen der gartenluft und der verandaluft war minimal. und in seinem quartier gab es immerhin schatten.

oben im blätterraum der robinie war es wahrscheinlich bei leichter brise angenehmer, aber daran konnte krah ja noch nicht denken.

nachdem ich krah durch umbauten am gartenturm den bescheidenen auskuck genommen hatte, war sein lieblingsplatz nun auf den holmen der alten ausrangierten schubkarre, die ohne rad nah bei der hütte im garten stand und deren wassergefüllte blechwanne seit jahren als vogeltränke und -badewanne für alle gefiederten des gartens und der umgebung diente.

krah nutzte die tränke regelmäßig und wäre sichtlich gern zum planschen übergegangen, aber er fand, obwohl er von allen seiten den einstieg versuchte, keinen geeigneten zugang. das wasser war ihm zu tief. auf drei seiten ging es tatsächlich steil ins relativ tiefe, aber vorn auf der seite der schubkarrenschütte war die neigung sanft genug, dass stare, amseln, spatzen, meisen, also selbst die kleineren unter den fliegern die plansche nutzten.

in diesem speziellen fall reichte die rabenintelligenz nicht aus. vielleicht war einfach der unterschied zu seiner privatplansche zu groß, die gar keine gefahren barg und das reine vergnügen bot.

krah nutzte die holme der alten schubkarre, deren handgriffe längst verschütt waren, als tiefstbescheidene rednertribüne und gesangsempore. da konnte er es sehr lange aushalten und rufen und seine stimme erproben. vor jedem ruf verneigte sich der sänger vor dem abwesenden publikum. das heißt, einige zuhörer gab es schon außer mir. meine nachbarn zu beiden seiten rühmten krahs gesangskunst nicht gerade, aber sie äußerten sich doch anerkennend über seine lautstärke und ausdauer.

ganz anders wurden krahs ansprachen ins blaue oder graue hinein von den nachbarn auf dem weiten feld im osten aufgenommen. manche von den revierhaltern dort konnte krah so beeindrucken, dass sie heranflügelten und von den bäumen am bach zuhörten und sogar antworteten.

für menschenohren war es meist unmöglich, einen unterschied zwischen rufen und rückrufen herauszuhören. ob die so weitgehende übereinstimmung der verlautbarungen auch eine gemeinsame haltung und weltanschauung zum ausdruck brachte, musste einstweilen ungeklärt bleiben. nur soviel lässt sich feststellen: die nachbarlichen krahs ließen sich vom vortrag niemals dazu hinreißen, den sicheren platz oben in den bäumen zu verlassen, um in unmittelbaren kontakt mit dem vortragenden zu treten.

meine töchter waren bei gelegenheit eines besuchs der einhelligen meinung, krah sollte ganz in den garten umziehen, damit ich die veranda wieder für mich nutzen könnte. im internet gebe es sehr schöne volièren zu besichtigen, die auch relativ einfach aufzubauen seien. ihre mithilfe beim bau war versprochen.

ganz abwegig erschien mir der vorschlag nicht, zumal ich im frühjahr und herbst immer gern auf der sonnenhellen und -gewärmten veranda gelesen und geschrieben hatte. zufällig sah ich, dass in der nachbarschaft bereits an einer volière gebaut wurde.

doch ich mochte nicht soweit gehen, krah einen verschlag unten zwischen den masten des gartenturms anzubieten, weil das eine zu große entfernung bedeutet hätte, krah und ich aber an die nähe des zusammenwohnens gewöhnt waren. also machte ich anstalten, ähnlich wie der nachbar die volière auf der ostseite vor der veranda zu bauen. die bodenplatten, die dort bereits lagen, ergänzte ich durch weitere vier.

krah sah mir bei der arbeit täglich zu und interessierte sich ausdauernd für die neuen platten und die mit ihrer verlegung einhergehenden bodenveränderungen, besonders in richtung norden. das verleitete ihn aber nicht dazu, um die nordostecke herum sein terrain zu erweitern. die nordseite der hütte blieb für ihn tabu.

dann studierte ich die angebote im internet im einzelnen. etwa mit blick auf die art des maschendrahts, der pfosten, der tür, des wetterschutzes etc. ich wusste, dass ich nicht so schlicht bauen dürfte wie der nachbar, der nur zwei brave sittiche einhegen musste. bei krahs schnabelwerkzeug würde so eine leichtbauweise nicht ausreichen.

aber ich musste auch an ungebetenen besuch von außen denken. schon während der planung türmten sich die probleme so hoch, dass ich schließlich abstand nahm von der ganzen veränderung. es blieb bei den vier bodenplatten, die ich verlegt hatte.

die vorstellung, den raben hinauszudrängen war so unangenehm, wie die verwerfung des plans mir angenehm war. im übrigen hielt ich anders als alle anderen an der vorstellung fest, dass krah im herbst wieder fliegen und dadurch über seinen verbleib selbst bestimmen könnte.

vor allem im sommerhalbjahr fahre ich regelmäßig mit dem rad rund eine stunde, das heißt, etwa zehn bis zwanzig kilometer. anfangs fand krah meinen start mit dem rad so schrecklich wie die rückkehr. nicht nur der unbekannte große gegenstand, das fahrrad, jagte ihm einen schrecken ein mit den sich kreisend bewegenden großen rädern und ihren blinkenden speichen, sondern auch meine radlerverkleidung mit schirmmütze, sonnenbrille, windjacke und handschuhen war ihm natürlich fremd und nicht geheuer. daher beobachtete krah meinen start und meine rückkunft anfangs aus sicherer distanz, vom bücherbord aus, das am fenster stand.

im laufe der wochen aber gewöhnte sich der rabe bald an mein seltsames treiben. von mal zu mal näherte er sich mehr und sah mir durch die offene verandatür zu, wenn ich das rad vorbeischob. auf die dauer war er viel zu neugierig, drinnen zu bleiben. so hüpfte er eines tages mutig hervor und prüfte mit kennerblick und schnabelprobe, mit was ich mich da abgab. was vom boden her in seiner reichweite war wie pedale, speichen und reifen, checkte er fachmännisch auf tauglichkeit und sicherheit.

ich sagte ihm bei der gelegenheit, dass ich mir wünschte, er käme mit. doch dazu müsste er erst wieder fliegen können. oben auf dem lerchenberg, wie ich den etwa vierzig meter hohen hügel nannte, seien nicht nur lerchen, sondern auch kiebitze und seine krahverwandten.

mit kjack hätte ich das ohne weiters machen können. in rabenbegleitung zu radeln, stellte ich mir schön vor, denn den hügel hinunterzujagen, hatte etwas flugverwandtes, etwas vom fliegen durch den wind.

krah hörte sich meine schwärmerei an, ohne ein wort dazu zu sagen.

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Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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