24 erster und zweiter tag in freiheit
anderntags war ich ziemlich früh draußen, um nach krah zu sehen. zu früh. bei leichtem nebel war die sicht noch zu schlecht. ich fand den freien raben nicht und ging zurück.
stunden später lief ich wieder die straße entlang und suchte mit blicken das dickicht der wallhecke zu durchdringen. ohne erfolg..
am späten vormittag lief mein nachbar mit auf der strecke bis zum wald. aber auch dieser versuch oder diese suche zu zweit blieb erfolglos. krah war wohl gar nicht mehr in der wallhecke.
beim vierten anlauf in der späten mittagsstunde entschloss ich mich, statt auf der straßenseite entlangzulaufen, die seite wieder zu wechseln. ich ging in den wald, übersprang den nebenbach zum feld hin und lief den rain entlang, stets die wallhecke rechts im blick.
und dann fand ich ihn endlich. nicht mehr auf dem stock in riskanter bodennähe wie gestern abend, sondern ein stückchen weiter in der wallhecke oben inmitten der schützenden zweige eines hohen dornbusches. die auswahl dieses nachtquartiers war ausgezeichnet. besser gings gar nicht.
er nahm die weinbeeren, die ich ihm anbot, und sprang auf meinen arm. bis zum waldrand ließ er sich tragen.
erstaunlich genug wollte ich noch immer die zeit zurückdrehen und in die gewohnten verhältnisse zurück. der graben des nebenbachs aber war die grenze, an der es nicht weiterging. einmal flog krah sogar herüber, dann aber gleich auch wieder zurück.
auf dem bequemen ast einer eiche, in schulterhöhe, da hielt er es aus. da wollte er offensichtlich bleiben. ganz unpädagogisch reichte ich ihm eine erdnuss zum abschied und ging.
gegen sechzehn uhr wieder auf dem weg zum wald hörte ich ihn rufen. ich antwortete und beschleunigte meine schritte. nach seinen rufen konnte ich ihn ungefähr orten. ich sprang über den graben in richtung feld und lief ein stück weit am waldrand entlang. und endlich entdeckte ich ihn. wie in einem nest aus eichenblättern saß er auf einem zweig in zwei meter höhe. nur sein kopf war zu sehen, der aus den in der sonne glänzenden eichenblättern hervorlugte.
ich musste ihn lange bitten, seinen sonnenbalkon zu verlassen. erst als ich ein stückchen fleisch anbot auf dem handrücken der hoch hingehaltenen hand, wurde er unruhig, kam in bewegung und ließ sich endlich herab, auf der hand zu landen. er nahm nicht alles fleisch, das ich mitbrachte, aber die beeren wie immer gern. als ich einen moment durch ein geräusch abgelenkt war, verschwand er zurück in den jungen eichenbaum.
nach sonnenaufgang war ich wieder draußen. ich fand krah in derselben jungen eiche am waldrand wie gestern. aber heute saß er nicht außen auf dem sonnenbalkon. er hockte auf einem ast im innern des baumes. instinktiv richtig gewählt zur nacht unter dem schützenden blätterdach der eiche.
es dauerte, bis er bereit war, auf meinen arm herunterzuspringen. er nahm nur wenig, vielleicht war ich zu früh für richtigen hunger. da ich noch einen vormittagstermin hatte, setzte ich krah mit guten wünschen in den baum zurück.
meine schwester rief an. sie wollte wissen, wie das wetter sich entwickelte für ihren besuch bei mir. mit rücksicht aufs schlechte wetter, aber auch auf krahs neue situation, riet ich vom kartenkauf ab und zum abwarten bis zum wochenende.
am nachmittag ging ich wieder zu der eiche, in der er gestern und heute morgen war, fand ihn aber nicht. auch auf mein rufen keine antwort.
das gleiche ergebnis am späten nachmittag. kein rabe zu sehen. als ich in die hütte zurückkam, rief meine enkelin lenja an, um nach krah zu fragen. Es hatte sich herumgesprochen, dass er ins freie geflogen war.
Kommentare 19
gut gekräht, löwe, rabenflüsterer...!
kein wort zuviel, das ist dein geschmack. lässt viel platz für fragestellungen wie z.B. "erzähle die geschichte aus krahs sicht" oder schreibe einen tagebucheintrag, in dem der rabendoktor auf seine erlebnisse und seine neue situation blickt" - kann meine berufsdeformation nicht so ganz beiseiteschieben, aber auch nicht verhehlen, dass ich diese fragen selber gerne beantworten würde.
aber vielleicht geht die geschichte noch weiter...
gelungenes leben.
herzlich
elke
liebe elke,
heute keine krahige wortkreation? war keine ordentliche vorlage gegeben?
a bisserl geht die geschichte schon noch weiter, wenn ein ennuyierter leser auch meinte, frisst er die beere oder frisst er das fleisch oder heute nicht....
männer und raben...
herzlich
helder
lieber helder, du merkst es schon gar nicht mehr, so bist du mit dem krahischen verbunden:-) "gut gekräht" naja, gekräht gibts schon, aber in anderen zusammenhängen.
bin froh, dass es nicht zu ende ist. Ich krahlocke sogar darüber!
herzlich, elke
liebe elke,
so ist das: nun hast du etwas angefangen und bist gefangen im kreativen umgang mit krahizität...
hm, ohne das vorangestellte "bin froh" wäre "krahlocke" nicht ohne weiters verständlich. also bitte volle konzentration und kreative disziplin;-)
herzlich
helder
Lieber Helder,
Deine Beziehung zu Krah ist erstaunlich. So habe ich das mit den Seevögeln nicht hinbekommen. Allerdings locke ich sie auch nicht mit allerlei Leckereien, sie haben die Überfülle der Natur vor ihrer Haustür. Ich glaube auch, ihnen ist meine Beobachtungsneugier einfach nur lästig. Ich störe nur bei Nahrungssuche, wenn ich zu nahe an ihnen vorbeilaufe und manchmal beobachtend innehalte. Die Strandläufer und ihre Kücken lassen mich nur bis auf 5 m heran. Die Aasgeier dagegen manchmal bis auf 2 m, denn sie sind zu gefrässig, wenn sie sich auf totes Getier am Strand stürzen und sich um die Beute balgen. Die Pelikane sind zu stolz, um mich auch nur mit einem Blick zu würdigen; es sei denn, sie bereiten sich auf ihr einsames Sterben am Strand vor, den Blick in die Weite des Ozeans gerichtet, wo ihre Artgenossen dem täglichen Fischfang frönen. Das Sterben der Pelikane hat es mir angetan, vor allem diese unendliche Trauer und Einsamkeit, nur im Zwiegespräch mit den Wellen, ihren letzten treuen Gesellen. Richten sie ihren Totenblick vom Meer weg auf mich, murmele ich ein Abschiedswort und mache mich von dannen. Ihr Trauerblick lässt mich dann den ganzen Tag nicht los. Vor zwei Tagen fand ich beim Standlauf wieder zwei völlig von den Geiern entfleischte Pelikane. Hauptsächlich ihr ungeniessbarer Schnabel war letztes Zeugnis, das bei der nächsten Flut ebenfalls der Vergessenheit anheim fällt.
Hauptsache ist, dass es Krah gut geht!
LG, CE
lieber hermann,
die pelikane haben dich beschäftigt als unwillkürliche begleiter. das ist mir aufgefallen. dass die großen fischer auch am strand zu beobachten sind, wie sie von allen lebensgeistern verlassen werden, ist mir neu. dass den geiern das gefällt, nicht.
übrigens sind krahs in wilder weise auch aasfresser. offiziell wird krah als rabenkrähe bezeichnet und zusammen mit der östlichen variante der nebelkrähe als aaskrähe. wahrscheinlich eine namengebung durch die größten feinde krahs, die jäger.
hoffe natürlich auch, dass es krah gut geht. was das betrifft, muss ich der fixierten geschichte noch einen nachtrag anhängen.
lg hy
lieber helder, jetzt noch ansprüche an die leserin stellen ...;-) krahtivität kommt, wann sie will.
ich bin im wahren leben überhaupt keine worterneuerin, hab nur schelmischen humor (attestiert), aber krah wirkt mächtig.
herzlich, elke
Lieber Costa, das Sterben der Pelikane hast du wunderbar beschrieben. Halten sie sich an Stellen auf, wo sonst niemand ist? Und die Aasgeier - warten die schon?
Der Zauber der Natur bannt mich, natürlich auch die politischen Irrungen und Wirrungen, aber der Natur zuzusehen beruhigt und macht still. Zum Überleben auch notwendig.
Vielleicht kommt es zu einem Treffen mit dir und Helder?
Herzliche Grüße, Elke
liebe elke,
ja, es wird immer anspruchsvoller mit krah. jetzt kommen auch schon die abstrakta ins spiel mit krahizität und krahtivität. nicht eingeweihte dürften auf mehr oder minder unüberwindliche verständnisprobleme gestoßen werden. die tendenz geht krah, sorry, klar in richtung spezialwörterbuch rabisch.
für das rabenkind krah ist das leben ein spiel, ein ernstes, versteht sich.
herzlich
helder
für das rabenkind krah ist das leben ein spiel, ein ernstes, versteht sich.
sonst wäre mein interesse gar nicht geweckt worden. bin ich schon krahanoid? heute, auf der straße mit einkaufstasche, hörte ich erst ein krähen. dann die antwort eines anderen: ganz anders und schließlich noch eine dritte version eines anderen krahs. ich beginne krahlaute zu unterscheiden! wie gesagt, krahanoid. aber wertvoll. gruß, elke
liebe elke,
so so, krahanoid. eine schöne schöpfung. glückwunsch! aber du beginnst krahisch zu hören. nochmals glückwunsch!
aber du vergisst hoffentlich darüber nicht, dass die menschen in ihrem spiel ganz ernst genommen werden möchten. will sagen, dass, wenn du den krahs dein ohr leihest, du der menschen spielzüge nicht übersiehst/überhörst, die könnten sonst womöglich menschenoid werden...
niemand in der weiten krahlesergemeinde ist, scheint mir, so verkrahigt wie du...
herzlich
helder
niemand in der weiten krahlesergemeinde ist, scheint mir, so verkrahigt wie du...
wenn ich das gewusst hätte...! brachte doch die gängigen vorurteile mit: nietzsches immer noch unübertroffenes "die krähen schrein/und ziehen schwirren flugs zur stadt", natürlich den poe "quoth the raven nevermore" und shakespeares/oxfords: "the raven is hoarse"...und jetzt alles noch einmal neu sehen, erleben...und das, obwohl ich kein krahphologie-grundstudium habe. heute nur zwei unterschiedliche krahs gehört. das reicht auch. wissenschaftliche kompetenz ist nur ein kleiner teil der welt...grüße, elke
liebe elke,
ich fürchte, dir ist im krahfieber ein rechtschreibfehler unterlaufen: es heißt natürlich krahologie, nicht krahphologie. weil das schon fast wieder fest wissenschaftlich klingt...
danke für die reihe der hergebrachten vorurteile erlesener herkunft.
herzlich
helder
krahfieber? -weit gefehlt. fußballfieber und alle arten von fiebern reden uns die medien ständig ein. nein, ganz und gar nicht. ist eher eine medikrahtive stimmung, die krah hervorruft. medikrahtion - das hat mich erwischt.
krahologie ist gewiss besser; ich hatte aber tatsächlich krahphologie im sinn. auch medikrahtion garantiert nicht 100%ige wahrheitsfindung,..
gut, liebe elke, einigen wir uns auf medikrahtion...
die kraphologie kam mir nur ein wenig spanisch vor, weil ich mir mal fast hätte einreden lassen, dass es sowas wie eine wissenschaft der schreibweisen, graphologie, gäbe, und daran erinnert mich deine kräation..
herzlich
helder
so einer stringend denkenden kräatur wie du eine bist, entgeht auch nichts;-)
noch ein vorurteil, das sich auflösen könnte: van goghs "kornfeld mit krähen" strahlt ganz plötzlich eine andere stimmung für mich aus. düster bleibts, aber auf die krähen blicke ich anders...
liebe elke,
das gemälde ist weltbekannt. was immer auch die leute dazu meinen, allein die farbkontraste und der schwung im bilde sind das anstaunen wert.
ich weiß nicht, wie frei von goch von den vorurteilen zu raben war. im bild selbst sehe ich keine...
herzlich
helder
ui, was is mir denn nu schon wieder entgangen?;-)