das rabentagebuch (29).

mein rabe krah. s. o.

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29 nachtrag 1 zum rabentagebuch

bevor krah erfolgreich das weite suchte, sah ich einen schwarm seiner artgenossen hier vorüberziehn. in der regel bestehen solche herbstschwärme aus einem zusammenschluss der jungen krahs, die im sommer flügge wurden. ich habe schon gesagt, dass rätsch und kjack sich solchen verbänden anschlossen, wie es allgemein bei rabenvögeln üblich ist. und ich habe erklärt, dass die junge generation im schwarm geschützt durch die manchmal schwierigen wochen des winters kommt.

nun wünsche ich krah, dass er die warteschleife im wald dazu nutzte, das ende seiner mauser abzuwarten, möglichen muskelkater auszukurieren und gleich danach von einem schwarm junger krahs mitgerissen wurde in die richtige rabenfreiheit, ins echte rabenleben.

da ist er unabhängig von meinem futter, denn der schwarm erschließt für alle mitglieder täglich neue quellen. gemeinsam suchen die schwärme der jungen generation abends sichere schlafplätze auf. wohin die reise am nächsten tag geht, weiß kein einzelnes mitglied; das bestimmt allein die schwarmintelligenz oder der instinkt der vielen gemeinsam.

vor allem an den schlafplätzen findet ein austausch unter den krahs statt. das legen zumindest beobachtungen des verhaltens der großen raben nahe. bei den entscheidungen, wer neben wem übernachtet, ergeben sich freundschaften und manchmal partnerschaften für längere zeit. ich wünsche krah, dass er dabei schon seine kumpane gefunden hat, womöglich auch schon seine partnerin.

die erlebnisse im schwarm machen krahs unschöne erfahrungen bei und mit den flügellosen nicht ungeschehen, aber sie werden durch starke neue eindrücke und herausforderungen bald überlagert und schwächer.

nun ist krah ein jahr älter als seine gefährten im schwarm. das soll ihm zum vorteil gereichen in seinem neuen wirklichen leben.

ob ich krah wünschen soll, dass er schon bald ein eigenes revier erobert und mit seiner vertrauten das erste nest baut, weiß ich nicht. das muss er selbst entscheiden. was ich ihm aber ganz gewiss wünsche, ist die freude am fliegen, die er so lange entbehren musste. wenn milde westwinde im herbst und winter übers land brausen, nutzen krahs und kjacks die beschwingte wetterlage zu hohen und weiten wirbelpartien. spielen und tänzen mit dem wind.

die idee zum höheren und freieren leben der vögel hatte schon der altgriechische schriftsteller aristophanes. nicht von ungefähr kam ihm die idee, als es in athen mal wieder unerträglich war. in der komödie „ornithes“(die vögel) ließ der autor zwei athener einen fluchtweg ins freie vogelreich suchen. den weg sollten ihnen zwei raben weisen, ein kjack und ein krah.

die wahl der athener fiel nicht zufällig auf die beiden rabenvögel. krähe und dohle waren in althellas bekannt als interessante zahme begleiter des alltags. daher kannten die menschen im klassischen griechenland die pfiffigen gefiederten und deren fähigkeiten. ob tatsächlich zu anfang der ornithes die beiden vögel im theater mitspielten, kann ich nicht sagen. wohl eher nicht. aber das skript sah ihren auftritt vor.

dass aristophanes sein vogelreich zwischen den göttern im himmel und den menschen auf der erde ansiedelte, mochte ja noch angehen, dass er aber den vogelstaat durch den rat der athener zur herrschaft um- und ausbaute, war und ist alles andere als rabisch oder natürlich. in diesem punkt zeigt sich, wie unrealistisch der dichter die welt der vögel sah, besonders der raben. vielleicht verlangte aber auch das athenische publikum die vermenschlichung der vögel. eine utopie der gefiederten wäre wahrscheinlich auf unverständnis gestoßen und der dichter hätte nicht einmal den dritten preis für sein stück bekommen. so reichte es immerhin zum zweiten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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