das rabentagebuch (31)

mein rabe krah.nachtrag 3 was ich nach dem verschwinden krahs phantasierte über seine zukunft als freier rabe, wird in den nachträgen 2 und 3 der realität asymptotisch angenähert.

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als ich am 10.9. vom morgendlichen einkauf per pkw zurüchkam und mich der einfahrt zum feriendorf von der straße her näherte, sah ich in den halbhohen bäumen auf der südseite der straße krah. ich rief ihn durchs rasch geöffnete fenster. und er reagierte nicht wie ein wilder krah verunsichert mit flucht, sondern blieb in relativ niedriger höhe und nähe.

ich brachte meinen einkauf nach hause und fuhr gleich mit dem rad zur straße zurück, natürlich mit einer portion nüsse in der tasche. als ich mich der stelle näherte, wo ich mit dem auto kurz angehalten hatte und krah gerufen, sah ich ihn nun mitten auf der straße, wo er wahrscheinlich größere insekten auflas, die von den zu schnell fahrenden autos großzügig auf die straße gestreut werden. er flog auf und in die baumreihe zurück, blieb aber in niedriger höhe. als ich ihn rief, sprang er ungehalten von zweig zu zweig, ohne sich zu entfernen.

ich warf einige erdnüsse mit schalen auf die straße. das macht ein klatterndes geräusch, vor dem normale krahs abfliegen, weil es sie erschreckt. krah blieb, ließ sich aber andrerseits auch nicht vom leckerbissen locken.

ganz neu war, dass nicht nur krah auf meine rufe antwortete, sondern noch ein zweiter rabe, der weiter rechtsoben im laub der baumreihe versteckt blieb. er gab einen anderen laut von sich, den ich als warnung für krah verstand. nach kurzer zeit flog der warnrufer ab in eine höhere baumgruppe etwas weiter weg. ihm war meine längere anwesenheit und mein rufen nicht geheuer. er warnte nun etwas deutlicher auch weiterhin vor dem flügellosen.

dass krah sich weder vertreiben noch herbeilocken ließ, zeigt einerseits, dass es tatsächlich mein rabe krah war, der da zum wiederholten mal im 300-meter-umkreis um seine frühere jugendherberge sich blicken ließ, zeigt mir andrerseits, dass krah im widerstreit entgegegesetzter impulse in der mitte gehalten wurde zwischen annäherung und flucht. wie ein satelliet auf seiner bahn gehalten von anziehungs- und fliehkraft.

auch erinnert mich krahs unentschiedenes hüpfen von ast zu ast an sein verhalten, wenn ich ihn in seinem waldquartier besuchte und er öfters lange brauchte, ehe er zu mir herabstieg. einmal überzog er seine bedenkzeit so sehr, dass ich ihn provozierte, indem ich so tat, als ginge ich wieder. so wollte er auf keinen fall verstanden werden. er protestierte laut und deutlich und beeilte sich herabzusteigen. schließlich war er ja noch von meiner futterbesorgung abhängig.

nun, nach fast einem jahr draußen in der selbständigkeit bleibt krah auf distanz, fühlt sich aber auch nicht zur flucht getrieben. im gegensatz zu seinem warnenden kumpel, dem die nähe zum flügellosen allzu heikel erscheint.

weil die situation unverändert blieb, fuhr ich mit dem rad meine tägliche runde den hügel hoch, auf dem mich bis vor wenigen wochen noch die feldlerchen mit den himmelhoch steigenden liedfontänen erfrischten, jetzt nur noch eine einzelne schwalbe mir im vorbeiflug ihr witt-witt zurief.

zurück von der radrunde sah ich krah hoch oben über den bäumen auf einem arm des hochspannungsmasten. und er antwortete wieder auf mein rufen, blieb aber da hoch oben. sein kumpel hatte sich inzwischen wieder genähert. versteckt im dichten laub der baumreihe an der straße warnte er wie vorhin.

krah braucht mich nicht mehr. er hat endlich einen "wilden" freund und begleiter gefunden, der sich beständig um ihn kümmert.

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Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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