8 wie krah zwei besucherinnen empfing
in den sommerferien besuchte mich meine enkelin lenja für drei tage. krah brauchte aber nicht drei tage, um sich mit lenja anzufreunden. weil mein gast erst am abend mit mir eintraf, war das kennenlernen an dem tag natürlich etwas kurz. am zweiten dauerte es nicht lange, bis krah auf lenjas arm saß und sich von ihr füttern ließ.
die den raben nachgesagte neophobie, die scheu vor neuem, wenn es um unbekannte menschen geht, hängt sehr davon ab, wie sich die menschen verhalten. wer sich so ruhig und freundlich dem raben nähert wie lenja, schafft in kürzester zeit zutrauen. die kurze zeit von drei tagen blieb in krahs gedächtnis fest verankert, bis lenja nach über einem halbjahr wieder zu besuch kam. das fremdeln unterblieb praktisch ganz, so schnell waren krah und lenja wieder vertraut miteinander.
als dann nach einer weiteren woche die nachbarsfrau vom garten her auf die veranda kam, um krah auch einmal zu sehen, verhielt der rabe sich eigenartig. normal war, dass er zuerst flüchtete bis in die äußerste ecke der veranda.
doch es genügte, dass die frau und ich miteinander sprachen, dass krah sich ganz rasch beruhigte und langsam näher kam. dann sah es fast so aus wie eine förmliche begrüßung der fremden. krah sagte ein langes helles uh und verbeugte sich dabei tief. das wiederholte er.
danach flatterte er mit einem sprung auf den kopf der nachbarin. die machte aber nicht in hysterischer abwehr, womöglich aus sorge um ihre frisur oder aus angst vor dem wilden tier. die frau blieb ganz ruhig. darum fasste sich auch krah. er rutschte auf ihre schulter runter und schnabelte nur freundlich ein wenig an ohren und haaren.
offensichtlich wollte krah die fremde person nur mal testen und kennen lernen. das klappte. er wusste nach seinem testflug, dass ihm von der unbekannten keine gefahr drohte.
9 zwischen garten und veranda
eine zeitlang schien krah sich auf bienenfang zu spezialisieren. ich fürchtete schon, der unerfahrene rabe könnte von einer biene gestochen werden. doch auch der fang und das vorsichtige zerlegen der insekten mit dem giftstachel spielten sich so gekonnt und sicher ab, dass ich wieder mal den guten instinkt am werke sah. krah dachte nicht daran, die böse brummende biene sogleich zu verschlingen und sich womöglich einen gefährlichen stich im schlund einzuhandeln. im vertrauen auf seinen großen schnabel und dessen unverletzlichkeit durch fliegendes oder krabbelndes kleinfutter zerlegte krah erbarmungslos und in aller ruhe wie ein alter metzger das wild zappelnde und zeternde bienchen, bis keines der teilstücke sich mehr rührte. erst dann verspeiste er die beute.
winzige spinnen, für die er oft einen halben meter hoch sprang, verschluckte er dagegen sofort. ebenso fliegen, die er im vorbeiflug schnappte.
anders als seine größeren verwandten, die großen raben, verspeiste krah also auch bienen. ich hab ihn nicht nur einmal dabei beobachtet. bernd heinrich, der rabenforscher, sah, dass seine raben keinen geschmack an bienen fanden. wenn sie doch einmal eine kostprobe davon in den schnabel genommen hatten, spuckten sie das bienenklein angewidert wieder aus.
krah scheute keinen dunklen winkel im garten auf der suche nach neuem. dagegen fiel auf, dass er bei seinen aktivitäten den gartenwegen nur bis zu einem bestimmten punkt folgte. so hielt er sich die meiste zeit auf der ostseite der hütte auf. den weg um die ecke zur nordseite mied er jedes mal, wenn er bis an die hausecke gekommen war. vielleicht erklärlich, denn die nordseite ist generell lichtärmer. hinzu kam, dass der weg sehr schmal und zum teil durch einen betonklotz verstellt war.
die terrasse auf der südseite war dagegen selbstverständlicher teil seines reviers.
die gasse aber neben den großen regentonnen, die weiter in richtung westen führt, war wiederum außerhalb.
doch nicht nur am haus gab es für krah unsichtbare grenzen, die er möglichst nicht überschritt. sein normales revier war die gartensüdhälfte.
nur ein einziges mal wagte er sich in die nordostecke, dorthin, wo die große robinie steht. das geschah, als er auf der flucht vor meiner schwester war, die er noch nicht kannte und die zu seinem entsetzen in seinem revier den liegestuhl aufgestellt hatte, um die sonne zu genießen. vor größeren unbekannten gegenständen hatte krah soviel angst wie vor unbekannten menschen. hier kam beides zusammen. das trieb ihn in die flucht – über die unsichtbare Grenze seines reviers hinaus. ohne solch eine massive „bedrohung“ hielt krah sich strikt an seinen bereich. so neugierig er sonst war, sodass er jeden stein und jede pflanze in seinem revier kannte, aber das jenseits der grenzen liegende war für ihn wie verbotenes terrain.
wenn einmal, was selten vorkam, der nachbarhund plötzlich nah am zaun laut kläffte oder wenn ein auto zu schnell und laut polternd auf der straße vorbeiraste, jagte krah flatternd und rennend wie ein aufgescheuchtes huhn in richtung veranda und, da die verandatür stets offen stand, rettete sich in seine heimstatt. darin fühlte er sich sicher.
obschon - einmal hörte ich aus krahs raum einen ungewohnten laut von ihm, hörte es und stürzte alarmiert durch die tür auf die veranda. da hatte sich doch durch die offene tür eine katze vom garten hereingeschlichen. geduckt verharrte sie noch auf der schwelle, weil der raum für sie neu war. als ich in der tür stand, huschte sie weg.
ob sie krah gefährlich nah gekommen wäre, ist nicht gesagt. ein rabe ist normalerweise eine nummer zu groß als beute für eine katze.
bei einer begegnung mit einer anderen katze im garten – sie bewegte sich hinter den himbeersträuchern nahe dem gartenturm im östlichen drittel, krah hatte sie aber wohl doch schon erspäht und lief entschlossen oder neugierig den plattenweg entlang auf sie zu – zog sich die geduckt schleichende schleunigst zurück. die katze hatte krah vielleicht noch gar nicht erkannt, sondern nur etwas schwarzes und größeres als sie selbst auf sich zukommen sehen.
tiere sind ja nicht todesmutig zum kampf entschlossen wie sogenannte helden in menschengestalt, wenn flucht noch möglich ist. nicht von ungefähr ist schon das größenverhältnis, aber meist auch das kräfteverhältnis von raubtieren und ihren opfern höchst ungleich. eine maus hat keine chance gegen eine katze. sie kann nur flüchten. man muss sich den raben krah nur neben einer maus vorstellen, um zu verstehen, dass die katze ihm lieber aus dem weg ging.
einmal im oktober besuchte ich einen freund, der über hundert kilometer entfernt wohnt. ich kehrte erst am abend im dunkeln zurück. und krah, der arme, hatte so lange auf mich gewartet, dass er mich, was einmalig war, sogar im dunkeln laut begrüßte. ich weiß nicht mehr, ob ich ihn schon angesprochen hatte, sodass er mich an der stimme erkannte.
dunkelheit bedeutet für das augentier ruhe- oder schlafenszeit. wahrscheinlich habe ich ihn geweckt, als ich die dunkle wohnung betrat. das war nicht das erste mal. aber sonst hatte er sich nie laut gemeldet. doch nach acht oder mehr stunden abwesenheit musste er mich begrüßen. ich verstand seinen ungewöhnlichen gruß als zeichen der freude und erleichterung.
Kommentare 28
»nicht von ungefähr ist schon das größenverhältnis, aber meist auch das kräfteverhältnis von raubtieren und ihren opfern höchst ungleich«
Vergleiche mit der EU und ihren ungleichen Staaten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt, sonst wäre deine Geschichte ja eine Fabel.
Wenn dieser Rabe tatsaechlich Bienen killt, muss er leider verboten werden, wie Herbizide. Bienenschaedling. Als Imker muss ich das mal pruefen. Es gibt schliesslich Gesetze! Die Bienenunschaedlichkeitverordnung gilt ueberall!
Aber vielleicht wars ja auch nur ne Wespe, oder ne wilde Biene. carnica carnica ist aber gesetzlich geschuetzt. Das gilt auch fuer Raben, sollte man diesem Schwarzvogel mal sagen!
Bienenschaedling.
ja, das stimmt. krah richtet sich bei seiner diät überhaupt nicht nach amtlichen verordnungen. ich habe auch nicht versucht, ihn in der hinsicht zu erziehen. mich wunderte und stimmte seine auswahl manchmal bedenklich, aber nicht von wegen beekill, sondern weil ich fürchtete, wie geschrieben, der unerfahrene rabe könnte gestochen werden. aber da ist das erbe der instinkte vor.
jedes auto und jedes andere fahrzeug killt mehr bienen als ein rabe. heinrichs große raben mögen keine bienen.
Vergleiche mit der EU und ihren ungleichen Staaten
sind fehl am platze. klarer fall. ich bin doch kein dichter, sondern berichter aus dem rabenleben in obhut.
aber den seitenhieb auf die helden konnte ich nicht verhindern...
Gegen die afrikanische Moerderbiene haette son Rabe auch keine Chance. Die kriegen jeden! Die Riechen Bienenmoerder noch aus 300m Entfernung. Bei Deutschen Bienen reichts nur bis ca. 30 Metern. Zudem Bienen wehren sich auch noch nach ihrem Tod. Der Stachel kann noch stechen und Gift rausschleudern, wenn er der armen Biene rausgerissen wurde. Vorsicht Rabe!
Vorsicht Rabe!
hab mal was von den mörderbienen in brasilien gehört.
aber nach dem, was krah mir gezeigt hat, muss ich mir um ihn keine sorgen bezüglich bienchen machen. der instinkt sitzt so sicher. die raben haben schon seit unvorstellbar langer zeit die bienen und anderes getier probiert. sind entsprechend programmiert.
übrigens hätte eine noch so wütende biene keine chance bei krah. sein schnabel ist so reaktionsschnell. er fängt die fliegen aus dem schnellsten vorbeiflug. und schon ist es vorbei mit dem gesumm. die fliegen schluckt er sofort. muss also schon so früh unterscheiden können, was es ist. giftig bis stachelig oder aber bloß sumsum.
Warum auch, das ist die Magie des Schreibens, die manche Perle kreiert.
Wenn dem Raben ploetzlich 3000 Moerder-Bienen im Gefieder sitzen, dann war's das. So gemein sind die Moerder-Bienen naemlich. Gibt's aber in D nicht.
(Ja, in Lateinamerika gibt's die auch.)
Wenn dem Raben ploetzlich 3000 Moerder-Bienen im Gefieder sitzen,
so viele auf einen - das wäre ja gemein. aber die müssten ja erst mal anfliegen, als wolke. warum sollten sie das? krah könnte ja auch wegfliegen... wenn es die überzüchteten viecher hier gäbe. ist aber nicht so, wie du weißt.
also weg mit dem spuk!
schön beschrieben, wie mensch und tier interagieren; erinnert mich sehr an verschiedene kleinkinder. du kannst dir denken, die art und weise wie der krah die biene erbarmungslos verkrahsematuckelt, ist nichts für mein gemüt...dennoch bin ich gespannt auf das weitere. beste grüße, elke
du kannst dir denken, die art und weise wie der krah die biene erbarmungslos verkrahsematuckelt, ist nichts für mein gemüt...
liebe elke,
mein fall wars auch nicht. aber ich sah vor allem zu, was passiert. ich war nicht als verbesserer der natur unterwegs. ich wollte mich vielmehr durch die natur über die natur belehren lassen.
herzlich, helder
kann ich verstehen. und ich verspüre stets große neigung, chefgöttin zu spielen und so etwas nicht zuzulassen...muss mich fügen lernen...grüße!
krah hat mir durch sein verhalten gezeigt, dass angeborene reaktionen eine sehr große rolle spielen. dadurch ist der spielraum zum lernen stark eingeschränkt. obschon lernen auch eine große rolle spielt. schon die wahrnehmung ist von diesen beiden seiten bestimmt.
mensch ist natürlich genauso oft versucht, seine schemata dem tier überzustülpen. das kind- und das kumpelschema z.b.
herzlich halder
Warum veröffentlichst Du die Geschichte nicht einfach auf Books on Demand, dann könnten deine Fans ein Buch lesen und vielleicht auch noch ein paar Illustrationen beisteuern?
Lieber Helder,
es hat mir auch heute wieder große Freude bereitet die Fortsetzung zu lesen. Krahs Abenteuer machen Lust auf mehr. Mehr über ihn zu erfahren, wie er in deiner Obhut lebt. Wenn er kleine Bienen so gigantisch zu zerlegt, um sie zu fressen. Spinnen und Fliegen einfach hinunter schluckt, würde mich interesieren, ob er auch Weinbergschnecken mag. Ich esse sie gerne in Kräuterbutter und benutze eine Schneckengabel und Zange dafür, um das tote Tier aus dem Häuschen zu holen. Würde mich interessieren, ob Weinbergschnecken auch auf Krahs Speisekarte stehen. :-)
Herzliche Grüße
Corina
Deutsche Sprache - schwierige Sprache
Entschuldige bitte für die Fehler bzw. Formulierung. Hätte mir den Kommentar nochmals durchlesen sollen. :-)
HG
Corina
Warum veröffentlichst Du die Geschichte nicht einfach auf Books on Demand
was nicht ist, kann ja noch werden. aber genieße gerade online mehr, weil ich unmittelbares feedback kriege.
ich hab natürlich fotos. aber das internet ist überreich an bildern.
ob er auch Weinbergschnecken mag.
das weiß ich nicht, liebe corina. hier gibt es keine weinbergschnecken. wohl die großen nacktschnecken und die kleineren mit häuschen. diese hat er geknackt.
was er lebendiges im garten fand, war auch auf seiner karte. ich habe kein kleingetier gefunden, das er nicht in den schnabel genommen hätte. allesfresser eben. das grünzeug reizte ihn dagegen nicht. typisch kind...
herzlich, helder
halder, helder, krahelder, krahlder...bald bist du auch soweit, dass die sprache sich dem krah beugt...:-)
pleifels idee hatte ich auch schon. ich fände zeichnungen schöner; eventuell gibt es in der fc jemanden, der das kann?
liebe corina,
vergiss es. ein riesenvorzug im netz ist doch, dass man locker drauflosschreiben kann, ohne duden und deutschlehrer. so wie einem der schnabel gewachsen ist. wenn nicht jede zeile durch vertipper verunstaltet oder schwer lesbar gemacht wird, ists gut. dass wir nicht frei sprechen und so auch die musik der sprache hören können, ist aber wirklich ein mangel.
herzlich, helder
.bald bist du auch soweit, dass die sprache sich dem krah beugt...:-)
meinst du das schiefmündig wie eingedeutet mit dem strichcode?
krah hat nicht sprechen gelernt, obwohl das zu seinen möglichkeiten gehört.
hab ich mich sprachlich zum krah hinuntergebeugt?
herzlich, helder
gar nicht: du hast ja selbst mit "halder" unterzeichnet; daraufhin meine reaktion. beste grüße, elke
ich fände zeichnungen schöner
liebe elke,
ich habe keine vorlieber für fotos oder zeichnungen. bilder sind oft eine prima ergänzung zum geschriebenen. wenn ich an die ersten bücher denke, mit denen ich lesen lernte, märchenbücher, erinnere ich mich noch an manche bilder. die bilder sind möglicherweise eine zusätzliche dimension.
sah neulich ein buch über spatzen, das durch die farbigen impressionistischen illustrationen klar an qualität gewann.
und wie wärs mit einem hörbuch - ganz ohne zeichnungen?
herzlich, helder
selbst mit "halder" unterzeichnet;
sowas aber auch... und das a ist nicht mal dem e auf der tastatur benachbart. wie das möglich war, kann ich gar nicht erklären noch entschuldigen. alltagspsychologie, entschuldige mich!
versprecher, verschreiber, verleser haben laut freuds psychologie was zu bedeuten. ich kann aber das -a- im halder nicht plausibel machen. freud konnte das in seinen beispielen sehr gut. ich glaub, ich muss ins frisch gemachte bett...
herzlich, helder
lieber helder,
die wenigen märchen und sagen, die mir als kind zur verfügung standen, waren allesamt mit zeichnungen illustriert, manche bunt, andere schwarzweiß. sie haben meine fantasie unendlich angeregt, aber ich darf nicht nur von mir ausgehen. gute fotos haben ebenfalls großen wert.
ein hörbuch, mit krah-lauten - überlegenswert!
jetzt lege ich flügellose meine nachtflügel an - herzliche grüße aus einer mondnacht, elke
die wenigen märchen und sagen, die mir als kind zur verfügung standen, waren allesamt mit zeichnungen illustriert, manche bunt, andere schwarzweiß.
liebe elke,
meine erinnerungen an frühe lektüre sind ebenso. aber die geschichte krahs ist nichts für kinder. darum mache ich mir noch keinen kopf über die ausgestaltung eines buchs, das es noch gar nicht gibt. aber ich habe die anregungen ja schriftlich. wenn es zum spruche kommt, kann ich sie nutzen.
herzlich helder
wirklich nicht? du denkst an krah und schreibst halder.