Aus dem Sprachlabor.

Hyperkorrektheit sprachliches verhalten ist schlicht eine gut erforschte unterabteilung menschlichen verhaltens allgemein. ihm ist nichts menschliches fremd.

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Ein schönes beispiel hyperkorrekten sprachgebrauchs ist hier in nrw nicht selten zu hören. rheinländer sprechen im dialekt die adjektiv-endung -ich gewöhnlich wie deutsch übende franzosen mit dem zischlaut am wortende (geschrieben sch). das klingt dann täglisch gewöhnlisch so.

Manche rheinländer verraten sich als solche, wenn sie hoch- oder normdeutsch sprechen und dabei seltsame wortendungen produzieren. sie sagen z.b. rheinich statt rheinisch oder westfälich statt westfälisch. das geschieht unbewusst.

Erklärt wird diese abweichung von der norm so:

Um nur ja keinen fehler durch verwendung des rheinischen -isch am wortende zu machen, meidet der sprecher unbewusst die typisch mundartliche endung und ersetzt sie durch die gleichfalls häufige adjektiv-endung -ich auch in den fällen, wo die endung -isch richtig wäre. der versuch, es ganz richtig zu sprechen, führt zum fehler. das nennt man hyperkorrektheit.

Sowas gibt es nicht nur bei der aussprache. auch die wortwahl oder die verwendung bestimmter ausdrücke driftet manchmal in die hyperkorrekte ecke. so hörte ich nicht etwa im lokalfunk, sondern im nazionalen dlf neulich jemanden sagen "wider besseren Wissens". beliebt sind auch die varianten "entgegen besseren Wissens" und "meines Wissens nach".

Es fällt die vorliebe für den genitiv auf, bei tucholsky hieß das mal: "Sie führte einen vornehmen Genitiv spazieren." das war nur eine veraltete sprachform (in: Schloss Gripsholm). in den eben genannten beispielen aber geht es um ausgesprochene grammatikfehler. irgendwer hat wohl mal "meines Wissens" gesagt oder geschrieben. dem vorbild eifert man nach und tappt in die falle der fälle.

Wissendes oder bewusstes sprechen klingt anders. die beispiele sind im mündlichen sprachgebrauch häufiger als im besser kontrollierten schriftlichen. das schließt jedoch nicht aus, dass ein prof so etwas zu papier bringt und veröffentlicht. mit seinem wissen, mit reflektiertheit glänzen zu wollen ist das eine, an seine grenzen zu stoßen das andere.

Das schräge gerede geht im breiten strom der gesprochenen und geschriebenen sprache gewöhnlich unter. aber gar nicht selten avanciert eine normabweichung selbst zur norm. dann hat die schlappohrigkeit mal wieder einen sieg eingeheimst.

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Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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