die französische revolution(2)

jean meslier. s. o.

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Die Vorsorge wirkte. Die Saat ging auf. Schon bald waren Abschriften in ganz Frankreich im Umlauf. Für eine vollständige Kopie zahlten Interessenten auf dem schwarzen Markt ein kleines Vermögen.
An die Drucklegung aber wagte sich kein Verleger. Das Buch wäre auch sofort beschlagnahmt und verbrannt worden. Es blieb im Untergrund - der Grundstein der französischen Aufklärung, der erste Funke der Revolution.
Für Leute mit etwas Geld und Spürsinn war es nicht schwierig, an die schwarze Ware heranzukommen. Der Mann, der gemeinhin als die reinste Verkörperung der Aufklärung gilt, Voltaire, war jedenfalls reich und findig genug, ein komplettes Manuskript aufzutreiben.
Es spricht für Voltaire, dass er mit dem Pfund wucherte. Er ließ "das Zeugnis der Wahrheit" im Bekanntenkreis kursieren. So konnten die aufgeklärtesten Geister aus dieser reinen Quelle schöpfen: Diderot, Helvetius, Holbach, d'Alembert und andere.
Dem Publikum gegenüber zeigte sich Voltaire weniger generös. Er gab eine stark gekürzte Fassung unter dem Titel "Das Testament des Abbé Meslier" heraus. Leider eher eine Entstellung als eine Vorstellung der Gedanken des Provinzpfarrers. Der Herausgeber war so frei, das Werk als Waffenarsenal auszuschlachten und für seinen Kampf gegen die römische Kirche zu nutzen.
Dafür hatte Mesliers Text in der Tat einiges zu bieten. Doch durch die einseitige Auswahl verfälschte Voltaire das Werk, unterschlug vor allem dessen gründliche Kritik an den Regierenden.
Wer so mit einem Werk umspringt, schätzt es nicht sonderlich. Wie distanziert Voltaire dem "Testament" des Provinzpriesters gegenüberstand, zeigt seine spöttische Bemerkung, Meslier schreibe wie ein Pferd.
Keine Frage, die beiden Männer sahen die Welt nicht mit den gleichen Augen. Wo der Geistliche alle Gottheit als Phantasieprodukt entlarvte, verteidigte der Weltmann den Glauben und ließ neben sein Schloss eine Kapelle bauen; lediglich den Missbrauch, den die Kirche seiner Meinung nach mit der Religion trieb, griff er scharf an.
Wo der arme Landpfarrer die Ungleichheit unter den Menschen, die ungerechte Besitz- und Machtverteilung als unmenschlich erkannte und überwinden wollte, erklärte der verwöhnte Höfling achselzuckend, in der zivilisierten Welt gebe es nun mal zwei Klassen: die Reichen und die Armen; die einen seien zum Befehlen da und die anderen zum Gehorchen. Das sei unabänderlich.

Herr Voltaire wohnte nicht wie Diogenes in einer Tonne, auch nicht im hinterletzten Dorf wie Meslier. Herr Voltaire lebte im Luxus. Seine Beziehungen zum Adel waren so gut wie sein Verhältnis zum Geld. Er dachte nicht daran, die Gesellschaft insgesamt in Frage zu stellen. Revolution war seine Sache nicht.
Als Erfolgsschriftsteller von europäischem Rang kritisierte er viele Misstände seiner Zeit, tat es aber wie ein Lehrer, der die Fehler seiner Schüler/innen zum Anlass nimmt für witzige Anmerkungen, ohne die Defizite der Klasse zu beheben.
Voltaire verabscheute zum Beispiel den Krieg. Eindrucksvoll beschwor er die ganze Ungeheuerlichkeit dieser Menschheitsplage, aber nach den gesellschaftlichen Ursachen zu fragen fiel ihm nicht ein.

Anders als Voltaire war Meslier nicht aus auf den Beifall des Publikums. Ihn hinderten auch keine Rücksichten auf den eigenen Besitz, im Krieg das wahre Gesicht der bestehenden Gewaltverhältnisse in der Gesellschaft zu erkennen und anzuprangern.
Er hatte die Feldzüge der Herrschenden gegen ihre Untertanen täglich vor Augen. Darum war Aufklärung für Meslier die Vorbereitung auf die Revolution. Der erste Schritt zur Abschaffung der Hölle auf Erden.

Was der Erzaufklärer aus Etrépigny in der Hinsicht tun konnte, hat er getan. Er ahnte nicht, dass die zu Arbeitstieren erniedrigten Bauern auf ihre Weise gleichfalls auf die Revolution hinarbeiteten - mit einer List, die seiner eigenen in nichts nachstand: Sie sorgten für viel Nachwuchs.
Im 18. Jahrhundert ist ein Anstieg der französischen Bevölkerung um 50%, von etwa 17 Millionen auf 25 Millionen Einwohner errechnet worden.
Diese biologische Leistung verschob im Land alle Gewichte. Vor allem veränderten sich durch ununterbrochenen Zuzug die Städte. Um die Hauptstadt Paris wuchs ein breiter Belagerungsring von Elendsvierteln.
Ähnliches wiederholt sich heute in der sogenannten 3. Welt. In Mexiko-Stadt kommen täglich ein- bis zweitausend Zuwanderer vom Lande an. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Stadt unregierbar wird.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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