die tschechische revolution(1).

peter cheltschitzki. menschen und medien sind vergesslich und meist nur am aktuellen interessiert. so kennt man die französische revolution, auch die russische und die chinesische. hussiten?

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die lage spitzt sich zu im königreich böhmen. die nachrichten vom erfolg der reformbewegung, die das land seit 10 jahren in atem hält, reißen nicht mehr ab. seit den aufsehenerregenden predigten des magisters jan hus in prag.
der gelehrte hatte es gewagt, laut die erneuerung der kirche zu fordern. hundert jahre vor luther. schon bald konnte er eine große anhängerschaft um sich sammeln. auch könig wenzel unterstützte die hussiten, wie man die reformer nach ihrem vorkämpfer nannte.

dann kam der unvermeidliche ärger mit rom. nach bann, predigtverbot und bücherverbrennung wurde hus schließlich auf dem konstanzer konzil zum ketzer erklärt und lebendig verbrannt.
das kirchliche glaubensgericht hatte eine vorliebe für den feuertod, wenn andersdenkende nicht beizeiten zu kreuze kriechen wollten.
in böhmen löste das vollstreckte todesurteil gegen hus einen aufschrei aus. es schreckte die hussiten nicht, sondern bestärkte sie nur in der gegnerschaft zu rom, radikalisierte sie im innern und trug ihnen von außen noch mehr sympathie und zulauf ein.

im sommer anno 1419 hatten sich die reformpriester mal wieder etwas neues einfallen lassen, um den widerstand der romtreuen endgültig zu brechen.
weil auf dem lande immer noch zahlreiche geistliche gegen die erneuerung eingestellt waren und die reformer notfalls aus der kirche warfen, riefen die hussitenprediger ihre leute zum gottesdienst auf einen berg, den sie tabor nannten. die messen auf dem berg in südböhmen entwickelten sich in kurzer Zeit zu beachtlichen versammlungen. aus allen teilen des landes strömten die menschen zum neuen wallfahrtsort. das taborfieber stieg von woche zu woche. am 22. juli 1419 sollen bereits über 40 000 taboriten zusammengekommen sein. das war damals eine überwältigende menschenmenge, ungefähr vergleichbar mit einer million demonstranten heute.
astrologen suchten in den sternen nach den ursachen des aufruhrs. und ein chronist schrieb über den berg tabor, er ziehe die menschen an wie ein magnet das eisen.

nicht aber könig wenzel. der sorgt sich um die folgen: am 30. juli melden kundschafter des königs einen vorfall, der wenzel in seinen schlimmsten befürchtungen bestärkt.
im rathaus der prager neustadt, nur eine meile von der königlichen burg entfernt, auf der sich wenzel gerade aufhält, sind der bürgermeister und die ratsherren ermordet worden. von taboriten. anlass sollen witzeleien der stadträte über eine prozession gewesen sein, die unten auf der straße vorbeizog. den spott der reformgegner straften die anwesenden taboriten auf der stelle. sie stießen die ratsherren aus dem fenster. aber nicht genug damit, riefen sie gleich darauf alle bürger der neustadt zum tatort. denen, die dem aufruf nicht nachkämen, drohten sie harte strafen an.
sie versammelten sich im rathaus, wählten vier mann aus ihrer mitte zu vorläufigen ratsherren und sicherten das rathaus durch eine große anzahl bewaffneter.

das war die offene rebellion.
trotz seiner bösen ahnungen kann der könig das vorgefallene nicht fassen. er will es einfach nicht wahrhaben. tobt und schreit wie ein trotziges kind, freilich etwas lauter. man kann es in allen winkeln der burg hören. er droht, sie alle auszurotten, diese verfluchten hussiten, zuallererst die priester und dann alle anderen.

aber dazu ist es längst zu spät. seine berater, die zum teil mit den reformen sympathisieren, drängen ihn zu friedlicher beilegung des konflikts. dem könig bleibt keine wahl. er muss in verhandlungen einwilligen. muss mit ansehen, dass die täter straflos davonkommen, um womöglich schon den nächsten coup gegen ihn zu planen.
wenzel schluckt die kröte, aber dann trifft ihn der schlag.

die nachricht vom tod des königs löst anderntags in prag eine welle der gewalt aus. die wut der menge richtet sich vor allem gegen kirchen und klöster, die noch immer am alten ritus festhalten. es entsteht erheblicher sachschaden. aber geistliche und mönche kommen noch einmal mit dem schrecken davon.
nach weiteren ausschreitungen im umkreis der hauptstadt besetzen königliche soldaten die prager burg und andere strategische punkte.
anfang november schlagen sie los. bei straßengefechten gibt es die ersten toten und verwundeten auf beiden seiten. ganze häuserreihen gehen in flammen auf. doch als am dritten tag ein zug von ein paar tausend taboriten prag erreicht, geben die königlichen truppen klein bei. ein förmlicher waffenstillstand ist die folge. aber die so wiederhergestellte ruhe ist trügerisch.

mit dem taboritenzug war ein mann nach prag gekommen, der mit den aufständischen sympathisierte, ohne mit allem einverstanden zu sein, was sie taten und vorhatten.

der etwa 40-jährige sohn eines ritters aus dem südlichen böhmen hatte einen besonderen beweggrund, sein dorf cheltschize zu verlassen. außerordentlich gebildet, nahm er lebhaften anteil am religiösen streit der zeit. vor ein paar jahren, als jan hus aus prag nach südböhmen geflüchtet war, hatte er den gebannten magister aufgesucht, um mit ihm über glaubensfragen zu sprechen. jetzt wollte er den nachfolger von hus an der prager universität, den angesehenen magister und prediger jakobellus von mies befragen.
vor allem bewegte ihn die eine frage: darf ein christ seinen glauben mit waffengewalt verteidigen?

für meister jakobellus keine überraschende frage. er hieß den mann, der sich als peter aus cheltschize vorstellte, in seiner studierstube willkommen und ließ sich zeit mit der antwort.
das gespräch der beiden männer drehte sich zunächst um fragen des ritus und streifte dann die dramatische entwicklung im lande seit einigen monaten.
sie verstanden sich gut und waren sich einig im urteil über die römische kirche und die christliche gesellschaft. nach dem gedankenaustausch war es für jakobellus an der zeit, die frage seines gastes zu beantworten.
unumwunden sagte er ja zur bewaffneten verteidigung. aus der bibel sei seine haltung nicht zu rechtfertigen, gab er zu; schon gar nicht aus der bergpredigt. aber die kirchenväter hätten den 'gerechten krieg' ausdrücklich vorgesehen und erlaubt. in prag und im gesamten königreich sei eine lage entstanden, die genau den bedingungen des 'gerechten kriegs' entspreche: kirche und staat könnten sich nicht auf die wahrheit des evangeliums berufen. sie folgten allein ihrer habsucht, machtgier und anmaßung. verzicht auf bewaffnete verteidigung bedeute unter diesen umständen, dass die hussiten sich der rachsucht der unterdrücker wehrlos auslieferten. Sich wie ausgebrochene schafe wieder in den engen pferch sperren und zur schlachtung führen ließen.

jesus fordere aber doch die feindesliebe, warf peter ein. auf den einwand war jakobellus gefasst. wenn, meinte er, der feind uns nicht nur schlägt, sondern tötet, ist es uns nicht mehr möglich, ihn zu lieben. beim todfeind höre es auf mit der feindesliebe.
peters antwort, jesus sei ohne gegenwehr in den kreuzestod gegangen, brachte den gelehrten nicht in verlegenheit.
jesus, sagte er, habe nur seinen leib hingegeben, nicht aber seine wahrheit. die römer hätten seinerzeit noch nicht über das instrumentarium der kirche verfügt, um abweichende gesinnungen gänzlich zu vernichten. die inquisition lösche dagegen mit dem leben ihrer opfer auch deren ideen möglichst restlos aus.
ehe hus auf dem scheiterhaufen endete, seien seine bücher verboten und verbrannt worden. nur ein jahr nach hus' ermordung habe das konzil auch dessen freund, den magister jeronimus von prag, gefangen, gefoltert und lebendig verbrannt. keinen jünger jesu hätte die inquisition, die römische furie, verschont und keine zeile seiner botschaft. wenn sie könnte, würde sie sofort auch ihn, jakobellus, und alle anderen hussiten töten.
angesichts der vernichtungsdrohung stelle sich die frage nach dem widerstandsrecht nicht. der bewaffnete widerstand sei vielmehr das gebot der stunde.




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Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

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