die tschechische revolution(2).

peter cheltschitzki. s. o.

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peter cheltschizki sah, dass der magister seinen standpunkt entschlossen und geschickt verteidigte. nun war es an der zeit, dass er selbst die katze aus dem sack ließ und s e i n e antwort gab, denn der besucher war nicht als schüler oder student nach prag gekommen. vielmehr wollte er der antwort des magisters seine eigene gegenüberstellen.

sie haben gute gründe für ihre haltung angeführt, meister jakobellus, sagt er. trotzdem, ich sehe die sache etwas anders. mir geht es ja nicht um die frage, was irgendein mensch in dieser situation tun soll. meine frage ist: darf ein christ seinen glauben mit waffengewalt verteidigen?
ich spreche nicht von dem gesindel, das den namen und das zeichen des erlösers auf seine fahnen schreibt, um damit schlachten und macht zu gewinnen wie zuerst kaiser konstantin. für christus gab es keinen krieg, auch keinen 'gerechten krieg', für die urchristen auch nicht. erst die staatstragenden kaiserchristen versuchten, den krieg zu entschuldigen und zu rechtfertigen. nach gutdünken nannten sie ihn gerecht. die folge davon ist, dass die eine rotte auszieht, die alte heilige kirche zu verteidigen, und eine andere sich in marsch setzt, die wahrheit des göttlichen gesetzes zu behaupten; eine dritte will die göttliche ordnung vor den ketzern bewahren, und wieder eine andere rotte rüstet sich, das öffentliche wohl zu erhalten, damit die armut nicht so schandbar mager sei. die könige und fürsten schließlich ziehen das schwert, 'ihr' land und die 'gottgewollte' ordnung zu sichern, damit sie die herrschaft nicht verlieren. und das ganze gesindel dieser untereinander verfeindeten rotten heißt christen. sie sprechen zu gott: vater unser. aber während sie in jeder rotte um den sieg beten, wird gott doch niemand erhören. denn der glaube dieser christen ist nichtig, ihr gebet ist leer, wo sie antreten, blut zu vergießen. dem glauben nach sollte nämlich ein jeder bereit sein, für den glaubensbruder zu sterben, wie christus für alle gestorben ist.

gelassen hörte meister jakobellus peters rede an. im grunde gab er seinem gast sogar recht, theoretisch. aus praktischen und taktischen erwägungen hielt er jedoch dagegen, dass auf 100 getaufte vielleicht ein wahrer christ käme. dieser eine werde von den anderen nicht gedrängt, mit in den krieg zu ziehen. aber umgekehrt könne dieser einzelne den vielen auch nicht das gesetz des handelns diktieren.
die meisten christen seien nun mal menschen, die sich nicht kampflos opfern möchten.

peter wusste nun, woran er war. er hatte d i e autorität unter den prager gelehrten gehört. auch war ihm klar, dass er seinen prominenten gesprächspartner nicht umstimmen konnte. also bedankte er sich für die freundliche aufnahme und ging.

wenige wochen danach, im januar anno 1420, setzte sich die schreckliche schaukel der vergeltungsschläge in bewegung. in verschiedenen böhmischen städten wurden hussiten verfolgt, eingekerkert und getötet. im gegenzug eroberten taboritische kampfgruppen einzelne ortschaften und vertrieben die reformgegner. daraufhin rief der papst im märz zum kreuzzug gegen die tschechen auf. nach scharmützeln um die eine oder andere burg kam es im juni zur schlacht. das kreuzzugsheer wurde vor den toren prags geschlagen.

um diese zeit kehrte peter cheltschizki in sein heimatdorf zurück. vielleicht folgte er einem ruf. denn er übernahm das amt des pfarrers in cheltschize. die stelle war frei geworden, als österreichische kreuzzugsteilnehmer auf dem marsch nach prag den pfarrer vojtech als ketzer ermordeten.
da die taboriten ausdrücklich einen laienprediger als gleichberechtigt für das priesteramt ansahen, stand der berufung peters nichts im wege.
der neue pfarrer spielte in seiner gemeinde schon seit jahren eine rolle im kreis der cheltschizer brüder, einer gesprächsrunde reformgesinnter.

peters gemeinde war aber nicht allein das dorf in südböhmen. er predigte für cheltschize und umgebung; darüber hinaus wandte er sich in seinen schriften an ganz böhmen, ja, eigentlich an alle nachdenklichen menschen auf der welt.
über die wahrheit, die er fand und verbreitete, schrieb er selbst: sie vermöchte aus tausenden von welten eine einzige zu machen.

es war das prinzip der gewaltlosigkeit, das er durch christus ausgesprochen und verwirklicht sah. was damit unvereinbar ist, nannte peter unchristlich, namentlich krieg, todesstrafe, folter, unterdrückung und ausbeutung.
gegen das morden und brennen zu seinen lebzeiten predigte und schrieb er freilich vergebens. der krieg in böhmen nahm seinen lauf.
das heer der hussiten gewann schlacht um schlacht. bis weit und breit kein feind es mehr wagte, gegen diese streitmacht anzutreten. es ging das gerücht, die hussiten seien mit satan im bunde und deshalb unbesiegbar.

heutzutage, im zeitalter der atomraketen, wirkt der aufmarsch der unbesiegbaren eher belustigend als beängstigend. aber die zeitgenossen, besonders die feinde, zitterten bei ihrem anblick.
voraus marschierte ein priester, der eine monstranz mit hostie wie eine fahne an einem langen stab hochhielt. ihm folgte auf einem weißen pferd der einäugige heerführer. dem schloss sich die truppe der ritter und schützen an. die hauptstreitmacht bildeten aber die mit dreschflegeln bewaffneten bauern. als logo prangte auf fahnen und kleidungsstücken der kelch.

die christlichen symbole und bekenntnisse auf beiden seiten der front änderten nichts am erbitterten kampf. vielmehr wetteiferten sie alle nach kräften im stechen, würgen und brennen.
eine spezialität der hussiten war die planmäßige vernichtung von klöstern, kirchen und herrschaftshöfen, ja, ganzer städte.
als motto könnte ihnen vorgeschwebt haben, was 400 jahre später büchner auf die formel brachte: friede den hütten! krieg den palästen!
nur mangelhaft kaschierte der religiöse streit den klassenkampf. peter zeichnete die gesellschaft seiner zeit so:
zwei unersättliche fresser, der geistliche und der edelmann, reiten auf dem gebückten bauern und leisten sich von seinem schweiß und seinen schmerzen ein üppiges leben.
in peters vorstellung einer friedensordnung ist kein raum für obrigkeiten. er beschwört vielmehr das einfache leben in einer brüderlichen gemeinschaft.
die radikalen taboriten hatten ähnliches im sinn, als sie sich daran machten, das leben in böhmen zu vereinfachen. doch für sie heiligte der zweck das mittel.

bereits im ersten jahr der revolution zerstörten sie 50 reiche klöster, deren ausgedehnter grundbesitz herrschaft bedeutete. die bauern wurden aus der abhängigkeit der grundherren befreit. zur gleichen zeit allerdings zogen sie die befreiten von der landarbeit ab. für den krieg.
am ende war allen siegen der hussiten zum trotz das zuvor wohlhabende böhmen so leergefegt, dass die truppen zu raubzügen in die nachbarländer gezwungen waren.

die Radikalkur erinnert an das vorgehen der roten khmer, die vor wenigen jahrzehnten das land kambodscha in ein bauernparadies verwandeln wollten. jeder sollte selbst seinen reis anbauen. städte waren überflüssig. doch der traum von der rückkehr zur dorfkultur war nach wenigen jahren ausgeträumt. wie vor fast 600 jahren in böhmen.
den vormals bessergestellten, bürgern und adligen, ging die revolution der hussiten zu weit. und als die kirche kompromissbereitschaft andeutete, kam es zur spaltung der reformer. die gemäßigten schlossen sich mit den kaiserlichen zu einem militärbündnis zusammen und besiegten den rest der taboriten im jahr 1434.

nach den gräueltaten der kriege schlug die stunde des gewissens. in ganz böhmen wuchs das interesse an peters thesen zur gewaltlosigkeit. aus kleinen gesprächskreisen wie dem der cheltschizer brüder entstanden überall im land die gemeinden der böhmischen brüder. sie beriefen sich ausdrücklich auf peter cheltschizki. und sie setzten in ihrem wirken einen großen teil von peters ideen in die tat um.

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Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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