die westliche wertegemeinschaft.

unwort. dass die kanzlerin vor gut einem monat bei putin war und die übernahme der krim "verbrecherisch" schimpfte, ist allgemein übel aufgefallen. sie kann auch anders.

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wenn die kanzlerin dieses wort in den mund nimmt, wird wohl etwas dran sein. soll der unbedarfte zuhörer/zuschauer denken. die kombination der vokabeln "westlich" und "gemeinschaft" verweist unmissverständlich in die richtung auf dem kompass oder der weltkarte, wo kein osten ist. wenn dann noch klar ist, dass deutschland, genauer: berlin standort der richtungsbestimmung ist, bleibt kein zweifel mehr, dass die nato-staaten gemeint sind.
frau kanzlerin betont stets wieder und wieder, dass russland kein teil dieser wertegemeinschaft sei, sein könne, weil der kreml etwas unverzeihliches getan habe, als er die krim kassierte. damit habe putin die europäische friedensordnung in frage gestellt, die unverletzlichkeit der grenzen und die souveränität des staates (ukraine) verletzt. das müsse russland rückgängig machen, um wieder ein ernsthafter verhandlungspartner des westens sein zu können.
dass die nato-staaten aber zuerst die souveränität der ukraine untergruben, als sie von langer hand den maidanputsch vorbereiteten, durch den der gewählte präsident (janukowitsch) in kiew aus dem amt gejagt wurde, lässt die kanzlerin unerwähnt, kehrt sie unter den teppich. in den usa macht man aus dem gelungenen regime-change gar kein hehl.
wie wertvoll die nato für die kanzlerin ist, bringt sie durch den zusatz zum ausdruck, dass die westliche gemeinschaft eine wertegemeinschaft sei. nur darf man bitte nicht nach den gemeinsamen werten fragen. zwischen athen und washington gibt es sicher gemeinsamkeiten, etwa die nato-mitgliedschaft. aber dann muss man auch schon nach weiteren gemeinsamkeiten suchen.
das gilt auch für die anderen mitglieder der westlichen wertegemeinschaft. sie alle fühlen sich den werten freiheit und demokratie verpflichtet. keine frage. doch wie fragwürdig diese formel ist, wird offensichtlich, wenn es heißt, griechenland sei das ursprungsland der demokratie. historisch ist an der behauptung soviel wahr, dass das wort demokratie altgriechisch ist. was aber die alten griechen damit verbanden, wird lieber verschwiegen. es war der stadtstaat athen mit seiner sklavenwirtschaft, wo nur eine winzige minderheit der männer das sagen hatte. außerdem urteilte der alt-athener platon nicht gerade positiv über die demokratische verfassung. sie sei die vorstufe der tyrannei.
heute kann kein zweifel daran bestehen, dass die demokratien des westens alles andere als vergleichbar sind. das zwei-parteien-system der usa gibt es so in europa nicht. allerdings ist der einfluss der wirtschaft auf die politik in allen westlichen ländern vergleichbar. sprich: ein deutliches defizit an demokratischer abstimmung.
und was die beschworenen gemeinsamen werte allgemein betrifft, zeigen sich bei genauerer betrachtung mehr differenzen als gemeinsamkeiten. die usa liegen mit der todesstrafe, dem drohneneinsatz, der umweltpolitik weit weg hinter dem großen teich. militärisch stehen die usa eindeutig über der westlichen gemeinschaft der nato-staaten als führungsmacht. wenn das mit gemeinsamen werten verwechselt wird, ist man sehr großzügig.
kurz, die formel von der westlichen wertegemeinschaft ist ein unwort, das im propagandakrieg zwischen nato und russland eingesetzt wird, um die eigene, die westliche position aufzupolieren. weil das westliche militärbündnis zum beispiel in der frage der aufrüstung und der sanktionen gegen russland keineswegs einig ist, muss die einigkeit beschworen werden.

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Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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