ein bayer und die rechtschreibung.

tradition über alles. der emeritierte professor der sprachwissenschaft und mundartkunde aus bayern hat vor elf jahren ein büchlein mit lauter lob für die bestehende schreibe vorgelegt.

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wie man weiß, ist die welt in bayern noch in ordnung. veränderung gilt dort als frevel. das bestehende ist das zu bewahrende. in dem südfreistaat werden manche lehrstühle nur mit zustimmung der rkk besetzt laut konkordat (zwischen hitler und kurie). und weil bayern nun mal so schön in ordnung ist, brauchts nimmer keine rechtschreibreform nicht.

prof. munske kann es gar nicht oft genug wiederholen, dass die schrift so herrlich konservativ ist. reaktionär findet er daran gar nichts. auch nicht in britannien, wo die schreibe seit einem halben jahrtausend stillsteht. ganz unverständlich findet er die einstellung vieler kollegen in der linguistik, die sich nicht gegen reformbestrebungen stemmen. sein schluss: "Das kann ich nur als Betriebsblindheit begreifen."

unser gewährsmann fürs positive und bestehende feiert die resistenz der schrift gegen alle reformversuche. sein ideal ist die chinesische schrift, die den rückgriff auf 4000 jahre alte schriftstücke erlaubt. aber der versierte linguist weiß natürlich über sprachgeschichte bescheid und kann die schrift nur loben für die standhaftigkeit gegen den anbrandenden lautwandel der lebenden sprache. man lese und staune, was dem bayerischen horst als problemlösung vorschwebt: "Ein Weg in diese Richtung besteht z. B. darin, der Geschichte der Schreibung mehr Unabhängigkeit vom Lautbezug, d. h., mehr Eigenständigkeit zuzutrauen."

und was hat der mann aus dem tiefsten süden zu konkreten reformansätzen zu sagen? na dies da: "Die Schreibung von kurzen und langen Vokalen im Deutschen ist einfacher und regelmäßiger, als es auf den ersten Blick erscheint, und auch sprachangemessener, als viele Darstellungen vermuten lassen." um dann einzuräumen: die verwendung des dehnungs-h sei bis heute nur teilweise vorhersehbar, sprich: willkürlich. auch weiß er: "Die Doppelvokale, eigentlich ein besonders sinnfälliges Mittel, um Vokallänge ... anzuzeigen, sind nur noch relikthaft vertreten."

ein k.o.-schlag ist sein einwand gegen alles reformieren: "Von den Rechtschreibreformern ist nie beachtet worden, daß die Benutzer der Schrift meist gar keine Änderungen wünschen. Sie lieben die vertraute Schreibung ihrer Muttersprache und verteidigen sie mit viel Emotionalität. " so herzgrundehrlich kann nur ein bayer sein, der in franken dienst tat. die armen holländer haben es über sich gebracht, die vokalschreibung in offenen und geschlossenen silben in klare regeln zu gießen. die verdopplung der vokale ist im nachbarland nicht nur ein karges relikt, sondern sinnfälliges mittel, die länge des vokals anzuzeigen - in geschlossener silbe. in der offenen silbe ist der vokal immer lang und einfach zu schreiben.

die weithin sichtbaren leuchttürme der deutschen schreibe, das unikum eszet (ß) und die inflationäre großschreibung, stehen natürlich keinesfalls zur disposition. wie munske das ß verteidigt, demonstriert er schon durch seine schreibe. daß endet bei ihm stets auf -ß. dennoch verrät er, dass die schweiz überlebt hat, obschon sie das ß überhaupt nicht pflegt. und zur majuskelitis bekennt er, wahrscheinlich unter schmerzen, dass der prominente jacob grimm sein deutsches wörterbuch in radikaler kleinschreibung präsentiert. kann sich aber auch nicht verkneifen zu mäkeln, das erschwere die arbeit mit dem werk.

ich nehme an, der mann weiß, dass auch konrad duden ein befürworter der kleinschreibung war. das verschweigt er aber lieber und versucht stattdessen krampfhaft zu beweisen, dass substantive - einmal nennt er sie tatsächlich "Hauptwörter" - die wichtigsten wörter im satz sind. wie kein anderes wort im satz verfügten sie über genus,numerus und kasus. 3 dinge, die trinität ist ihm wahrscheinlich wichtig. die magische dreizahl. dabei ist dem substantiv das genus gar nicht anzusehen. erst der artikel zeigt es an. aber was solls. der satz des bayern steht für seine partei: "Jedem zweifelhaften Reformversuch steht die Macht der Tradition gegenüber."

die gegenposition zu unserem munske vertritt konrad duden mit dem phonetischen prinzip. nicht die einmal fixierte schrift ist der sprache gleichzusetzen, sondern allenfalls die lautung. denn sprache kommt von sprechen. duden hätte darum die holländischen reformen begrüßt, weil sie die schreibe dem gesprochenen wort annähern und in klare regeln fassen. wer dagegen die tradition der schrift über die lebendige sprache stellt, hat eines nicht: sachverstand.

horst haider munske, lob der rechtschreibung, münchen 2005

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Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

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