Entnazifizierung der Sprache

Wortkritik mit "Namen sind Schall und Rauch" oder "Nothing but words" wird die bedeutung der worte heruntergespielt. nicht jedes wort auf die goldwaage legen, sagen die da reden.

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als es die ddr noch gab, konnte mensch vergleichen, etwa den sprachgebrauch, um nicht zu sagen: die sprachregelung, hüben und drüben.

wie bewältigt der osten und wie der westen die grauenvolle vergangenheit, den amoklauf der nazion? wie dokumentiert der wortgebrauch die versuche, über den eigenen schatten zu springen?

in wörterbüchern und anderen zeitdokumenten lässt sich noch jetzt nachlesen, was für eine figur die ddr einerseits und die brd andrerseits dabei machen.

in westdeutschland hieß das politische system des 1000-jährigen reichs "Nationalsozialismus", und die parteigenossen und funktionäre des regimes hießen "Nationalsozialisten". die übliche abkürzung war "NS". an der stelle standen in der ddr das kürzel "naz." und die namen "Nazis" bzw. "Nazismus".

der westen verteidigte seine position mit dem argument, das die dudenredaktion bis heute vertritt, wertfrei zu dokumentieren, was vorhanden ist. bereits in den 20er jahren des vergangenen jahrhunderts nannten sich die parteimitglieder der "NSDAP" (= Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) "Nationalsozialisten" und ihre ideologie "Nationalsozialismus". insoweit ist die nominalpraxis der brd wie des duden gerechtfertigt.

allerdings wurden auch bereits in den anfangsjahren der nsdap ihre parteigänger "Nazis" genannt und ihr system "Nazismus". etwa von deren gegnern, den linken, den sozialisten, den kommunisten, den gewerkschaftern. dieser traditionslinie folgte die ddr. nachzulesen u.a. im "Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache", akademie-verlag, berlin 1977.

der duden dokumentiert auch diesen sprachgebrauch. doch erläutert er, das wort "Nazi" sei "abwertend" und "umgangssprachlich". ebenso "Nazismus" etc. nach ansicht der dudenredaktion ist allein die bezeichnung "Nationalsozialist" neutral und korrekt. was übrigens die offizielle einstellung der brd wiedergibt. unausgesprochen unterstellt sie einen wert, wo keiner ist. denn abwerten kann man nur, was einen wert hat.

es verhält sich genau umgekehrt. der vermeintlich neutrale wortgebrauch von "Nationalsozialismus" wertet das bezeichnete auf, da er der redeform der parteigenossen folgt und so praktisch partei ergreift für die unpartei und den unwert.

wenn sich das killerkommando aus zwickau den namen NSU gab, was für "Nationalsozialistischer Untergrund" steht, identifizieren sich die neonazis mit den altnazis, indem sie die gleiche sprache sprechen und die gleichen ziele verfolgen. und auch der offizielle wortgebrauch der brd pflegt diese tradition ohne irgendwelche berührungsängste. das ist unerträglich. die entnazifizierung der rede hat hier nicht stattgefunden.

übrigens, der ausdruck "nazi" im wort "Entnazifizierung", engl. denazification, meint tatsächlich etwas negatives, etwas, das es besser nicht gäbe, einschließlich der rede vom "Nationalsozialismus", dessen nichtswürdigkeit und negativität keiner weiteren beweise bedarf. kurz, die wortfamilie aus "Nationalsozialist, nationalsozialistisch, ... " besteht aus unwörtern.

wie soll eine gesellschaft neonazis bekämpfen und verhindern, die selbst schwierigkeiten hat, sich sprachlich entschieden und klar von jenen gruppen abzugrenzen? ohne sprachliche entnazifizierung ist die brd außerstande, das hässliche erbe auszuschlagen, über den eigenen schatten zu springen.

in dieser wichtigen deutsch-deutschen frage hat die ddr klare kante gezeigt, die richtigen worte gefunden. hier kann und muss die brd von der ddr lernen.

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Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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