zu deutsch gescheiterter staat. das phänomen gab es schon von anfang an während der staatlichen ära, aber erst jetzt erhielt es einen namen.
beispiele, die heute genannt werden, sind afghanistan, somalia, libyen, irak, syrien etc.
das sind länder, deren infrastruktur durch kriege weitgehend zerstört wurde oder noch wird. die zentralgewalt, soweit noch vorhanden, kann die kontrolle über das territorium nicht mehr oder nur noch teilweise ausüben. es ist von bürgerkrieg die rede. aber der eigentliche verursacher der unsicheren zustände ist die nato, die in alle diese staaten eingriff und sie destabilisierte. das jüngste opfer ist die ukraine.
soweit die nicht ganz offizielle erklärung des phänomens.
die usa, die führungsmacht der nato, gilt nicht als failed state. dort werden täglich an die 80 menschen auf offener straße erschossen. das ist nicht sicherer als im irak. dort sind soviel menschen in gefängnisse eingesperrt wie in keinem anderen land der welt. dort ist die gesellschaft tief gespalten in arme und reiche, darüber hinaus auch in farbige und weiße. nach erschießungen von afroamerikanern durch weiße polizisten kommt es regelmäßig zu krawallen. die reichen us-amerikaner wohnen geschützt in den gated communities. das land hat so hohe staatsschulden wie kein anderer staat.
auch griechenland gilt nicht als failed staat, obwohl nicht einmal der iwf glaubt, dass die griechische regierung die schulden des landes je wird zurückzahlen können.
auch die brd ist unverdächtig, ein gescheiterter staat zu sein, wenn es auch über 10 jahre den sicherheitsdiensten nicht gelang, die mordbande des nsu aufzuspüren. es stellte sich heraus, dass etwa der verfassungsschutz - so heißt der geheimdienst des inneren - ein undurchsichtiges spiel trieb, viele akten verschwinden ließ etc. die v-leute wurden nicht nur bezahlt von den verfassungsschützern, was zum fiasko vor dem verfassungsgericht geführt hatte, als der versuch unternommen wurde, die npd zu verbieten. das war ein halbherziger versuch gewesen. und beim zweiten anlauf jetzt spielt die regierung nicht mit. mit fadenscheinigen begründungen der c-parteien.
die brd wird natürlich nicht unter den gescheiterten staaten gelistet, etwa weil die schulleistungen hier wie in keinem anderen land vom elternhaus der schüler abhängen oder etwa weil die schere zwischen arm und reich immer weiter aufgeht. dass die brd sich seit ende des vergangenen jahrhunderts an kriegen der nato beteiligt, obwohl die verfassung solche einsätze verbietet, spielt bei der rubrizierung unter failed states keine rolle. genausowenig wie die vorsintflutliche komplizenschaft in diesem land zwischen staat und kirche, wodurch dem staat beträchtliche summen verloren gehen (vgl. das "Violettbuch Kirchenfinanzen" von Carsten Frerk).
selbstverständlich ist noch niemand auf die idee gekommen, den staat an sich zum konstrukt zu erklären, das so konzipiert ist, dass es in jedem fall scheitern muss. als beweis diene die tatsache, dass alle staaten kriegsgesellschaften sind, die aus kriegen hervorgingen und, wie kant in seinem buch "Zum ewigen Frieden" schon schrieb, allenfalls episoden relativer waffenruhe erleben, bevor das große morden fortgesetzt wird.
da durch die staatliche subventionierung der waffenschmieden die mordwerkzeuge stets "perfekter" geworden sind, darf mit fug angenommen werden, dass demnächst nicht nur staaten unregierbar werden wie die failed states, sondern ganz von der erdoberfläche verschwinden, weil die mordrate inzwischen entsprechend hoch ist.
in englischer aussprache dürfte es sich dann noch stets um einen staat handeln, der failed, was dann aber heißt, dass er fehlt. er kann in der uno-liste gestrichen werden. es kann aber auch geschehen, dass nach dem nächsten großen krieg, vor dem die amtierenden regierer ja keineswegs zurückschrecken, nur noch eine gemengelage von failed states und ausgefallenen = fehlenden staaten übrig bleibt. spätestens dann könnte es sein, dass dem einen oder anderen dämmert, dass staat an sich eine failkonstruktion war.
failed states.
Geschrieben von
h.yuren

Kommentare 16
Schön, aber: Der Staat war immer Komplize und/oder Vollstrecker der Herrschaft des Marktes - ohne Staat kein Markt, ohne Markt kein Staat, sagen die einen. Der Staat hat als Schutzmechanismus gegen die Extreme des Kapitalismus und seine Herrschaft offensichtlich ausgedient, sagen die anderen. Er hat diesen Extremen nicht nur nichts mehr entgegenzusetzen, er befördert sie als strukruelles Vehikel und verdient sich so sein Gnadenbrot. Es sagen also alle inetwa das selbe.
Nichtstaat kann sich kaum einer vorstellen, so wenig wie Nichtherrschaft. Man weis also wo der Hammer hängt: mangelnde Phantasie in einer Welt, in der individuelles Denken als Freiheit ... abgelehnt wird so wie die Eigeninitiativen und Autonomiebestrebungen einzelner Staaten dogmatisch abgelehnt werden von der imperialen Schutzmacht des Geldes, das alles in die Knie zwingt, was vor diesem Insignium der Macht nicht freiwillig das Knie beugen will.
Der Staat war immer Komplize und/oder Vollstrecker der Herrschaft des Marktes -
lieber idog,
markt oder besser gesagt: handel gab es schon, als noch niemand an staat überhaupt dachte, denken konnte.
staat als stadtstaat in der frühe der zivilisation kannte nicht nur den handel und markt, verfügte nicht nur über einen speicher für schlechte zeiten, sondern auch ganz zentral über die burg und den tempel. es waren fast immer und überall diese drei wichtigen elemente: burg, tempel und speicher plus markt.
ohne Staat kein Markt, ohne Markt kein Staat, sagen die einen.
und reden an der wahrheit vorbei, wie bereits geklärt.
Der Staat hat als Schutzmechanismus gegen die Extreme des Kapitalismus und seine Herrschaft offensichtlich ausgedient, sagen die anderen.
hm.
Er hat diesen Extremen nicht nur nichts mehr entgegenzusetzen, er befördert sie als strukruelles Vehikel und verdient sich so seinGnadenbrot.
wenn prof mausfeld sagt, das machtzentrum hierzulande sei nicht das kanzleramt, meint er dann das gleiche?
Nichtstaat kann sich kaum einer vorstellen, so wenig wie Nichtherrschaft.
das stimmt. obschon es gar nicht so schwer ist. die urmenschen kannten keine herrschaft, kannten keinen staat. diese großen errungenschaften der zivilisation erschienen erst mit den dörfen und städten auf der bildfläche. weder die inuit in der arktis, noch die mbuti im tropischen regenwald afrikas lebten bis vor wenigen generationen unter der fuchtel eines häuptlings, führers, königs etc. und also auch ohne herrschaft und krieg. die europäischen missionare und händler brachten ihnen erst die segnungen der zivilisation - und bedrohten sie zugleich in ihrer existenz.
"markt oder besser gesagt: handel gab es schon, als noch niemand an staat überhaupt dachte, denken konnte."
Ich weiß nicht ob du da nicht "Wirtschaften" im allgemeinen mit Markt verwechselst. ZB im alten Grienchenland der Polis waren Händler und Handel geächtet, es galt als unmoralisch Handel zu betreiben, Händler waren nur ausserhalb der Stadt, des Staates geduldet. Der nomale Weg waren direkte Arrangements untereinander - alles war noch klein und nicht anonymisiert, näher an der Subsitenzwirtschaft etc.pp. zudem hatte man Sklaven ohne Ende , Metöken die nur steuerpflichtig waren (also für das Recht auf Anwesenheit zahlen mussten) aber sonst nix zu melden hatten.
Aber all das , war an sich nicht der MARKT, wie wir ihn kennen, der nur mit dem Staat im Verbund funktioniert. Den beschreibt zB Graeber als einen der initial durch das fast unlösbare Problem ein stehendes Heer zu versorgen entstand. Das ging so: Der Staat, oder der Herrscher deselben gibt Geld (Münzen) an sein Heer aus und erhebt gleichzeitig eine Steuer von der Zivilbevölkerung , die in genau der Münze gezahlt werden muss. Ergo werden die Zivilen versuchen an die Münze der Soldaten zu kommen. Damit ist nicht nur das Heer durch die Zivilen versorgt, sondern es ist auch der MARKT entstanden, den der Staat bzw das Heer unter Androhung von Strafe bei Nichterbringung der Steuer besichert. Die Zivilbevölkrerung arbeitet gleichzeitig für Staat und Markt. damit kann man sagen : Staat = Markt, die Staatsgewalt wird unfreiwillig vom Bürger gestragen .... a vicious circle , würd man sagen.
Staat = Markt,
das habe ich jetzt so verstanden, dass durchs militär die notwendigkeit des marktes sich ergab oder anders gesagt, die notwendigkeit, das militär zu bezahlen, hatte ökonomische folgen.
diese zwangsläufigkeit entstand aber nicht erst mit den stehenden heeren, sondern vom start jeglicher herrschaft an. der anführer einer horde krieger musste sich um deren versorgung kümmern. einfachste lösung: plündern.
stabiler ist die plünderung, sprich: die versorgung der truppe in einer festen siedlung, wenn die bauern und bürger das nötige beschaffen und die soldateska versorgen. je größer die siedlung desto besser die versorgung der kriegerkaste.
das bonbon obendrauf war natürlich der raubzug in die nächste siedlung. da konnte alles beschafft werden, was das kriegerherz begehrte, von vieh bis sklaven, von klunkern bis nahrung.
herrschaft war und ist defizitär, eine art vakuum, das waren und menschen anzieht oder besser: in sich hineinzieht wie ein schwarzes loch.
die gemäßigte bewegung von der peripherie ins zentrum nennt man markt, die furiose bewegung nennt man krieg.
der handel/markt erweist sich als die gemäßigte form des raubs.
ja :" einfachste lösung: plündern" ist während eines Kriegs- oder Raubzuges sicher die Standardlösung. Das stehende Heer, das sich also zuhause befinden für den Fall der Fälle und zur reinen Demonstration der Macht bzw deren Besicherung in zB auch besetzten Gebieten einer Imperialmacht ( grichisch , römisch , türkisch , was man will ...wenn man mal von sowas wie den Mongolen absieht) ist das Problem.
Das stehende Heer, ... ist das Problem.
hatte ich das nicht schon gelöst, lieber idog? die wachmannschaft auf der burg will versorgt oder besoldet sein. das hat folgen. der herrscher muss tätig werden, sonst gibts ne meuterei. oder noch schlimmeres. die burschen sind schließlich bewaffnet.
ein winzig kleines problem sehe ich darin, dass wir uns off topic bewegen... oder nicht?
"ein winzig kleines problem sehe ich darin, dass wir uns off topic bewegen... oder nicht?"
Äh , du hattest gefragt ob der Staat nicht immer eine "failkonstruktion" war ...
Äh , du hattest gefragt ob der Staat nicht immer eine "failkonstruktion" war ...
hm, sagen wir mal so, ich stellte die steile these in den raum, dass es gar keinen anderen staat gebe als allein den failed state...
hab ich auch so verstanden, die Polemik aber ernst genommen und wollte zu dieser These etwas beitragen , das sie meiner Meinung nach belegt.
hab ich auch so verstanden, die Polemik aber ernst genommen
polemos ist der krieg. ich identifiziere den vater staat als krieger, um den ein paar klamotten drapiert sind. das ist als polemik zu verstehen, weil der krieg polemos ist, aber wird auch von mir ganz ernst genommen, wie mordsachen das nun mal tun.
:-))
muss wohl etwas weiter ausholen, um den kardinalfehler des staates zu begründen.
in den unvorstellbar langen zeiträumen vor der entstehung der ersten statdtstaaten war das leben der menschen ohne druck der herrschaft. die kleingruppen der nomaden hatten alle hände voll zu tun, die subsistenz zu sichern. nennenswerten besitz gab es noch nicht. der hätte den transport der herumziehenden nicht überstanden. besitz ist an den sitz, wohnsitz gebunden. jedenfalls ursprünglich. geld gab es noch nicht, schon gar nicht dieses lose zahlenspiel, das um den ganzen globus saust per internet.
keine herrschaft und kein besitz bedeutete, dass die menschen in der überschaubaren gruppe zwar nicht ganz konfliktfrei lebten, aber doch ohne den ewigen druck eines häuptlings oder einer clique. wer mehr leisten konnte als der durchschnitt, genoss wohl größeres ansehen, aber das wars dann auch schon. alle hatten die gleichen rechte, niemand besaß vorrechte.
die herausforderung für alle menschen war die natur mit ihren übermächtigen oder giftigen tieren, mit ihrem wechselnden angebot an nahrung und witterung.
entwickelt hatte sich der urmensch als gruppenwesen in sehr langen prozessen, vom affenähnlichen primaten zum homo, der durch die gruppe überleben konnte. zwei dinge unterschieden den urmenschen vom tier, aus dem er sich entwickelt hatte: er half dem kumpel bei gefahr selbstverständlich und spontan, und er verständigte sich innerhalb der gruppe durch zeichen. verkürzt gesagt, entstand so allmählich die sprach- und solidargemeinschaft.
diese eigenschaften machten die urmenschen so erfolgreich im überlebenskampf, dass die gruppen größer wurden, bis sie durch die umstände zu relativ homogenen verbänden schrumpften. bei konflikten innerhalb eines familienverbandes wechselten die betroffenen ohne große probleme die gruppe.
klimakatastrophen und andere unbilden trieben die menschen vor sich her, bis sie alle kontinente mit ausnahme der antarktis besiedelt hatten.
erst als es keine ausweichmöglichkeit mehr gab, mussten sie den raum ihres lebensunterhalts, ihr revier gegen andere gruppen verteidigen. und da sie selbst gleichfalls eingeschränkt waren beim umherziehen, wurden sie erfinderisch. not macht erfinderisch. in ihrem revier gefangen, wurden sie sesshaft, zogen vormalige beutetiere in gehegen auf und kultivierten die ersten felder als ersatz fürs sammeln der früchte in freier wildbahn.
sesshaftigkeit und besitz erforderten weitere organisation. und spezialisierung. es entstanden die ersten dörfer.
dann war es nur noch eine frage der zeit, bis die ersten städte sich bildeten. die einfachste, aber wahrscheinlich nicht seltene art des übergangs vom dorf zur stadt dürfte der überfall der dörfer durch räuberbanden gewesen sein. die übernahme eines dorfs kann auch allmählich vonstatten gegangen sein. am ende stand eine gruppe als privilegierte fest, die das sagen über das gemeinwesen hatte. sie usurpierte praktisch den ältestenrat des dorfes. die ungleichheit wurde krasser als je zuvor. die normalen dorfbewohner verkamen zur weide und zum vieh der herrscher. später wurde die ungleichheit weiter kultiviert bis zum gottgleichen könig und erbadel.
herrschaft war und ist ein fremdkörper in der menschlichen gesellschaft. erst in der historischen perspektive wird die erniedrigung des menschen durch den menschen ganz klar. die ausbeutung des menschen durch den menschen war die fortsetzung auf der erfolgreichen linie der domestikation. nach pflanzen und tieren war der mensch irgendwann an der reihe. kein tier und keine pflanze warf soviel gewinn ab wie das nutztier mensch.
natürlich waren sich die menschen der historischen vorgänge nicht bewusst. sie feierten nur die erfolge und fortschritte. macht war die neue und stärkste droge. bis heute ist sie es.
weil aber die macht blind ist für ihre untaten und unmenschlichkeit, ist sie auf dem besten weg, sich selbst abzuschaffen, wie ein lauffeuer sich selbst löscht durch seinen lauf bis zum wasser.
der knick in der geschichte der menschheit beim einzug der herrschaft legt den begriff rebestialisierung nah. nach der millionen jahre dauernden entwicklung des menschen aus den primatenahnen, in denen der mensch in relativer gleichheit zu leben gelernt hatte, warf ihn die herrschaftsorganisation zurück auf verhältnisse in gruppen lebender tiere mit ihren strikten rangordnungen. der staat ist das ergebnis der organisation der größten ungleichheit unter menschen. das ende der menschheit ist sein programm. die wahl zwischen mensch oder staat ist ohne alternative. entweder schafft der mensch den unmenschlich organisierten staat ab oder umgekehrt. es spricht mit blick auf die gegenwärtigen verhältnisse mehr für das letztere.
Lieber Helder, Deine Beschreibung des failed state und des Verlaufs der Menschheitsgeschichte ist in vielerlei Hinsicht gut getroffen, vielleicht könnte man über Details kontrovers diskutieren. Im Großen also auch meine Zustimmung, allerdings im ganz Großen, Prinzipiellen, habe ich einen entsprechend fundamentalen Einwand. Wir müssen klären, ob er terminologisch oder sachlich ist.
Bemerkenswert legst Du dar, daß die USA ein failed state sind, entsprechend der Mausfeldschen Charakterisierung einer hochmanipulativen Demokratie (ich habe mir inzwischen diesen beachtlichen Autor angeschaut und fände es nicht schlecht, ihn in der FC einmal zu diskutieren). Soweit also d'accord.
Aber: Man sollte Ursache und Wirkung nicht verwechseln. Die USA sind eine kranke Gesellschaft. Nicht der Staat macht die Gesellschaft zur Unrechtsgesellschaft, sondern diese Gesellschaft macht den Staat zum Unrechtsstaat. Der Staat einer kranken Gesellschaft ist notwendig ein Unrechtsstaat. In dieser Formulierung steckt die richtige Aussage, daß jede größere Gesellschaft Staat braucht, um existieren zu können, auch eine gute Gesellschaft. In letzterer wäre der Staat ein gelungener, und zwar, weil er der Staat einer gelungenen Großgesellschaft ist. Daß man alle Staaten als failed states bezeichnen kann, liegt daran, daß es kapitalistische sind oder vorkapitalistische, deren Krankheit zwar nicht in der kapitalistischen Gesellschaftsperversion liegt, dafür aber in ihrer Vorzivilisiertheit. Im Staat spiegelt sich der Zustand der Gesellschaft, er kann nicht besser sein als diese. Es sind unemanzipierte Gesellschaften, Gesellschaften der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Sie unterscheiden sich heute in vorkapitalistischer Barbarei (z.B. Vorderasien, Indien) und sekundärer kapitalistischer Barbarei. Dagegen haben Rousseau und die anderen Aufklärer den neuen Gesellschaftsvertrag und ähnliche Konzepte gesetzt, einschließlich der Idee einer integrierenden, ein solidarisches Zusammenleben ermöglichenden Demokratie. Daß diese in der kapitalistischen Realität zu einer alle Schweinereien auch noch scheinlegitimierenden Zuschauerdemokratie verkommen mußte, darf eigentlich nicht verwundern, ist zwangsläufig. Diese Widersprüchlichkeit der Institutionen beschreibt Marx mit dem Doppelcharakter, man macht einen großen Fehler, wenn man nur die eine Seite sieht. Das kommt übrigens in der von Dir hervorgehobenen Doppelbedeutung von failed als fehlend und verfehlt zum Ausdruck.
Deine Gleichsetzung von Staat mit gescheitertem Staat wäre nur richtig, wenn Du das ameisenhafte Zusammenleben der Menschen, die Massengesellschaft, grundsätzlich als unnatürlich bezeichnen dürftest. Dann müßtest Du in der Tat die gesamte Menschheitsentwicklung zu sozialen Großorganisationen als unnatürlich verwerfen. Das kann ich nicht nachvollziehen. Die Stilisierung der primitiven Urverhältnisse, der edle Wilde, ist kitschige Sozialromantik. Und wenn ich Dich bislang richtig verstanden habe, willst Du keineswegs zurück hinter die bedeutendsten Leistungen der Großgesellschaft, die, wie Luhmann es sieht (hier hat er recht), Komplexitätserweiterung durch Komplexitätsreduktion in den Subsystemen von Wissenschaft und Kunst (und Bildungs- wie Rechtssystem, beim politischen System wird es knifflig). Die einvernehmliche Rückbildung dieser Bestände wäre auch ein absolut vergeblicher Wunsch. Es sei denn, man könne einem weiteren, noch viel wirkungsvolleren Weltkriegsszenario etwas abgewinnen, das ist für mich aber eine kranke Vorstellung.
Zur Vermeidung von Mißverständnissen möchte ich nicht unerwähnt lassen, daß unsere Gesellschaft in Hinsicht auf das, was wir intellektuell bewältigen können, zweifelsohne zu groß ist, so wie dies objektiv der Fall ist für ein gutes ökologisches Gleichgewicht. Hierzu sollte einerseits die Weltbevölkerung schrumpfen, andrerseits wäre die erweiterte Perspektive einer übergreifenden Gesellschaftlichkeit nützlich, wenn nicht geboten, die dringendsten Probleme sind schließlich global. So müssen wir Großgesellschaft bleiben. Wo wir subjektiv zu klein denken, sollte nicht die Gesellschaft kleiner werden, sondern wir in die größere hineinwachsen.Eine Großgesellschaft enthält notwendigerweise überwiegend abstrakte menschliche Beziehungen, diese müssen abstrakt organisiert werden. Dazu dienen die Institutionen, sie organisieren weit über solche Formalien wie Straßenverkehrsordnung und anerkanntes Zahlungsmittel hinaus. Der Inbegriff der abstrakten Organisation des Sozialen ist der Staat, er stellt die anerkannte Ordnung im Inneren wie nach Außen dar bzw. sollte sie darstellen. Wir müssen natürlich in der Lage sein, die Reife besitzen, uns so zivilisiert aufeinander beziehen zu können. Das Ideal kann nur sein, sich als Weltgesellschaft zu verstehen, der Staat wird dann zum Weltstaat, der nur noch Weltinnenpolitik kennt. Solche Perspektiven sind heute nicht mehr exotisch, werden schon öfters geäußert.
Das Ideal kann nur sein, sich als Weltgesellschaft zu verstehen, der Staat wird dann zum Weltstaat, der nur noch Weltinnenpolitik kennt. Solche Perspektiven sind heute nicht mehr exotisch, werden schon öfters geäußert.
lieber wolfgang, bevor du zum ideal kamst, das ich teile. schon im begriff menschheit greift die französische aufklärung weit über die realen verhältnisse damals ins globale hinaus.
bevor du zum ideal kamst, sehe ich dich bei dem versuch, das, was wir als staat kennen, zu retten. wollte nicht marx den staat abschaffen, hielt aber im gegensatz zu den anarchisten am staat fest?
nach dem 2. weltkrieg war zu hören, dass die meisten nie wieder eine waffe in die hand nehmen wollten, gut bewacht, wie sie in der obhut der besatzer waren. der deutsche staat, der sich reich nannte, war am boden. doch irgendwie, nicht nach einem durchdachten plan, musste das leben weitergehen. und nichts besseres fiel den leutchen samt staatlich organisierten besatzern ein, dem staat wieder auf die beine zu helfen. man suchte und fand eine behelfshauptstadt, man räumte die trümmer von den straßen. und man ließ das volk wählen. parteien mussten her. flüchtlingsparteien, dkp, reichspartei für treue unverbesserliche nazis, usw. und nicht zuletzt mussten wieder deutsche uniformen her, für polizisten und dann auch soldaten. der staat nahm gestalt an.
aber diese staatsbildung war nicht sache der kriegshinterbliebenen allein. die alliierten mischten fleißig mit. der neue staat lag an der mauer, dem eisernen vorhang, und bekam eine östliche und eine westliche uniform. im osten war russisch als schulfach so selbstverständlich wie im westen englisch.
ich war schüler in den 50er jahren. auf einem schulausflug der oberstufe kamen wir schüler auch mal ungezwungen mit den lehrern ins gespräch. der mann für deutsch und geschichte gestand freimütig, dass er bundeswehroffizier geworden wäre, wenn er gewusst hätte, wie schnell die wiederbewaffnung voran kam. natürlich waren die meisten unserer lehrer im krieg gewesen. sie kannten das uniformierte leben...
ich sah die entwicklung vom ersten dorfpolizisten, den jeder im kaff kannte, weil er in der fußballmannschaft eine gute figur machte. die revue reicht von nie wieder krieg bis zu gaux reden für mehr verantwortung und einsätze out of area.
das stählerne skelett des staates ist mir zu auffällig vor augen geführt worden. ich kann mir staat ohne militär nicht vorstellen. vielleicht ist mein geschichtsbild dadurch verkommen zu einem blutigen kriegsgeschehen, das an ein ende kommen möchte. aber wie es ohne diesen stahlstaat weitergehen könnte, weiß ich nicht.
und mausfeld sieht das machtzentrum hierzulande beim militär und in der wirtschaft, nicht im kanzleramt. was für ein zustand nach dem doppelten kriegsfiasko.
ich weiß nicht, ob ich meine übrigen bedenken in diesem blog so klar zum ausdruck gebracht habe, wie es nötig ist, damit nicht nur das stahlgespenst die hauptrolle spielt.
du sagst, die verhältnisse sind so, das alle intellektuell überfordert sind, nicht nur die kanzlerin und die manager beim militär und in der wirtschaft. das hat mit der komplexität zu tun, aber auch nicht minder mit den distanzen. nicht erst die drohnen verraten und überfordern die befehlshaber, alle verwaltungen sind blind, sehen ihre opfer nicht. und das lässt die vp im versuch von milgram stets bis zum äußersten gehen. so sind wir gebaut. davon wissen die macher und machtkranken offensichtlich nichts. oder es interessiert nicht.
der sprung aus dem fenster des staatsgefängnisses in die menschheit ist verlockend, aber auch halsbrecherisch. die ermächtigung des menschen, von der urzeit bis heute, ist nicht zu leugnen und ein grund zur freude, wenn die technischen sklaven uns z.b. das gespräch über tausende kilometer erlauben. wenn nur nicht noch immer der vater aller fortschritte der alte rostige polemos wäre.
lg hy
ps: mein alter gewährsmann aus england, bertrand russell, sah keinen anderen ausweg aus den ausweglosigkeiten als die weltregierung. einverstanden, wenn ich die regierer kontrollieren darf.
wollte nicht marx den staat abschaffen
Der frühe, sehr idealistische Marx wollte den Staat abschaffen, das verselbständigte, entfremdete Gattungswesen. Da hat er sich noch vorgestellt, man könne komplett auf abstrakte Gesellschaftlichkeit verzichten. Morgens Fischer, mittags Rosenzüchter, abends Philosoph, oder so ähnlich. So wollen's auch noch unsere lieben Regionalisten. Aber das ist wie die Beschränkung der Mathematik auf's anschauliche Zählen. Ich mag die ganze Mathematik, mag das schwer durchschaubare gesellschaftliche Labyrinth, akzeptiere die Zumutungen der Komplexität und manchen Zwang zum Rollenverhalten. Ohne das alles hätten wir nicht den weiten Denkhorizont, der uns zur Verfügung steht.
Es stimmt ja, das ist nur die eine Seite. Hegel und die meisten Philosophen seit Platon haben den Staat positiv gedacht. Die positive, funktionale Begründung des Staates ist das eine, die Realität ist das Gegenteil, der Klassenstaat, das beliebig nutzbare Machtinstrument in den Händen der Herrschenden. Du hast ja recht mit dem polarisierend umverteilenden, im Äußeren wie im Inneren um sich schlagenden Ausbeuter- und Militärstaat. Aber die große Zivilgesellschaft braucht auch die staatliche Institutionalisierung, und ich wüßte nicht, wie Du das anders nennen könntest als den Nationalstaat oder auf der nächst höheren Stufe den Weltstaat. Beispielsweise die Polizei. Glaubt heute noch irgend jemand, daß in einem Sozialismus oder einer anderen neuen Gesellschaft alles gut ist, schädigendes Sozialverhalten ausgestorben sein wird? Und wenn nicht, wer anders soll die Menschen schützen als eine strengen Regeln und permanenter Kontrolle unterworfene Polizei.
Ich sehe die Lage nicht so düster, weil ich vielleicht weniger erwarte, aber auch stärker die positiven Aspekte wahrnehme. Etwa die Tatsache, daß die Todesstrafe im Inneren staatlich abgeschafft ist (auch wenn sich nicht alle Instanzen hinter der Fassade streng daran halten), etwa, wenn Bundesrichter tatsächlich den Verfassungsauftrag ernst nehmen. Und unsere Landsleute lassen mich auch noch nicht verzweifeln, denn so konstant kriegsfern, wie sie seit Kriegsende ist, war die deutsche Bevölkerung noch nie. Aber widerlegen kann ich Dich damit natürlich nicht.
HG
Und unsere Landsleute lassen mich auch noch nicht verzweifeln, denn so konstant kriegsfern, wie sie seit Kriegsende ist, war die deutsche Bevölkerung noch nie.
lieber wolfgang,
danke für deine ausführliche entgegnung. es stimmt ja, dass die lieben landsleute noch nie so viele dezennien im innern ohne krieg lebten. es stimmt, krieg ist so unpopulär im volke, dass die regierenden sich nicht trauten, den krieg auch krieg zu nennen, bis der schneidige, aber falsche baron es doch tat.
aber dieselbe bevölkerung wählt immer wieder die parteien und kandidaten des unfriedens, und trotz großer ablehnung der atomkraft in der bevölkerung sind 17 akw und einiges mehr gebaut worden. denn auch in dieser frage wählte das volk genau die atomkraftförderer, besonders in bayern, aber jetzt geht es dank opportunismus der kanzlerin zögerlich an den rückbau.
selbst wenn es die brennende frage von krieg und frieden nicht gäbe, wovor uns die die alliierten sieger nach dem letzten wahn bewahrten, bliebe das ungelöste problem der machtverteilung, an dem auch die mittelverteilung hängt.
ich weiß nicht, wie kritikfest die untersuchungen sind, die zur wahlforschung gehören, bekannt geworden ist, dass die menschen, die noch zur wahl gehen, köpfe wählen, nicht aber programme. genauer muss es heißen, dass die leutchen nicht die ideen wählen, sondern nur die gesichter. mir erscheint dieses ergebnis zutreffend, wenn ich an den horizont von otto dem durchschnittlichen denke. darauf kann und darf keine gesellschaft bauen. das ist nicht nur sand, das ist fließsand.
die basis des geltenden gesellschaftsvertrags ist alles andere als solide. platon lehnte die altgriechische demokratie ab. er war ein ristokratensohn. philosophische argumente kamen hinzu. argumente, die mich seinerzeit als jugendlichen überzeugten.
seine philosophenpartei hat aber längst ausgedient, wie alle parteien. das parteiische mag allzu menschlich sein. es ist meiner meinung nach etwas, das auf der ebene der folklore spielt. doch regieren sollte abgehoben sein, wie regiergewalt schon immer war. nur der erbadel gehörte durch etwas von vernunft und mehr ersetzt zu sein. mit abgehobenheit meine ich so etwas wie die ebene des höchsten verfassungsgerichts.
die interessenwirtschaft als alltagsgeschäft der gewählten volksvertreter braucht ein starkes gegengewicht in gestalt einer vertretung des sachverstands. die gerichte bremsen manchmal. das ist schon mal was. aber sie können keine richtung vorgeben.
Ich sehe die Lage nicht so düster, weil ich vielleicht weniger erwarte, aber auch stärker die positiven Aspekte wahrnehme. Etwa die Tatsache, daß die Todesstrafe im Inneren staatlich abgeschafft ist (auch wenn sich nicht alle Instanzen hinter der Fassade streng daran halten), etwa, wenn Bundesrichter tatsächlich den Verfassungsauftrag ernst nehmen.
in diesem satz kommt der gegensatz von parteilichkeit und verfassungsgericht deutlich zum ausdruck. nur, ich weiß nicht, was wirklich dran ist, wenn ich wiederholt lese, die todesstrafe sei zwar auf dem papier abgeschafft, nicht aber in den köpfen der meisten wähler. ähnliches gilt zur folter, die ja auch offiziell nicht erlaubt ist. dass es trotzdem diskussionen darüber gab, kann ich mich deutlich erinnern.
was meine aussichten für die menschheit betrifft, sind mehrere dunkle wolken der grund für pessimismus. bei dieser politisch instabilen verfassung sehe ich schwarz für die bewältigung der großen globalen herausforderungen. der krieg vor der tür ist kein zufall, er ist gemacht und gewollt. der krieg in ländern vor der europäischen haustür dito. bertrand russell sagte vorher, dass die atomwaffen nicht in den silos bleiben werden. es sei nur eine frage der zeit. unter den gegebenen voraussetzungen kann ich das nicht anders sehen.
klimakatastrophe, bevölkerungswachstum, historisches erbe und die grenzen des wachstums könnten einzeln wie im pack die grenzen des politisch möglichen bei weitem überschreiten. ich weiß wirklich nicht, woher du deine zuversicht nimmst... doch sicher nicht, weil es bisher immer irgendwie weiterging...
lg helder