französische revolution(4)

jean meslier s. o.

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Die Erstürmung der Bastille war wirklich nichts gegen die ungezählten Schlösser und Kirchen, die in ganz Frankreich in Flammen aufgingen. Angezündet von aufrührerischen Bauern. Schon seit dem Winter war es unruhig auf dem Lande. Zusätzlich gereizt durch die Nachrichten aus Paris, entlud sich die Wut der Landbevölkerung weit und breit. Mit den Schlössern verbrannten auch die Papiere, die alle die quälenden Fronleistungen, Abgaben und Schulden auflisteten. Die Buchführung der Unterdrücker wurde vernichtet.
Es sah danach aus, als hätten die Bauern Meslier gelesen und nach seinen Weisungen gehandelt: Abschaffung der Obrigkeit aus Klerus und Adel.
Aber die Bauern waren Analphabeten. Sie holten ihre Pläne nicht aus Büchern. Von Meslier hatten sie wohl kaum etwas gehört. Das war auch gar nicht nötig. Sie kannten ja ihre Feinde aus leibhaftiger und lebenslanger Erfahrung nur zu gut und rächten sich nun bei passender Gelegenheit.
Hätten sie nicht wie eh und je nur aus dem Bauch gehandelt, sondern nach einem klaren Plan zur Erneuerung der Gesellschaft, dann wären sie keine aufrührerischen Bauern gewesen, sondern Revolutionäre.

Ob auch die Leute in Etrépigny mit ihrem Seigneur abrechneten, ist nicht bekannt. Auf alle Fälle flüchteten viele Adelsfamilien ins Ausland. Und in der Nachtsitzung der Nationalversammlung vom 4. auf den 5. August 1789 erklärten die Abgeordneten für Recht, was die Bauern erkämpft hatten: die Befreiung von Fron und Zinseszins.
Zeitzeugen berichten, in der Nationalversammlung sei es zugegangen wie auf einem Jahrmarkt, als die verhassten Feudalrechte abgeschafft wurden. Am fröhlichen Ausverkauf des Ancien Régime hätten sich sogar etliche Betroffene beteiligt, Adelige, die selber von der Notwendigkeit der Veränderungen überzeugt waren.
Das revolutionäre Fieber war ansteckend. Die Freude über die Fortschritte der Erneuerung. Nun musste sich alles wenden. Das Ziel schien in greifbare Nähe gerückt. Die Revolution war ein Fest der Menschheit, das in Frankreich stattfand, vor allem in Paris, wo nach Campes Zeugnis "entzückte und liebevolle Brüderlichkeit ... die einzige herrschende Empfindung durch die ganze unermessliche Stadt zu sein schien".

Vielleicht war das ein Vorgeschmack von dem, was Meslier im Sinn hatte, als er zum Neubau der Gesellschaft aufrief.
Vielleicht war es auch nur Illusion. Ein Wunschtraum, der rasch verfliegt, rasch verfliegen musste. Denn in derselben Stadt Paris herrschte zur gleichen Zeit das schlimmste Elend. Eine anhaltende Wirtschaftskrise von nie gekanntem Ausmaß traf die Bevölkerung von Paris hart.
Am 5. Oktober stürmten Hunderte Frauen in aller Frühe das Rathaus und forderten Brot. Doch dort war nichts zu holen. Man verwies sie zuständigkeitshalber weiter nach Versailles. Auf dem Zug dorthin verstärkten Tausende die Hungerdemo. Der König gelobte Besserung, aber das war zu wenig. Es half nichts, er musste als Geisel mit nach Paris. Da blieb er von nun an der Gefangene der Revolution.
Wieder hatte die Bevölkerung von Paris, diesmal angeführt von Frauen, den revolutionären Prozess beschleunigt.
Die Bürgerlichen in der Nationalversammlung bedankten sich bei den Frauen durch die Einführung der Todesstrafe für öffentlichen Aufruhr; außerdem durch ein Wahlgesetz, das gut ein Drittel der Bevölkerung von der Wahl ausschloss.
Schon im ersten Jahr der Revolution brach so der Gegensatz von Bourgoisie und Proletariat auf, die neue Feindschaft zwischen den neuen Machthabern und der Mehrheit der Bevölkerung. Bereits Ende 1789 zeigte sich, dass der Ruf nach "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" den Herren der Nationalversammlung nichts bedeutete. Für sie war das nur eine Frage der Propaganda. Auf keinen Fall wörtlich zu nehmen. Die neuen Leute, die in Paris das Heft in der Hand hatten, wussten, was sie wollten: Macht.

Hunger und Elend waren schon immer ein guter Nährboden für Hassgefühle. Je größer die Not, desto größer der Volkszorn. Dann brauchte man der verzweifelten Menge nur noch ein Feindbild vorzuhalten, und sie stürmte los. Zuerst auf den König, dann auf das feindliche Ausland. Die Hatz auf Ludwig XVI. endete mit dessen Hinrichtung und der Ausrufung der Republik. Die Hatz auf die äußeren Feinde verhalf einem Militär von der Insel Korsika zur Weltkarriere und Hundertausenden seiner Befehlsempfänger zum Heldentod.
Aber, wie gesagt, schon nach einem halben Jahr Revolution zeigte sich, dass die Veränderungen der Gesellschaft nicht halb so weit reichten wie die Forderungen Mesliers. Für seine Revolution war die Zeit offenbar noch nicht reif.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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