Gewalt gegen Frauen.

HERRschaft. aus gegebenem anlass spiele ich diesen artikel hier ein. wissen schadet nicht. ignoranz allerdings sehr. aber es geht um mehr als nur wissen.

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vor etwa 8000 jahren entstand in den wenigen gebieten mit sesshafter bevölkerung etwas nie dagewesenes, etwas, das die beziehungen der menschen zueinander von grund auf verändern sollte: herrschaft, das heißt, die systematische unterdrückung und ausbeutung der mehrheit durch eine minderheit, kurz: der krieg nach innen und außen, gleichbedeutend mit der domestikation des menschen durch den menschen, die versklavung aller frauen und der mehrheit der abhängigen männer.
frauen sind seitdem die leidtragenden, männer die täter.
erst durch den machtverlust der europäischen oberschicht oder herrschenden klasse wurde die 'erklärung der menschenrechte' möglich, die von der gleichheit (égalité) aller menschen ausging.
das ganze ausmaß der gewalt gegen frauen dringt aber erst jetzt allmählich ins öffentliche bewusstsein, nachdem mehr und mehr frauen sich öffentlich gegen bevormundung und benachteiligung zur wehr setzen. die alten mächte in staat und kirche wie auch die neuen herren der welt in der wirtschaft, das heißt, die hierarchen bekannter couleur leisten natürlich widerstand gegen die tendenzen zur emanzipation der frau oder machen gute miene zum unausweichlichen spiel.
diffus ist das echo in den massenmedien. gewöhnlich wird das thema 'gewalt gegen frauen' in der rubrik für sensationelles abgehandelt, wobei der voyeursblick auf den schockierenden einzelfall gelenkt wird, die geschichtlichen und gesellschaftlichen voraussetzungen aber ausgeblendet bleiben.
nach den verfassungstexten der reichen staaten haben frauen die gleichen rechte wie männer. auf dem papier. die gesellschaftliche realität sieht anders aus. das dokumentieren, falls nötig, berichte aus allen weltregionen.
im reichen europa findet die tägliche gewalt gegen frauen meist hinter verschlossenen türen statt, türen mit dem label "Trautes Heim, Glück allein". lange ist der sachverhalt totgeschwiegen worden. erst jetzt kommen die kriminellen handlungen aus dem staatlich und kirchlich besonders geschützten raum der familie vermehrt ans licht. laut weltgesundheitsorganisation (WHO) kommt in 40% der europäischen familien häusliche gewalt vor. in der schweiz ist man dem phänomen nachgegangen und hat festgestellt, dass die gewaltsam ausgetragenen familiären konflikte erst nach 35 entgleisungen nach außen dringen. angehörige und nachbarn halten sich heraus. es müssen schon ärzte und polizei einschreiten, um die oft jahrelange not der frauen zu beenden, wenn sie nicht schutz suchen in einem der wenigen frauenhäuser.
die dunkelziffer ist sehr hoch. staat und kirche halten wie gesagt die hand über 'die heilige familie'. schnulzenkitsch der ewigen liebe tut ein übriges, die alltägliche gewalt unter naturschutz zu stellen.
ein anderes milieu der frauenmisshandlung ist dafür bekannt, aber als 'ältestes gewerbe der welt' mehr oder minder akzeptiert, auch von staats wegen, denn die prostitution zahlt sich aus.
die männerbedürfnisanstalten in den rotlichtvierteln, oft romantisierend besungen wie die reeperbahn, beschaffen sich den nachschub an frauen zum teil über schlepperbanden von außerhalb der eu. dieser neue sklavenhandel aus den ärmeren ländern ins reiche europa ist ein schmutziges, aber wohl einträgliches geschäft. oft sind die frauen hier illegal eingeschleust, das heißt, sie sind rechtlos, ohne kenntnis der jeweiligen landessprache außerdem hilflos. das heißt, den herren der etablissements und der werten kundschaft schutzlos ausgeliefert. die rede von 'freudenhäusern' verrät eine sehr spitzwinklige sicht.
komplementär zum heimischen treiben gibt es zur bedienung der besonders bedürftigen kunden den globalen sextourismus aus den reichen ländern in die armen weltregionen, vor allem nach südost-asien, wo das geschäft mit dem sex durch den hohen anteil minderjähriger gekennzeichnet ist.
wirtschaftswissenschaftler sprechen männlich überlegen von "humankapital" und dem gesetz von angebot und nachfrage. in der theorie und in der praxis sind die herren ökonomen unter sich; frauen spielen in den chef-etagen der konzerne keine rolle, es sei denn eine untergeordnete als tipp- und putzpersonal. die quotenfrauen im politgeschäft haben gleichfalls eine eher dienende funktion; sie arbeiten den konzernchefs zu, die den ton in der gesamtgesellschaft angeben.
die wirtschaftliche ausbeutung der frauen ist natürlich keine rein europäische angelegenheit, sondern eine globale. zum einen aufgrund der doppelrolle der frauen in familie und beruf, zum andern aufgrund der schlechteren bildungs-chancen der mädchen. mit der folge, dass frauen vor allem billigjobs bekommen und bei gleicher qualifikation oder leistung weniger geld als die männer.
in armen ländern sind die benachteiligungen der frauen besonders krass, weil dort über ein drittel der mädchen überhaupt keine schule besucht, weniger als 15% eine weiterführende schule.
außerhalb europas sind die lebensbedingungen für frauen meist ebenso menschenunwürdig wie innerhalb, oft aber noch wesentlich unerträglicher. analphabetismus, zwangsverheiratung, häusliche gewalt, gezielte abtreibung weiblicher föten en masse, ehrenmorde, vergewaltigungen, verbot der schwangerschaftsunterbrechung, auch nach vergewaltigung oder bei frühzeitig erkennbarer embryoschädigung (jetzt auch gesetzesvorlage in polen) usw.
den absoluten gipfel der grausamkeiten bilden die genitalverstümmelungen der mädchen, geschätzte 2 millionen pro jahr, besonders in afrika. ausgeführt wird die perverseste beschneidung gewöhnlich von frauen, natürlich im auftrag der herren, die ihren frauenbesitz nicht gefährdet sehen möchten. die kastration der haustiere ist nicht blutiger und qualvoller, auch sie endet oft tödlich.
die existenz dieser und anderer formen der gewalt gegen frauen demonstrieren eindeutiger als alle proklamationen, filme und liebeslieder den realen rang der frau in der gesellschaftshierarchie.
es gibt ein paar ansätze zur veränderung der unhaltbaren zustände. so tagte z.b. vor 19 jahren die weltfrauenkonferenz in peking. sie beschloss ein aktionsprogramm für die gleichstellung der frauen. doch solange etwa hierzulande das latinum die voraussetzung für etliche studiengänge bleibt, sinnigerweise z.b. auch für das slavistikstudium, solange frau/man cäsars eroberungskrieg erst verstanden haben muss, um ein studium zu beginnen, und solange soldatinnen bei der truppe als fortschritt auf dem weg zur gleichstellung der frau gedeutet werden, liegt das ziel noch weit unterm horizont.

h.yurén, homo rapiens rapiens, ISBN 978-3-7357-9563-2, pb, 13,90

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Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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