gewalt im spiel (10).

beim zuschauen. s. o.

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wo selbst pflanzen in der lage sind, zu verletzen und zu töten, wie zum beispiel der insektenfangende sonnentau, kann es im meer der gewalt nur inseln relativen friedens geben. solche inseln sind die stunden der gedankenreisen und des puren zuschauens.
zuschauer nehmen nicht unmittelbar am geschehen teil. sie sind an den rand verwiesen, dürfen das spielfeld gewöhnlich nicht betreten.
wenn aber ein sportreporter von der 'zuschauerkulisse' spricht, übertreibt er; so passiv ist die rolle der umstehenden auch wieder nicht. beim populären kampfsport geht die direkte einmischung der fans oft recht weit. sie spenden außer beifall und pfiffen auch bierflaschen und was sonst zur hand ist, bis zu silvesterkrachern und rauchbomben.
rennbahn, sportplatz, zirkus und bühne locken durch ihre nähe zum ereignis; immer ist es möglich, dass unvorhergesehenes geschieht. womöglich sogar eine sensation.
bert brecht fand es nötig, wenigstens fürs theater den kritisch-distanzierten zuschauer zu fordern. das durch die massenmedien heute zwangsdistanzierte wohnzimmer-publikum ist natürlich nicht durch die virtualität des schauplatzes automatisch kritischer als die besucher vor ort.
man sagt, radiohörer/innen, besonders die von wortbeiträgen, seien im allgemeinen anspruchsvoller als das publikum von film und fernsehen. sicher ist das verhältnis von aufmerksamkeit und neigung zur einmischung günstiger, das heißt, näher beim reinen schauen. sensation wird weder gesucht noch erwartet. man ist empfänglicher für sublimere reize. reaktionen derart, dass die wohnung oder das auto während oder nach der sendung demoliert wird, sind äußerst unwahrscheinlich.
innerhalb der kultivierten schau- und lauschlustszene gibt es natürlich abstufungen. je umfassender und weiter der gegenstand, desto gelassener die betrachtung.
von der schaulust schreibt lukrez zu beginn seines zweiten buchs. er war ein ausnahme-römer. kein besucher der blutigen spiele im colosseum.
sind nicht lebensgeschichten und die menschheitsgeschichte die schönsten schauplätze, die es überhaupt geben kann? sind sie nicht leichter zu erreichen als touristische ziele? ist nicht hier auch so gut wie keine gewalt im spiel? lasst uns also die betrachtung der geschichten und der geschichte vornehmen, gleichviel, ob im buch, radio, film, fernsehen oder theater! viel vergnügen!
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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