Hauptsachen (3)

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Hauptwörter
in der grundschule machte ich bekanntschaft mit dieser bezeichnung für eine wortart, wenn auch das synonym "Dingwort" geläufiger war. es ging um die konkreta, die mit großbuchstaben beginnen sollten wie ein neuer satz oder ein eigenname.
bei den wenigen worten, die auf der schiefertafel platz fanden, eine nachvollziehbare vorschrift.
in der weiterführenden bildungsanstalt lernte ich das schreiben lateinischer, englischer, französischer und spanischer wörter; aber in keinem fall fand ich die regel der großschreibung der substantive wieder. seinerzeit kein diskussionsstoff, wenn ich mich recht erinnere.

jahre später entdeckte ich die radikale kleinschreibung im grönländischen. auch fand ich, dass die kolonialherren der grönländer, die dänen, bis zur besetzung ihres landes durch nazitruppen die substantive tatsächlich groß geschrieben hatten wie im deutschen. nach der besatzungszeit aber gaben sie die gemeinsamkeit auf, sodass die deutsche vorschrift die ausnahme in europa ist.

wie war es zu der sonderbaren rechtschreibregel überhaupt gekommen?
im zeitalter der absoluten herrschaft war es mode, dass die hoheiten sich textil aufplusterten wie kampfhähne, um größtmöglichen eindruck zu machen, wie sie auch architektonisch auf prachtenfaltung setzten, in jeder hinsicht ein tierisches imponiergehabe an den tag legten, das den untertanen äußerste hochachtung und schröpfung abverlangte.


in jenen tagen hatte der substanzbegriff noch einen heiligenschein. religiös geladene namen und wörter wurden oft nicht einfach groß geschrieben, sondern doppelt, damit sie sich angemessen aus dem schriftbild heraushoben, z.b. herr zu HErr würdevoll aufgewertet.
aus der philosophisch-religiösen sicht der maßgebenden leutchen damals standen solche wörter und namen für dinge mit mehr oder überhaupt mit substanz, mochte sie ganz göttlich, sehr philosophisch oder aber schlicht holz sein.

die barocken grammatiker waren es denn auch, die zeitgemäß zuerst von "hauptwörtern" sprachen. angesichts der ungemein hochgestellten edelleute da oben, die so hoch über dem gemeinen volk der untertanen erhaben waren wie der himmel und die heiligtümer der geistlichkeit über dem lumpigen alltag derjenigen da unten, angesichts dieser unendlichen ungleichheiten blieb philosophisch-grammatisch ein wenig von der herrlichkeit und dem himmel an der schreibung der "hauptwörter" hängen: die großschreibung.

im großen Grimmschen Wörterbuch sind die substantive klein geschrieben. mithin gab es auch im deutschen noch die gesamteuropäische tradition. aber dann kamen die nationalromantiker, die alles herrliche und heilige wieder ganz besonders groß schrieben, und dann kam duden, der das festschrieb, was weder in europa noch vor der sprachwissenschaft bestehen kann. nichts als hohle tradition. hohlheit, hohlheit über alles.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden