Hirnlos und hart

Kampfkultur. angesichts der see-elefantenbullen am strand, die instinktgesteuert rücksichtslos gegen sich selbst und den rivalen sich gegenseitig blutig schlagen,

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bis einer weicht, um den harem als preis, fällt es nicht schwer, den zoologen abzunehmen, dass der kampf ums dasein das leben bestimme.

der trieb zur arterhaltung, heißt es weiter, sei stärker als der zur selbsterhaltung. auch das passt zum strandgeschehen.


michel de montaigne aber widerspricht. die selbsterhaltung war ihm wichtiger. er hasste die gefährlichen spiele der hochwohlgeborenen herren, nannte sie "hirnlos und hart".
dazu sein bericht:
"ich musste erleben, wie zwei unserer fürsten königlichen geblüts als opfer solcher spiele zu grabe getragen wurden."
montaigne meinte die hochherrschaftlichen leibesübungen, durch die nicht selten eine seele von ihrem leib geschieden wurde.

das waren nicht mehr die burgturniere der ritter in eiserner rüstung. die neuen zweikämpfe verlangten nicht weniger kampfbereitschaft und -kraft, waren aber raffinierter und eleganter. statt hoch zu ross, schwer gepanzert und mit der lanze fochten die herren jetzt mit dem florett, ohne panzer, zu fuß.

das fintenreiche duell war 400 jahre lang bei herren von stand ehrensache. noch mitte des vorigen jahrhunderts galt es als ehrenvoller zeitvertreib unter "Studenten in einer schlagenden Verbindung".


dem fechtsport als olympischer disziplin ist die gefährliche spitze genommen. mit schutzanzug und gesichtskorb ähneln die kämpfer wieder ein wenig den rittern in der noch nicht rostfreien rüstung. die traditionslinie ist unverkennbar.


die waffenlose variante des männlichen zweikampfs wiederentdeckt zu haben ist das verdienst ganzer kerls im mutterland der demokratie.
in england wurde vor gut 300 jahren das boxen populär.
mit bloßen fäusten gingen die matadore aufeinander los, bis einer kampfunfähig oder tot am boden lag.
anders als in homers ilias winkte dem sieger kein maultier als preis, auch kein harem wie bei den see-elefanten, sondern bares, das aus der wettkasse kam.


trotz der skandale, die das bezahlte boxen von anfang an umrankten, wurde der schaukampf immer beliebter.
vor gut 100 jahren schaffte es das brutalstmögliche powerplay sogar, geadelt zu werden.
ein gewisser lord queensberry fand gefallen am schlagabtausch, gab ihm feste regeln, die bis heute gültigen queensberry rules, und veredelte so das rohe fighten bis zum umfallen zur "noble art of self-defence", zur edlen kunst der selbstverteidigung.

kulturhistorisch interessant ist der umstand, dass die britische erfolgsstory im boxen zur gleichen zeit spielte wie der welterfolg des british empire. zufällig war das nicht. ohne kampfkultur und hirnlose härte wären beide ruhmesblätter der britischen geschichte nicht geschrieben worden.

und noch was historisches: in den 80er jahren des vergangenen säkulums unternahm die britische ärzteschaft einen versuch, das öffentliche boxen gesetzlich verbieten zu lassen. die ärzte verwiesen auf etliche totschläge im ring und auf die äußerst häufigen körperverletzungen. was in schweden und norwegen gelungen war, das boxen per gesetz zu verbieten, blieb im ursprungsland des sogenannten boxsports aber auf der strecke.

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Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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