Im Fall des Falles.

Casus Genitivus. grammatik, morphologie oder formenlehre ist nichts für kleine kinder, auch nichts für große. sie finden den stoff öde bis quälerisch.

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kurt tucholsky lässt die protagonistin lydia, genannt prinzessin, im roman Schloss Gripsholm auf der fähre nach schweden sagen:

"Hast du schwedischen Geldes?" und der erzähler kommentiert:

"Sie führte gern einen gebildeten Genitiv spazieren ... "

stark gebüldete haben latein und französisch gelernt und kennen daher den genitivus partitivus. sie wissen, dass sie nicht alles brot essen, sondern nur einen teil davon (du pain). und genauso trinken sie nicht allen vorhandenen wein, sondern 'du vin'. die gleiche vorstellung lässt lydia fragen, ob ihr gegenüber etwas schwedisches geld bei sich hat. tucholsky nennt diesen genitiv gebildet. er hätte ihn auch vornehm nennen können. er meinte das ungebräuchliche, das gespreizte, das gestelzte des ausdrucks.

heute kennt selbst der duden die nicht standardsprachliche verdrängung des genitivs durch den dativ in wendungen wie "wegen dem Regen ... " oder "wegen mir ... ". der volkssprachlehrer bastian sick baute seine erfolgsserie auf dem befund "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod". nichtsdestoweniger hat weiterhin auch die vermeintliche vornehmheit des genitivs konjunktur.

die lydias von heute - wie natürlich auch ihre männlichen entsprechungen - scheuen sich nicht, "entgegen des Trends" zum dativ und "wider besseren Wissens" der deutschlehrer einen grob ungebüldeten genitiv bei jedem wetter spazieren zu führen. und oft müssen sie dabei auf ihr tiefes wissen anspielen in der wendung "meines Wissens nach". diese lydias und partner begegnen einem nicht nur auf der straße. auch in den massenmedien sind sie unterwegs und geben ihre redensart erfolgreich weiter.

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Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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