jean meslier: die französische revolution(1)

inner light u. aufklärung die aufklärung war und ist mehr als naturwissenschaft in der sog. neuzeit. die ethische seite der aufklärung wird aber gern unter den teppich gekehrt, regierungsfromm.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion


Anno domini 1789 begann die französische Revolution. Das lernt jedes Kind in der Schule. Die Franzosen wissen es etwas genauer. Am 14. Juli, ihrem Nationalfeiertag, erinnern sie an den Sturm auf die Bastille. Dort, vor dem großen Gefängnis in Paris, fielen die ersten Schüsse. Von dort nahm die Revolution ihren Lauf, sagt man.
Natürlich war das anders. Der gesellschaftliche Zündstoff hatte sich in mehr als 100 Jahren angesammelt.

Als 100 Jahre früher, also 1689, irgendwo in den Ardennen, im Dorf Etrépigny, ein Priester in sein Amt eingeführt wurde, war das für die Landbevölkerung dort, die Bauern, Winzer und Holzfäller, kein Zeichen der Hoffnung. Was hatten sie schon zu erwarten von dem Sohn des Tuchhändlers Meslier als neuem Pfarrer. Der gehörte zum Herrenstand. Einer der ihren war er jedenfalls nicht.

27 Jahre später, anno 1716, wurde aktenkundig, wie es der Pfarrer Jean Meslier wirklich mit den Obrigkeiten hielt. Anlass war eine eher alltägliche Begebenheit gewesen. Der Seigneur von Etrépigny hatte einige Bauern misshandelt. Daraufhin unterließ es Meslier in der Messe, den Mann, wie sonst üblich, der Fürbitte der Gemeinde zu empfehlen.
Das ärgerte den Grundherrn so sehr, dass er sich beim Erzbischof in Reims beschwerte. Meslier wurde gerügt und angewiesen, das Versäumte nachzuholen.
Am folgenden Sonntag sagte er seiner Gemeinde in der Kirche zu Etrépigny:
"So ergeht es den armen Landpfarrern allenthalben: Die Erzbischöfe, selbst reiche Herren, schauen verächtlich auf sie herab und hören sie nicht an. Für die adeligen Herrschaften aber haben sie stets ein offenes Ohr.
Schließen wir also den Seigneur in unsere Fürbitte ein! Lasst uns für Antoine de Toully beten, dass er seinen Sinn ändere, sodass er die Armen nicht mehr misshandelt und die Waisen nicht mehr beraubt."

Was der Pfarrer damit offen aussprach, war im Dorf natürlich kein Geheimnis. Für den Seigneur aber war es Anlass genug, sich erneut beim Erzbischof zu beschweren. Mit dem Erfolg, dass Meslier seinen Predigttext einreichen musste.
Die Antwort aus Reims ließ nicht lange auf sich warten. Der den aufrechten Gang probende Pastor wurde nach Reims zitiert. Dort war die Sache nicht mit einer Aussprache abgetan. Erst nach einem Zwangsaufenthalt von einem Monat konnte Meslier die Rückreise antreten. Wahrscheinlich erst, nachdem er glaubhaft versichert hatte, nie wieder übel aufzufallen, etwa durch ein Wort gegen den Grundherrn.
Der ins Gebet genommene Priester konnte sich noch gut daran erinnern, dass vor wenigen Jahren einer, der sich nicht beugte, zu Reims lebendig verbrannt wurde.

Wenngleich Meslier hatte einsehen müssen, wie schlagkräftig die vereinte Gewalt der geistlichen und weltlichen Herren war, resignierte er nicht. Er überlegte, was er tun könnte. Es musste doch irgend etwas geben, das Unrecht zu besiegen, irgendeine List, ein feines, aber wirksames Mittel, wirksamer als der offene Widerstand. So etwas wie das Wasser, das den Stein aushöhlt und bricht.
Wenn man so will, war Meslier ein diabolischer Priester. Er glaubte weder an Gott noch Teufel, schon gar nicht an die allein seligmachende Kirche. Wohl aber glaubte er an die unüberwindliche Kraft der Wahrheit. Wenn man ihr Zeit ließe, dachte er, hätte sie die unwiderstehliche Wirkung der Tropfen, die den Stein höhlen. Er musste einen Weg finden, die Wahrheit an den Schergen der Inquisition vorbei in die Öffentlichkeit zu schmuggeln. Meslier fand einen Weg.
Er begann, ein Doppelleben zu führen. Nach außen hin tat er brav seinen Dienst als Pfarrer. Insgeheim aber sammelte er wachsam und geduldig Beweise, unabweisbare Erfahrungstatsachen.
Im Lauf der Jahre entstand so ein Buch von über 1000 Seiten. Der Form nach eine Predigtreihe, bestimmt für seine Gemeinde. Darüber hinaus eine Aufforderung an alle "Leute von Geist und Autorität, die Partei der Gerechtigkeit und der Wahrheit zu ergreifen und all die schlimmen Irrtümer und Zustände, den abscheulichen Aberglauben und die ganze abscheuliche Tyrannei anzuprangern und zu bekämpfen, bis sie vernichtet wären ... "

Meslier war entsetzt über das Schweigen so vieler gelehrter und beredter Männer, die durchaus wussten, wie es um die Gesellschaft bestellt war. Aber der Geheimagent der Aufklärung lamentierte nicht, sondern dachte nach über die möglichen Ursachen und Motivationen.
In der Politik des absolutistischen Frankreich, besser gesagt: in der unumschränkten Herrschaft weniger Unmenschen sah er den Hauptgrund aller Übel. Ferner fand er, dass es für diese Herrschaft keinen vernünftigen Grund gab. Von Natur nämlich seien alle Menschen gleich. Darum seien nur Kontrollinstanzen nötig und gerechtfertigt, auf die keine größere Bevölkerung verzichten könne.
Besonders betonte der Kleriker Meslier, dass sich die Herrschaft auf Täuschung stützte, auf die unhaltbaren Geschichten über Götter und Geister, die wie alle Religion nur zu dem Zweck erfunden worden seien, das Volk teils zu trösten, teils zu ängstigen, um es gefügig zu machen.
Der Teiggott aber bestehe bestenfalls aus Mehl und Wasser. Und die sogenannte Schöpfung sei aus ebenso profanem Stoff.

Der so sprach unter Berufung auf die menschliche Vernunft war ganz Kind seiner Zeit, des Rationalismus. Aber anders als die berühmten Physiker und Rechner gebrauchte er seinen Verstand, um die Gesellschaft auf Mängel zu durchleuchten und auf Beseitigung der Mängel zu dringen.
Das Mittel zur Besserung der Verhältnisse war für den gelernten Prediger das aufklärende Wort oder "das Zeugnis der Wahrheit", wie er seine Schrift im Untertitel nannte.
Damit es seine Wirkung tun konnte, folgte Meslier einem wohldurchdachten Plan:
Er vervielfältigte das Manuskript eigenhändig, wartete bis kurz vor seinem Tod und hinterlegte dann erst, im Jahr 1729, je eine Abschrift in mehreren Pfarrämtern.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden