muff von 1000 jahren und keine aufklärung.

diffamierung. dass kant und sloterdijk den preußenkönig fritz 2 zum aufklärer ernannten, ist so bezeichnend wie der "aufgeklärte Absolutismus" in schulgeschichtsbüchern.

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die reihe der diffamierer und gegenaufklärer ist endlos. sie reicht bis in die gegenwart und hält sich nicht an landesgrenzen. das zu beweisen und zu konkretisieren, ist claus peter ortlieb in der aktuellen ausgabe der zeitschrift "konkret" ein schönes beispiel. schon im titel seines textes "Gespenst der Aufklärung" zwingt der autor die zur erhellung angetretene geistesbewegung in eine verbindung mit einer ausgeburt der alpträume.

das wort gespenst taucht noch einmal im text auf, wo es heißt, die vermeintliche bedrohung des westlichen wertesystems komme nicht von außen, etwa durch den IS, sondern von innen; der westen kämpfe mit seinen ureigenen gespenstern. aufklärer wie marx, die verfasser der us-amerikanischen unabhängigkeitserklärung und kant werden in den zeugenstand gerufen, die "aufklärerische Definition des Menschen" als marktsubjekt und geschäftsfähiges wesen zu dokumentieren.

warum professor ortlieb die aufklärung auf ein paar jahrzehnte eingrenzt, muss er nicht erklären. in allen schulbüchern und nachschlagewerken steht geschrieben, dass das zeitalter der aufklärung das 18. jahrhundert war. die ausnahme marx bestätigt nur die regel, dass zum beispiel der dorfpriester aus den französischen ardennen, jean meslier, kein aufklärer war, wenn auch seine manuskripte in den salons zu paris kursierten dank voltaire, der findig und wohlhabend genug war, eines der wenigen manuskripte, titel: zeugnis der Wahrheit, zu beschaffen.

der möglichst arg eingeschränkte begriff der aufklärung, wie er von claus peter ortlieb unterstellt wird, lässt außen vor, dass jean meslier die unmenschlichkeit anprangert, die er im system der herrschaft durch adel und klerus im dorf hautnah erlebte. philipp blom dagegen anerkennt die wichtige rolle mesliers für die französische aufklärung in seinem historischen roman "Böse Philosophen"(2010). was ortlieb als "Ideologie der Aufklärung" oder auch als "aufklärerische Definition des Menschen" bezeichnet, hat mit seiner zu kurz gegriffenen vorstellung des wichtigsten westlichen wertes zu tun.

jenseits solcher schulbuchweisheit fasste arno peters den begriff der aufklärung in seiner "Synchronoptischen Weltgeschichte"(1970) weiter als alle andern. für peters war der älteste aufklärer ein altägyptischer arzt. aber er schloss doch auch an bei condorcets "Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes". die technische neuerung des buchdrucks war für condorcet so selbstverändlich ein teil der aufklärung wie etwa das werk des römers lukrez. arno peters ging nur einen schritt weiter.

wenn von der europäischen aufklärung die rede ist, steht im vordergrund die entwicklung der naturwissenschaft und der entdeckungen. noch bei sloterdijk gilt die mehrung des wissens als kennzeichen der aufklärung. die überwindung der barbarischen strafen und hinrichtungen als öffentliche veranstaltungen bleibt außer betracht. doch gerade die abschaffung von folter und todestrafe sind die fortschritte des europäischen westens, die überzeugender sind als technische oder wissenschaftliche erfindungen. konzentriert finden wir die ethischen fortschritte in den vorschlägen und urteilen der society of friends, die lieber als "sekte" versteckt gehalten werden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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