multatuli in holländisch-ostindien (2)

kolonialzustände s. o.

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Multatuli in Holländisch-Ostindien(2)

Dekker verstand erst nicht, was die Menschen, die nachts an sein Haus schlichen und dort stumm warteten, von ihm wollten. Seine Kenntnis der westjavanischen Dialekte reichte nicht aus zur Verständigung. Er beherrschte nur die Amtssprache Ostindiens, das Malaiische.

Ein Dolmetscher musste her. Dekker rief seinen Sekretär, einen Mann aus Lebak. So kam ans Licht, dass die nächtlichen Besucher den neuen Tuan um Beistand bitten wollten gegen die Häuptlinge, vor allem gegen den Oberhäuptling, den Regenten.
Ihnen war zum Beispiel der einzige Büffel genommen worden, mit dem sie die Reisfelder bearbeiteten. Oder sie hatten so hohe Abgaben zu entrichten, dass sie völlig verschuldet waren. Wieder andere mussten so viel unbezahlte Fron leisten, dass sie zur Bewirtschaftung ihres eigenen Landes nicht Zeit noch Kraft fanden.
Nur im Schutz der Dunkelheit wagten sie sich zum Haus des Tuan, weil sie die Rache derjenigen fürchteten, die sie anklagten. Falls ihnen der Tuan nicht helfe, müssten sie, wie so viele vor ihnen, aus Verzweiflung ihr Dorf verlassen.
Immer wieder fielen zwei Namen: Karta Nata Negara und Wiru Kusuma. Der eine war der Regent, der Oberhäuptling von Lebak, der andere dessen Schwiegersohn und Dorfhäuptling von Parungkudjang. Beide standen im Dienst der ostindischen Verwaltung und wurden von ihr bezahlt.
Der Regent empfing zum Beispiel monatlich 700 Gulden, hatte aber stets zu wenig Geld, weil er für den Unterhalt seines großen Familienanhangs sorgen musste. An die hundert Leute.
In anderen Distrikten auf Java waren die Häuptlinge am Gewinn aus dem Export von Kaffee und anderen Kolonialwaren beteiligt. In Lebak gab es aber praktisch keine Anbauflächen mit Erzeugnissen für den Export.
Den Ausgleich für seinen Haushalt verschaffte sich der Regent von Lebak notgedrungen dadurch, dass er alle möglichen Dienste und Abgaben in Anspruch nahm. Dabei kam ihm zugute, dass die Bevölkerung nicht wusste, wo die Grenze des Erlaubten überschritten wurde und die rechtswidrige Ausbeutung begann.
Was die Verhältnisse nicht eben einfacher machte, war die Tatsache, dass der Oberhäuptling von Lebak 25 Jahre älter war als Dekker und sein Amt bereits über 30 Jahre innehatte, sodass er längst zu einer Institution geworden war und sich von der Bevölkerung wie ein Sultan verehren ließ. Seine Methoden der Ausbeutung waren schon fast Gewohnheitsrecht.

Nach zwei Wochen intensiver Sondierungen entschloss sich Douwes Dekker, dem Regenten einen Fragebogen über die diversen Herrenrechte zu schicken. Für die Beantwortung nahm sich der Häuptling Zeit. Er ließ keine Frage offen, jedenfalls auf dem Papier. Doch nutzte er den sprachlichen Heimvorteil und formulierte die Auskünfte so, dass manches im Zwielicht blieb und niemand ihm oder einem anderen Häuptling das zum Vorwurf machen konnte.

Dekker war einerseits ein Träumer, der gelegentlich Gedichte schrieb und von amtlichen Papieren keine hohe Meinung hatte; andrerseits war er aber auch ein Mann der Tat, dem halbherzige Maßmahmen zuwider waren.
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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