multatuli in holländisch-ostindien(3)

kolonialzustände s. o.

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Mitte Februar stand es für ihn fest, dass er gegen Karta Nata, den Regenten von Lebak, vorgehen würde. Noch vor dem Besuch, der sich für Ende Februar dem Regenten angesagt hatte: Einer der reichsten Javaner, Fürst in einem mitteljavanischen Bezirk, schickte sich an, Rangkasbitung mit seiner Anwesenheit und viel Pomp und Gepränge zu beglücken. Gamelan-Musiker und Schautänzerinnen würde er mitbringen. Für die Bewirtung der vielen Festteilnehmer hätte aber der Gastgeber zu sorgen. So war es üblich auf Java.
Das aber bedeutete, dass die Bauern im weiten Umkreis um Rangkasbitung zu verstärkten Lieferungen und Dienstleistungen herangezogen würden. Nach altem Brauch waren die Dorfbewohner verpflichtet, kleinere Abgaben wie Kokosnüsse, Eier, Reis, Hühner und dergleichen unentgeltlich zu entrichten. Büffel dagegen mussten vom Regenten bezahlt werden.
Von seinem obersten Ordnungshüter hatte Dekker erfahren, dass der Schwiegersohn des Regenten unter Hinweis auf das bevorstehende Fest in einem einzigen Dorf 18 Büffel beschlagnahmt hatte. Weit unter dem handelsüblichen Preis oder auch ganz ohne Bezahlung war so manchem Bauern das einzige Arbeitstier genommen worden.
Alles in allem eine Bestätigung dessen, was Dekker von den nächtlichen Besuchern schon zu Ohren gekommen war. Bei nächster Gelegenheit brachte der Assistent-Resident die Beschuldigungen zur Sprache. Der Regent lächelte wie stets und hörte sich alles ruhig an. Dann meldete er hier und da seine Zweifel an, versprach aber eine Überprüfung. Doch was war von einer Überprüfung zu erwarten, die der anstellte, der selbst angeklagt war?
Dekker glaubte, das Spielchen nicht länger mitmachen zu dürfen. Er hatte inzwischen Beweise genug für eine Anklage wegen Machtmissbrauchs beisammen. War nicht der Generalgouverneur mit ihm einer Meinung gewesen, dass etwas für die notleidende Bevölkerung auf Java getan werden musste?
Doch Van Twist würde bald aus dem Amt scheiden. Sein Nachfolger war schon von Holland aus unterwegs. Wer weiß, was für eine Politik der neue Mann verfolgen würde. Ein Grund mehr, die Anklage gegen den Regenten schnell auf den Weg zu bringen.
Die Akten und die mündlichen Berichte ließen keinen Zweifel zu. Sie sprachen den Regenten schuldig, als Mitwisser und als Täter.

Den letzten Anstoß zur offiziellen Anklage gab ein Vorfall am 23. Februar.
Mehrfach hatten Dekkers Frau und er selbst beobachtet, dass die Witwe seines Vorgängers im Amt Fremde mit barschen Worten vom Verwaltungsgelände vertrieb.
Als Dekker sie an jenem Tag im Februar wieder in Aktion sieht, fragt er sie nach dem Grund für ihr unfreundliches Verhalten.
Sie achte darauf, dass \"böse Menschen\" nicht in die Nähe der Küche kämen, antwortet Frau Carolus. Ihr Mann sei durch den Häuptling von Parungkudjang, den Schwiegersohn des Regenten, vergiftet worden. Und da sie gehört habe, dass Dekker genau wie ihr Mann etwas gegen die schlimmen Zustände in Lebak unternehmen wolle, könne man nicht vorsichtig genug sein. Nachdem alle Unterredungen ihres Mannes mit dem Regenten zu nichts geführt hätten, habe ihr Mann damit gedroht, sich an den Generalgouverneur zu wenden, falls bis zum Ende des Jahres sich die Verhältnisse nicht grundlegend gebessert hätten. Daraufhin sei ihr Mann vergiftet worden. Von einem Besuch bei Häuptling Kusuma sei er todkrank zurückgekehrt.

Das war ein Schock für Douwes Dekker. Sein Leben stand auf dem Spiel. An diese Möglichkeit hatte er bislang noch nicht gedacht. Er fragte den Kontrolleur Van Hemert, einen Augenzeugen, was er dazu zu sagen hätte.
Man könne nicht sicher sein, meinte Van Hemert, dass Carolus vergiftet wurde. Aber, fuhr er fort, höchstwahrscheinlich wäre der Assistent-Resident über kurz oder lang einem Anschlag zum Opfer gefallen.
Der Kontrolleur lebt schon zu lange hier, dachte Dekker; er hat schon gelernt, wie die Schlangen zu reden.
Die Auskunft war jedenfalls nicht dazu angetan, ihn zu beruhigen. Im Gegenteil. Jetzt war das Maß voll.
Unter dem Eindruck der Meuchelmordgeschichte schrieb Dekker den Entwurf der Anklage. Am nächsten Tag ging die Schrift per Eilboten nach Serang zum Amtssitz des Residenten, Dekkers Vorgesetzten.
Eingaben an den Generalgouverneur mussten selbstverständlich den Dienstweg einhalten.
In der Anklageschrift beschuldigte der Assistent-Resident den Häuptling von Lebak und dessen Schwiegersohn, den Häuptling von Parungkudjang, des fortgesetzten Machtmissbrauchs. Wegen Verdunkelungsgefahr schlug er vor, die Angeklagten sofort verhaften und nach Serang bringen zu lassen.

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Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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