Teutonische Verhältnisse

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im wikipedia-artikel zur person aygül özkan wird es als "Selbstverständlichkeit" bezeichnet, dass die designierte ministerin in einem interview gesagt hat, kruzifixe (und auch kopftücher von lehrerinnen) hätten in öffentlichen schulen nichts zu suchen.
aygül özkan ist juristin, und juristisch ist ihre äußerung tatsächlich eine selbstverständlichkeit; denn das bundesverfassungsgericht und nun auch der europäische gerichtshof für menschenrechte haben ausdrücklich die neutralitätspflicht des staates in religionsdingen unterstrichen und sich klar gegen religiöse symbole in staatlichen einrichtungen ausgesprochen.

nun ist aber das fundament der grundrechte und der verfassung die europäische aufklärung, wohingegen die verfechter der teutonischen leitkultur auf den muff von tausend jahren unter den talaren schwören. so sieht ein südstaatler "unsere Identität und unsere Werte" gefährdet durch aygül özkans forderung. und der ministerpräsident von niedersachsen sieht sich genötigt, sich öffentlich von seiner eben erst von ihm selbst berufenen kabinettskollegin zu distanzieren.

was sind das für verhältnisse, wo das aussprechen einer selbstverständlichkeit solche reaktionen auslöst?!
wie herrlich weit haben wir teutonier es doch gebracht, dass ein einwandererkind uns sagen muss, was rechtens ist! hat diese angelegenheit nicht eine verfluchte ähnlichkeit mit der situation in andersens märchen, wo ein kind den kaiser nackt sieht und das auch zu sagen wagt?

was kennzeichnet schließlich die verhältnisse in diesem land besser, als die tatsache, dass frau özkan nach mehreren drohungen offiziell personenschutz erhält, bevor sie ihr ministeramt übermorgen antritt.

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Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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