von wegen "Mittelalter".

Rom 2 die einzige entschuldigung, die dudens für das wort anführen: lehnübersetzung von "nlat. medium aevum = mittleres Zeitalter". "Zeitraum zwischen Altertum u. Neuzeit" .

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wie hohl, wie inhaltsleer das wort ist, zeigt bereits die magische dreizahl altertum - mittelalter - neuzeit. man übt den dreisprung durch die weltgeschichte. schon in der sogenannten steinzeit fängt das an und hört nirgends auf. irgendwie ist uns das schema geläufig, weil wir es schon so oft angetroffen haben und weil es so vertraut anthropomorph ist: mensch ist jung oder alt und zwischenzeitlich erwachsen. doch diesen hauptteil des lebens wollten die erfinder des schemas eben nicht analog ins spiel bringen, sondern außen vor lassen. unausgesprochen taten sie es doch und sagten damit, dass sie noch zu rom 2 gehörten.

konkret hatten die wahrlich epochemachenden erfinder des medium aevum nur die enden der historie klar vor augen: den beginn der schriftlichen überlieferung und den etwas dehnbar angelegten begriff der gegenwart, genannt neuzeit. daraus ergab sich sonnenklar die vage zwischenzeit als ein mittleres, eben das zeitalter, das seitdem mittelalter heißt.

schon die tatsache, dass die sogenannte neuzeit nicht auf ewig neu bleiben konnte, hätte den leutchen historikern zu denken geben müssen. über kurz oder lang würde die in die länge gezogene neuzeit das schöne schema auf dem treibsand der geschichte zerfließen lassen. heute ist es keine frage mehr, dass die lange gehegte dreiteilung eine verlegenheitslösung war. das zeitalter zwischen ihrer gegenwart und dem römisch-griechischen altertum interessierte nicht. die renaissance lebte vom brückenschlag in die ferne vergangenheit.

die rückbesinnung auf die schätze des altertums in der renaissance ließ die epoche zwischen der neuen und der alten geistig ärmer erscheinen, literarisch, künstlerisch, philosophisch usw. man sah nicht das besondere des vergangenen jahrtausends. grund für die unfähigkeit, das spezifische des zurückliegenden zeitalters wahrzunehmen, war der umstand, dass die historiker selbst noch zu sehr teil der vergangenheit waren, die nach ihrem urteil vergangen war.

nach dem zerfall des römischen reichs war das einstge zentrum des imperiums heruntergekommen zu einem kaff von wenigen tausend einwohnern, die zwischen den trümmern und ruinen ihre ziegen hüteten. aber wie der phönix aus der asche erhob die ruinenstadt sich schon nach wenigen jahrhunderten zur neuen metropole, zum mittelpunkt der neuen staatsreligion in europa. der bannstrahl des papstes war eine zeitlang tödlicher als ein heer. verluste durch schismen und reformationen, die europa groß waren, kompensierte rom 2 durch die zum teil grausame mission in übersee.

wie rom 1 sprach auch rom 2 lateinisch, das kirchenlatein. es nimmt noch in der jüngsten dudenausgabe großen raum ein, wohlgemerkt als teil des deutschen wortschatzes. eine folge der innigen verschmelzung im heiligen römischen reich deutscher nation. hatte rom 1 sich noch durch raue plünderung in den eroberten provinzen hervorgetan und die beutestücke im triumphzug zur schau gestellt, so eignete sich rom 2 eher unauffällig dies und das im weiten umfeld an. z. b. die jüdische tradition samt feiertagen und ritualen. auch vom reich der pharaonen holte rom 2 sich geeignete dinge wie etwa den hohen pharaonenhut für seine höchsten würden- und amtsträger. ein kopfschmuck, der zur majestätisch beherrschten bewegung zwang oder anders gesagt zur widernatürlichen bewegung.

un- bzw. widernatürlich war rom 2 nicht nur im weihevollen ritual, sondern genauso in wesentlichen inhalten, geboten und vorschriften, etwa im zölibat und anderen leib- und lebensfeindlichen zügen. das war die entsprechung zur soldatischen disziplin der römischen legionäre, hart gegen sich selbst und andere. die herrschaft von rom 2 war insgesamt nicht minder harsch als die altrömische. die herrschaftsstrukturen waren in beiden systemen nahezu identisch. dem gottkönig entsprach am ende ausdrücklich der unfehlbare erste bischof.

wenn jetzt das oberhaupt der rkk feststellt, der kapitalismus sei tödlich, so hat es damit ins schwarze getroffen. denn er ist auch tödlich für rom 2. der mann aus lateinamerika konnte natürlich nicht hinzufügen, rom 2 sei ebenso lebensfeindlich.

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Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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