... wächst das Rettende auch?

Spontan-Rettung. im medienzeitalter ist das brausen der banalitäten der tägliche lärm, der fragen um antworten bringt. das alltagsphänomen der spontanrettung geht darin fast unter.

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es geht um das gar nicht so seltene ereignis, dass jemand ins kalte wasser springt, um einen ertrinkenden ans ufer zu bringen. oder aber eine andere person wagt sich in ein haus, das brennt, um mögliche opfer vor den flammen zu bergen.

so eine rettungsaktion geschieht bedenkenlos. ein abwägen der risiken für das eigene leben findet nicht statt. dafür wäre auch gar keine zeit. die spontaneität ist kennzeichnend für die rettungsreaktion.

manchmal bedeutet die unmittelbare reaktion des retters auch, dass er selbst dabei umkommt. vor allem ungeübte überschätzen ihre fähigkeiten. es geht aber hier auch gar nicht um feuerwehrleute oder fortgeschrittene rettungsschwimmer, sondern um menschen wie du und ich.

es gibt keine institution, die alle fälle spontaner rettung in einem speziellen register festhielte. wohl wird gemeldet, wieviele personen in der badesaison ertranken. allerdings hat es in der schweiz einen verein, der die "heldennamen" solcher spontanrettungen sammelt und würdigt.

weil das individuelle heldenstück regelmäßig vorkommt und weil es zwangsläufig ohne bedenkzeit vonstatten geht, verlangt das irrationale, wenn auch nützliche verhalten nach einer erklärung.

die reflexartige rettungsreaktion im angesicht der gefahr für den meist unkannten menschen und die relativ häufige wiederholung im alltag sprechen für ein instinktartig angeborenes schema.

wenn dem so ist, hat mensch diese anlage nicht etwa in christlichen jahrhunderten erworben, sondern jenseits unseres vorstellungsvermögens in den anfangszeiten der menschwerdung (hominisation), vor tausenden von jahrhunderten.

spinne ich den faden weiter, fragt sich, welche rückschlüsse aus dem phänomen zu ziehen sind, die bedingungen der genetischen verankerung betreffend. dass evolutionär lange zeiträume hindurch der mensch im werden gleichsinnig wirksamen verhältnissen ausgesetzt gewesen sein muss, ist klar.

auch erscheint es nachvollziehbar, dass der frühe mensch in jenen jahrhunderttausenden große gefahren bestehen musste. überlebenswichtig war die verbesserung der verständigung und zusammenarbeit in der gruppe, aber eben auch die selbstverständliche hilfeleistung in der gefahr. die spontane rettungsreaktion.

wer sein eigenes leben aufs spiel setzt, um einen kumpan aus lebensgefahr zu befreien, betrachtet das eigene leben nicht als wertvoller denn das leben des anderen. der eine war zum überleben vielmehr angewiesen auf die mithilfe des anderen. das waren egalitäre verhältnisse.

keine moral, kein gesetz rief die frühmenschen dazu auf, anderen menschen in lebensgefahr gefälligst zu helfen. das wäre nie so wirksam gewesen wie die notwendigkeit des überlebens einer relativ kleinen gruppe. das zeigt z.b. das verhalten vieler autofahrer nach einem unfall auf der straße.

evolutionär gesehen, waren gruppen von frühmenschen, die nicht so spontan auf gefahrenlagen reagierten, zum aussterben verurteilt. nur der hohe evolutionäre druck des survival of the fittest schmiedete die gruppe so zusammen, dass sie sich gut verständigte, harmonisch zusammenarbeitete und dem mitglied in lebensgefahr bedingungslos half.

wenn es möglich ist, die primitive verständigung der ersten menschenähnlichen wesen als ursprache ( zum beispiel als gebärdensprache) zu bezeichnen, ist es nicht zu gewagt, entsprechend vom urgewissen zu reden, das die spontane rettungsreaktion auslöste.

als die selbstlose lebensrettung nicht mehr selbstverständlich war, wurde es notwendig, ersatzweise gebote und gesetze zu erlassen, die zur hilfe anhalten. das paradies aber dürfen wir uns trotzdem nicht aus der urzeit herbeiphantasieren.

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Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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