Zum Kalenderwechsel

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die finsterste jahreszeit eignet sich gut für geschichten. das waren schon beliebte winternachtverkürzer bei den ursprünglichen inuit im iglu. heutzutage möchten vielleicht mehr menschen über das vergangene jahr nachdenken und übers kommende sinnieren, wenn die erfindung der feste nicht hektik und lärm verbreiteten.

eigentlich brauchten wir weder einen wand- noch abreißkalender, weil die elektronischen zeitanzeiger, die uns umgeben, automatisch und präzise über die zeit orientieren.

trotzdem ist es doch stets wieder beruhigend zu erfahren, dass in einem zuverlässigen nachschlagewerk wie dem duden die gewünschte auskunft zu finden ist. beim stichwort zeitrechnung z.b. heißt die bündige erklärung:
"für Datumsangaben maßgebende Zählung der Jahre u. Jahrhunderte von einem bestimmten [geschichtlichen] Zeitpunkt an."
um welchen startpunkt es geht, steht im ersten beispiel: "in den ersten Jahrhunderten unserer/christlicher/der christlichen Z. (nach Christi Geburt)."
zumindest für eine mehrheit der europäer sind damit alle fragen zur zufriedenheit beantwortet. der kalenderwechsel kann geräuschlos vonstatten gehen.

was aber sagt der duden den meist nicht so christlichen chinesen? nichts, aber die leute aus dem reich der mitte sind auch nicht die zielgruppe des nachschlagewerks. es ist beschränkt in der reichweite, für teutonier/innen aber geeignet.
infolge der verwissenschaftlichung und verstädterung gibt es allerdings mittlerweile auch im christlichen abendland eine wachsende minderheit, die mit kirchen und christentum nichts am hut hat. in den niederlanden handelt es sich schon gar nicht mehr um eine minderheit, da dort etwa die hälfte der bevölkerung den kirchen fernsteht; hierzulande immerhin ein drittel der religionsmündigen; teutonien ist noch immer eher das wunderland, weltmeister im fähnchenwedeln, brauchtum pflegen und anderen wunderlichen fertigkeiten mehr.

um es kurz zu machen: die zählung der jahre nach christi geburt ist die in europa etablierte zeitrechnung, die sich im zuge der europäischen expansion über den ganzen globus verbreitet hat.

in einem land wie japan, das früh die westliche wissenschaft und technik übernahm, ist auch der westliche kalender eingeführt worden. das war und ist praktisch für den wissenschaftlichen austausch, auch für internationale flugverbindungen und dergleichen.
zugleich ist klar, dass japaner zwei gründe haben könnten, die globalisierung des christlichen kalenders zu kritisieren.
erstens verdrängt sie die in japan traditionelle buddhistische oder auch schintoistische zeitrechnung. zweitens fehlt allen verbreiteten kalendern die wissenschaftliche basis, das heißt, die voraussetzung der weltgeltung. sie stützen sich vielmehr auf religiöse, sprich: mythische daten, die lediglich in einer bestimmten weltregion zu hause sind.

viele der traditionell noch gebrauchten chronologien sind außerdem die ursache für ein praktisches problem. so ist z.b. die christliche ära nur 2000 jahre lang. mit der folge, dass das rückgrat der menschheitsgeschichte einen knick bekommt. das jahr 0 existiert nicht. es ist ein loch im kalender, weil die römer die null noch nicht kannten. die ereignisse vor dem knick müssen extra gezählt werden und zwingen zur umrechnung.

fazit: die menschheit braucht eine neue wissenschaftlich begründete zeitrechnung, die ebenso klar und einfach ist wie das metrische system gegenüber den krummen maßeinheiten der regionen vordem (und mancher weltregion noch heut).

nicht von ungefähr bedeutet das wort 'kalendern' oder 'kalender machen' so viel wie grübeln, nachdenklich sein. dabei sollte doch sinn und zweck eines kalenders sein, zeitliche orientierung auf der höhe der zeit zu bieten. die global gebräuchlichen kalender jedoch dokumentieren und konservieren antiquierte geschichtsbilder.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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