Als es in der Stadt Halle Gnade regnete

Bauernfängerei Die Rolle Halles in der Reformationszeit ist durchaus zwiespältig: zwar hat Martin Luther auf seinen Reisen zwischen Eisleben und Wittenberg mehrfach in der Saalestadt Station gemacht und auch sein Leichnam war kurzzeitig hier aufgebahrt.

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Doch auch der erfolgreiche Ablasshändler Johannes Tetzel hatte monatelang sein Hauptquartier in Halle genommen, wie Stadtchronist Armin Stein (Herrmann Otto Nietschmann) berichtet:

An einem Morgen des Rosenmondes (Juni) 1517 quoll zu Halle die Menge des Volkes aus dem Galgtore. Freudige Erwartung, verbunden mit feierlichem Ernst, malte sich auf den Gesichtern ... und wie wenn der Herr Christus selber seinen Einzug gehalten hätte, so jubelte es ihm tausendstimmig entgegen: Gelobet sei, der da kommt im Namen des Herrn, Hosiannah in der Höhe!

Ein gut Stück Wegs war ihm die Geistlichkeit der Stadt und das Ordensvolk der Klöster mit Kreuzen, Fahnen und Kerzen nebst vielem Volk entgegengezogen, während am Tor der gesamte Rat der Stadt seiner wartete.

Da kam er geritten auf milchweißem Rosse in schimmerndem Messgewand, Herr Johannes Tetzel, vom Orden des heil. Franziskus, apostolischer Ketzermeister, Geschäftsträger des mächtigsten Mannes im Reich, des Herrn Albrecht, Erzbischofs von Mainz und Magdeburg, Administrators des Bistums Halberstadt und des heil. Römischen Reiches deutscher Nation Kurfürsten und Erzkanzlers. Zu beiden Seiten des Gottesmannes schritten wohlgerüstete Hatschierer, hinter ihm trottete ein langes Gefolge von Mönchen und Priestern, die unter einem aufgerichteten päpstlichen Ablasskreuz die Gnadenkiste auf einem stattlichen Wagen daherbrachten.

Alles fiel auf die Knie, als der päpstliche Gnadenspender mit dem feisten, huldvoll lächelnden Vollmondsgesicht die fetten Hände aufhob und über das Volk den Segen sprach. Unter feierlichem Geläut der Glocken bewegte sich dann der Zug durch das Galgtor nach dem Markt und von da durch die Ulrichstraße nach der Moritzburg, die dem hohen Gast ihre Pforte öffnete und ihm gastlich Herberge bot. Da der Erzbischof just nicht anwesend war, so empfing den Gottesboten an seiner Stelle die Statthalterschaft: der Hofkanzler Graf Botho der Glückselige von Stolberg-Wernigerode und seine Räte ...

Am andern Morgen wälzten sich die Massen nach der Martinskapelle. Hier hatte Tetzel seinen Kasten, die "himmlische Fundgrube" geheißen, aufgestellt. Darüber erhob sich ein großes rotes Kreuz mit Dornenkrone und Nagellöchern, rings herum hingen Fahnen mit dem päpstlichen Wappen und der dreifachen Krone, etwas abseits davon war eine Kanzel erbaut, auf welcher der Sendling des Papstes mit geläufigen, beredten, nervenerschütternden Worten von dem Tag des Heils redete, der über der Christenheit und jetzt auch über der Stadt Halle aufgegangen sei, von dem Glücke derer, die diesen Tag erlebt hätten, denn über ihnen tue sich der Himmel auf, und auch der Ungläubigste müsse gläubig werden, wenn er den Beweis mit Augen sehe. Damit entfaltete er ein großes Pergament mit vielen angehängten Siegeln, die Urkunde des Heiligen Vaters, des Statthalters Christi.

Nun gab das ein Stoßen und Drängen zu dem Zahltische, und die zitternden Hände streckten sich, nachdem eine eilige Beichte getan und die geforderte Summe erlegt war, nach dem Ablasszettel, der den armen Sündern ein leichtes Herz und ruhiges Gewissen schaffte. Bald kam’s auch aus der Ferne von allen Windrichtungen geströmt, und Bruder Tetzel sah ein, dass er aus dieser gesegneten Stadt sobald nicht werde fortkommen können.

Bald hatte sich auch der Platz östlich von der Martinskapelle in einen Jahrmarkt gewandelt. Wie die Spatzen dem Mülleresel, dem der Kornsack aufgegangen, so zog dem Himmelsboten Johann Tetzel allerlei Gesindel nach, welches sich die Gelegenheit zunutze machte und den frommen Pilgern die Möglichkeit bot, ihr Geld auch noch auf eine andere Art loszuwerden. In Kaufbuden ward allerlei Ware feilgehalten, dazwischen ward das Glücksrad gedreht und mit Würfeln um allerlei Tand gespielt. Auch die Augenlust ging nicht leer aus: ein Seiltänzer machte seine tollen Sprünge, und in einer großen Bude brüllte allerlei wildes, ausländisches Getier. Für die Knaben waren Kletterstangen und Vogelstände aufgestellt, den Burschen und Mägdlein spielte die Fiedel zum Reigen auf, und Marketender sorgten, dass den Durstenden der kühle Trunk nicht fehle. Wie das lustig zuging! Und konnte man denn nicht lustig sein, mit dem Ablasszettel in der Tasche, der einem alle Last vom Herzen heruntergenommen?

Doch nach vier Monaten war es schon wieder vorbei mit dem fröhlichen Ablasshandel an der Saale, Chronist Armin Stein berichtet:

Herr Albertus saß mit seiner Freundin Margarete Riedinger zu Mainz in seinem Esszimmer bei Austern und Würzwein. Draußen tobte der Novembersturm, riss an den Fenstern und heulte im Kamin. ... Das kosende Geflüster der Beiden ward unliebsam unterbrochen durch den Eintritt des Dominikanerpriors Rupertus, der mit betretener Miene dem Erzbischof zurief:

„Böse Zeitung aus Sachsen, Kurfürstliche Gnaden. Unser Tetzel ist ... auf seinem Zug auch in die Nähe von Wittenberg gekommen, da ist er mit einem Augustinermönch in die Haare geraten. Der hat den apostolischen Ketzermeister einen Schelm gescholten. Damit nicht genug, hat er am Vorabend vor Allerheiligen an die Tür der Wittenberger Schlosskirche fünfundneunzig Streitsätze geschlagen wider den Ablass, um darüber öffentlich zu disputieren. Diese fünfundneunzig Streitsätze laufen durch die Welt gleich einem Sturmwind und erregen alles.

Nun kennen Sie die wahre Geschichte, wie ein anderer Chronist sagen würde.

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Geschrieben von

hadie

Was die Arbeitnehmer jetzt brauchen, ist ein Rettungsschirm für die Portemonnaies. (Frank Bsirske)

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