Das Monster von Zhongnanhai

Hygiene-Maoismus Weiter in meinem Corona-Roman: Die Protagonisten versuchen in lockerer Runde zusammenzutragen, was wirklich geschehen ist.

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Alles begann Mitte November 2019, als in mehreren Krankenhäusern der chinesischen Millionenstadt Wuhan Patienten mit Erkältungssymptomen vorstellig wurden. Die Kranken und ihr Umfeld mutmaßten, Opfer einer neuartigen Virusinfektion zu sein, die in einem örtlichen Wildtiermarkt ausgebrütet worden sein sollte. Erfahrene Ärzte stellten rasch fest, dass es sich um das Corona-Virus handelte, seit Jahrhunderten fester Bestandteil der jährlichen Grippewellen. Neuartig war es nur in soweit, wie es das musste, um im aktuellen Infektionsgeschehen eine Chance zu haben. Doch die Kranken und ihr Umfeld strickten weiter an ihrer Verschwörungstheorie, befeuert durch einen PCR-Test, der für diesen diagnostischen Zweck völlig ungeeignet war. Durch die prekären gesundheitlichen Bedingungen in Wuhan starben wirklich einige Patienten. Die Gesundheitsbehörden von Stadt und Provinz leiteten Untersuchungen ein, durch die sich landesweit eine beträchtliche Unruhe verbreitete. Panikmacher wurden zur Polizei vorgeladen und eingschüchtert. Das chinesische Neujahrsfest nahte, noch am 19. Januar 2020 gab es in Wuhan und Umgebung große Umzüge und Bankette. Besorgte chinesische Bürger äußerten sich in den sozialen Medien. Die Pekinger Zentralregierung setzte 300 Agitatoren nach Wuhan in Marsch, um die unruhigen Köpfe zur Ordnung zu rufen: alles Panikmache! Am 26. Januar 2020 leitete der Genosse Xi Jinping die Wende ein. Verschwörungstheorie wurde Wahrheit, Wahrheit Verschwörungstheorie, das „Monster von Wuhan“ war geboren. Die 300 Agitatoren wurden zurückgepfiffen, am 29. Januar 2020 ging der Großraum Wuhan in den harten Lockdown. Über die Gründe dieser Wende wurde viel gerätselt. Innenpolitisch war es ruhig, auch Uiguren und Hongkonger waren in Feierlaune. Außenpolitische Gründe erschienen auch unwahrscheinlich, US-Präsident Trump war von den Weihnachtsferien direkt in den Golfurlaub gereist. Wahrscheinlicher erscheint eine Palastrevolte im Zhongnanhai, dem Pekinger Regierungsviertel. Xi Jinping hatte das altrömische System der zwei Consuln abgeschafft und sich selbst zum maoistischen Alleinherrscher erhoben. Doch seine Macht war noch ungefestigt: allgemeinpolitisch-ideologisch hatte die Partei per Definition immer recht, gesundheitspolitisch waren noch Diskussionen möglich. Solch eine Diskussion musste wohl dazu geführt haben, dass der Diktator statt hundert Blumen ein Monster auf das geschundene Land losgelassen hatte. Nur wie hatte sich das Monster über die gesamte bewohnte Welt ausbreiten können?

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Geschrieben von

hadie

Was die Arbeitnehmer jetzt brauchen, ist ein Rettungsschirm für die Portemonnaies. (Frank Bsirske)

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