Der Fritz im Speziallager

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Der alte Fritz war Kassenwart der NSDAP-Ortsgruppe, da beißt die Maus keinen Faden ab. Allerdings war er überhaupt erst 1944 in DIE PARTEI eingetreten. Seine Stammtisch-Brüder hatten ihn dazu überredet: "Mensch Fritz, der Russe steht bald an den Reichsgrenzen, da müssen alle wehrfähigen Deutschen zusammenstehen!" Sein Sohn kam auf Fronturlaub aus Griechenland und erklärte ihn für verrückt: "Überall verlassen die Ratten das sinkende Schiff und du trittst in diesen Verliererverein ein!" Als ausgefuchster Buchhalter hatte der Fritz schnell gemerkt, was in der Parteikasse schief lief. Die war kaum mehr als ein weit offen stehender Selbstbedienungsladen für Durchstechereien aller Art. Da verdarb er es sich innerhalb weniger Wochen mit den wirklich wichtigen Leuten in der Stadt.

Als die Amerikaner kamen, händigte er ihnen die Parteikasse auf Heller und Pfennig aus und konnte auch seine zeitweilige Parteimitgliedschaft glaubhaft erklären. Als dann die Russen kamen, rächten sich einige Leute aus dem Dunstkreis der alten Stadtverwaltung. Fritz wurde als "führender Funktionsträger des NS-Staates" denunziert und verhaftet. Fünf Minuten gaben ihm "die Russen" zum Anziehen. Die Martha reichte ihm seinen guten Norweger-Pullover aus dem Schrank und den neuen blauen Wintermantel. Einige Tage verbrachte er im Untersuchungsgefängnis, dann ging es im Viehwaggon in das Speziallager Nr. 2 nach Buchenwald. An der Rampe nahmen ihm die russischen Wachsoldaten Wintermantel und Pullover ab und gaben ihm eine fadenscheinige Häftlingsjacke. Den Norweger-Pullover trug kurz darauf ein Russe und Fritz war fast sofort erkältet, starb wenige Monate später an Hunger und Unterkühlung ...

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Geschrieben von

hadie

Was die Arbeitnehmer jetzt brauchen, ist ein Rettungsschirm für die Portemonnaies. (Frank Bsirske)

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