Der Gutsherr und das gute Leben

Heimatgeschichte Hans Wilhelm Klaus von Werder wurde am 30. August 1892 in Sagisdorf bei Halle/S. geboren.

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Nach einer behüteten Kindheit besuchte er die Kriegsschule in Hannover und wurde 1912 in Potsdam zum preußischen Leutnant ernannt. Im I. Weltkrieg war er Zugführer, Adjutant und Kompaniechef an der Front, später Oberleutnant im kaiserlichen Generalstab. 1917 heiratete er die drei Jahre jüngere Offizierstochter Ida Eugenie Karla Ilse von Diringshofen.
Nach dem I. Weltkrieg erbte Hans Klaus von Werder ansehnliche Güter in Sagisdorf, Storckwitz und Queis. 1919 zogen Ida und Hans Klaus von Potsdam nach Halle. Zwei Söhne wurden geboren: Klaus Friedrich und Hans Christoph. Als junger Großagrarier wollte Hans Klaus alles richtig machen und studierte zunächst drei Semester Landwirtschaft an der Universität Halle. Danach arbeitete er zweieinhalb Jahre als landwirtschaftlicher Volontär auf einem Rittergut im Kreis Merseburg. Endlich hinreichend ausgebildet, kündigte Hans Klaus nach und nach den bäuerlichen Pächtern seiner Flächen. 1923 zog die Familie Werder von Halle nach Sagisdorf und bewirtschaftete zunächst die vorhandenen Obstplantagen.

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In dieser Zeit entstanden private Fotos, die den Gutsherren mit einem Eselskarren in Halle von Laden zu Laden fahrend zeigen, wo er sein Obst anbot. Der Gewinn war gering, doch Hans Klaus fand, dass selbstbestimmte Arbeit adele, auch wenn man schon von Hause aus adelig sei.

Die von Werders sind märkischer Uradel seit 1369. Politisch war Hans Klaus auch eher konservativ. Er engagierte sich in der Deutschnationalen Volkspartei und im „Stahlhelm“, für den er stramm vaterländische Abhandlungen schrieb. 1928 erbte Hans Klaus endgültig die beiden Güter Storckwitz (265 ha) und Queis (283 ha). Eine ansehnliche Erbschaftssteuer wurde fällig. Inflation und Weltwirtschaftskrise überstanden die Güter einigermaßen unbeschadet, Storckwitz und Sagisdorf blieben in eigener Verwaltung, während Queis 1930 günstig verpachtet wurde.
Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 ließ Hans Klaus sich zunächst in allerlei Funktionen und neu geschaffene Ehrenämter berufen. Besonders die Tätigkeit als Hauptabteilungsleiter der Landesbauernschaft beanspruchte ihn stark. Die Privatbetriebe von Werders litten einerseits unter der Vernachlässigung, profitierten aber andererseits vom Insider-Wissen und der Nähe ihres Besitzers zum korporatistischen Kommandoapparat der NS-Landwirtschaftsverwaltung. Hans Klaus schildert den Zielkonflikt in seinen Lebenserinnerungen:
Sollte ich aber nun, nachdem die Stellung mir anvertraut war, schwach werden? Ich habe oft Gewissensbisse gehabt, oft schien es mir unverantwortlich meiner Familie gegenüber und dem Besitze, mich so restlos für die Sache zu opfern. Zunächst wollte und musste ich aber durchhalten. Ich war ebenso entschlossen, den richtigen Zeitpunkt nicht zu verpassen, wenn es an den Bestand der Besitzungen gehen sollte."
1934 gab es eine Missernte und eine weitere Rate der Erbschaftssteuer für Storkwitz und Queis wurde fällig. Hans Klaus schaltete in den Alarmmodus und legte bis Mitte 1935 alle Ämter nieder. Von nun an wandte seine ganze Kraft den eigenen Betrieben zu:
"Der Boden rief mich, die Bodentreue forderte ihr Recht. Wie oft hatte ich an der einen Hand der vielen Vorbilder anderer Familien, besonders aber der eigenen, die Gefahr gesehen, bodenuntreu zu werden aus Gründen selbstloser Arbeit zum Wohle der Gemeinschaft."
Auch den Söhnen wurde rasch klar gemacht, wohin sie gehören, nämlich aufs Land: „Ihr sollt nicht fliegen lernen, sondern pflügen!
Diese kompromisslose Haltung trug Früchte: aus den vorhandenen Obstplantagen von zwei Morgen entwickelte Hans Klaus bis 1940 einen mustergültigen Gemüseanbaubetrieb von 265 Morgen, mit Warm- und Kalthäusern, deren Produkte über den Großhandel nach Halle und Leipzig gelangten. Den Spruch: ,Was Du ererbt von Deinen Vätern hast / Erwirb es, um es zu besitzen!' ließ er in den eichenen Torbalken eines Stallgebäudes schnitzen. Besitz und Adel verpflichteten zu fachlich guter Betriebsführung nach anerkannten Regeln, mit geregelten Arbeitszeiten und auskömmlichen Löhnen, verlässlich planbarem Jahresurlaub und sozialem Engagement im Umfeld. Dinge, die heute unter den Begriffen „Nachhaltigkeit“ und „Gutes Leben“ beschworen werden, aber weiter denn je entfernt sind.
In Sagisdorf wurden zwei weitere Kinder geboren, Tochter Gisela Annagrethe und Sohn Dietrich. Während des II. Weltkriegs übernahm Gattin Ilse erfolgreich die Verwaltung der Werderschen Betriebe, Sohn Hans Christoph fiel 1944 an der Ostfront. Vater Hans Klaus wurde Major und geriet 1945 in Italien in amerikanische Gefangenschaft. Der nun schon über 50-Jährige engagierte sich in der Gefangenen-Selbstverwaltung.
Am 1. September 1945 trat in der sowjetischen Besatzungszone die Bodenreform in Kraft: jeder Landwirt, der mehr als 400 Morgen Land besaß, wurde entschädigungslos enteignet. Frau und Kinder mussten heimlich ihren Besitz verlassen und flohen in den Westen. Gut Sagisdorf wurde im Oktober 1945 in 50 Parzellen aufgeteilt und Kleinbauern zugesprochen. Im Herrenhaus zogen Heimatvertriebene ein. Danach wurde dort eine TBC-Heilstätte eingerichtet, später eine orthopädische Klinik. Nach der Zwangs-Kollektivierung der DDR-Landwirtschaft wurde spätestens 1952 die gesamte landwirtschaftliche Fläche von der „LPG Fortschritt Reideburg“ bewirtschaftet. Letztere galt als Musterbetrieb, wohl auch, weil die Beschäftigten zum Teil schon in den Vorgänger-Betrieben tätig waren.
Hans Klaus kam im Juli 1946aus amerikanischer Gefangenschaft nach Westdeutschland, wo er noch weitere fünf Jahre in der Landwirtschaft arbeitete. Dann wechselte er mit fast 60 Jahren noch einmal seinen Beruf: als Textilvertreter zogen seine Frau und er im Rheinland von Laden zu Laden. Auch hierin erfolgreich, gelang es dem Paar, im rheinischen Gürzenich ein Haus mit Grundstück zu erwerben. Das Haus bekam den Namen Neu-Sagisdorf. Allmählich trat Hans Klaus in den Ruhestand, schrieb an einer Familienchronik, übernahm Funktionen in einem Reservisten-Verein, organisierte Familientreffen und stritt sich mit DDR-Behörden um Möbel und Gemälde. Wertgegenstände aus Werderschem Familienbesitz wurden mehrfach in Halles Moritzburg gesehen. Hans Klaus von Werder starb 9. Mai 1972 in Gürzenich bei Düren im Rheinland.
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Nach 1990 ging der Verfall in Sagisdorf weiter: 1992 zog die Klinik aus. Das Gutshaus steht seitdem leer und verfällt. Die umliegenden Wirtschaftsgebäude wurden abgerissen. Große Teile des Bodenreform-Landes wurden an einen Bauträger verkauft, der dort Einfamilien-Häuser errichten ließ. Vom Wirken des Gutsherren ist eher wenig geblieben. Eigentlich war der Boden um Reideburg schon in den 1920-er Jahren für die landwirtschaftliche Produktion zu teuer. Nur durch seine Ausrichtung auf Frühgemüse und Edelobst konnte von Werder hinreichende Erlöse erzielen. Die dort erprobten Anbau-Methoden und Erntetechniken waren auch noch in der frühen DDR vorbildlich.
Der hinter dem Gutshaus liegende 2,5 Hektar große Park ist ein Auwald-ähnliches Naturrefugium geworden, das 1992 von der Stadt Halle unter Landschaftsschutz gestellt wurde. In den ehemaligen LPG-Baracken arbeitet eine private Bildungsfirma mit benachteiligten Jugendlichen und zwangsverpflichteten Ein-Euro-Jobbern. Die Ausrichtung des noch nicht zersiedelten Betriebsgeländes auf Umweltpädagogik und sanften Tourismus erscheint sinnvoll, ein nachhaltiges Konzept dafür wird immer noch schmerzlich vermisst.

Vom 17. bis 19. Oktober 2013 findet in Halle/S. die Tagung "Nachhaltigkeit neu leben - Buen Vivir?" statt. http://www.buenvivir-in-halle.de

Zuerst erschienen in der Halleschen Störung.
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Geschrieben von

hadie

Was die Arbeitnehmer jetzt brauchen, ist ein Rettungsschirm für die Portemonnaies. (Frank Bsirske)

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